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CO2 als Rohstoff

Die Emission von anthropogen erzeugtem Kohlendioxid beträgt derzeit weltweit etwa 29 Mrd. Tonnen pro Jahr.1 Die Prognosen der Internationalen Energie Agentur (IEA) im Referenzszenario gehen von einem Anstieg auf 34,5 Mrd. Jahrestonnen bis zum Jahr 2020 und auf 40,2 Mrd. Jahrestonnen bis 2030 aus....

Die Geschichte der chemischen Kampfstoffe ist voller weißer Flecken. Während zur Chemie der Kampfstoffe eine kaum überschaubare Fachliteratur existiert, gibt es zu ihrer Geschichte nur sehr wenige Monographien. Dies ist zum einen in der hohen Geheimhaltung begründet, die oft die Vernichtung der Aktenbestände nach sich zog, hat aber auch mit der Ächtung dieser Waffe und ihrem Verbot durch die Genfer Konvention von 1926 zu tun. So ist ausgesprochen wenig bekannt über die Heeresgasschutzlaboratorien in Berlin-Spandau, wo bis Frühjahr 1945 etwa 270 Wissenschaftler an Kampfstoffen arbeiteten; es gibt nicht einmal Fotos aus dieser Zeit.
In Russland ist die Lage kaum anders. Fast vergessen ist die Tatsache, dass die zaristische Armee im Ersten Weltkrieg von allen beteiligten Ländern die größten Verluste durch Giftgase hatte. Trotzdem — oder deshalb? — fand die Idee des chemischen Krieges im Verein mit einer schlagkräftigen Luftwaffe sehr engagierte Anhänger in der Kommunistischen Partei und der Roten Armee.
Kaum einer weiß, dass Moskau jahrzehntelang ein Zentrum für die Erforschung, Herstellung und Erprobung von Kampfstoffen war. Am Majakowskij-Platz an der Twerskaja Uliza, knapp zwei Kilometer vom Kreml entfernt, stand das Schustow-Werk, in dem 1923 der Chemiker Jewgenij Spitalskij (1879—1931) Lost (Senfgas, russisch: Iprit) im halbindustriellen Maßstab herstellte. Heute erhebt sich an dieser Stelle das Hotel Peking; Reste der alten Fabrik sind noch erhalten. Kurz darauf wurde am Wladimirski-Trakt, heute bekannt als ”Chaussee der Enthusiasten“, mit der Olginski Sawod eine zweite Fabrik für Lost errichtet.
Das Giftgas wurde auf dem Übungsplatz von Kusminki im Osten Moskaus erprobt. In der Nordostecke dieses mehrere Quadratkilometer großen Testgeländes, bei der Ortschaft Uchtomskaja (auch: Podosinki), übte die Reichswehr im Jahr 1926 im Rahmen ihrer geheimen Militärkooperation mit der Roten Armee Abregnungen von Kampfstoffen mit Flugzeugen. Im Süden des Geländes konstruierte der deutsche Militärchemiker Anton Cmentek im Jahr 1927 eine kleine Lost-Anlage nach dem zweistufigen, deutschen Verfahren. Sie gefiel dem Chef der Militärchemischen Verwaltung Wochimu, Jakow M. Fischman (1887—1962), derart gut, dass er die Apparaturen erwarb.
Es war gutes Lost, das Cmentek damals produzierte, es hat sich bis heute gehalten: Bei sommerlicher Hitze oder nach Regenfällen macht sich im Wald von Kusminki, einem abgesperrten Gelände, unverkennbar Senfgasgeruch bemerkbar.
Die Moskauer Tradition in der Giftgasforschung ist keineswegs abgebrochen: Bis auf den heutigen Tag ist die Chaussee der Enthusiasten mit dem Institut GOSNIIOChT1 die wichtigste russische Forschungsstelle für chemische Kampfstoffe, wie der Militärchemiker Lew A. Fjodorow in einem Buch beschreibt, das er im letzten Jahr vorlegte.2 Über das Testgelände Kusminki fand er in einem Militärarchiv Akten, die eine Ausgrabung im Jahr 1937 dokumentieren. Damals ließ der Volkskommissar für Verteidigung, Kliment Woroschilow, Teile des Geländes umgraben und die Gewässer durchsuchen. Es ging keineswegs um die Beseitigung alter Umweltsünden, sondern um Hinweise auf vergrabene Kampfstoffmunition, die in einem politischen Prozess gegen Armeeangehörige als belastendes Material verwendet werden sollten. Als der Platz in den 1960er Jahren nach Moskau eingemeindet wurde, zog die Sowjetarmee ab; eine regelgerechte Entsorgung des Bodens gab es nie.


