Blickpunkt

Vom 2. bis 4. Juni fand in Schanghai bereits zum vierten Mal die Biotech China statt. Die Deutsche Messe, Ausrichter der jährlichen Biotechnica in Hannover, gibt hier die Gelegenheit mit chinesischen Unternehmen in Kontakt zu treten.
111 Aussteller aus sieben Nationen lockten 5260 Besucher an, etwa 10 % weniger als im Vorjahr. Dennoch war das jährliche Messeunterfangen ein Erfolg: 20 % der Besucher nutzten die Biotech China als Ordermesse und 30 % waren auf Partnersuche. Sich zu informieren stand vornan, obwohl die überwiegende Mehrheit der Unternehmen aus der Region kam, zu erkennen an Schanghai im Unternehmensnamen.


<h2>China auf technischem Vormarsch</h2>
Neue Materialien wie technische Textilien, Elektromobilität, Umweltthemen, nachwachsende Rohstoffe und Biotechnik stehen hoch im Kurs. Im Jahr 2010 sollen — so der Plan der Regierung — mit chemisch-pharmazeutischen, medizinischen und biotechnischen Produkten bis zu 800 Mrd. Remninbi (RMB, auch Yuan) erzielt werden. Das sind umgerechnet etwa 95 Mrd. Euro. Glaubt man der Beijing Pharmaceutical Profession Association1) wird dies bei Wachstumsraten von mehr als 20 % erreicht. Bereits für das Jahr 2008 gibt der Verband 418 Mrd. RMB für klassische Parmazeutika und Vorprodukte an, die Hälfte des Marktes. Die traditionelle chinesische Medizin macht ein Viertel aus. Im Kommen sind Biopharmazeutika mit einem Anteil von 10 %. Bereits im Jahr 1993 wurde erstmals ein rekombinantes Interferon in China zugelassen.


<h2>Zwischen Tradition und Moderne</h2>
Der chinesische Gesundheitsmarkt ist stark zersplittert: Neben 13 141 zugelassenen Medizintechnik-Unternehmen gibt es 7165 Unternehmen in der Pharmaproduktion. Die führenden Pharma-Unternehmen Schanghai Pharmaceutical (Umsatz 2008: 22,4 Mrd. RMB, etwa 2,2 Mrd. Euro), Guangzhou Pharmaceutical (12,6 Mrd. RMB) und Yangtse River Pharmaceutical (10,0 Mrd. RMB) sind noch mindestens eine Größenordnung von den Weltmarktführern entfernt. 661 Unternehmen widmen sich der Biotechnik, darunter auch Start-ups. Dabei haben Venture Capital und Hightech-Inkubatoren in China längst Einzug gehalten: 40 000 Unternehmensgründungen will Chinas Regierung in allen Sektoren jährlich fördern.


<h2>Vorbild Genomsequenzierung</h2>
Ein Vorbild für Gründer ist das Beijing Genomics Institute (BGI).3 Nach dem Broad (Massachusetts Institute of Technology und Harvard Medical School) und dem Sanger- Institute ist das BGI weltweit Nummer drei bei den Genom-Forschungseinrichtungen: Die Sequenzierung von einem Prozent im Humangenomprojekt — seinerzeit noch ohne staatliche Hilfe —, zahlreiche Titelpublikationen bei Nature und Science und der Marketingspruch ”we sequence for less … and better“ lässt die Konkurrenz aus dem Reich der Mitte erahnen. Heute beträgt die Datenproduktion 100 Gigabyte pro Tag. Ende des Jahres sollen es 5 Terabyte sein. In Boston und Kopenhagen sind die Chinesen mit eigenen Büros schon vor Ort.


