Blickpunkt

Pflanzen verteidigen sich gegen blattfressende Insekten mit einem spezifischen Gemisch flüchtiger organischer Stoffe (volatile organic compounds, VOCs). Einige Verbindungen schützen durch ihre Giftigkeit oder ihre abschreckende Wirkung die Pflanze direkt. Andere wirken indirekt: Sie locken die natürlichen Feinde der angreifenden Blattfresser an.
Bei vielen interagierenden Systemen von Pflanzen und Pflanzenfressern ist die chemische Zusammensetzung der induzierten VOC-Gemische bekannt. Einige Verbindungen sind artspezifisch, andere finden sich in vielen verschiedenen Pflanzenfamilien. Zu den weitverbreiteten VOCs gehören vor allem die ”green leaf volatiles“, nämlich C6-Aldehyde, Alkohole und ihre Derivate sowie zyklische und azyklische Terpene, phenolische Moleküle und Stickstoffverbindungen. 
Die Modellpflanze Mais reagiert schnell auf Angriffe durch Raupen und wurzelfressende Käferlarven: Die Maiswurzeln geben innerhalb weniger Stunden das Sesquiterpen (E)-Beta-Caryophyllen ab. Dieses Signal lockt entomopathogene Nematoden an — das sind kleine Würmer, die Insektenlarven befallen und töten.
In ähnlicher Weise emittieren auch Maisblätter nach einer Raupenattacke eine komplexe Mischung von VOCs, die parasitische Wespen anlockt. Diese töten die Raupen.
Noch ist unklar, welche Verbindungen des Gemischs die Fressfeinde anlocken. Um die Bedeutung der einzelnen flüchtigen Stoffe zu untersuchen, erzeugen wir VOC-Mischungen und modifizieren sie. Wir manipulieren dazu den Genotyp der Maispflanzen, ihre Physiologie sowie die Mischung der abgegebenen Stoffe (Abbildung). Subtraktive Verfahren generieren VOC-Gemische, die sich in wenigen Komponenten unterscheiden; additive Verfahren liefern Mischungen definierter Zusammensetzung.
Die Analyse erfolgt mit GC/MS. Wie attraktiv die Verbindungen für die Wespen sind, zeigen olfaktometrische Studien. Mit der Kombination dieser Ansätze lässt sich ermitteln, welche Bedeutung einzelne VOCs für die Pflanzenabwehr haben. Das hilft dabei, neue Methoden zu entwickeln, um Schädlinge biologisch zu bekämpfen.
Der Biologe Matthias Held ist Senior Researcher am Institut für Biologie an der Universität von Neuchβtel (CH).
Marco D'Alessandro und Ivan Hiltpold sind dort Postdocs.
 Ted Turlings ist dort Projektleiter und Forschungsdirektor.
Dieser Beitrag erscheint in einer Kooperation mit der Chimia: Chimia 2010, 64, 5, 322.



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C. Schnee, 
T. G. Köllner, 
M. Held, 
T. C. J. Turlings, 
J. Gershenzon, 
J. Degenhardt: 
<source>Proc. Natl. Acad. Science, USA, 
2006, 
103, 
1129.

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S. Rasmann, T. G. Köllner, J. Degenhardt, I. Hiltpold, S. Töpfer, U. Kuhlmann, J. Gershenzon, T. C. J. Turlings, Nature 2005, 434, 732
S. Rasmann, 
T. G. Köllner, 
J. Degenhardt, 
I. Hiltpold, 
S. Töpfer, 
U. Kuhlmann, 
J. Gershenzon, 
T. C. J. Turlings: 
<source>Nature, 
2005, 
434, 
732.

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M. D'Alessandro, T. C. J. Turlings, The Analyst 2006, 131 , 24.
M. D'Alessandro, 
T. C. J. Turlings: 
<source>The Analyst, 
2006, 
131, 
24&amp;.

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Artikel

Der Hilfeschrei des Mais

Pflanzen verteidigen sich gegen blattfressende Insekten mit einem spezifischen Gemisch flüchtiger organischer Stoffe (volatile organic compounds, VOCs). Einige Verbindungen schützen durch ihre Giftigkeit oder ihre abschreckende Wirkung die Pflanze direkt. Andere wirken indirekt: Sie locken die na...

