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Nachrichten aus der Chemie: Herr Bäuerle, erlebt die organische Elektronik gerade gute oder schlechte Zeiten?
Peter Bäuerle: Beides. Für die Oleds, also die organischen Leuchtdioden, sind die Zeiten gerade gut. Es gibt Oleds inzwischen als Displays zu kaufen, in Handys zum Beispiel. Das sind tolle Displays, extrem farbfreudig und hell — wirklich klasse. Auch die ersten Oled-Fernseher kommen jetzt, selbst wenn sie anfänglich noch sehr teuer sein werden. Aber die Farbbrillanz ist unglaublich. Kürzlich wurden auch die ersten flexiblen Oled-Displays auf einer Tagung vorgestellt.
Nachrichten:Und wo sind die Zeiten schlecht?
Bäuerle: Die Stimmung in der Photovoltaik allgemein ist im Moment angespannt. China überschwemmt den Markt mit subventionierten Siliciummodulen zum Dumpingpreis. Deshalb mussten in Deutschland vor kurzem zwei, drei Modulhersteller Konkurs anmelden. Die zurückhaltende Stimmung macht sich auch bei der Suche nach Investoren für die organische Photovoltaik bemerkbar.
Nachrichten:Wird sich die organische Photovoltaik auf lange Sicht gegen die Siliciumtechnik durchsetzen?
Bäuerle: Ja, sicher. Wir sind jetzt im Wirkungsgrad bei 12 Prozent. Silicium liegt typischerweise bei 18 bis 20 Prozent. Aber die Organik ist bei diffusem Licht sowie in den Morgen- und Abendstunden leistungsfähiger als Silicium. Organische Photovoltaik wird zudem mit steigender Temperatur besser, während Silicium dann weniger leistungsfähig wird. Dadurch sind die Wirkungsgrade nicht mehr so viel schlechter. Und vergessen wir nicht: Organische Solarfolien sind flexibel, dünn, extrem leicht, man kann sie halbtransparent machen — dadurch ergeben sich ganz neue Anwendungen, etwa in Fassaden oder Fenstern. Vor allem ist die Organik bei gleicher Leistung 35 mal leichter als Silicium. Man braucht viel weniger Material und dadurch rechnet sich das auch im Preis.
Nachrichten: Sie klingen sehr zuversichtlich, fast euphorisch.
Bäuerle: Organische Elektronik wird kommen! In fünf oder zehn Jahren gehen wir zum Heimwerkermarkt, da gibt es eine Rolle mit Plastikfolie, von der schneiden wir uns etwas ab, machen sie zu Hause ans Fenster oder an die Fassade, kontaktieren sie und produzieren Strom.


