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Nachrichten aus der Chemie: Im Schwerpunktprogramm wird es um das junge Fachgebiet chemische Biologie gehen. Wie definiert sich das Fach überhaupt?
Dirk Schwarzer: Wissenschaftler in der chemischen Biologie versuchen, eine biologische Frage mit chemischen Methoden zu lösen. Die klassische biochemische oder biologische Herangehensweise greift dabei eher auf Techniken der modernen Molekularbiologie zurück.
Nachrichten: Zum Beispiel?
Schwarzer: Wenn der Biochemiker beispielsweise herausfinden will, was ein bestimmtes Protein macht, dann nutzt er Mutagenese, um die Aminosäuresequenz des Proteins zu verändern. Der chemische Biologe will dagegen ein Molekül oder eine Reaktion finden, mit der er das Protein oder dessen Funktion modulieren kann. Dabei hat die chemische Biologie eine lange Tradition. Vermutlich würde man die frühen Biochemiker heutzutage auch eher als chemische Biologen bezeichnen.
Christian Hackenberger: Es ist interessant zu sehen, dass viele der grundsätzlichen Reaktionen schon lange bekannt sind. Allerdings waren die Biokonjugationstechniken und Analysemethoden damals natürlich noch nicht so ausgefeilt wie heute, deshalb sind die meisten auch erst seit kurzer Zeit auf der Proteinebene anwendbar.
Nachrichten: Wieso brauchen wir das neue DFG-Schwerpunktprogramm über funktionale Proteine?
Hackenberger: In Deutschland gibt es eine große Zahl hervorragender chemisch-biologischer Gruppen, die Pionierarbeiten in der chemoselektiven Funktionalisierung, der unnatürlichen Protein-translation oder bei enzymatischen Reaktionen geleistet haben. Was aber in Deutschland gefehlt hat, war eine institutionelle Förderung auf nationaler Ebene. Das Schwerpunktprogramm identifiziert gute und sichtbare Forschung und wird diese im internationalen Wettbewerb stärken.
Nachrichten: Seit wann trugen Sie sich denn mit dem Gedanken, ein Schwerpunktprogramm zu beantragen?
Schwarzer: Los ging es vor etwa zwei Jahren. Die Idee entstand nach einem Symposium der Max- Planck-Gesellschaft in Ringberg im September 2009.
Hackenberger: “Probing Protein Function through Chemistry” war der Titel der Konferenz. Damals haben wir gemerkt: Es gibt in Deutschland zwar an einigen Orten Hotspots: in Dortmund, in München mit dem Center for Integrated Protein Science (CIPSM), auch in Berlin gibt es einige Gruppen. Aber gleichzeitig sind die Forscher an sehr vielen Stellen verteilt, so dass wir überlegt haben, wie man sie besser fördern kann. Eine national vernetzte Forschergruppe wäre mit nur etwa einem Dutzend Gruppen zu klein, und so kam die Idee auf, ein Schwerpunktprogramm zu beantragen.