Wären Menschen ähnlich empfindlich wie Wiederkäuer, hätte BSE in den 1990er Jahren wohl einen großen Teil der europäischen Bevölkerung in einen grausamen Tod gerissen — wegen einer eher geringfügigen Änderung bei der Extraktion von Fett aus Schlachtabfällen. Dieses Risiko ist der Überwachung entgangen, weil Prionen damals unbekannt waren.
Die Sache ging mit etwa 200 Toten — bei sicher über 200 Millionen Infizierten — noch glimpflich aus. Auch bei den bisher bekannt gewordenen Chemikalien aus Verpackungen hatten wir bisher Glück. Beispielsweise zeigte sich im Nachhinein, dass der Bisphenol-A-Diglycidylether aus der Innenlackierung von Konservendosen nicht kanzerogen ist. Die massive Migration dürfte also niemanden geschädigt haben.1 Es ist aber wohl eine Frage der Zeit, bis wir auf Stoffe stoßen, die wirklich Gesundheitsschäden verursachen.


<h2>Die große Zahl macht's</h2>
Bei den meisten Chemikalien, die in die Lebensmittel gelangen, stellt sich wahrscheinlich heraus, dass sie in den vorliegenden Mengen harmlos sind. Allerdings migrieren allein aus Verpackungsmaterialien vermutlich mehr als 50 000 Substanzen in die Nahrungsmittel;2 zieht man diese riesige Zahl in Betracht, erscheint es unwahrscheinlich, dass keine einzige unsere Gesundheit schädigt.
Wahrscheinlich würde man über längst bekannte Schäden staunen, deren Ursachen bis jetzt unbekannt sind. Das brauchen nicht letale Krankheiten zu sein: Beispielsweise wäre eine gestörte Steuerung unseres Essverhaltens und daraus entstehendes Übergewicht Katastrophe genug.
Abbildung 2 unterteilt die Risiken in drei Gruppen: Grün sind die Substanzen, die kontrolliert werden; grau solche, die zwar bekannt sind, aber nicht kontrolliert werden; orange bisher unbekannte Substanzen mit nicht identifiziertem Risiko.
Die jeweilige Größe der Anteile hat keinen statistischen Hintergrund. Sie gibt nur den Eindruck des Autors wieder, dass es in Lebensmitteln mehr nicht abgesicherte Substanzen gibt als abgesicherte — wenn auch nicht in allen Sektoren in gleichem Maß. Bei Pestiziden und Tierarzneimitteln sind es sicher weniger als bei technischen Hilfsmitteln, Verpackungsmaterialien oder durch harsche Verarbeitung entstehenden Reaktionsprodukten aus Lebensmittelinhaltsstoffen.


<h2>Gut kontrolliert</h2>
Im grünen Bereich sind die Chemikalien, die nach heutigem Stand der Toxikologie abgesichert sind, oft mit einem Grenzwert für Nahrungsmittel — dazu gehören etwa die Pestizide. Lebensmittelüberwachung und Hersteller kontrollieren diese Substanzen.
Hier funktioniert, was angedacht war: Spezifische Gesetzgebung schafft klare und einfache Regeln. Das System schließt Sicherheitsmargen ein, damit eine gelegentliche unbemerkte Überschreitung eines Grenzwerts keine Schäden verursacht. Das Restrisiko beschränkt sich auf die von der Toxikologie nicht erfassten Endpunkte — die Diskussion über das Bisphenol A zeigt diese Unsicherheit.


