Blickpunkt

Die biobasierte Wirtschaft ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einem nachhaltigeren System mit hoher Versorgungs- und Energiesicherheit. Während jedoch für die Energiewirtschaft regenerative Energieformen, etwa Wind- und Wasserkraft, zur Verfügung stehen, sind für die Rohstoffbasis der chemischen Industrie weniger Alternativen denkbar. Schon heute setzt die chemische Industrie neben fossilen Rohstoffen zu 13 Prozent nachwachsende Rohstoffe ein. Allerdings entfallen mehr als 50 Prozent hiervon auf den traditionellen Bereich der Öle und Fette.1 Außerdem wird die Biomasse zu etwa 60 Prozent importiert.2


<h2>Märkte und Innovationstreiber</h2>
Aus Biomasse hergestellte Produkte substituieren erdölbasierte Produkte, integrieren aber auch neuartige Funktionen. Die Anwendungsfelder sind entsprechend vielfältig und reichen von Kunststoffen, Waschmitteln, Farben, Baustoffen und Verpackungen bis hin zu Pharmazeutika.
Im Jahr 2007 betrug der mit biobasierten Produkten erwirtschaftete Umsatz etwa 48 Mrd. Euro weltweit und damit ungefähr 3,5 Prozent des Gesamtumsatzes der Chemiebranche. Für das Jahr 2017 werden über 15 Prozent erwartet; in einzelnen Bereichen noch deutlich mehr:3 40 bis 50 Prozent der Spezial- und Feinchemie könnten im Jahr 2025 biobasiert sein.4 Zweistellige Wachstumsraten finden sich besonders im Biokunststoffmarkt. Der heutige Anteil biobasierter Kunststoffe ist mit weniger als 1 Prozent am Gesamtmarkt zwar sehr gering, das technische Substitutionspotenzial mit etwa 90 Prozent aber extrem hoch.5
Wichtige Innovationstreiber biobasierter Produktionsweisen sind neben Nachhaltigkeits- und Klimaschutzaspekten auch ökonomische Faktoren. Die biobasierte Chemiewirtschaft verspricht innovative Produkte, zum Beispiel neuartige Biokunststoffe und kostengünstige Herstellungsprozesse wie die um 40 Prozent günstigere Produktion von Vitamin B2. Eine der wichtigsten Schlüsseltechnologien für den industriellen Einsatz von Biomasse ist die weiße Biotechnik. Sie gestaltet chemische Prozesse ressourceneffizienter und damit nachhaltiger. Das Einsparpotenzial von CO2 durch biotechnische Verfahren könnte im Jahr 2030 jährlich bis zu 2,5 Mrd. Tonnen betragen.6


<h2>Newcomer Bernsteinsäure</h2>
Im Gegensatz zur Spezial- und Feinchemie werden Basis- und Plattformchemikalien aus Biomasse bisher nur punktuell hergestellt. Ein Grund sind die hohen Entwicklungs- und Produktionskosten. Allerdings entwickeln sich etliche Plattformchemikalien dynamisch hin zu einer biobasierten Produktion.
Ein Beispiel ist die Bernsteinsäure (Butandiensäure, E 363 oder Succinylsäure). Sie ist ein C4-Synthesebaustein für die Kunststoff- und Lösungsmittelchemie, jedoch ist ihre erdölbasierte Herstellung für viele Anwendungen zu teuer. Mit der Bio-Bernsteinsäure verknüpft sich die Hoffnung auf deutlich geringere Produktionskosten.
In Deutschland arbeitet unter anderem BASF an der fermentativen Produktion von Bernsteinsäure mit einem dafür entwickelten Mikroorganismus: Basfia succiniciproducens. Dieses ursprünglich aus Rinderpansen stammende Bakterium produziert Bernsteinsäure sowohl aus Zucker als auch aus dem kostengünstigeren Glycerin. Die großtechnische Herstellung ist geplant.
An anderen Standorten ist die Entwicklung allerdings schon weiter. So entsteht im US-amerikanischen Louisiana derzeit die weltweit größte Bernsteinsäure-Anlage unter Beteiligung des deutschen Ingenieurunternehmens Uhde.


