Magazin

“Zu wenig Wissen ist gefährlich. Zu viel Wissen auch.” Mit diesem Albert Einstein zugeschriebenen Zitat beginnt der Trailer der US-amerikanischen Fernsehserie “Eureka”. Hier lösen sich Autos in Luft auf, Physiker spielen am Magnetfeld der Erde herum und alles Metall wird plötzlich zu Gold. Eureka ist eine erfundene, geheime Stadt im Nordwesten der USA. Hier hat die Regierung die kreativsten Köpfe der Nation versammelt, um an der Zukunft zu arbeiten.
Wie viele Hollywood-Produktionen lebt die Serie von der Faszination, die erfundene, aber doch plausibel angelegte Szenarien auf uns ausüben. Einen schmalen Grat zwischen Spannung und Ablehnung, wenn es zu unglaubwürdig werden sollte, sieht deshalb Jaime Paglia, einer der beiden Erfinder von Eureka: “Wir wollen Science Fiction, wir wollen niemals Zauberei.” Die Zuschauer sollten mitkommen auf eine Reise und nicht plötzlich feststellen, oh, das ist nur noch dumm. Dass hier keine Pannen passieren, verhindern kompetente Helfer, die zum Teil selbst in der Forschung arbeiten.
 Allen voran sieht die US-amerikanische Raumfahrtbehörde Nasa Kino und Fernsehen als Werbeplattform für ihre Forschungsprogramme. Die Nasa kooperiert — ohne Geld dafür zu verlangen — mit einer Vielzahl von Produktionen über intergalaktische Missionen. Das Logo ist oft deutlich zu sehen — eine hervorragende PR für die teuren Programme der Behörde.


<h2>Wie viel Amphetamin liefern 30 Gallonen Methylamin?</h2>
Schwerer tut sich die Chemie, auch wenn Chemielehrer in den USA auf eine besondere Art an Popularität gewonnen haben — ob gut oder schlecht, wird sich erst herausstellen. In “Breaking Bad” verstrickt sich der an Krebs erkrankte Lehrer Walt in illegale Machenschaften, weil er versucht, seine Familie mit dem Erlös aus illegal hergestellten Drogen für die Zeit nach seinem Tode abzusichern. Natürlich spielen auch die enormen Kosten einer Krebsbehandlung im amerikanischen Gesundheitssystem, die den finanziellen Spielraum einer ohnehin klammen Lehrerfamilie sprengen, in die Serie hinein. Eine skurrile, schwarze Komödie [s. Nachr. Chem. 2011, 59, 427].
Mit der Bedeutung von Chemikern als Berater für wissenschaftsbasierte Fernsehserien und Kinofilme setzte sich die American Chemical Society (ACS) auseinander — einen Nachmittag lang auf dem ACS-Frühjahrstreffen in Anaheim, Kalifornien.
“Breaking Bad” ist kein Science Fiction, sondern ein Drama aus dem richtigen Leben. “Deshalb versuchen wir, die Wissenschaft so korrekt wie möglich darzustellen”, sagt Moira Walley-Becket, Autorin und “mithelfende Produzentin” der Fernsehserie, deren fünfte Staffel gerade in Albuquerque und der Wüste von New Mexico gedreht wird. Das sei man der Hauptperson schuldig, die ja vor ihrer Zeit als Lehrer sogar an später mit dem Nobelpreis gekrönter Forschung maßgeblich beteiligt war — aber nie davon profitierte.
Bei chemischen Fragen bei der Produktion von Breaking Bad hilft Donna Nelson, Chemieprofessorin an der Universität Oklahoma, “wann immer sie mich brauchen”. In der Forschung beschäftigt sich Nelson mit Nanoröhren, zur Zeit ist sie Visiting Professor am Massachussetts Institute of Technology (MIT). Mit der Beratung von Breaking Bad will sie dazu beitragen, die Wahrnehmung von Wissenschaftlern in der Öffentlichkeit zu verbessern. Was schreibt der Chemielehrer für Formeln an die Tafel? Donna Nelson hat die Monoalkene vorgelegt. Wie viel Amphetamin kann man aus einem 30-Gallonen-Fass Methylamin herstellen? Selbst abwegig anmutende Fragen werden mit wissenschaftlicher Ernsthaftigkeit angegangen und kommen in der Folge auch nachvollziehbar beim Publikum an. Allerdings geht es nicht um eine Anleitung zum Drogenkochen. “Entscheidende Schritte haben wir bewusst weggelassen”, sagt Nelson. Die US-Drogenbehörde habe intensiv mitgearbeitet, ergänzt Moira Wally-Becket, gerade weil auch die sozialen Konsequenzen, die unumkehrbare Drift in ein kriminelles Umfeld deutlich werden.
Donna Nelson hat damit schon unliebsame Erfahrungen machen müssen: Ein Student, der in einem Labor Methamphetamin kochte, brachte die Universität im Jahr 1985 in die Schlagzeilen — “eine fürchterlich peinliche Erfahrung” und enorm rufschädigend für die Hochschule.