<h2>Schnelllebige Grundlagenforschung</h2>
Nachrichten: Anwendungen sind natürlich überall gefragt. Aber wie sieht es in der organischen Elektronik mit der Grundlagenforschung aus? Gibt es noch viele Forscher, die sagen: “Ich will verstehen, warum das so ist”?
Bäuerle: Da gibt es zwei Extreme. Auf der einen Seite gibt es vor allem in Asien Arbeitsgruppen, in der 50 Doktoranden und Postdocs rund um die Uhr Verbindungen rauf- und runterkochen. Andere testen und charakterisieren diese Verbindungen. Da ist sicher irgendwann mal ein guter Treffer dabei. Also Forschung nach dem Prinzip Versuch und Irrtum.
Auf der anderen Seite gibt es Arbeitsgruppen, die ganz genau die Prozesse verstehen wollen, die in organischen elektronischen Bauteilen ablaufen. Die schauen sich ein Grundsystem, zum Beispiel aus einem Donorpolymer wie dem P3HT, einem Polythiophen, und einem löslichen Fulleren über viele Jahre genau an und wissen danach, wie dieses System im Detail funktioniert und wie man es beeinflussen kann. Nur ist der Zug dann schon längst abgefahren, weil dieses Wissenschaftsfeld so extrem schnelllebig und kompetitiv ist. Da fragt man sich: Bringt es überhaupt etwas, diese Details herauszubekommen, wenn es schon wieder bessere Materialien gibt? 
Nachrichten: Also lieber weniger Grundlagenforschung und mehr Anwendung?
Bäuerle: Nein, auf keinen Fall! Grundlagenforschung ist absolut notwendig. Wenn wir die nächste Hürde, zum Beispiel 15 Prozent Wirkungsgrad in der organischen Photovoltaik, erreichen wollen, dann brauchen wir neuere, bessere, leistungsfähigere Moleküle und Materialien. Da kann die Grundlagenforschung noch viel machen. Allerdings haben sich gerade in der Oled-Branche die Hersteller relativ schnell auf bestimmte Substanzen und Techniken festgelegt und optimieren diese. Wenn jetzt aus der Grundlagenforschung eine Verbesserung kommt — zum Beispiel ein Emitter, der eine etwas höhere Quantenausbeute hat oder ein neues Material, das eine etwas bessere Effizienz gibt — dann ist es oft schwierig, diese Verbesserung in die Technik zu integrieren.
Nachrichten: Beim letzten Chemical Sciences and Society Summit, dem CS3 Meeting im September, haben Forscher ausgelotet, wohin die Reise in der organischen Elektronik gehen soll. Was war das Ergebnis?
Bäuerle: Vor allem in puncto Nachhaltigkeit kann man sich viele Dinge vorstellen, beispielsweise Metalle durch kohlenstoffhaltige, organische Substanzen zu ersetzen. Wir sprachen auch von Bauteilen, die Biokomponenten enthalten und zum Beispiel die Stimmungen von Menschen detektieren. Oder eine künstliche Haut oder Roboter …
Nachrichten: Bringen solche Spekulationen denn etwas oder schafft das nur falsche Erwartungen?
Bäuerle: Wenn da Ideen aufkommen, bringt das für die Wissenschaft auf jeden Fall etwas. Vielleicht arbeiten dann auch erste Arbeitsgruppen an solchen hochriskanten Sachen — und das ist dann wie ein Schneeballsystem: Wenn etwas herauskommt, dann springen immer mehr auf. Aber natürlich kann es gefährlich sein, gegenüber der Öffentlichkeit, der Politik und Investoren spektakuläre Anwendungen zu versprechen, und nachher geht es woanders hin.
Nachrichten: Was sind denn die Hauptstreitpunkte unter den organischen Elektronikern?
Bäuerle: Ein Reibungspunkt ist die supramolekulare Chemie. Wenn Materialien oder Moleküle durch Selbstorganisation geordnete Strukturen gäben, dann ließen sich so auch physikalische Eigenschaften verbessern. Einige Wissenschaftler sagen, wir müssen noch mehr daran forschen, andere wiederum meinen, dass Selbstorganisation mehr Probleme schafft, als sie nachher lösen kann. Es sei zu kompliziert, vor allem im Festkörper, Selbstorganisation zu kontrollieren und zu beeinflussen.