<h2>Siegeszug der Polymilchsäure</h2>
Hinsichtlich technischer Reife und wirtschaftlicher Umsetzung ist die Kommerzialisierung der Polymilchsäure (PLA, Polylactid) weiter als die der Bernsteinsäure. PLA ist ein milchsäurebasiertes thermoplastisches Polymer mit ähnlichen Eigenschaften wie Polyethylenterephthalat (PET). Das Polylactid ist vollständig biobasiert, begrenzt bioabbaubar und ergibt eine wesentlich bessere Umweltbilanz als PET. Dies wird daher bereits durch PLA substituiert, beispielsweise in Verpackungen. Dementsprechend wächst der PLA-Markt und Materialinnovationen erhöhen den Umsatz.
In der Regel wird PLA über Polymerisation von fermentativ produzierter Milchsäure hergestellt. Weltweit gibt es bereits einige PLA-Anlagen, etwa in den Niederlanden, Thailand oder den USA. In Deutschland baut Uhde Inventa-Fischer eine Anlage im brandenburgischen Guben, die ab dem Jahr 2012 bis zu 60 000 Jahrestonnen PLA herstellen soll. Die zurzeit größte PLA-Anlage steht in Nebraska und produziert jährlich bis zu 140 000 Tonnen.


<h2>Chancen und Herausforderungen</h2>
Deutschland hat eine sehr gute Ausgangsposition auf dem Weg zu einer biobasierten Chemiewirtschaft und könnte die Technologieführerschaft in einigen Bereichen erlangen. Bevor sich jedoch biobasierte Produktionsweisen in wirtschaftlicher Weise umsetzen lassen, sind noch eine ganze Reihe Herausforderungen zu meistern, wie die Tabellen verdeutlichen.
Vera Grimm, promovierte Chemikerin, arbeitet seit dem Jahr 2006 als Technologieberaterin im VDI Technologiezentrum insbesondere in den Bereichen Life Sciences und Bioökonomie. <a href="mailto:grimm@vdi.de">grimm@vdi.de</a> Axel Zweck studierte Chemie, Sozialwissenschaften und Philosophie und leitet seit dem Jahr 1992 die Zukünftige Technologien Consulting des VDI Technologiezentrums. Schwerpunkte der Tätigkeit sind innovationsbegleitende Maßnahmen. <a href="mailto:zweck@vdi.de">zweck@vdi.de</a> Die Studie “Biomasse — Rohstoff der Zukunft für die chemische Industrie” des VDI Technologiezentrums analysiert anhand von 26 chemischen Zwischenprodukten, inwieweit biobasierte Prozesse erdölbasierte Herstellungsweisen ablösen könnten. Die Studie ist kostenfrei zu beziehen. <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.zt-consulting.de" target="_blank">www.zt-consulting.de</a></ext-link>


<h2>— — — Handelsregeln für Chemikalien</h2>
Die fünfte Vertragsstaatenkonferenz des Rotterdamer Übereinkommens brachte die Insektenvernichtungsmittel Endosulfan und Aldicarb sowie das Unkrautvernichtungsmittel Alachlor auf die Liste der Chemikalien, deren internationaler Handel die Zustimmung des Empfängerlands zum Import voraussetzt. Beim Prior-Informed-Consent-Verfahren muss das Importland Informationen über Risiken für Gesundheit und Umwelt erhalten. Die drei Pflanzenschutzmittel unterliegen in der EU bereits Verboten oder Beschränkungen. Das Rotterdamer Übereinkommen trat im Jahr 2004 in Kraft. Anhang III enthält nun 43 Chemikalien, davon 32 Pflanzenschutzmittel und 11 Industriechemikalien.


<h2>Evonik: mehr Methylmethacrylat</h2>
Evonik Industries erhöht die Produktionskapazitäten für Me thyl meth acrylat in Worms und Wesseling, in Schanghai sowie im US-amerikanischen Fortier in den nächsten Jahren um circa 50 000 Jahrestonnen. Methylmeth acrylat dient der Herstellung von Farben, Lacken und von Polymethylmethacrylat (Acrylglas).


<h2>Akzo rüstet in Frankfurt um</h2>
Die niederländische Akzo Nobel will für 140 Mio. Euro ihre Chloranlage in Frankfurt am Main auf die Membrantechnik umstellen und die Kapazität um 50 % erhöhen. Ende des Jahres 2013 soll die Anlage mit einer Jahreskapazität von 250 000 Tonnen starten.


<h2>Rheinperchemie geht an FMC</h2>
Das US-amerikanische Chemieunternehmen FMC übernimmt das Persulfat-Unternehmen Rheinperchemie von der italienischen Unionchimica. Rheinperchemie fertigt in Rheinfelden und besitzt ein Vertriebsbüro in Hamburg.