<h2>110-prozentige Wissenschaft</h2>
Ob Kernschmelze oder Konsequenzen aus der Genforschung — vieles von dem, womit die Gesellschaft heute konfrontiert wird, hat das Kino längst entdeckt und damit Spannung erzeugt. Wie viel Wahrheit steckt hinter den Szenarien von “Outbreak” oder “Gattaca”, bei denen gefährliche Viren aus den Labors entkommen oder genetisch perfekte Bürger geschaffen werden? Der Physiker Sidney Perkowitz von der Universität Emory beschäftigt sich schon lange mit Formen der Popularisierung von Wissenschaft im Kino. Jeder Autor würde bestimmt am liebsten die Wissenschaft so akkurat wie möglich darstellen, glaubt Perkowitz. “Aber manchmal muss man die Dinge etwas verbiegen, um die Geschichte voran zu bringen.” In seinem Buch “Hollywood Science” sucht er die wissenschaftlichen Tatsachen hinter der Fiktion. “Als Wissenschaftler müssen wir da flexibel sein”, mahnt er. Auch wenn die Forschung nicht immer hundertprozentig korrekt dargestellt werde, so inspirierten solche Themen im Kino auf lange Sicht doch viele junge Menschen dazu, Forscher zu werden und dann “die Wissenschaft 110 Prozent genau zu machen”.
Wie sehr umgekehrt die Erfindungen der Hollywood-Autoren auch wieder in die Chemie einziehen können, zeigt Mark Griep, Chemieprofessor an der Universität Nebraska: Er nutzt Filmszenen in seinen Vorlesungen, um den Studenten die Chemie näher zu bringen. Im gerade in den deutschen Kinos angelaufenen Film “Ohne Limit” geht es um eine Pille, die dem Gehirn unbegrenzte Fähigkeiten verschafft — NZT nennen die “Jungs aus der Küche” die Droge. “Das klingt nicht nach von der FDA [das US-amerikanische Amt für Lebensmittelüberwachung und Arzneimittelzulassung] zugelassen”, sagt der Hauptdarsteller, als er das erste Mal davon erfährt. Er wird Testperson — und sein Gedächtnis erreicht ungeahnte Möglichkeiten. Der Film hat in den USA eine neue Diskussion darüber entfacht, ob und in welcher Form eine Steigerung der Leistung des Gehirns durch Medikamente möglich ist. Mark Griep geht mit seinen Studenten dem fiktiven Molekül NZT auf den Grund. Auf der Fake-Seite <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.theclearpill.com" target="_blank">www.theclearpill.com</a>,</ext-link> einem Infomercial für den Film, fällt der systematische Name des Moleküls: Thallanylzirconio-methyl-tetrahydro- triazatriphenylen.
“So etwas liebe ich”, sagt Griep, “man kann jetzt den Namen nehmen und daraus die Struktur ableiten und dann das Moleküls vergleichen mit dem, was im Kinofilm dazu erzählt wird — das ist ein bisschen wie Rätselraten.” Auf jeden Fall sei es für seine Studenten spannender als trockene Theorie der Atome und Moleküle.
“Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.” Auch das soll Albert Einstein gesagt haben.
Axel Fischer ist Diplom-Chemiker und Wissenschaftsjournalist in München.