<h2>Die Rolle der deutschen Unternehmen</h2>
Nachrichten: Jetzt, da die Elektronikriesen nicht mehr in Deutschland sind, besteht da die Gefahr, dass sich Deutschland auf die Grundlagenforschung zurückzieht und das Geschäft die anderen machen?
Bäuerle: Bei den Oleds ist das im Prinzip so passiert. Die großen Produzenten dieser Technik sind jetzt Samsung in Korea, Sony in Japan und andere in Asien. Dabei fand die Grundlagenforschung in Europa und den USA statt. Ich denke, wenn wir nicht aufpassen, wird dasselbe auch in der organischen Photovoltaik passieren.
Nachrichten: Wie sieht es dabei mit den deutschen Chemieunternehmen aus? Halten die sich noch zurück?
Bäuerle: Glücklicherweise nein. In der organischen Photovoltaik arbeitet meine Arbeitsgruppe zum Beispiel in einem BMBF-geförderten Konsortium mit BASF, Bosch, Heliatek und einigen anderen Universitätsgruppen zusammen. Merck hat sich in der Oled-Technik und jetzt auch in der organischen Photovoltaik eingekauft und ist da sehr aktiv. Auch Evonik ist dabei.
Nachrichten: Was muss sich Ihrer Meinung nach in Deutschland ändern, damit die Technik nicht doch nach Asien geht?
Bäuerle: Wenn sich diese Industrie wirklich so entwickelt, wie alle hoffen, dann müssen wir den Nachwuchs dafür ausbilden. Meines Wissens nach gibt es aber erst einen neuen Studiengang zum Thema, das ist der internationale Masterstudiengang “Organische und Molekulare Elektronik” an der TU Dresden. Natürlich weiß ein Chemiestudent in Deutschland, was ein konjugiertes Polymer ist. Aber Kurse und Vorlesungen zur organischen Elektronik sind noch relativ selten.
Nachrichten: Wie halten Sie es an der Universität Ulm denn mit dem Nachwuchs?
Bäuerle: Wir bieten seit einigen Jahren im Masterstudiengang Chemie eine zweisemestrige Vorlesung zur organischen Elektronik an. Im Praktikum dazu stellen die Studenten Solarzellen her. Und die Studenten sind begeistert. Auf alles mit regenerativer Energie und Photovoltaik springen sie sofort an.
Nachrichten: Was würden Sie sich in puncto organischer Elektronik noch wünschen?
Bäuerle: Mein Wunsch ist es, dass die Chemie in dem ganzen Forschungsfeld und -umfeld mehr erkannt wird. Denn die Chemie steht am Anfang und liefert mit Molekülen, Materialien und Katalysatoren Grundlagen für die regenerativen Energien. Und letztendlich ist es auch die chemische Industrie, die ein Material, das sich bewährt hat, hinterher im Kilogramm- oder vielleicht sogar Tonnenmaßstab herstellt. Ohne Chemie geht es auch am Ende nicht.
Das Gespräch führte Nachrichten-Redakteur Christian Remenyi.


<h2>ZUR PERSON</h2>
Peter Bäuerle ist Direktor des Instituts für Organische Chemie II und Neue Materialien an der Universität Ulm.
Er studierte Chemie an der Universität Stuttgart, promovierte und habilitierte sich dort.
Bäuerle ist Mitgründer von Heliatek in Dresden, einem Unternehmen, das organische Solarzellen entwickelt.
Er forscht an neuen organischen Materialien, vor allem an Halbleitern und Leitern für die organische Elektronik.


<h2>Chemiker im öffentlichen Dienst</h2>
Birgit Klein organisiert für das GDCh-Wissenschaftsforum die Vorträge “Von der Kriminaltechnik bis zum Wissenschaftsmanagement” und die Ausstellung “Weg zur modernen Umwelt- und Arbeitsschutzverwaltung in Hessen” sowie zusammen mit der Vereinigung Chemie und Wirtschaft und dem Jungchemikerforum den Workshop “Behörde trifft Industrie”.
Nachrichten aus der Chemie: Was erwartet die Teilnehmer bei Ihrer Veranstaltung?
Birgit Klein: Die Vortragsreihe stellt Berufsbilder im öffentlichen Dienst vor. Hiermit zeigen wir in erster Linie Jungchemikern weniger bekannte berufliche Alternativen. Im Workshop erhalten die Teilnehmer einen praxisorientierten Einblick, wo und wann sie mit Behörden kommunizieren und zusammenarbeiten werden. Das Teilnahmezertifikat können junge Leute gut für Bewerbungen nutzen.
Nachrichten: Warum ist dieser Beitrag wichtig?
Klein: Der öffentliche Dienst ist Bestandteil der alltäglichen Arbeitspraxis eines Naturwissenschaftlers, gleichgültig, ob man als Chemiker im öffentlichen Dienst agiert oder als Unternehmensmitglied Ansprechpartner für Behörden wird.
Nachrichten: Worauf freuen Sie sich am meisten beim Wifo?
Klein: Darauf, mein Netzwerk zu pflegen und auszubauen. Gerade das Wifo bietet hierzu eine wunderbare Plattform, da man zwanglos in den Gesprächen die Ebene des rein Wissenschaftlichen verlassen und sich offen und konstruktiv über den Beruf und die Karriere austauschen kann.