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1 


<publisher-name>VCI</publisher-name>, 
“<source>Rohstoffbasis der chemischen Industrie: Daten und Fakten”, 
2010.

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2 


<publisher-name>Nova Institut</publisher-name>, 
“<source>Entwicklung von Förderinstrumenten für die stoffliche Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen in Deutschland”, 
Mai 2010.

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3 

Festel, “Industry structure and business models for industrial biotechnology research methodology and results for discussion”, OECD Workshop on the Outlook on Industrial Biotechnology, Wien, 2010..
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4 


“<source>U.S. Biobased products, market potential and projections through 2025”. 
<publisher-name>United States Department of Agriculture</publisher-name>, 
2008.

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<li>
5 

Shen et al., “Product overview and market projection of emerging bio-based plastics”, Utrecht, PRO-BIP 2009.
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6 


Bang et al., “<source>Industrial biotechnology — more than green fuel in a dirty economy? Exploring the transformational potential of industrial biotechnology on the way to a green economy”, 
<publisher-name>WWF und Novozymes</publisher-name>, 2009.

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Artikel

Biobasierte Chemieprodukte

Die biobasierte Wirtschaft ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einem nachhaltigeren System mit hoher Versorgungs- und Energiesicherheit. Während jedoch für die Energiewirtschaft regenerative Energieformen, etwa Wind- und Wasserkraft, zur Verfügung stehen, sind für die Rohstoffbasis der chemischen...

Die Gefährdung durch grenzwertüberschreitende Gehalte an Dioxinen in Lebensmitteln ist eher abstrakt — sie gelten dann als gesundheitsgefährlich, wenn ein Verbraucher täglich und lebenslang die entsprechende Dosis zu sich nimmt. Dagegen können Infektionserreger in Lebensmitteln schnell akute, wenn nicht gar lebensbedrohliche Symptome hervorrufen. Häufig sind Erreger zudem hoch ansteckend und breiten sich von Mensch zu Mensch aus, in der Regel über eine Schmierinfektion. Dies trifft beispielsweise auf den Ausbruch des pathogenen Darmkeims E. coli O104:H4 (enterohämorrhagische Escherichia coli, Ehec) in diesem Sommer zu, aber auch auf Ausbrüche von Magen-Darm-Erkrankungen generell, etwa durch Noroviren.1


<h2>Infektion oder Vergiftung?</h2>
Generell lassen sich von der Menge an Magen-Darm-Infektionen, die das Robert-Koch-Institut (RKI) aufgrund der Meldepflicht jährlich registriert, nur wenige nachweislich mit bestimmten Lebensmitteln in Verbindung bringen. Jedoch sind die Nachweisraten von Erregern wie Campylobacter- und Salmonella-Spezies in Fleisch und Wurst bereits im Rahmen der routinemäßig entnommenen Proben der amtlichen Lebensmittelüberwachung hoch. Das deutet darauf hin, dass viele Ausbrüche und Erkrankungen lebensmittelassoziiert sind. Da es sich dabei um bakterielle Infektionserreger handelt, stellt sich aus medizinisch-naturwissenschaftlicher Sicht die Frage, welche Mechanismen zur Erkrankung führen (Abbildung 2, S. 978).
Die Infektiologie beschreibt drei Wege, wie Erreger wirken: Einige führen zu echten Infektionen; die Krankheitssymptome hängen also mit der Immunantwort des Körpers auf den Erreger zusammen. Davon abzugrenzen sind solche Bakterien, die eine Intoxikation, also eine Vergiftung mit seinen Stoffwechselprodukten verursachen. Hier geht die Gesundheitsgefahr von einer Zelloberflächenstruktur mit toxinogenem Potenzial (Endotoxine) aus oder von einem zuvor produziertem Exotoxin, das bereits im Lebensmittel vorliegt (zum Beispiel bei Staphylococcus aureus und einigen Clostridien). Der Mechanismus der Infektion ist allerdings von dem der Intoxikation nicht immer klar zu trennen. Fortschreitende Erkenntnisse in Biochemie und Molekularbiologie lassen daher inzwischen die Kategorie der toxi-infektiösen Erreger zu. Dabei setzt das Bakterium das Toxin erst im menschlichen Darm frei (Ehec).
Die klinischen Befunde der Patienten während der Ehec-Epidemie in diesem Sommer hatten den Charakter einer Toxi-Infektion: Einerseits zerstört ein Shigatoxin (stx2) Zellen in der Darmschleimhaut sowie in Blutgefäßen, vor allem in der Nieren und bewirkt so das hämolytische-urämische Syndrom (HUS), das zu akutem Nierenversagen führen kann. Andererseits wirken enteroaggregative E. coli selbst zellschädigend und verursachen eine Darmentzündung. Der Ehec-Erreger O104:H4 war demnach ein toxiinfektiöser Erreger neuen Typs, der mehrere Pathogenitätsfaktoren vereint.2—4
Wenn bakterielle Erreger von Magen-Darm-Infektionen pa tho- to xi no gen wirken, ist dies bei einer Erregeridentifizierung analytisch nachweisbar, sowohl phänotypisch als auch genotypisch.