<h2>Vorteil: Nachwuchswissenschaftler</h2>
Nachrichten: Sie beide waren als Emmy-Noether-Gruppenleiter Nachwuchswissenschaftler ohne feste Stelle. War es schwierig, dieses Projekt als noch nicht etablierte Wissenschaftler anzugehen?
Schwarzer: Nein, das Feedback war ziemlich gut, mit der Idee haben wir eher offene Türen eingerannt. Auch Forscher, die nicht als primäre Antragsteller in Frage kamen, etwa aus der rein organischen Synthese, waren begeistert und haben uns ermutigt. Auch die DFG sah es wohl eher positiv, dass Personen an der Ausarbeitung des Antrags beteiligt waren, die noch keine feste Stelle im Wissenschaftsbetrieb haben.
Hackenberger: Wir haben uns von Anfang an mit anderen Wissenschaftlern abgestimmt. Wir haben überlegt: Wer sind die sichtbaren Personen hier in Deutschland, die sich in diesem Thema in den letzten Jahren profiliert haben? Diese luden wir zu einem Treffen im Sommer 2010 ein und stießen auf großes Interesse: Von den 13 Eingeladenen haben sich nur 3 vertreten lassen, keiner hat abgesagt.
Nachrichten: Sie traten schließlich auch als Koordinator des Antrags auf, Herr Hackenberger. Wie kam es dazu?
Hackenberger: Am Anfang war ich mir schon unsicher, wie das ankommt, wenn man als noch relativ unerfahrener Habilitand wie ich anfängt, eine große Sache zu planen. Aber erstaunlicherweise wurde gar nicht darüber diskutiert. Ich hatte eingeladen, und es wurde erwartet, dass ich dann auch weitermache. Von allen Personen, die eingebunden waren, habe ich nur Unterstützung erfahren — und darunter sind etablierte und erfolgreiche Institutsleiter. Ich hatte ja auch schon hier in Berlin seit drei oder vier Jahren ein Graduiertenkolleg geleitet und traute mir deshalb auch zu, den Antrag zu organisieren.
Nachrichten: Der Antrag ist jetzt bewilligt. Wie geht es weiter?
Hackenberger: Der Antrag ist im Grunde nur eine Beschreibung des Status-quo in dieser Forschungsrichtung und zeigt mögliche neue Themenfelder auf. Die finanzielle Förderung durch die DFG ist bewilligt, aber es ist noch nicht klar, wer überhaupt am Schwerpunktprogramm teilnehmen wird. Der Ausschreibungstext wurde Ende August veröffentlicht, also der Aufruf an Wissenschaftler, sich mit ihren Projekten für das Schwerpunktprogramm zu bewerben. Dabei ist es keineswegs so, dass diejenigen, die schon im Vorfeld dabei waren, jetzt zusammen klüngeln und die Fördergelder unter sich verteilen. Es gibt im April 2012 eine von der DFG organisierte Evaluation der Anträge durch eine internationale Kommission, die letztendlich über die Bewilligung entscheidet.
Nachrichten: Allerdings werden sich nur maximal 25 Forschergruppen beteiligen können. Einige werden also wohl leer ausgehen. Wie sieht der ideale Antrag aus?
Hackenberger: 25 ist die Zahl, die durch die maximale Fördersumme beschränkt ist. Ideal sind Tandemprojekte, also zum Beispiel ein Chemiker mit einem Biochemiker, wobei der Chemiker eine Methode entwickelt, mit der ein Biologe oder ein Biochemiker ein biologisches Problem untersucht. Hierzu werden wir auch am 20. Oktober an der FU Berlin ein Symposium veranstalten, bei dem sich insbesondere Chemiker und Biologen für gemeinsame Projekte vernetzen sollen.
Schwarzer: Das Endprodukt eines funktionalen Proteins sollte beim Antrag auf jeden Fall im Vor- dergrund stehen.
Nachrichten: Wie wäre es mit einem Tandemprojekt aus Chemiker und Pharmazeut?
Hackenberger: Das sähen wir sehr gerne, damit wir auch das Feld der Protein-Protein-Interaktion und der Steuerung abdecken können. Das könnte auch Biopolymere als mögliche neue Pharmaprodukte vorantreiben, z. B. durch Stabilisierung von Proteinen, durch Veränderung der Oberfläche.
Nachrichten: Wie soll es mit Industriekontakten aussehen?
Hackenberger: Ich wünsche mir eine große Interaktion mit der Industrie, weil unser Thema auch dort in den letzten Jahren ein attraktives Feld geworden ist, Stichwort Biopharmaka. Schön wäre an einer Beteiligung der Industrie mit Fördermitteln aber auch, dass Industrie und Grundlagenforscher in Kontakt und ins Gespräch kommen. Oft wissen wir als Grundlagenforscher gar nicht, welche von unseren Methoden gerade für die Pharmaforschung interessant sein könnte.