<h2>Gesundheitsreform und Industrieparks</h2>
Die chinesische Gesundheitsreform des Jahres 2009 ist ein Antreiber: Mehr als 200 Millionen Chinesen werden in den kommenden drei Jahren in das Krankenversicherungssystem mit einer Grundversorgung überführt. Zur Entwicklung tragen zudem mehr als 50 nationale Hightech-Entwicklungszonen mit 22 Biotech-Stützpunkten bei. In Schanghai, Kanton, Tianjin und Chongqing finden 80 Prozent chinesischer Biotech-Wertschöpfung statt. In Industrieparks wie dem 56 Quadratkilometer großen Zhangjiang Hi-Tech Park in Schanghai sind bereits viele Weltunternehmen der Pharmabranche — auch forschend — vertreten.4 Mancher noch westliche Arbeitsplatz könnte sich in absehbarer Zeit dort wiederfinden.
Holger Bengs, Biotech Consulting, Frankfurt, und Lin Bai, Yangtse Biotech Consulting, gehörten Anfang Juni zu einer Delegation, die in Peking — gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie — durch den Verein Brücke-Osteuropa organisierte Kooperationsgespräche führte. <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.holgerbengs.de" target="_blank">www.holgerbengs.de</a></ext-link> <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.yangtse-biotech.de" target="_blank">www.yangtse-biotech.de</a></ext-link>



<ul>
<li>
1 

Analyse der Medizin- und Pharma-Branche in Beijing 2008/2009, Beijing Pharmaceutical Profession Association, <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.bppa.org.cn" target="_blank">www.bppa.org.cn</a></ext-link>
</li>
<li>
2 

Brücke-Osteuropa, <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.bruecke-osteuropa.de" target="_blank">www.bruecke-osteuropa.de</a></ext-link> 
</li>
<li>
3 

Beijing Genomics Institute, <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.genomics.cn" target="_blank">www.genomics.cn</a></ext-link> 
</li>
<li>
4 

Zhangjiang Hi-Tech Park, <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.zjpark.com/zjpark_en" target="_blank">www.zjpark.com/zjpark_en</a></ext-link> 
</li>
</ul>

Artikel

Biotechnologie in China: Ein Stimmungsbericht

Vom 2. bis 4. Juni fand in Schanghai bereits zum vierten Mal die Biotech China statt. Die Deutsche Messe, Ausrichter der jährlichen Biotechnica in Hannover, gibt hier die Gelegenheit mit chinesischen Unternehmen in Kontakt zu treten. 111 Aussteller aus sieben Nationen lockten 5260 Besucher an, et...

In die Entwicklung von Medikamenten oder Herstellungsverfahren von Chemikalien investieren die Marktteilnehmer große Summen, um sich durch neue Produkte zu positionieren. Wenn dann Wettbewerber in dieselbe Nische drängen, stellt sich die Frage, ob sie geschützte Verfahren oder Komponenten für die Entwicklung des Konkurrenzprodukts illegal verwendet haben. Der Verdacht allein reicht nicht, um mit dem Wettbewerber eine Lösung auszuhandeln oder gar ein gerichtliches Verfahren anzustrengen. Es ist ein Nachweis notwendig.
DNA-forensische Nachweise klärten allein in Deutschland schätzungsweise 80 000 Taten, darunter Jahrzehnte zurückliegende Morde.1 Ebenso hilft DNA-Forensik, geistiges Eigentum in biotechgetriebenen Märkten zu schützen.
Die zunehmende wirtschaftliche Bedeutung und hohe Internationalisierung der Biotechnik lassen erwarten, dass die Nachfrage nach handfesten Beweisen für die Verletzung geistigen Eigentums (intellectual property, IP) steigt.