<h2>Analytik und Diagnostik: Ehec</h2>
Für routinefähige Diagnostik bakterieller Toxine in Lebensmitteln müssen sowohl die amtlichen als auch kommerzielle Laboratorien das gesamte Instrumentarium bereit halten, das die phänotypischen und genotypischen Eigenschaften der möglichen toxinogenen Erreger detektiert. Hierzu gehört sowohl ein mikrobiologisches als auch ein molekularbiologisches Labor. Die Validität des gesamten Verfahrens muss dabei überprüfbar und Kontrollstandards müssen verfügbar sein. Dazu kommt, dass genau definiert sein muss, wann ein Befund positiv ist, da ja Ergebnisse aus verschiedenen Diagnostik- und Analytikdisziplinen vorliegen, etwa aus Biochemie (z. B. Enzyme Linked Immunosorbent Assay, Elisa), Mikrobiologie (Kulturisolatgewinnung mit klassisch mikrobieller Bestätigung) und Molekularbiologie (z. B. Immunoblot nach Kultivierung, PCR-Nachweis erregerspezifischer DNA, Nachweis toxincodierender Sequenzen). Dabei muss klar sein, wie die einzelnen Ergebnisse zueinander zu wichten sind (Abbildung 3). Generell sind die Methoden jeweils zu modifizieren, denn genormte Verfahren für alle Erreger gibt es nicht.
Das amtliche Nachweisverfahren für Shigatoxin bildenden E. coli in Lebensmitteln kombiniert die To xin identifizierung mit dem Erregernachweis.5 Es geht davon aus, dass das Toxin stx2 nicht im oder auf dem Lebensmittel entsteht. Demnach wird der E. coli zunächst isoliert und dann im Labor durch das Antibiotikum Mitomycin C als Stressor stimuliert, damit das Bakterium Toxin produziert.
Eine mikrobiologische Kultur braucht mehrere Anreicherungsschritte, so dass die Inkubationszeit 20 Stunden beträgt. Für pflanzliche Matrices wie Gurken, Tomaten und Sprossen bedeutet diese Vorgehensweise, dass auch störende Begleitflora wächst (Abbildung 3). Verkürzte Inkubationszeiten und ein verringertes Nährstoffangebot in den Kulturmedien können dem entgegenwirken, gehen aber möglicherweise auf Kosten der Detektionsempfindlichkeit.
Ein handelsüblicher Sandwich-Elisa weist matrixunabhängig nur die gesamte Shigatoxin-Gruppe nach, kann also stx2 nicht unterscheiden. Ein positiver Toxinbefund ist nun mit der richtigen Erreger-Gattung zu kombinieren, da auch andere Darmbakterien wie Shigellen Shigatoxine bilden. Dazu werden aus Voranreicherungsmedien mit Doppelmembran-Agartechnik innerhalb von 24 Stunden Einzelkolonien entwickelt und deren Shigatoxine auf die zweite Membran geblottet. Monoklonale Antikörper binden spezifisch und werden nach weiterer Bindung eines Phosphatasekonjugats (anti-Maus-IgG) enzymatisch erfasst. Klassischerweise werden Subkulturen in Selektivnährmedien inkubiert, Kulturen wiederholt isoliert und jeweils mit biochemischen Testverfahren identifiziert.
Empfehlenswert ist schließlich eine Bestätigung durch das nationale Referenzlabor beim Bundesamt für Risikobewertung (BfR) (Abbildung 3).
Modifizierungen der Inkubationszeit und der Zusammensetzung der Anreicherungskultur sind nötig, wenn eine PCR-Methode für das Screening dienen soll. Diese ist auf selektierte Kulturen angewiesen, die aus pflanzlichen Matrices wie Gemüsen schwieriger zu erhalten sind.6 Es eröffnet sich jedoch hierbei die Möglichkeit, sowohl auf phänotypischer als auch auf genotypischer Nachweisebene in kurzer Zeit einen validen Befund im Sinne von “nachgewiesen/nicht nachgewiesen” zu erhalten (Abbildung 3).