<h2>— — — Alles für den Chemieunterricht</h2>
Holger Butenschön organisiert die Vortragstagung der GDCh-Fachgruppe Chemieunterricht auf dem GDCh-Wissenschaftsforum in Bremen. Er freut sich am meisten auf die Experimentalvorträge.
Nachrichten aus der Chemie: Herr Butenschön, was erwartet die Besucher in Bremen? 
Holger Butenschön: Die Fachgruppe Chemieunterricht führt im Rahmen des Wissenschaftsforums ihre Jahrestagung durch und wird dazu in zwei Parallelsitzungen über die gesamte Dauer des Wissenschaftsforums Diskussions- und Experimentalvorträge anbieten. Daneben gibt es attraktive Workshops, Posterpräsentationen und einen öffentlichen Experimentalvortrag, der sich an Schülerinnen und Schüler aus der Region Bremen wendet, sowie eine gemeinsame Sitzung mit der Fachgruppe Analytische Chemie mit zwei Experimentalvorträgen.
Nachrichten: “Chemie schafft Zukunft”, so lautet das Motto der Tagung. Welchen Beitrag leistet Ihre Fachgruppe dazu?
 Butenschön: Als rohstoffarmes Land ist Deutschland besonders darauf angewiesen, seine wichtigste Ressource, nämlich die jungen Menschen, zu pflegen. Dies geschieht am besten durch gute Ausbildung. Hier leistet der Chemieunterricht einen wichtigen Beitrag, der Jugendliche für einen naturwissenschaftlichen Beruf interessieren oder begeistern soll. Aber nicht nur: Mindestens genauso wichtig ist es, die heranwachsende Generation zu befähigen, sich eine eigene Meinung zu neuen wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen zu bilden. Ein guter, experimentell orientierter Unterricht in Chemie und den anderen Naturwissenschaften muss also grundlegendes Wissen vermitteln.
Nachrichten: Worauf freuen Sie sich am meisten beim Wissenschaftsforum?
 Butenschön: Auf die Experimentalvorträge. Sie sind so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal unserer Fachgruppe. Ich bin immer wieder vom Einfallsreichtum der Vortragenden begeistert, die es vermögen, durch kreative, einprägsame Experimente mit vergleichsweise geringem Aufwand durchaus komplizierte Sachverhalte verständlich zu machen.

Artikel

Chemie á la Hollywood

“Zu wenig Wissen ist gefährlich. Zu viel Wissen auch.” Mit diesem Albert Einstein zugeschriebenen Zitat beginnt der Trailer der US-amerikanischen Fernsehserie “Eureka”. Hier lösen sich Autos in Luft auf, Physiker spielen am Magnetfeld der Erde herum und alles Metall wird plötzlich zu Gold. Eureka...

Mit Polymeren beschäftigen sich Wissenschaftler in Berlin und Brandenburg bereits seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Während seiner Lehrtätigkeit an der höheren Berliner Gewerbeschule beobachtete Adolf von Beyer (1835 — 1917) im Jahr 1871 erstmals die Polykondensationsreaktion zwischen Phenol und Formaldehyd zu einer harzartigen Masse, die damals noch nicht näher charakterisierbar war.
Nach der Jahrhundertwende markiert das Jahr 1909 einen Meilenstein für den Masseneinsatz von Kunststoffen: Im brandenburgischen Erkner, südlich von Berlin, wurde die Polykondensationsreaktion industriell zur Herstellung des ersten vollsynthetischen Kunststoffs genutzt: Bakelit [s. Nachr. Chem. 2009, 57, 1090].
 Im Jahr 1914 erhielt der Berliner Physiker Max von Laue (1879 — 1960) den Physik-Nobelpreis für seine Entdeckung der Röntgenstreuung an Kristallen. Er legte so den Grundstein für die Röntgenkristallstrukturanalyse von Polymeren.
Mit der Röntgenstrukturanalyse erzielten in den 20er und frühen 30er Jahren die Gruppen von Hermann Mark1 und Kurt Hess am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin-Dahlem international bedeutende Ergebnisse bei Celluloseprodukten.