<h2>Wertvolle Eigentumsrechte</h2>
Seit den 1990er Jahren beträgt der Anteil biotechnischer Patente an allen Patenten weltweit etwa 6 bis 10 %. Im Jahr 2006 stammten 42 % aller biotechnischen Patente aus den USA, gefolgt von Japan (12 %) und Deutschland (7 %). Etwa zwei Drittel der deutschen Biotechpatente stammen dabei aus Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen.
Im Jahr 2009 stand in Deutschland einem Umsatz von etwa 2,2 Mrd. Euro fast die Hälfte (1,06 Mrd. Euro) an Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F+E) gegenüber. Der hohe Aufwand für biotechnische F+E zeigt sich ebenso in der Zeitspanne von durchschnittlich 57 Monaten, also fast 5 Jahren, zwischen Anmeldung und Veröffentlichung von Patenten.2 Ein Durchschnittspatent benötigt nur 43 Monate (3,5 Jahre).3
Vom typischerweise 20 Jahre laufenden Patentschutz bleiben beispielsweise bei Medikamenten nur etwa 10 Jahre, um unter Patenschutz die Entwicklungskosten von bis zu über 1 Mrd. Euro zurückzugewinnen. Einbußen durch Patenverletzungen sind also in den F+E-intensiven Biotech-Märkten besonders folgenschwer. Dabei ist die Anfälligkeit für IP-Missbrauch gerade hier hoch: Die Patentansprüche sind oft weit gefasst und lassen Spielraum für Interpretationen. Zudem kann die Vergabe der Patente selbst umstritten sein, beispielsweise bei Patenten auf natürlich vorkommende Gene oder Organismen. Dies kann bis zum Widerruf der Patenterteilung führen. Die Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnischer Erfindungen, die ”patentfähige und nicht patentfähige Erfindungen klar voneinander trennen soll“ ist selbst aus Sicht der EU-Kommission nicht ausreichend.4 
Da biotechnische Patente aufgrund ihrer Komplexität einerseits oft schwer auffindbar sind, dürften Patentverletzungen aus Nichtwissen häufig auftreten. Andererseits stellen Patente wegen ihrer Veröffentlichung die Anleitung zur Nachahmung zur Verfügung. Unternehmen bevorzugen daher statt Patentierung zunehmend konsequente Geheimhaltung.
Wissenschaftliche Fachpublikationen bedrohen die Geheimhaltung.5 Viele industrielle Kooperationen wurzeln in akademischer Grundlagenforschung und gerade europäische Wissenschaftler scheinen den Schutz ihrer Erfindungen oft nicht wichtig zu nehmen.
Außerdem verteilen noch Lizenzmodelle sowie wechselnde Kooperationen und Mitarbeiter die Informationen. Wirtschaftsspionage ist also nur eine der Möglichkeiten, sich unrechtmäßig Informationen zu beschaffen.


<h2>Nachweis durch DNA Forensik</h2>
Bei Verdacht, dass ein Wettbewerber fremdes Know-how missbräuchlich verwendet, bietet die forensische DNA-Analyse Unternehmen vorzügliche Nachweismöglichkeiten. Kaum eine biotechnisch getriebene Entwicklung kommt ohne spezifische DNA-Konstrukte aus. Dies betrifft DNA und RNA in jeder Form, Proteine, Zelllinien, Gewebe, Organe, Produktionssysteme und Organismen.
Inzwischen liegt die Nachweisgrenze von spezifischen DNA-Sequenzen prinzipiell bei wenigen Molekülen. Daher lässt sich der Nachweis über eine DNA-Analytik selbst dann führen, wenn das zu testende Produkt eigentlich gar keine DNA aus dem Produktionsverfahren mehr enthalten sollte. Über die verwendeten Aufreinigungsverfahren werden nicht zwangsläufig alle DNA-Moleküle vollständig entfernt. Damit taugen möglicherweise in der Apotheke oder im Chemikalienhandel gekaufte Konkurrenzprodukte, beispielsweise Medikamente oder Aminosäuren, zum analytischen Nachweis von Zielsequenzen mit spezifischer Amplifikation durch die Polymerase-Kettenreaktion.


