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Bunte Aspekte: Häm und seine Abbauprodukte

Eine kleine Verletzung reicht aus, um zu sehen, wie sich der rote Blutfarbstoff Hämoglobin verändert, wenn er in ungewollter Weise die Blutzellen verlässt und sich unter der Haut verteilt: Die prosthetische Gruppe Häm (Fe2+-Protoporphyrin IX) löst sich aus dem Protein und wird stufenweise abgebau...

Woran Chemiker und Biotechniker viele Jahre arbeiteten, hat der Einjährige Beifuß (Artemisia annua) längst perfektioniert: die Synthese der Verbindung Artemisinin. Die in China einheimische Pflanze wird inzwischen weltweit angebaut, denn Artemisinin ist ein begehrter Ausgangsstoff für Medikamente: Das Sesquiterpen sowie seine Derivate töten den Malariaerreger Plasmodium falciparum.
Bis vor kurzem noch stammte das gesamte Artemisinin auf dem Weltmarkt aus der Artemisia-Pflanze: Die Verbindung wird mit n-Hexan aus getrockneten Blättern und Blüten extrahiert. Mit 200 bis 1200 US-Dollar pro Kilogramm schwankte der Preis für Artemisin stark, abhängig vom Ernteertrag der langsam wachsenden Pflanze.
Der Bedarf an dem Malariamittel ist im letzten Jahrzehnt rasant gestiegen, und schon im Jahr 2004 warnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor einem Engpass.
Die Bill und Melinda Gates Foundation hatte sich daher zum Ziel gesetzt, alternative Quellen für die Substanz aufzutun, und beauftragte das Non-Profit-Pharmaunternehmen One World Health damit, das Projekt zu koordinieren. Eine Totalsynthese ist zu aufwendig, aber schnell wurde klar, dass eine semisynthetische Produktion realisierbar ist: Gentechnisch veränderte Hefezellen produzieren das Vorläufermolekül Artemisininsäure, das sich dann chemisch zu Artemisinin umsetzen lässt.
Das gemeinsame Projekt starteten die Bill und Melinda Gates Foundation, One World Health, die University of California in Berkeley und das Biotechunternehmen Amyris im Jahr 2004. Der Arzneimittelkonzern Sanofi stieß 2009 als als Industriepartner dazu. Neun Jahre nach dem Start, im April 2013, weihte Sanofi seine Artemisinin-Anlage im norditalienischen Garessio ein (Abbildung 1). One World Health ist inzwischen Teil der Organisation Path (Program for Appropriate Technology in Health).


<h2>Erst Biotechnik, dann Chemie</h2>
Den Grundstein für die biotechnische Artemisinin-Synthese legte Jay Keasling, Chemieingenieur an der Universität Berkeley: Er fand einen Weg, das Vorläufermolekül Artemisininsäure in gentechnisch veränderten Hefen zu exprimieren.1 Die Substanz lässt sich aus der Fermentation der Hefen isolieren. Amyris, eine Ausgründung der Universität Berkeley, entwickelte ein erstes Produktionsverfahren, um Artemisininsäure zu isolieren und dann durch chemische Oxidation zu Artemisinin umzuwandeln (Abbildung 2, S. 126).2,3 Sanofi schließlich brachte die Pilotprozesse zur industriellen Reife.
Vom Labormaßstab in den industriellen Prozess war es ein weiter Weg, berichtet Matthias Braun, Chemiker und Geschäftsführer Produktion für das Artemisinin-Projekt bei Sanofi: “Man sagt immer: 'Das ist ja nur Upscaling!' Aber auch das ist eine Kunst für sich.” Zudem musste es sehr schnell gehen: “Der Zeitplan, der uns vorgegeben wurde, um die industrielle Fertigung hochzuziehen, war sehr ehrgeizig.” One World Health wollte möglichst bald das neue Verfahren etablieren, denn die Zeit drängte: Der Malariaerreger ist geschickt darin, Strategien gegen Medikamente zu entwickeln; schon sind Resistenzen gegen Artemisinin keine Seltenheit mehr.
Sanofi führte eine photochemische Oxidation im großtechnischen Maßstab ein. Nach Braun war schon allein deshalb das Projekt eine Herausforderung, denn Photooxidationen sind in der chemischen Industrie selten: “Wir hatten nur begrenzt Erfahrung damit. Und es kommt hinzu: Artemisinin ist ein organisches Peroxid und damit sicherheitstechnisch nicht einfach zu handhaben.” Zusätzlich sollte das Verfahren auch möglichst günstig sein: Ein Kilo semisynthetisches Artemisinin sollte in der Herstellung weniger als 400 US-Dollar kosten.