<h2>Nachweis bei Intoxikation: Clostridien</h2>
Diagnostik und Nachweis von anaeroben Keimen wie Clostridien läuft anders als bei E. coli ab, da die Toxine bereits im Lebensmittel vorliegen. Ein Beispiel ist das neurotoxische Botulinum (BotNT), das Botulismus auslöst. In den letzten Jahren registrierte das Robert-Koch-Institut in Deutschland zwischen 5 und 20 Fälle von Botulismus pro Jahr.
Ein Fall im Jahr 2010 nahm einen dramatischem Verlauf. Ein älterer Patient kam nachts mit Übelkeit, Herz-Kreislauf-Problemen, Doppeltsehen und einsetzender Atemdepression in die Notaufnahme. Wenige Stunden später musste die Ehefrau intensivmedizinisch versorgt werden. Das Krankenhaus wies bei beiden Botulinumtoxin Typ A im Blutserum nach.
Dem Hinweis eines Arztes war es zu verdanken, dass die lebensmittelüberwachende Behörde erfuhr, dass die Patienten zuvor vermutlich Gulaschsuppe aus einer Konservendose verzehrt hatten. Noch nicht geöffnete Dosen derselben Charge kamen aus dem Haushalt zur Untersuchung ins Chemische und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Rhein-Ruhr-Wupper. Zusätzlich wurden Umgebungstupferproben aus dem häuslichen Umfeld der Patienten analysiert.
Da Botulismus meldepflichtig ist, wurde das Robert-Koch-Institut aktiv, informierte sich über die Analysenergebnisse der Lebensmittelüberwachung und sorgte für den Austausch von Lebensmittel- und Tupferprobenisolaten. Alle involvierten Behörden einschließlich der Gesundheitsbehörden konzentrierten ihre Aktivitäten auf das Ausbruchsmanagement; dabei ging es darum, das verursachende Lebensmittel und den Erreger zu identifizieren, die Stämme im Lebensmittel mit denen aus den Patienten zu vergleichen, die Zuständigkeit der unteren Behörden zu regeln und zu klären, ob die Öffentlichkeit vor bestimmten Lebensmitteln gewarnt werden musste oder Lebensmittel zurückzurufen waren. Die Aufmerksamkeit lag auf luftabgeschlossenen, möglicherweise nicht ausreichend erhitzten Lebensmitteln.
Als Goldstandard für den Nachweis von Botulinumtoxin diente das amtliche Verfahren nach § 64 LFGB.7 Nach diesem Verfahren werden Lebensmittelextrakte, die das Toxin möglicherweise enthalten, unter die Bauchdecke von lebenden Mäusen appliziert (Abbildung 4). Dieser Bioassay unterscheidet aber nicht zwischen den Toxintypen A bis E. Zudem ist der zeitliche und materielle Aufwand hoch, was das Design der Untersuchungsgänge anbelangt (Anzahl, Negativ-, Positivkontrollen, Kontrollen für die Antitoxingaben je Typ A bis E, in drei Verdünnungsstufen). Dafür sind mindestens 14 Versuchstiere erforderlich.
Zum Untersuchungsgang gehört zudem die kulturelle Anzüchtung der anaeroben Clostridien, da davon auszugehen ist, dass auch Sporen vorliegen können. Erst unter Laborbedingungen wird also die Toxinproduktion stimuliert, so dass eine Typisierung erfolgen kann.
Die amtlichen Untersuchungen in der Küche des erkrankten Ehepaars ergaben überraschenderweise eine massive Versporung mit Clostridium botulinum des Spülbeckens, der Arbeitsflächen und des Kühlschrankgriffs sowie eines Kochpölkelaufschnitts aus dem Kühlschrank. Ein eindeutiger Bezug zu einem Lebensmittel ergab sich allerdings nicht, da das Toxin in den Lebensmitteln nicht nachweisbar war. Zuletzt wurde ein solcher kausaler Zusammenhang in Deutschland durch den Nachweis von BotNT in Fisch erstellt.8
Im vorliegenden Fall gab es allerdings so starke Hinweise auf Toxinbildung im häuslichen Umfeld, so dass das CVUA weitergehende Untersuchungen zusammen mit dem Robert-Koch-Institut veranlasste. So wurden die Isolate von Tupfern und Lebensmittel mit klinischen Isolaten aus den Stuhlproben ausgetauscht und Untersuchungstechniken methodisch überprüft. Die Bundesinstitution übernahm so die Rolle eines Referenzlabors, da es sowohl die Extrakte der Lebensmittel- und Tupferproben aus der Küche, als auch die Stuhlproben der Patienten mit weiteren Verfahren untersuchte (Elisa, PCR für die toxincodierenden Gensequenzen aus den Kulturen von Lebensmitteln und klinischen Materialien). Die Ergebnisse waren in sich konsistent und ergaben stets den Nachweis von BotNT Typ A.
Der Fall zeigt, dass eine sofortige Zusammenarbeit aller relevanten Institutionen der Lebensmittel-, der Hygieneüberwachung und der Landes- und Bundesstellen (RKI, BfR) sinnvoll ist und in kurzer Zeit möglich ist.
Der Patient lag monatelang im Koma und musste beatmet werden. Die Ehefrau hat sich schneller erholt, kann sich aber trotz Rehabilitationsmaßnahmen nur bruchstückhaft an das Ereignis erinnern.