<h2>Das Institut Seehof</h2>
Im Jahr 1920 gründeten die Vereinigten Glanzstoff Fabriken (VGF) in Deutschland eines der ersten sich ausschließlich mit Polymerforschung befassenden Institute: das Institut Seehof. Das 1899 durch Zusammenschluss mehrerer Interessengruppen gegründete Unternehmen mit Sitz in Aachen und später in Elberfeld war zunächst ausschließlich mit der Herstellung von Kupferkunstseide befasst, wandte sich aber dann 1911 vorrangig dem Viskoseprozess zu. Gründer des Instituts Seehof war Emil Bronnert (1868 — 1928), der technische Vorstand der VGF. 2 Das Institut wurde von der VGF-Hauptverwaltung als Forschungs- und Patentzentrale finanziert und sollte neben der Unterstützung der Erarbeitung firmeneigener Patente die chemischen und physikalischen Grundlagen des Viskoseprozesses zur Kunstseidenherstellung aus Holzzellstoff klären. Die Ergebnisse sollten allen Betrieben des Unternehmens zugute kommen. Für den Standort Teltow-Seehof entschied man sich wegen seiner Nähe zum Patentamt in Berlin und, da Seehof damals nicht zu Berlin gehörte, wegen der geringeren Kosten.
Mehrere später weltweit bekannt gewordene Cellulose-Forscher begannen in den 1920er Jahren ihre wissenschaftliche Laufbahn im Institut Seehof, darunter Emil Heuser (1882 — 1953), Richard Bartunek (1900 — 1974)3 oder Georg Jayme (1899 — 1979).
Zusätzlich zur Celluloseforschung führte das Institut in den dreißiger Jahren umfangreiche Arbeiten zur Gewinnung textiler Eiweißfäden auf Basis von Magermilchproteinen durch. Doch trotz Erfolg versprechender Ergebnisse4 konnte die Produktion in den Jahren vor dem zweiten Weltkrieg aus Rohstoffmangel nicht stattfinden.
Wesentlich für das Überleben des Instituts nach dem zweiten Weltkrieg wurde eine um 1930 aufgenommene enge Kooperation mit dem holländischen Unternehmen Allgemeine Kunstseidenunion: In der Nachkriegszeit verhinderte ein jahrelanger diplomatischer Streit zwischen der Sowjetunion als Besatzungsmacht in Brandenburg und Großbritannien als Schutzmacht der Niederlande eine Enteignung des Instituts in Teltow-Seehof. Ungeachtet dieser Auseinandersetzung ging die Zellstoff- und Viskoseforschung weiter, wenn auch zeitweise mit einer Belegschaft von weniger als zehn Mitarbeitern. Die sowjetischen Militärbehörden finanzierten das Institut in dieser Zeit als Nutzer der Forschungsergebnisse zum Teil, weitere Erlöse erzielte das Institut durch den Verkauf von im Technikum hergestellten Strümpfen aus Kunstseide.