<h2>Das gerichtsfeste Labor</h2>
Der Nachweis von geringen DNA-Spuren mit großteils degradierter (zerstückelter) DNA ist nicht trivial. Er verlangt nach einem hochspezialisierten DNA-Labor, das für derartige Analysen nach der ISO Norm 17025:2005 akkreditiert sein sollte.
Ein positiver Nachweis muss gerichtsfest sein, da er Angriffspunkte bietet. Wichtig ist eine ununterbrochene Beweiskette durch lückenlose Dokumentation. Die hochempfindliche Analytik ist anfällig für Kontamination. Sensitivität kann zudem auf Kosten der Spezifität erzielt worden sein. Durchgängige Kontrollen und nach Möglichkeit redundante Analytik müssen das Ergebnis sichern.
Bei hohen Streitwerten sind langwierige und schwierige Gerichtsverfahren möglich. Von den Gutachtern aus dem Labor ist deshalb eine hohe Qualifikation und langjährige Erfahrung mit Gerichtsgutachten gefragt.
Die Chance, einen Nachweis für den Missbrauch von Eigentumsrechten führen zu können, sollte zunächst mit den forensischen Experten erörtert werden. Wird sie als ausreichend hoch erachtet, stehen die Kosten für die Analytik meist in einem guten Verhältnis zum möglichen Nutzen. Mit dem gerichtsfesten Beweis in der Hand dürfte die Verhandlungsposition auch für eine außergerichtliche Einigung wesentlich gestärkt sein.
Jens Wiehler studierte Biologie in Kiel und promovierte im Jahr 2001 am Genzentrum der LMU München bei Ernst-Ludwig Winnacker in Protein Engineering. Er ist bei Eurofins Medigenomix für Geschäftsentwicklung <a href="mailto:verantwortlich.jenswiehler@eurofins.com">verantwortlich.jenswiehler@eurofins.com</a> Rainer Schubbert studierte Veterinärmedizin in Gießen und promovierte 1995 bei Walter Doerfler zum Nachweis fremder DNA im Säugerorganismus. Er ist technischer Leiter des Labors für DNA-Forensik und angewandte DNA-Analytik bei Eurofins Medigenomix und vertritt Gutachten in Gerichtsverfahren. <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.medigenomix.de/patent.html" target="_blank">www.medigenomix.de/patent.html</a></ext-link>


<h2>— — — Innovationsboom durch Biotechnik</h2>
Die Geschichte der Biotechnik begann bereits vor mindestens 12 000 Jahren mit der Herstellung alkohol- oder essighaltiger Getränke aus Fruchtsäften. Heute hat die Biotechnik eine wirtschaftlich bedeutende Schüsselrolle
<list list-type="order">
<list-item>
</list-item></list>bei der Entwicklung und Herstellung von Pharmazeutika

<list-item>
in der medizinischen Forschung und Diagnostik
</list-item>
<list-item>
bei der Rohstoffgewinnung 
</list-item>
<list-item>
bei der Chemikalienproduktion
</list-item>
<list-item>
bei der Herstellung von Lebensmitteln, Lebensmittelbestandteilen und -zusätzen
</list-item>
<list-item>
in der Tier- und Pflanzenzucht mit molekularen Markern und genetisch modifizierten Organismen
</list-item>
<list-item>
bei der Abfallentsorgung
</list-item>
<list-item>
in der Kriminologie für die DNA-Forensik
</list-item>

Der Markt für Biopharmazeutika ist jährlich etwa 40 Mrd. Dollar schwer. Bereits innerhalb der nächsten Jahre werden biopharmazeutische Medikamente wohl 30 % aller zugelassenen Medikamente ausmachen.



<ul>
<li>
1 

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.bka.de/profil/faq/dna02.html" target="_blank">www.bka.de/profil/faq/dna02.html</a></ext-link>
</li>
<li>
2 

OECD Biotechnology Statistics 2009.
</li>
<li>
3 

Ernst &amp; Young, Deutscher Biotechnologie-Report 2010, Zahlen für erweitertes Segment; <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.ey.com/DE/de/Newsroom/News-releases/2010_" target="_blank">www.ey.com/DE/de/Newsroom/News-releases/2010_</a> Deutscher-Biotech-Report</ext-link>.
</li>
<li>
4 

Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament — Entwicklung und Auswirkungen des Patent-rechts im Bereich der Biotechnologie und der Gentechnik (SEK(2005) 943); <ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://eur-lex.europa.eu" target="_blank">http://eur-lex.europa.eu</a></ext-link>
</li>
<li>
5 

 
H. Thangaraj, 
C. J. van Dolleweerd, 
E. G. McGowan, 
J. K.-C. Ma, 
<source>Nat. Biotechn. 
(2009), 
27, 
614.
</li>
</ul>

Artikel

Biotechnologie in China: Ein Stimmungsbericht

China auf technischem Vormarsch

Überprüfung Ihres Anmeldestatus ...