<h2>Von Deutschland gelernt</h2>
Der Lehrmeister für Russland auf dem Gebiet der Kampfstoffe war der alte Weltkriegsgegner — Deutschland. So empfahl Fritz Haber (1868 — 1934), der Erfinder des Gaskrieges, seinen ehemaligen Mitarbeiter Hugo Stoltzenberg (1883 — 1974) nach Russland. Im Auftrag des deutsch-russischen Unternehmens Bersol sollte er in Iwaschtschenkowo an der Wolga eine geheime Kampfstofffabrik bauen. Stoltzenberg galt als begabter Chemiker, in finanziellen Dingen war er allerdings ein Laie. Er beging den Fehler, sich in einen zeitlich knappen Vertrag drängen zu lassen. Das Pfund, mit dem er wucherte, war ein angeblich neues Verfahren zur Herstellung von Lost, das er vor den Russen so lange wie möglich geheim halten wollte. Damit zog er sich den Unwillen des Chemikers Wladimir Ipatieff (1867—1952) zu, der Stoltzenberg als Schwindler bezeichnete. Das Ende vom Lied: Stoltzenberg verkalkulierte sich in Zeit und Finanzen, so dass die Fabrik im Mai 1926 den abschließenden Testlauf nicht bestand. Die Sowjets nutzten ihre Chance, indem sie die Anlagen wegen Nichteinhaltung des Vertrags kassierten und die Reichswehr mit hohen Forderungen unter Druck setzten. Mit knapper Not konnte sich der Fabrikant Stoltzenberg in einen Vergleich retten.
Seither hält sich in Russland wie in Deutschland die Meinung, Stoltzenbergs Verfahren sei veraltet und nicht ausgereift gewesen oder habe nicht funktioniert. Immerhin konnte Stoltzenberg 1927 in Spanien nach demselben Verfahren eine Lost-Fabrik schlüsselfertig übergeben. Seine Methode war so neu indessen nicht, handelte es sich doch dabei um das einstufige, französische Verfahren, das Frankreich bereits im Jahr 1918 ausgearbeitet hatte und das die IG-Farbenfabrik Wolfen in Bitterfeld unter dem Begriff ”Delost“ in langwierigen Testläufen erprobte. Es ist wesentlich einfacher als das zweistufige, deutsche Verfahren mit Furan als Zwischenprodukt, jedoch im industriellen Maßstab nicht leicht zu beherrschen.
In einem internen Bericht brüsteten sich die Sowjets damit, dass sie eine fast fertige chemische Fabrik billig hatten übernehmen können. Spitalskij sollte sie nun seiner eigenen Produktionsweise von Iprit anpassen — einer vereinfachten, preiswerten Variante des Levinstein-Verfahrens, benannt nach dem britischen Chemiker Herbert Levinstein (1878 — 1956). Doch kam die umgebaute Fabrik nicht recht in Gang. Dafür musste es gemäß der sowjetischen Logik Schuldige geben: Anfang 1929 wurde Spitalskij als ”Schädling“ verhaftet und im Prozess gegen die ”Prompartija“ (Industrie-Partei) dazu verurteilt, fortan als Häftling wissenschaftlich an Kampfstoffen zu arbeiten. Damit war die Scharaschka geboren, die Haft für Wissenschaftler mit Spitalskij als einem ihrer ersten Betroffenen.
In den 1930er Jahren ging die ehemalige Stoltzenbergsche Fabrik in Betrieb, doch das scheinbar billige Verfahren forderte einen hohen Preis: Im Lauf der Jahre zeigte sich, dass das produzierte Iprit aufgrund von Verunreinigungen dazu neigte, sich zu zersetzen. Alle zwei bis drei Jahre musste etwa ein Drittel der Vorräte ausgetauscht werden.
Für ihre Militärstrategie hatte die Rote Armee einen gigantischen Bedarf an Kampfstoffen errechnet, dem die Produktion jedoch stark hinterherhinkte. Während Fischman im Jahr 1934 mit rund 200 000 Tonnen Kampfstoffen pro Kriegsjahr kalkulierte, füllten Arbeiter in der ehemaligen Stoltzenbergschen Fabrik in Tschapajewsk, wie Iwaschtschenkowo nun hieß, Iprit mit Teekannen in Bombenhülsen. Im selben Jahr wurde es ernst: Im sowjetisch-japanischen Konflikt verlegte die Rote Armee innerhalb weniger Wochen 1000 Tonnen Lost quer durch die Sowjetunion an die chinesische Grenze. Der Transport dieser relativ geringen Menge war ein logistischer Alptraum sondergleichen.
Die Stadt Tschapajewsk ist bis heute in höchstem Maß belastet, um nicht zu sagen vergiftet. Vor wenigen Jahren schlug der Bürgermeister vor, die Stadt völlig aufzugeben und die Bevölkerung umzusiedeln. Von diesen Tschapajewsks gibt es in Russland und einigen anderen Ländern der früheren Sowjetunion eine ganze Reihe.
Im Jahr 1997 trat die Chemiewaffenkonvention in Kraft, die Herstellung, Erprobung und Haltung von Kampfstoffen weltweit untersagt. Doch es scheint sicher, dass die Gefahren keinesfalls gebannt sind: Russland und seine Chemiewaffenproduktion werden noch lange ein Thema bleiben.
Henning Sietz studierte Slawistik und Germanistik in Heidelberg und Göttingen und lebt als freier Journalist in Berlin. Er schreibt über Russland, die Arktis, Schiffbau und geschichtliche Themen. Im Jahr 2003 erschien sein Buch ”Attentat auf Adenauer. Die geheime Geschichte eines politischen Anschlags.“