<h2>Kriegsende und neuer Aufschwung</h2>
Die Teilung Berlins teilte auch die Forschung und Produktion von Polymeren, wenn auch zunächst noch ein Austausch möglich war.
Die Gründung der Freien Universität Berlin (FU Berlin) am 4. Dezember 1948 mit ihren neuen Gebäuden und moderner Ausstattung führte zu einem Aufschwung der Polymerforschung in Westberlin mit einem Schwerpunkt in der organischen Chemie der Polymere.5 Georg Manecke (1916 — 1990) war der Vater dieser Entwicklung. Wesentliche Ergebnisse zur Physik und physikalischen Chemie der Polymeren lieferte auch die Gruppe von Kurt Überreiter (1912 — 1989) am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem. Auch die neu gegründete Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin-Dahlem verfügte bereits zu dieser Zeit über eine leistungsstarke Polymerabteilung, die sich vor allem mit materialwissenschaftlichen Problemen von Chemiefäden, Kunstharzen und Elastomeren befasste.
Schon bald nach Kriegsende nahm das Spinnstoffwerk in Berlin-Zehlendorf die Produktion von Stapelfasern auf Cellulosebasis nach dem Viskoseverfahren wieder auf. Im Osten begann wieder die Phenolharzherstellung in Erkner, begleitet von Grundlagenforschung am Institut für Organische Chemie der Akademie der Wissenschaften, im Ostteil der Stadt, die heute bereits eine Produktion von 50 000 Jahrestonnen überschreitet.6
Das Institut Teltow-Seehof erfuhr ab 1949 einen Aufschwung: Es firmierte ab dem 1. April 1949 unter dem Direktorat von Erich Correns (1896 — 1981) als Institut der Akademie der Wissenschaften mit der neuen Bezeichnung “Institut für Faserstoffforschung”. Aufgabe war weiterhin die Grundlagenforschung, und zwar nicht mehr nur zu cellulosebasierten Chemiefaserstoffen, sondern auch zu synthetischen Faserstoffen auf Basis von Polyamid, Polyester und Polyacrylnitril. Die gewonnenen Erkenntnisse sollten die Chemiefaserbetriebe der Ostzone unterstützen. Die Aufgabe ähnelte somit weiterhin jener, die Emil Bronnert 30 Jahre vorher dem Institut Seehof mit auf den Weg gegeben hatte.
Ende der 1950er Jahre beschäftigte das Institut Teltow-Seehof mehr als 300 Mitarbeiter. Die Institutsleitung tolerierte in dieser Zeit den wissenschaftlichen Austausch mit den Westberliner Universitäten und dem Max-Planck-Institut in Berlin-Dahlem. Die SED als Staatspartei der DDR sah diese Kontakte mit Argwohn und Ablehnung — das Institut galt ihr bald als “ideologisches Niemandsland”.


<h2>Geteiltes Land — geteilte Forschung</h2>
Der Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 brachte das Ende des wissenschaftlichen Austausches mit den Instituten in Berlin-Dahlem, und Teltow-Seehof verlor die drei international bekannten Wissenschaftler Kurt Edelmann, Herbert Sommer und Wilhelm Wergin, die in Westberlin wohnten.
In den sechziger Jahren tat Hermann Klare (1909 — 2003) als Nachfolger von Erich Correns alles in seinen Kräften stehende, um die menschlichen Folgen des unmenschlichen Mauerbaus zu verringern und hatte dabei durch geschicktes Verhandeln teilweise Erfolg. Beispielsweise erreichte er den Abbau eines zusätzlichen inneren Grenzzauns zwischen dem Institut und der Wohnsiedlung in Teltow-Seehof.
Vor und während des zweiten Weltkriegs hatte Klare gemeinsam mit Paul Schlack (1897 — 1987), dem Erfinder des Perlons, in Berlin technische Verfahren für die Produktion dieser Fasern entwickelt. Als Direktor des Instituts für Faserstoffforschung in Teltow-Seehof baute er nun die Kontakte zu den Chemiefaserbetrieben der DDR aus.7
1968 wurde Hermann Klare Präsident der Akademie der Wissenschaften und 1969 übernahm Burkart Philipp die Verantwortung für das Institut in Teltow-Seehof bis 1980, ehe er diese Position im Januar 1981 aus politischen Gründen verlor, ihm wurde “Westdrall” vorgeworfen. Anfang der siebziger Jahre erweiterten sich die Aufgaben für das Institut über Cellulose- und synthetische Chemiefaserstoffe hinaus: Kolloide Polymersysteme und medizinisch relevante Polymere bildeten einen neuen Schwerpunkt. Damit verbunden war eine Namensänderung in “Institut für Polymerenchemie” und die Aufstockung der Belegschaft auf mehr als 400 Beschäftigte.
Ebenfalls in den siebziger Jahren begann eine wissenschaftliche Zusammenarbeit mit der Celluloseforschung der Republik Finnland. Dies war zugleich der erste Forschungsvertrag zwischen einem Akademieinstitut der DDR und einem nicht sozialistischen Land.