<h2>Ausbildungsnetzwerk</h2>
Nachrichten: Ein Schwerpunktprogramm ist auch ein Ausbildungsnetzwerk. Wie soll der Austausch unter den Doktoranden stattfinden?
Hackenberger: Teil des Antrags sind Veranstaltungen, meist Blockseminare, für alle Doktoranden in diesem Schwerpunktprogramm. Mir schwebt da so etwas vor, wie es das EMBL — das European Molecular Biology Laboratory in Heidelberg — veranstaltet. Dort wurde bereits ein praktisch-theoretischer Kurs in chemischer Biologie angeboten, der über eine Woche ging. Dabei geben Experten aus dem Gebiet einen kurzen theoretischen Einblick in ihre Methode und dann heißt es: Ab ins Labor! Das würden wir gerne übernehmen, und wir haben auch schon Absprachen mit den Personen vor Ort. Es gibt weitere Ideen, z. B. ein wissenschaftliches Kolleg zur chemischen Biologie, bei dem man auch schon Studenten einbinden könnte.
Nachrichten: Und wann übernimmt die chemische Biologie mit diesem gut ausgebildeten Nachwuchs die Führungsrolle in den Lebenswissenschaften?
Hackenberger: Wir sind noch lange nicht da, dass chemische Me- thoden wirklich in die Biologie Einzug halten und auch als solche wahrgenommen werden. Biologen sehen oft nicht direkt, dass die Chemie selber ein entscheidendes Instrument ist, um biologische Fragen zu lösen.
Schwarzer: Klar, man kann zellbiologisch sehr viel betrachten und auch erklären — aber wenn es um die Proteine geht, die in der Zelle nun mal eine ganze Menge Aufgaben übernehmen, muss man eben früher oder später auf die atomare Ebene. In der Biologie und Biochemie gibt es sehr viele, sehr drängende Fragen, schauen wir nur mal in die Epigenetik. Um zu verstehen, was der Histoncode ist und wie er funktioniert, greift man seit einiger Zeit sehr erfolgreich auf chemische Methoden zurück.
Hackenberger: Wichtig ist dabei, dass die Methoden möglichst einfach sind und auch jemanden, der kein groß ausgestattetes organisch- chemisches Labor hat, sie anwenden kann. Er hat ein Reagenz, gibt das irgendwo dazu und dann hinterher gibt es eine verlässliche Reaktion, einen verlässlichen Assay oder ein verlässliches Endprodukt.
Nachrichten: Welche Ergebnisse erhoffen Sie sich vom Schwerpunktprogramm?
Schwarzer: Aus biochemischer Sicht hoffe ich, dass die chemischen Methoden und Techniken in die Biochemie hereingetragen werden. Ich bin wirklich davon überzeugt, dass es nicht immer nur gezielte Mutagenese sein muss, sondern dass chemische Techniken viele Fragen letztlich viel einfacher beantworten können.
Hackenberger: Neben den weichen Kriterien wie dem stärkeren Zusammenwachsen der verschiedenen Bereiche und dem Austausch mit der Biologie und der Biochemie sehe ich ein großes Ziel: Viele Proteine sind nicht nur mit einer bestimmten funktionellen Einheit oder einem Modul funktionalisiert oder modifiziert, sondern haben mehrere Einheiten. Multiple Phosphorylierung, teilweise Phosphorylierung und Glykosylierung zusammen, verschiedene Glykosylierungsmuster — das schreit geradezu danach, verschiedene Methoden zu kombinieren.
Mit Christian Hackenberger und Dirk Schwarzer sprach Nachrichten-Redakteur Christian Remenyi.


— — — Mit dem DFG-geförderten Schwerpunktprogramm 1623 “Chemoselektive Reaktionen für die Synthese und Anwendung funktionaler Proteine” entsteht ab nächstem Jahr ein interdisziplinäres Netzwerk von Wissenschaftlern aus Chemie, Biochemie und Biophysik. Ziel ist die Entwicklung innovativer synthetischer Methoden, insbesondere kombinierte Ansätze aus chemischen und molekularbiologischen Verfahren, für Proteine von herausragender biologischer Bedeutung.
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Artikel

“Chemische Techniken in die Biochemie tragen”

Nachrichten aus der Chemie: Im Schwerpunktprogramm wird es um das junge Fachgebiet chemische Biologie gehen. Wie definiert sich das Fach überhaupt? Dirk Schwarzer: Wissenschaftler in der chemischen Biologie versuchen, eine biologische Frage mit chemischen Methoden zu lösen. Die klassische biochem...

Prof.Dr.