<h2>— — — Herstellung von Lost</h2>
Der Name Lost leitet sich von den Nachnamen der deutschen Chemiker Wilhelm Lommel und Wilhelm Steinkopf ab. Beide testeten im Jahr 1916 die Eigenschaften des Thioethers Bis(2-chlorethyl)sulfid als Kampfstoff. Die Bezeichnung Lost wurde später für eine Reihe anderer endständig chlorierter Organoschwefel- und Organostickstoff-Verbindungen übernommen. Bei der Lost-Herstellung griff die deutsche Industrie auf ein von Viktor Meyer (1848—1897) entwickeltes, zweistufiges Verfahren mit Thiodiglycol (in zeitgenössischen Quellen evtl. aus Tarnungsgründen als Oxol bezeichnet) als Zwischenprodukt zurück. Im Gegensatz zu diesem Verfahren, das teuer und aufwendig war, jedoch sehr haltbares Lost produzierte, war das einstufige, französische Verfahren relativ preiswert. Es lieferte ebenfalls ein stabiles Lost, war allerdings anfangs schwer zu handhaben, da Fremdstoffe sich störend auswirkten. Großbritannien hatte im Ersten Weltkrieg große Probleme bei der Lost-Herstellung, schließlich akzeptierte die Armee ein Verfahren von Herbert Levinstein (1878—1956), einem Chemiefabrikanten aus Manchester. Es war einfach und billig, das Lost jedoch wenig haltbar.



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1 

Früher GSNII-42, dann GSNII-403 und schließlich GOSNIIOChT benannt, handelt es sich dabei doch jedes Mal um das wichtigste Forschungsinstitut zur chemischen Kriegsführung in Moskau.
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2 

Lew A. Fjodorow: Chimitscheskoje woorushenije s sobstwennym narodom (Tragitscheskij rossijskij opyt). Moskwa 2009, ISBN 5—88587—012—8. — Lew A. Fjodorow: <source>Chemische Bewaffnung mit dem eigenen Volk (Ein tragisches Experiment in Russland)., <publisher-loc>Moskau</publisher-loc>, 2009. — Drei Bände, etwa 1000 Seiten. Das Buch beruht auf etwa zwanzig Jahren historischer Forschung und gilt als das umfassendste Werk zur Geschichte der chemischen Kampfstoffe in Sowjetrussland.
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