<h2>Gelungene Wiedervereinigung</h2>
Im Jahr 1987 gründeten in Westberlin Wissenschaftler der FU Berlin, der TU Berlin und der BAM den Berliner Verband für Polymerforschung.8 Neben den Forschungsinstituten konnten auch fachlich relevante Unternehmen Mitglieder dieses Verbandes werden. Bereits 1988 wurde der inzwischen emeritierte Hermann Klare als auswärtiges Mitglied aufgenommen.
Im Nachhinein erwies sich der Berliner Polymerverband als bedeutsames Instrument für die Zusammenführung der gesamten Berliner und Brandenburger Polymerforschung. Bereits 1991 führte dieser Verband erstmals mit Vortragenden aus Ost und West die Berliner Polymerentage durch, die sich dann ab dem Jahr 2000 als Polydays zu einem internationalen Polymersymposium entwickelten. Heute trägt der Verband den Namen Berlin-Brandenburgischer Verband für Polymerforschung.
Im Institut in Teltow-Seehof begann die politische Wende im April 1989, als anlässlich des Gesellschaftsabends zur 40-Jahrfeier des Bestehens des Akademieinstituts die Institutsleitung höflich, aber unmissverständlich öffentlich kritisiert wurde. Bereits im November des gleichen Jahres nahmen Wissenschaftler des Instituts Kontakt zu ihren Kollegen in Westberlin auf. Dann setzte die Belegschaft eine außerordentliche Betriebsversammlung durch, die eine Misstrauenserklärung gegenüber der bestehenden Institutsleitung abgab und die Wahl eines neuen demokratischen wissenschaftlichen Rates für das Institut forderte. Zu dieser Wahl kam es ebenfalls im November 1989.9 Der gewählte Rat konstituierte sich kurz vor Weihnachten 1989 und forderte die Auswechselung der gesamten Institutsleitung. Den Leitungsebenen der Akademie der Wissenschaften blieb keine andere Wahl, als dieser Forderung nachzugeben, und eine neue Institutsleitung, wieder mit Burkart Philipp als Institutsdirektor, zum 1. Februar 1990 zu berufen.
Die neue Institutsleitung gestaltete im Frühjahr 1990 zuerst die Institutsstruktur um. Dann galt es, alle Möglichkeiten für Kontakte und Zusammenarbeit mit westdeutschen Institutionen und Industrieunternehmen optimal zu nutzen und durch Vorträge, gemeinsame Treffen oder Publikationen auszubauen. Auch mit dem Chemiefaserbetrieb in Berlin-Zehlendorf wurde Verbindung aufgenommen.
Besonderes Augenmerk galt den Kontakten zur FU Berlin und zur BAM. Bereits im Frühjahr 1990 gab es ein gemeinsames Forum junger Wissenschaftler mit den Berliner Universitäten und der BAM in Teltow-Seehof. Es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass die Wiedervereinigung der Berlin-Brandenburger Polymerforschung bereits ein halbes Jahr vor der politischen Einheit Realität war.
Ab Mai 1990 war es die wichtigste Aufgabe für die neue Leitung, das Institut und seine mehr als 400 Mitarbeiter in die bundesdeutsche Wissenschaftslandschaft einzugliedern. Es erschien am aussichtsreichsten, der Evaluierungskommission vorzuschlagen, das Institut auf verschiedene Nachfolgeinstitute mit unterschiedlichen Trägern aufzuteilen. Die Evaluierungskommission unter Leitung von Hansjörg Sinn von der Universität Hamburg übernahm die Vorschläge des Instituts Seehof 1:1.10 Die meisten Beschäftigten des früheren Akademieinstituts fanden einen neuen Arbeitsplatz in den Nachfolgeinstituten oder wurden an andere Forschungsinstitutionen in Berlin oder Brandenburg vermittelt. Gekündigt wurden nur zwei aktive Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.
Die beiden größten Nachfolgeinstitute, das Fraunhofer-Institut für angewandte Polymerforschung und das Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, zogen Ende des vergangenen Jahrhunderts in den neu errichteten Wissenschaftspark Golm bei Potsdam. Dort befinden sich heute auch die naturwissenschaftlichen Institute der Universität Potsdam. In Teltow-Seehof blieben vier Nachfolgeeinrichtungen mit heute etwa 200 Beschäftigten:
<list list-type="order">
<list-item>
</list-item></list>das Institut für Polymerforschung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht,