<h2>Ausblick</h2>
Gerade im Hinblick auf akute Intoxikationen scheint es dringend geboten, massenspektrometrische Techniken wie ein funktionelles Endopeptidase-MS-Assay biologischen Assays wie das Mäuse-Assay bei Verdacht auf BotNT vorzuziehen (Abbildung 5). So ließen sich solche zeit- und kostenintensive Bioassays vermeiden. Ein Ersatz durch eine chemische Analytik wäre dabei bereits aus ethischen Gründen wünschenswert.
Olivier Aust, Jahrgang 1972, ist nach Promotion in physiologischer Chemie als Lebensmittelchemiker unter anderem tätig als sachverständiger Gutachter im Bereich Hygiene von Lebensmitteln tierischen Ursprungs am Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Rhein-Ruhr-Wupper in Krefeld. Er ist Honorardozent für Bezugswissenschaften im Gesundheitswesen — Lehrbeauftragter an der Akademie für das öffentliche Gesundheitswesen in Düsseldorf und Lehrbeauftragter an der Hochschule für Gesundheit in Bochum. 							: <a href="mailto:Olivier.Aust@cvua-rrw.de">Olivier.Aust@cvua-rrw.de</a>


— — — Bakterientoxine können im Lebensmittel schon vorliegen (Botulinumtoxin, Staphylokokken-Enterotoxin), sie können als integraler Bestandteil der Bakterienmembran erst im Darm interagieren (Salmonellen) oder entstehen erst im Darm (E.coli O104:H4/Ehec).
Als analytische Instrumente kommen Enzym-Immunoassays und PCR-Methoden in Verbindung mit kulturellen Isolierungen in Frage, sofern ein bereits vorhandenes (Exo-)Toxin nicht erfasst werden kann.
Das Shigatoxin von E.coli O104:H4 wird nur durch aufwendige Kulturanreicherungen, kombiniert mit direktem Toxinnachweis (mit Elisa) oder indirektem Toxinnachweis (mit PCR) verifiziert. Botulinumtoxine können valide zurzeit nur im Mäuse-Bioassay nachgewiesen werden. Zu wünschen ist ein funktioneller Peptidase-MS- Assay.



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1 

Epidem. Bull. 2011, 3, 20..
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2 

Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung, 2011, 19..
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3 

M. Bielaszewska, A. Mellmann, W. Zhang et al. Lancet Infect. Dis. 2011, online june 22th..
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4 

Ch. Frank, D. Werber, J.P. Cramer et al., New Engl. J. Med. 2011, online june 22th..
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5 

 Amtliche Sammlung von Untersuchungsverfahren (ASU), § 64 LFGB, L 00.00—92..
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<li>
6 

Bundesinstitut für Risikobewertung, 2011, unveröffentlicht..
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7 

Amtliche Sammlung von Untersuchungsverfahren (ASU), § 64 LFGB, L 06.00—26.
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<li>
8 

Epidem. Bull. 2011, 42, 412—413..
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