Als Wilhelm Schlenk, 56-jährig, aufgrund politischer Inkompatibilität zum 1. Oktober 1935 von Berlin nach Tübingen ziehen musste, war sein wissenschaftlicher Ruhm lange begründet: nach den Stationen München, Jena und Wien hatte ihn im Jahr 1921 die Friedrich-Wilhelms-Universität — die heutige Humboldt-Universität — nach Berlin berufen. Er sollte als Nachfolger von Emil Fischer am damals wohl renommiertesten deutschen Lehrstuhl lehren und forschen (Abbildung 1).1
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 schwächte Wilhelm Schlenks Position in Berlin maßgeblich. Schlenk machte aus seiner demokratischen Gesinnung keinen Hehl, er weigerte sich zum Beispiel, seine Vorlesungen mit dem Hitlergruß zu beginnen.2 Auch die antisemitische Ideologie der Nazis war Schlenk zuwider. Bereits im Jahr 1925 hatte er Richard Willstätter seine Stelle angeboten, nachdem dieser, von den ständigen antisemitischen Ausfällen frustriert, seine Professur in München aufgegeben hatte.3
Im Jahr 1935 wollte die Universität Tübingen einen Nachfolger für Jakob Meisenheimer an den Lehrstuhl für Chemie berufen. Im Februar favorisierte die Tübinger Fakultät mit Befürwortung durch den Senat den 32-jährigen Danziger Chemie-Professor Adolf Butenandt.4 Dieser Vorschlag ließ sich jedoch beim Württembergischen Kultusministerium und beim Reichs- und Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung nicht durchsetzen. Der Nachnominierung des 37-jährigen Karl Ziegler, zu der Zeit außerordentlicher Professor in Heidelberg, durch die Naturwissenschaftliche Fakultät, kam Berlin am 20. Mai 1935 mit der Versetzung von Schlenk nach Tübingen zuvor.5 Die Tübinger Chemie begrüßte die Entscheidung freudig.4
Sehr zum Leidwesen von Wilhelm Schlenk hielten ihn jedoch die mit der Funktion des Institutsvorstands verknüpften administrativen Aufgaben, der “zermürbende Kampf mit dem Kleinkram”4 und schließlich der Personalmangel in den Kriegsjahren von der geliebten Forschertätigkeit und der Veröffentlichung weiterer wissenschaftlicher Originalarbeiten ab. Auch war es ihm nicht mehr vergönnt, den dritten und letzten Band “Ausführliches Lehrbuch der Organischen Chemie” fertig zu stellen und so ist der im Jahr 1939 erschienene zweite Band dieses Lehrbuchs wohl Schlenks letzte Publikation.6 Der erste Band war 1932 erschienen.
Trotzdem bezeichnete Wilhelm Schlenk seine Tübinger Jahre rückblickend als “fruchtbare, schöne und besonnte Zeit.”4 Dies ist ein überraschendes Resümee, sowohl in Anbetracht der Umstände als auch in Bezug zum Wissenschaftswettbewerb, obwohl dieser damals noch nicht in dem Umfang wie heute durch das Motto “Publish or Perish” diktiert wurde.
Auch die Universität Tübingen schätzte Schlenk. Die Ehrungen anlässlich seines 60. Geburtstags und die Mitteilung des Dekans zu seinem Tod am 28. April 1943 heben neben der Liebe zur Wissenschaft sein Verantwortungsgefühl für die Studierenden hervor:4 “In den letzten Jahren ohne eigenen Laboranten und selbst ohne den geringsten Helfer für Handreichungen, führte er seine Vorlesungen unentwegt und unverändert durch als Vortragender und als sein eigener Diener, der die anspruchsvolle chemische Experimentalvorlesung treu und geduldig eigenhändig aufstellte und abräumte und die hundert Gläser und Flaschen, deren sie täglich bedurfte, wortlos selbst reinigte.” 
In diesen Worten schwingt allerdings auch Bitterkeit darüber mit, wie mit diesem großen Chemiker umgegangen wurde. Die Deutsche Chemische Gesellschaft hatte ihn im Jahr 1942 unter politischem Druck ausgeschlossen.