<h2>Bekannt, aber kaum kontrolliert</h2>
In Abbildung 2 (S. 915) deckt der graue Bereich Substanzen ab, welche der Überwachung eigentlich bekannt sind oder sich leicht eruieren ließen, aber nicht kontrolliert werden.
Mineralöle sind ein Beispiel: Sie gelangen als Schmieröle und Kraftstoffe beispielsweise von den Mähdreschern ins Erntegut,3 über den Auspuff von Straßenfahrzeugen in die Pflanzen oder von Druckfarben und Recyclingkartons in verpackte Lebensmittel (Abbildung 3). Bei der Verarbeitung dienen sie als Antihaftmittel oder schützen die Oberflächen von Walzen beim Mahlen von Nüssen.
Verglichen mit der alten, immer wieder bestätigten toxikologischen Bewertung, sind die in Nahrungsmitteln gemessenen Gehalte oft viel zu hoch. Zudem enthalten die meisten Mineralöle 15 bis 30 % (Poly)Aromaten, oft im Bereich mehrerer Milligramm pro Kilogramm. Darunter befinden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit potente Kanzerogene. Im Gegensatz zu den Polyaromaten, die sich bei hohen Temperaturen bilden, werden die hoch alkylierten Verbindungen mineralischen Ursprungs kaum überwacht.
Ein zweites Beispiel sind die mehrfach ungesättigten Fettsäuren mit einer Doppelbindung in trans-Stellung, die in der Ölraffinerie vor allem durch Ausdämpfung bei hohen Temperaturen entstehen. Unbeachtet geblieben sind sie möglicherweise wegen der intensiven Diskussion über die trans-Monoene, die vor allem bei der Teilhydrierung von Fetten entstehen.
Ein drittes Beispiel sind die Migrate aus der Innenlackierung von Konservendosen: Sie bestehen fast nur aus Reaktionsprodukten, wovon die meistens nicht einmal identifiziert wurden. Als letztes seien die Entschäumer erwähnt, die beispielsweise für die Verarbeitung von Kartoffeln eingesetzt werden: Sie scheinen der Überwachung entgangen zu sein.
 Es gibt wohl mehrere Gründe, weshalb die Überwachung dieser Substanzen bisher unterblieb. Beim Mineralöl mag es vor allem die schwierige Analytik sein, bei vielen anderen Stoffen die fehlende toxikologische Bewertung. Es mangelt — oft auch deswegen — am Willen der Ämter, solche Absicherungen einzufordern.


<h2>Unbekannte Risiken</h2>
Über die Zahl der nicht identifizierten Substanzen, welche im Lebensmittel die Schwelle der toxikologischen Unbedenklichkeit überschreiten, lässt sich nur spekulieren. Erfahrungsgemäß steigt sie rasch an, sobald man sich intensiver mit ihnen befasst, und ist wohl riesig.
Die Verpackungsmaterialien sind bereits erwähnt. Es ist aber auch anderswo erschreckend einfach, bisher nicht identifizierte Substanzen zu finden, deren gesundheitliche Unbedenklichkeit eigentlich gemäß Konsumentenschutz und Rahmengesetzgebung nachgewiesen werden müsste.
Als Beispiele seien die vielen chromatographischen Peaks erwähnt, die bei Untersuchungen zu Glycidolestern in intensiv ausgedämpften Speiseölen auftauchen. Es wäre auch naiv zu glauben, dass die Hydrierung von Ölen nur Doppelbindungen von Fettsäuren sättigt — nach anderen Reaktionsprodukten ist aber kaum gesucht worden. Auch die Bestrahlung von Lebensmitteln tötet Erreger nicht ab, ohne viele Inhaltstoffe chemisch zu verändern; das ist aus der Analytik von Markersubstanzen bekannt. Die Risiken, die von diesen Substanzen ausgehen, sind ebenso wenig quantifizierbar.
Die meisten Chemikalien, die in unsere Lebensmittel gelangen oder sich darin bilden, dienen nicht zum Abtöten von Organismen (wie Pestizide). Einige von ihnen würden aber wegen ihrer Humantoxizität nicht einmal als Pestizide akzeptiert. Wenn nur eine aus hundert Substanzen Gesundheitsschäden verursacht, ist von namhaften Schäden auszugehen.