<list-item>
die selbständige Fraunhofer Einrichtung für Polymermaterialien und Komposite,
</list-item>
<list-item>
das Institut für Mikrosensorik und Dünnschichttechnologie 
</list-item>
<list-item>
sowie das Institut für Bioaktive Polymersysteme.
</list-item>

20 Jahre nach der Wiedervereinigung ist das Institut für Polymerforschung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht Motor der Entwicklung am Forschungsstandort Teltow-Seehof, nicht zuletzt aufgrund seiner langjährigen Brückenfunktion zwischen Berlin und Brandenburg. Unter der Leitung von Andreas Lendlein fokussiert das Institut thematisch auf polymerbasierte Materialien für die Biomedizin. Schwerpunkte sind Synthese und Charakterisierung von stimulisensitiven Polymeren11 und biomimetischen Materialien sowie deren Anwendungen für die regenerative Medizin,12 insbesondere für den cardiovaskulären13 oder muskuloskeletalen Bereich.
2009 fand auf dem Institutsgelände die Grundsteinlegung für das Biomedizintechnikum II als ersten größeren Neubau nach der Wiedervereinigung statt. Das neue Gebäude wird den Namen von Hermann Klare tragen. Es spannt so eine Brücke zwischen der Erinnerung an eine erfolgreiche Vergangenheit und dem Vertrauen auf eine ebenso erfolgreiche Zukunft.
Burkart Philipp, Jahrgang 1925, war Direktor des Instituts für Polymerenchemie der Akademie der Wissenschaften der DDR von 1969 — 1981 sowie 1990/91. Andreas Lendlein, Jahrgang 1969, ist Direktor des Instituts für Polymerforschung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht am Standort Teltow.


<h2>— — — QUERGELESEN</h2>
Eines der ersten ausschließlich der Polymerforschung gewidmeten Institute Deutschlands — das Institut Seehof — entstand im Jahr 1920 in Teltow-Seehof vor den Toren Berlins.
Nach dem zweiten Weltkrieg entging das in der sowjetischen Besatzungszone gelegene Institut der Enteignung und wurde im Jahr 1949 ein Institut der Akademie der Wissenschaften der DDR.
Auch nach der Wiedervereinigung blieb der Forschungsstandort Teltow-Seehof bestehen. Heute existieren dort vier Nachfolgeeinrichtungen mit über 200 Mitarbeitern.