<h2>Gipfeltreffen zur organischen Elektronik</h2>
Um “Chemistry for the Next Generation Sustainable Electronics” ging es beim vierten CS3, dem Chemical Sciences and Society Summit im September 2012 in San Francisco. Bei diesem Gipfeltreffen diskutierten 30 Experten aus Deutschland, Großbritannien, Japan, China und den USA über die Zukunftsperspektiven der organischen Elektronik und die Rolle der Chemie darin. Peter Bäuerle war Vorsitzender der deutschen Delegation. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Förderorganisationen der anderen beteiligten Länder unterstützen die CS3-Reihe finanziell.
Im Rahmen des Treffens entstand das Weißbuch “Organic Electronics for a Better Tomorrow: Innovation, Accessibility, Sustainability”. Die Vertreter der fünf beteiligten chemischen Gesellschaften, darunter die GDCh, präsentierten es am 8. April im Rahmen des 245. ACS-Frühjahrsmeetings in New Orleans. Die englische Version des Weißbuchs steht unter <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.gdch.de/cs3" target="_blank">www.gdch.de/cs3</a></ext-link> zum Herunterladen bereit, eine deutsche Version folgt in Kürze.

Artikel

“Die Chemie steht am Anfang von allem. Und am Ende.”

Nachrichten aus der Chemie: Herr Bäuerle, erlebt die organische Elektronik gerade gute oder schlechte Zeiten? Peter Bäuerle: Beides. Für die Oleds, also die organischen Leuchtdioden, sind die Zeiten gerade gut. Es gibt Oleds inzwischen als Displays zu kaufen, in Handys zum Beispiel. Das sind toll...

Prof.Dr.

Die mikroskopische Struktur von Nanooberflächen bestimmt, wie reaktiv ein Material ist und wie gut es sich als Katalysator eignet.1,2 Wechselwirkungen an Nanogrenzflächen bestimmen auch das Wachstum und die Struktur von Nanomaterialien. Oberflächenaktive Agenzien (Surfactants) zum Beispiel können gezielt die Entstehung von nanokristallinen Halbleiterquantenpunkten steuern.3
Allerdings schreiben Yin und Alivisatos in einem Übersichtsartikel zur kolloidalen Nanokristallsynthese noch im Jahr 2005: “Es gibt keine allgemein anerkannte experimentelle oder theoretische Methode, um die Adhäsionsenergie eines organischen Surfactant auf einer nanokristallinen Oberfläche zu bestimmen.”3 Das zeigt, wie sehr es an Informationen und experimentellen Methoden mangelt, um Phänomene an Nanogrenzflächen — insbesondere an der Fest-flüssig-Phasengrenze — zu untersuchen.
Trotz vielversprechender Ansätze hat sich an der grundlegenden Situation seit 2005 nur wenig geändert: Unser Verständnis chemischer und physikalischer Prozesse an Nanogrenzflächen steht noch am Anfang.4,5 Dies liegt zum einen daran, dass die Systeme sehr komplex sind, zum anderen fehlen häufig die Methoden, selbst einfache Fragen zu Energetik, Kinetik und Dynamik von Prozessen zu beantworten.