<h2>Pionier der metallorganischen Chemie</h2>
Nur eine begrenzte Auswahl an Wilhelm Schlenks wissenschaftlichen Leistungen — er wurde zweimal für den Chemie-Nobelpreis nominiert — soll Erwähnung finden.
Schlenk begann im Jahr 1906 im Chemischen Laboratorium in München seine Habilitation mit den ersten selbstständigen Forschungsarbeiten über chinoide Verbindungen.7 Damals bot insbesondere eine bahnbrechende Entdeckung von Moses Gomberg aus dem Jahr 1900 Diskussionsstoff.8 Gomberg hatte nämlich die erste Verbindung mit dreiwertigem Kohlenstoff und somit das erste freie organische Radikal, das Triphenylmethyl, dargestellt. Schlenks Experimente waren es, die jeglichen Zweifel an der Existenz des Gombergschen Radikals ausräumten.2 Mit substituierten Triarylmethylen konnte er die ausgeprägte Neigung des Triphenylmethyls zur Dimerisierung elegant zurückdrängen. So entstand in Lösung monomolekulares Tris(4-biphenylyl)methyl (1) als graphitschwarze kristalline Verbindung (Abbildung 2).9
Zur gleichen Zeit weckten die von Ernst Beckmann und Theodor Paul im Jahr 1891 gefundenen tiefblau gefärbten etherischen Lösungen (2),10 die sich aus Diarylketonen mit metallischem Natrium ergeben, ein großes Interesse bei Schlenk. Er vermutete dahinter eine neue Klasse von Verbindungen mit dreiwertigem Kohlenstoff. Den Nachweis der Radikalnatur dieser Verbindungen ermöglichte neben der Variation der Arylgruppen und Alkalimetalle (Li, Na, K)11 schließlich eine neue Arbeitstechnik. Mit dieser — bald nach ihrem Erfinder “Schlenk-Technik” genannten — Arbeitsweise ließen sich luft- und feuchtigkeitsempfindliche Substanzen unter Inertgas in speziellen Glasapparaturen handhaben (Abbildung 2).12 Original-Schlenk-Apparaturen sind heute noch in Tübingen zu sehen.
Die wahrscheinlich erste isolierte metallorganische Verbindung im Schlenkschen Labor war im Jahr 1914 das Dinatriumanthracen (3).13 Weitere Arbeiten zu den Arylmethyl-Kohlenstoffen mündeten in der Isolierung des ersten stabilen Diradikals, dem Schlenk-Kohlenwasserstoff (4).14
Die Synthese der ersten Organolithiumverbindungen, darunter mikrokristallines Methyllithium und einkristallines Ethyllithium, über Transmetallierungsreaktionen mit den entsprechenden Quecksilberalkylen, und die Charakterisierung der Natriumalkyle sind Meilensteine der Organometallchemie.15 Beeindruckend ist auch die Isolierung von hochexplosivem Mononatriumhydrazid und dessen Entschärfung über eine Alkoholyse-Reaktion.16
Die weiteren Forschungsarbeiten zur Organometallchemie demonstrieren die Experimentierkunst im Schlenkschen Labor. Ein Highlight ist die Aufklärung des Gleichgewichts (5), welches sich in Lösungen von Grignard-Reagenzien einstellt.17 Schlenk fand dieses im Jahr 1929 zusammen mit seinem Sohn Wilhelm Jr. durch fraktionierte Fällungen mit Dioxan; bis heute ist es als Schlenk-Gleichgewicht bekannt.
Thomas Tidwell, Chemie-Professor Emeritus an der Universität Toronto, hat in seinem Aufsatz “Wilhelm Schlenk: The Man Behind the Flask” Leben und Werk sowie Aufstieg und Fall dieses brillanten Wissenschaftlers nachgezeichnet.2 Er schließt darin mit den Worten: “Nicht nur als großartiger Wissenschaftler, sondern auch als Mann mit Mut und Integrität, der seine hohe gesellschaftliche Stellung riskierte, indem er dem nationalsozialistischen Regime Widerstand leistete, sollte Wilhelm Schlenk in Erinnerung bleiben. Er sollte Vorbild für die Wissenschaftler aller Länder sein, denn er zeigte, dass das Streben nach Wissen nicht von der Pflicht entbindet, moralische Prinzipien zu verteidigen.” 
Ähnliches mag man aus der Ansprache des Dekans bei der Beerdigung von Wilhelm Schlenk am 1. Mai 1943 in Tübingen herauslesen, als er dessen Leben und Ende mit dem Schiller-Zitat beschrieb: “Nicht dem Guten gehöret die Erde. Er ist ein Fremdling und wandert aus. Und suchet ein unvergänglich Haus.”
Reiner Anwander ist seit dem Jahr 2008 Professor für anorganische Chemie an der Universität Tübingen.


— — — Die Universität Tübingen würdigt Wilhelm Schlenk als großartigen Wissenschaftler und Mitbegründer der metallorganischen Chemie sowie als integre Persönlichkeit mit Zivilcourage mit der neu geschaffenen Schlenk-Lecture.19) Die Schlenk-Lecture wird von der BASF als BASF-Gastprofessur für Metallorganische Chemie gesponsert und im Zwei-Jahres-Rhythmus für herausragende mechanistische Arbeiten in der metallorganischen Chemie verliehen. Warren E. Piers von der Universität Calgary wird am 27. Oktober als erster Schlenk-Lecturer ausgezeichnet und über “Perfluoroarylboranes: Metal Free Alternatives to Bond Breaking and Bond Making” vortragen. Als weiterer Gast spricht Thomas Tidwell über: “Wilhelm Schlenk and the Discovery of Organic Reactive Intermediates”.
Eine weitere Auszeichnung in Erinnerung an Wilhelm Schlenk ist der Arfvedson-Schlenk-Preis. Diesen verleiht seit dem Jahr 1999 die GDCh nach Abstimmung mit dem Preisstifter Chemetall an Forscher, die sich in der Lithiumchemie verdient gemacht haben. Gustav Arfvedson entdeckte 1817 das Lithium. Dieses erlangte insbesondere durch die Arbeiten von Wilhelm Schlenk eine wichtige wissenschaftliche und industrielle Bedeutung.