<h2>— — — Jungchemikerforum: Sci-Mix</h2>
Christian Stutz organisiert für das Jungchemikerforum JCF auf dem GDCh-Wissenschaftsforum in Bremen den Sci-Mix. Er hofft aus Bremen “Wissen aus allen Bereichen der Chemie mitzunehmen.”
Nachrichten aus der Chemie: Was erwartet die Besucher beim Sci-Mix?
Christian Stutz: Wie der Name schon vermuten lässt, handelt es sich um Vorträge aus verschiedenen Bereichen der Chemie. Vier junge Nachwuchswissenschaftler werden hier ihr jeweiliges Forschungsgebiet in einer 15-minütigen Präsentation vorstellen. Dabei werden unter anderem Themen aus der Katalyse, der organischen Synthese und der Kolloidchemie präsentiert.
Nachrichten: “Chemie schafft Zukunft”, so lautet das Motto der Tagung. Welchen Beitrag leisten die Jungchemiker dazu?
Stutz: “Chemie schafft Zukunft” — Chemikern ist die Bedeutung dieser Worte durchaus bewusst. Anders sieht es bei Fachunkundigen aus. Und genau da setzt unter anderem das JCF an. Wir versuchen auf verschiedenen, selbst organisierten Veranstaltungen, die Chemie allen Menschen näher zu bringen und auch unbegründete Ängste davor zu nehmen. Dabei beginnen wir bereits mit einfachen Experimenten im Kindergarten, um früh die Begeisterung und Interesse auch bei den ganz Jungen zu wecken. Des Weiteren wird durch viele regionale, aber auch deutschlandweite Aktivitäten ein enormes Netzwerk unter jungen Chemikern aufgebaut, das sich mittlerweile sogar über Ländergrenzen hinwegsetzt und die Kommunikation weltweit fördert. Davon profitieren Nachwuchswissenschaftler nicht nur jetzt, sondern auch später.
Nachrichten: Was sollten die anderen Teilnehmer in Bremen auf keinen Fall verpassen?
Stutz: Das Wissenschaftsforum in Bremen wird das Highlight im Jahr 2011. Speziell empfehlen kann ich selbstverständlich die vom Jungchemikerforum organisierten Veranstaltungen, also den Sci-Mix und den JCF-Workshop. Aber auch die Plenarvorträge, die Symposien der einzelnen Fachgruppen, die vielfältigen Workshops und Postersessions versprechen eine Vielfalt an Möglichkeiten, um Wissen aus allen Bereichen der Chemie mitzunehmen. Ich jedenfalls freue mich sehr auf Bremen und hoffe, dort eine Menge junger wie alter Chemiker zu treffen.



<ul>
<li>
1 


K. H. Meyer, 
H. Mark, 
<source>Makromolekulare Chemie, 2. Aufl. <publisher-name>Geest und Portig KG</publisher-name>, <publisher-loc>Leipzig</publisher-loc>, 1950.

</li>
<li>
2 

Gründungsbeschluss für das Institut Seehof, Protokoll der Aufsichtsratssitzung der Vereinigten Glanzstofffabriken AG vom 18. September 1920, Helmholtz-Zentrum Geesthacht, Teltow.
</li>
<li>
3 

 
E. Heuser, 
R. Bartunek, 
<source>Cellulosechemie 
(1925), 
6, 
19–<lpage>26 .</lpage>
</li>
<li>
4 

J. J. Stöckly, W. Linnhoff, H. Müssigbrodt, Bericht der Vereinigten Glanzstofffabriken AG, Teltow-Seehof, 1937.
</li>
<li>
5 

Gründungsbeschluss der Freien Universität Berlin, 4. 12. 1948 , Gründungsversammlung im Titania-Palast Berlin, Freie Universität Berlin.
</li>
<li>
6 

Mitteilung der Dynea GmbH, Erkner, 2010.
</li>
<li>
7 

 
H. Klare, 
A. Gröbe, 
B. Philipp, 
<source>Chemiefasern 
(1965), 
15, 
502–<lpage>509.</lpage>
</li>
<li>
8 

Gründungsbeschluss des “Berliner Verbandes für Polymerforschung e.V.”, 13.10.1986 in Berlin, Helmholtz-Zentrum Geesthacht, Teltow.
</li>
<li>
9 

Protokoll zur Bildung des Wissenschaftlichen Rates im Institut für Polymerenchemie, Teltow-Seehof, 20.11.1989, Teltow.
</li>
<li>
10 

Wissenschaftsrat, Stellungnahmen zu den außeruniversitären Forschungseinrichtungen der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR auf dem Gebiet der Chemie, Köln, 1992, S. 58—63.
</li>
<li>
11 

 
M. Behl, 
J. Zotzmann, 
A. Lendlein, 
<source>Adv. Polym. Sci. 
(2010), 
226, 
1–<lpage>40 </lpage>
</li>
<li>
12 

 
P. Shastri, 
A. Lendlein, 
<source>Adv. Mater. 
(2009), 
21, 
3231–<lpage>3234</lpage>
</li>
<li>
13 

 
F. Jung, 
C. Wischke, 
A. Lendlein, 
<source>MRS Bull. 
(2010), 
35 , 
607–<lpage>613</lpage>
</li>
</ul>

Artikel

Chemie á la Hollywood

Überprüfung Ihres Anmeldestatus ...