<h2>Untersuchungsobjekt Nanorohroberflächen</h2>
Kohlenstoffnanoröhren sind ideale Modellsysteme, um Methoden zur Erforschung von Nanogrenzflächen zu entwickeln. Im Vergleich zu anderen Nanomaterialien sind Kohlenstoffnanoröhren wenig reaktiv — sie wechselwirken vorwiegend physikalisch — und haben eine eindeutig bestimmbare Oberflächenstruktur. Außerdem ist bei ihnen das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen maximal, weil aufgrund der aufgerollten Struktur jedes Atom einer einwandigen Kohlenstoffnanoröhre ein Oberflächenatom ist. Vor allem reagieren die elektronisch angeregten Zustände der Kohlenstoffnanoröhren empfindlich auf die Umgebung.
Grenzflächenempfindliche, kolloidchemische Methoden isolieren Kohlenstoffnanoröhren aus polydispersen Proben. Die zugrundeliegenden Adsorbat-Substrat-Wechselwirkungen an den Oberflächen der Kohlenstoffnanoröhren sind bisher aber nicht verstanden. Ein Beispiel ist die durchmesser- und chiralitätsselektive ionenaustauschchromatographische Trennung von einwandigen Kohlenstoffnanoröhren (single wall carbon nanotube, SWNT). Dabei stabilisieren einsträngige DNA-Sequenzen die Nanoröhren kolloidal.6 Welche DNA-Oligomere bestimmte SWNT-Spezies erkennen, ist aber nur über Versuche herauszufinden.


<h2>Nanoröhren als Lichtsammler</h2>
Kohlenstoffnanoröhren dienen seit einigen Jahren als aktive Lichtsammeleinheiten in der Photovoltaik. Sie sind sehr stabil und ihre Elektronen sind außergewöhnlich beweglich. Außerdem haben die Materialien ein ideales Absorptionsspektrum, das eine hoch effiziente Energieumwandlung verspricht. Allerdings ist auch hier weitgehend unverstanden, welche Prozesse an ihrer Oberfläche ablaufen.7
Abbildung 1 zeigt den Aufbau einer SWNT-basierten photovoltaischen Zelle. Absorptionsspektren und die Verläufe der externen Quanteneffizienz lassen erkennen, dass tatsächlich angeregte Zustände der Kohlenstoffnanoröhren den Stromfluss vermitteln. Die externe Quanteneffizienz ist das Verhältnis von Elektronen, die zum Photostrom beitragen, zur Zahl der von außen eingestrahlten Photonen. Externe Quanteneffizienzen erreichen in solchen Zellen Spitzenwerte von bis zu 40 Prozent.7,8
Wechselwirkungen an Nanogrenzflächen beeinflussen die Herstellung von SWNT-basierten Photovoltaikzellen: Zum Beispiel eliminieren organische Lösungsmittel unerwünschte metallisch leitende einwandige Kohlenstoffnanoröhren und stabilisieren selektiv die halbleitende Form. Grenzflächeneffekte sorgen auch dafür, dass sich SWNT-Netzwerke bilden, Filme zum Energie- oder Ladungstransport.
Dichte Netzwerke entstehen zum Beispiel durch Abscheidung aus Suspensionen. Zwei Filme dieser Art für zukünftige Anwendungen in der Kohlenstoffphotovoltaik zeigt Abbildung 2. Die SWNT-Netzwerke entstanden durch Tauchbeschichtung aus monodispersen Dispersionen.
Die Netzwerke lassen sich über die kontrollierte Wechselwirkung zwischen adsorbierten Surfactant-Molekülen und Nanorohroberflächen herstellen. Surfactants stabilisieren die Nanoröhren kolloidal. Damit sich die gewünschten Filme bilden, darf die durch Surfactants vermittelte Abstoßung zweier einwandiger Kohlenstoffnanoröhren nicht zu stark sein. Dafür werden die Konzentration und die Art des Surfactants variiert.