<ul>
<li>
1 

Univ.-Archiv Tübingen, Signatur 126/588..
</li>
<li>
2 

 
T. T. Tidwell, 
<source>Angew. Chem. 
(2001), 
113, 
343–<lpage>349</lpage>.
</li>
<li>
3 


R. Willstätter, 
<source>Aus Meinem Leben, 
<publisher-name>Verlag Chemie</publisher-name>, 
<publisher-loc>Weinheim</publisher-loc>, 
1973, 
S.347.

</li>
<li>
4 

Univ.-Archiv Tübingen, Signatur 201/955..
</li>
<li>
5 

Univ.-Archiv Tübingen, Signatur 205/111..
</li>
<li>
a 


W. Schlenk, 
<source>Ausführliches Lehrbuch der Organischen Chemie, 
Band II, 
<publisher-name>Deuticke</publisher-name>, 
<publisher-loc>Leipzig</publisher-loc>, 
1939;

</li>
<li>
b 


W. Schlenk, 
E. Bergmann, 
<source>Ausführliches Lehrbuch der Organischen Chemie, 
Band I, 
<publisher-name>Deuticke</publisher-name>, 
<publisher-loc>Leipzig</publisher-loc>, 
1932.

</li>
<li>
7 

 
W. Schlenk, 
<source>Liebigs Ann. Chem. 
(1909), 
368, 
277–<lpage>295</lpage>.
</li>
<li>
8 

 
</li>
<li>
a 

 
M. Gomberg, 
<source>Ber. Dtsch. Chem. Ges. 
(1900), 
33, 
3150–<lpage>3163</lpage>;
</li>
<li>
b 

 
M. Gomberg, 
<source>J. Am. Chem. Soc. 
(1900), 
22, 
757–<lpage>771</lpage>.
</li>
<li>
9 

 
W. Schlenk, 
T. Weickel, 
A. Herzenstein, 
<source>Liebigs Ann. Chem. 
(1910), 
372, 
1–<lpage>20</lpage>.
</li>
<li>
10 

 
E. Beckmann, 
T. Paul, 
<source>Liebigs Ann. Chem. 
(1891), 
266, 
1–<lpage>28</lpage>.
</li>
<li>
11 

 
</li>
<li>
a 

 
W. Schlenk, 
T. Weickel, 
<source>Ber. Dtsch. Chem. Ges. 
(1911), 
44, 
1182–<lpage>1189</lpage>;
</li>
<li>
b 

 
W. Schlenk, 
A. Thal, 
<source>Ber. Dtsch. Chem. Ges. 
(1913), 
46, 
2840–<lpage>2854</lpage>.;
</li>
<li>
a 


W. Schlenk in 
<source>Methoden Org. Chem. (Houben-Weyl) Bd. 4, 2.Aufl., 1924, S. 720–<lpage>978</lpage>.
</li>
<li>
b 

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.rsc.org/chemistryworld/Issues/2008/January/ClassicKitSchlenkApparatus.asp" target="_blank">www.rsc.org/chemistryworld/Issues/2008/January/ClassicKitSchlenkApparatus.asp</a></ext-link>.
</li>
<li>
13 

 
W. Schlenk, 
J. Appenrodt, 
A. Michael, 
A. Thal, 
<source>Ber. Dtsch. Chem. Ges. 
(1914), 
47, 
473–<lpage>490</lpage>.
</li>
<li>
14 

 
W. Schlenk, 
M. Brauns, 
<source>Ber. Dtsch. Chem. Ges. 
(1915), 
48, 
661–<lpage>669</lpage>.
</li>
<li>
15 

 
W. Schlenk, 
J. Holtz, 
<source>Ber. Dtsch. Chem. Ges. 
(1917), 
50, 
262–<lpage>274</lpage>.
</li>
<li>
16 

 
W. Schlenk, 
Th. Weichselfelder, 
<source>Ber. Dtsch. Chem. Ges. 
(1915), 
48, 
669–<lpage>676</lpage>.
</li>
<li>
17 


W. Schlenk, 
W. Schlenk <suffix>Jr.</suffix>, 
<source>Ber. Dtsch. Chem. Ges. 
1929, 62B, 
920–<lpage>924</lpage>.
</li>
</ul>

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