<h2>Gesetzliche Anforderungen</h2>
Der größte Überwachungsaufwand wird vermutlich dort geleistet, wo die Risiken gering sind — wenn auch teilweise wegen dieser Kontrolle. Die großen Risiken werden bei der heutigen Kontrolle vernachlässigt.
Hersteller wie Überwacher argumentieren oft damit, dass für die Kontrolle einer Substanz die gesetzlichen Regelungen fehlen. Manche Hersteller warten ab, bis die Behörden ihnen eine Kontrollmethode vorlegen. Dabei verkennen sie die Bedeutung der Rahmengesetzgebung mit dem allgemeinen Auftrag zum Gesundheitsschutz: Der Hersteller trägt die Verantwortung — auch für nicht geregelte Substanzen.
Die Versuche der Behörden, den Herstellern detaillierte Hilfen zu bieten, mit der sie die gesundheitliche Unbedenklichkeit sichern können, sind meist weit vom Ziel entfernt stecken geblieben. Es steht auch vermehrt in Frage, ob es überhaupt Aufgabe des Staates ist, diese aufwendige Arbeit zu leiten. Jedenfalls fehlen ihm die Mittel dazu.
Die amtliche Lebensmittelkontrolle darf sich nicht darauf beschränken, die Einhaltung von Grenzwerten zu überprüfen. Es ist nicht im Sinne eines optimierten Konsumentenschutzes, die Überwachung mit Untersuchungsplänen auszulasten.


<h2>Umfassender prüfen</h2>
Die öffentlich finanzierte Lebensmittelüberwachung sollte einen namhaften Teil ihrer Ressourcen darin investieren, Stoffe zu suchen, die bisher der Kontrolle und Absicherung entgangen sind. Analytiker müssen dafür umfassender arbeiten: Es interessieren nicht nur die Phthalate, sondern auch die alternativ eingesetzten Weichmacher. Nicht nur die absichtlich zugesetzten Substanzen sind potenziell gefährlich, sondern auch deren Verunreinigungen und Reaktionsprodukte.
Die Lebensmittelüberwachung muss Phantasie entwickeln: Wo überall sind bisher unkontrollierte Substanzen zu erwarten? Es ist allerdings vermessen zu glauben, dass Analytiker die Lebensmittel umfassend analysieren könnten. Deswegen sind auch die Hersteller vermehrt direkt einzubeziehen. Sie müssen dokumentieren, welche Substanzen und Prozesse sie einsetzen, welche Substanzen deswegen im Lebensmittel zu erwarten sind und wie sich deren Unbedenklichkeit absichern lässt.
Die Behörden müssen den Mut aufbringen, Lebensmittel als unsicher einzustufen und vom Markt zu nehmen, wenn diese mit nicht abgesicherten Stoffen verunreinigt sind.
Konrad Grob, Jahrgang 1949, ist chemischer Analytiker im Kantonalen Labor Zürich. Seine Spezialgebiete sind Lebensmittelfälschung, Kontamination und Verpackungsmaterialien.


<h2>— — — QUERGELESEN</h2>
Bei Herstellung und Verpackung gelangen in die Lebensmittel vermutlich mehr als 100 000 chemische Substanzen. Die meisten von ihnen sind toxikologisch nicht abgesichert, viele nicht einmal identifiziert.
Die größten gesundheitlichen Risiken gehen vermutlich von unkontrollierten Substanzen aus. Viele sind eigentlich bekannt oder wären leicht eruierbar. Die Hersteller tragen dafür die Verantwortung.
Die öffentliche Lebensmittelüberwachung sollte sich nicht auf geregelte Stoffe mit Grenzwerten beschränken.



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1 

 
M. Biedermann, 
K. Grob, 
M. Bronz, 
R. Curcio, 
M. Huber, 
F. Lopez-Fabal, 
<source>Mitt. Gebiete Lebensm. Hyg., 
1996, 
87, 
547–<lpage>558.</lpage>
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2 

 
K. Grob, 
M. Biedermann, 
E. Scherbaum, 
M. Roth, 
K. Rieger, 
<source>Critical Reviews in Food Science and Nutrition, 
2006, 
46, 
529–<lpage>536.</lpage>
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3 

 
F. Grundböck, 
K. Fiselier, 
F. Schmid, 
K. Grob, 
<source>Eur. Food Res. Technol., 
2010, 
231, 
209–<lpage>213.</lpage>
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Artikel

Der Hilfeschrei des Mais

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