<h2>Desorptionsexperimente</h2>
Um Adsorbat-Substrat-Wechselwirkungen besser zu verstehen, haben wir eine Reihe neuer Experimente entwickelt. Sie bestimmen erstmals quantitativ die Desorptionskinetik von Biopolymeren, die auf Nanoröhren adsorbiert sind. Fluoreszenzspektroskopische Messungen ermitteln die Desorption einsträngiger DNA-Oligomere von einwandigen Kohlenstoffnanoröhren, indem sie die Konzentrationszunahme freier DNA in wässriger Lösung bestimmen, die linear mit der Zeit zunimmt.
Bemerkenswert ist, dass die mit Biopolymeren funktionalisierten einwandigen Kohlenstoffnanoröhren offenbar nicht energetisch, sondern kinetisch stabilisiert sind. Phänomenologisch äußert sich das in ungewöhnlich kleinen präexponentiellen Faktoren in der Kinetik, wenn diese über Arrhenius- oder Eyring-Analyse charakterisiert wird. Theoretisch hat das bereits Hendrik Anthony Kramers im Rahmen der Theorie des Übergangszustands vor 70 Jahren beschrieben, und zwar als Grenzfall diffusionslimitierter Reaktionen bei großer Viskosität.9 Praktische Anwendung fanden diese Betrachtungen jedoch erst viel später bei der Beschreibung der Molekulardynamik von größeren, komplexen Systemen, zum Beispiel von Proteinen auf polymerbesetzten Oberflächen.10
Desorbieren die Biopolymere unimolekular von den Kohlenstoffnanoröhren, lassen sich präexponentielle Faktoren in der Größenordnung von 108 s−1 so interpretieren, dass sich gebundene Polymere diffusionslimitiert an einen von vielen möglichen Übergangszuständen annähern (Abbildung 3). Dies unterscheidet solche Reaktionen von dem durch Kramers diskutierten Grenzfall geringer Viskosität: In diesem lässt sich der Bindungsbruch durch die freie Bewegung einer Molekültrajektorie über den Übergangszustand hinweg charakterisieren und präexponentielle Faktoren mit der Schwingungsfrequenz assoziieren.
Auch für Charakter, Energetik und Dynamik elektronisch angeregter Zustände ist die Wechselwirkung zwischen Umgebung und Nanoröhren essenziell. Sie beeinflusst insbesondere die exzitonischen Anregungen stark. In der Photovoltaik sind diese gebundenen Elektron-Loch-Paare unter anderem für die Lichtabsorption und den anschließenden Energietransport entscheidend und spielen für die Effizienz SWNT-basierter photovoltaischer Zellen eine zentrale Rolle.
Mit zeitaufgelöstem spektralem Lochbrennen wiesen wir nach, dass sich Exzitonen in einwandigen Kohlenstoffnanoröhren aufgrund von Wechselwirkungen mit der Umgebung in einer kurzreichweitig stark strukturierten Potenzialenergielandschaft bewegen. Optische Übergänge sind dementsprechend bis zu 90 Prozent inhomogen verbreitert.
Abbildung 4a zeigt ein transientes SWNT-Absorptionsspektrum nach schmalbandiger Anregung des ersten Subband-Exzitons. Die Experimente bestätigen, dass die Umgebung exzitonische Übergänge in einwandigen Kohlenstoffnanoröhren stark beeinflusst. Sie zeigen auch, dass sich Exzitonen entlang der Nanorohrachse überaus effizient fortbewegen. Die Diffusionskoeffizienten lagen in der Größenordnung von 10 cm2 · s−1 und waren damit ungewöhnlich hoch.11


<h2>Redoxpotenziale messen</h2>
In Kohlenstoff-Photovoltaikzellen fließt elektrischer Strom erst, nachdem Ladungspaare sich an SWNT-Oberflächen getrennt haben und zu den Elektroden wandern können. Wichtig für die Ladungstrennungs- und Transportprozesse ist die energetische Lage von Homo- und Lumo-Zuständen, die spektroelektrochemische Methoden analysieren. So weist die Fluoreszenzmikroskopie den Ladungszustand von einwandigen Kohlenstoffnanoröhren unter potenziostatischer und mikrofluidischer Kontrolle nach. Hierzu lassen sich vereinzelte einwandige Kohlenstoffnanoröhren auf einem transparenten Leitersubstrat deponieren und durch Anlegen eines Potenzials gegenüber dem Elektrolyten n- oder p-dotieren (Abbildung 5).
Die Änderungen der Nanorohrfluoreszenz sind ein empfindliches Maß für den Grad der Dotierung. So wird es möglich, die für Ladungstransferprozesse entscheidenden Redoxpotenziale von einwandigen Kohlenstoffnanoröhren sogar auf Einzelpartikelbasis zu bestimmen. Es ist geplant, mit diesem Experiment auch elektro- und photochemische Reaktionen an den Oberflächen von einwandigen Kohlenstoffnanoröhren zu untersuchen.