<h2>Zwei Prozesse in zwei Ländern</h2>
Fermentation und Photochemie hat Sanofi örtlich voneinander getrennt: Die Fermentation und die Isolierung von Artemisininsäure führt das Unternehmen Huvepharma in Bulgarien durch; Artemisininsäure wird dann in Garessio zum Artemisinin umgesetzt. Im ersten Schritt entsteht dabei Dihydroartemisininsäure durch homogenkatalysierte diastereoselektive Hydrierung der Artemisininsäure; in einem Photoreaktor folgt in Methylenchlorid als Lösemittel die Photooxidation, worauf sich Dihydroartemisininsäure in einer komplexen Reaktion zu Artemisinin umlagert (Abbildung 3). Dabei dient Tetraphenylporphyrin als Photosensibilisator, um Singulett-Sauerstoff zu generieren. Anschließend wird das Reaktionsgemisch gewaschen und Artemisinin isoliert. Die Gesamtausbeute beider Teilschritte von Artemisininsäure zu Artemisinin beträgt 55 Prozent.
Sanofi führt die Photoreaktion von Dihydroartemisininsäure zu Artemisinin in einem semi-kontinuierlichen Verfahren durch (semi-continuous batch flow-reactor). Im Gegensatz dazu entwickelte Peter Seeberger, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, für diese Reaktion einen kontinuierlichen Reaktor — vorerst allerdings nur im Labormaßstab mit einem Reaktorvolumen von 20 Milliliter [Nachr. Chem. 2012, 60, 714].4 “Die Chemie dahinter ist die gleiche, nur die Verfahrenstechnik ist eine andere”, sagt Braun. Deshalb halten es manche für nicht ausgeschlossen, dass das von Seeberger entwickelte Verfahren in Zukunft Vorteile bringen könnte. Für eine industrielle Produktion seien aber Kosten- und Sicherheitsfragen stärker zu beachten.


<h2>Jeder kann Artemisinin kaufen</h2>
In einer Vereinbarung mit Path verpflichtet sich Sanofi, Artemisinin auf dem Weltmarkt anzubieten. Derzeit verkauft das Unternehmen etwa 10 bis 15 Prozent der produzierten Menge. Den Hauptteil setzt es zu Artesunat um — ein Succinatderivat des Artemisinins — und verarbeitet es zum Medikament ASAQ, einem Kombinationspräparat aus Artesunat und Amodiaquin, ebenfalls ein Antimalariawirkstoff.
Derzeit stellt Sanofi etwa 40 Tonnen Artemisinin pro Jahr her. Der Konzern plant, in den kommenden Monaten die Tonnage auf 60 Tonnen zu erhöhen; zu dieser Kapazität hat sich das Unternehmen verpflichtet. Diese Menge entspricht derzeit etwa einem Drittel des Weltmarkts für Artemisinin. “Noch mehr halbsynthetisches Artemisinin soll aber nicht produziert werden”, sagt Braun, “wir wollen das natürliche Artemisinin nicht verdrängen, lediglich ergänzen.” Vom Anbau der Artemisia-Pflanze und der Extraktion des Wirkstoffs sind viele Bauern und Arbeiter wirtschaftlich abhängig.
Unendlich lange wird die Artemisininproduktion nicht laufen. In Kambodscha und anderen asiatischen Ländern sind bereits erste Resistenzen gegen Artemisininkombinationspräparate aufgetaucht.5 In einigen Jahren könnte das Mittel bereits seine Wirkung eingebüßt haben — dann wird es Zeit für ein komplett neues Medikament.
Die promovierte Chemikerin Brigitte Osterath arbeitet als freiberufliche Wissenschaftsjournalistin in Bonn. <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.writingscience.de" target="_blank">www.writingscience.de</a></ext-link>


<h2>Wie wirkt Artemisinin?</h2>
Wie genau Artemisinin gegen Malaria wirkt, ist umstritten. Eine plausible Theorie besagt, dass das Molekül aufgrund seiner Peroxidstruktur in Anwesenheit von Eisenionen instabil wird und in freie Radikale zerfällt. Hohe Konzentrationen von Eisenionen finden sich vor allem in der Nähe von Malariaparasiten, da diese den roten Blutfarbstoff Hämoglobin als Nahrung nutzen.
Da einige Malariastämme bereits gegen Artemisinin und seine Derivate resistent sind, rät die Weltgesundheitsorganisation von einer Monotherapie allerdings dringend ab. Als Mittel der Wahl gegen die Malaria tropica empfiehlt sie stattdessen artemisininbasierte Kombinationstherapien. Diese Medikamente enthalten neben einem Artemisininderivat einen weiteren Antimalariawirkstoff. Die Artemisininverbindung beseitigt in den ersten drei Tagen der Behandlung den Hauptteil der Parasiten, während das Partnermedikament die verbleibenden Erreger tötet.
In den letzten Jahren sind in Kambodscha, Myanmar, Thailand und Vietnam allerdings auch schon Resistenzen gegen einige Kombinationspräparate aufgetreten.



<ul>
<li>
1 

 
D-K. Ro, 
E.M. Paradise, 
M. Ouellet M et al., 
<source>Nature 
(2006), 
440, 
940.
</li>
<li>
2 

 
C. J. Paddon, 
P. J. Westfall, 
D. J. Pitera et al., 
<source>Nature 
(2013), 
496, 
528.
</li>
<li>
3 

Patent WO2011026865.
</li>
<li>
4 

 
F. Lévesque, 
P. H. Seeberger, 
<source>Angew. Chem. 
(2012), 
124, 
1738.
</li>
<li>
5 

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.who.int/malaria/publications/atoz/arupdate042012.pdf" target="_blank">www.who.int/malaria/publications/atoz/arupdate042012.pdf</a></ext-link>.
</li>
<li>
6 

 
L.-K. Sy, 
G. D. Brown, 
<source>Tetrahedron 
(2002), 
58, 
897.
</li>
</ul>

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