<h2>Mehr Forschung an Nanoröhren</h2>
Wie leistungsfähig Kohlenstoffnanoröhren in der Photovoltaik sind, untersucht das Verbundprojekt Pocaontas (polymer carbon nanotubes active systems for photovoltaics). Die EU fördert es über vier Jahre mit 3,5 Millionen Euro. Beteiligt sind drei Arbeitsgruppen aus Würzburg und München sowie sechs Teams aus dem europäischen Ausland. Industriepartner sind die Unternehmen Flexink (Halbleiter) und Belectric (Solarenergie).


<h2>QUERGELESEN</h2>
Halbleitende einwandige Kohlenstoffnanoröhren eignen sich als Lichtsammeleinheiten in organischen Photovoltaikzellen.
Die Umgebung einer Kohlenstoffnanoröhre beeinflusst ihre exzitonische Anregung — und damit ihre Fähigkeit zur Lichtadsorption und zum Energietransport.
Die Fluoreszenzmikroskopie misst den Ladungszustand und das Redoxpotenzial von Kohlenstoffnanoröhren. Sie bestimmt auch, wie schnell Biopolymere von Nanoröhren desorbieren.


<h2>Chemie in den Lebenswissenschaften</h2>
Hans-Dieter Arndt, Universität Jena, koordiniert für die Fachgruppen Chemische Biologie, Biochemie, Medizinische Chemie und die Liebig-Vereinigung auf dem GDCh- Wissenschaftsforum die Veranstaltung “Molecules of Life — Molecules in Life”.
Nachrichten aus der Chemie: Was erwartet die Teilnehmer bei Ihrer Veranstaltung?
Arndt: Exzellente Wissenschaftler aus dem In- und Ausland. Über vier Fachgruppen hinweg haben wir Querschnittsthemen identifiziert, die von breitem biologisch-medizinischem Interesse sind, aber erst durch chemische Forschung Fahrt aufnehmen. Wir werden Epigenetik, Proteine und Peptide, Imaging sowie Naturstoffe aus verschiedenen Richtungen beleuchten. Integriert sind die Symposien der Hellmut-Bredereck- und der Hans-Grohe-Stiftungen, bei denen Nachwuchswissenschaftler Auszeichnungen erhalten.
Nachrichten: Welchen Beitrag leistet Ihr Fachgebiet zum Wifo-Motto “Chemie — Element unseres Lebens?”
Arndt: Es ist faszinierend zu sehen, wie weit synthetische Moleküle und chemische Techniken die lebenswissenschaftliche Forschung stimulieren und wie komplex minimale chemische Veränderungen kanonischer Biomoleküle wirken, die vor einer Dekade noch weitgehend unbekannt waren. Nur die Chemie ist in der Lage, die allen Lebensvorgängen zugrundeliegenden Moleküle und Prozesse zu erschließen.
Nachrichten: Worauf freuen Sie sich am meisten beim Wissenschaftsforum?
Arndt: Auf die beispiellose Vielfalt der Chemie und die Anregung, über das eigene Forschungsgebiet hinauszublicken. Und dass auch viele Doktoranden neueste Arbeiten vorstellen werden.


Tobias Hertel, Jahrgang 1966, promovierte 1995 am Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin. Als Postdoktorand forschte er von 1996 bis 1998 am IBM T. J. Watson Research Center in Yorktown Heights, NY/USA, erstmals an Kohlenstoffnanoröhren. Nach vierjährigem Aufenthalt als Associate Professor an der Vanderbilt Universität (Nashville, TN/USA) nahm er 2008 einen Ruf auf den Lehrstuhl II für Physikalische Chemie der Universität Würzburg an.
Frank Brunecker, Jahrgang 1985, hat an der Universität Würzburg Chemie studiert und promoviert seit dem Jahr 2011 über DNA-Nanorohrwechselwirkungen im Arbeitskreis von Tobias Hertel.
Nicolas Rühl, Jahrgang 1983, promoviert an der Universität Würzburg bei Tobias Hertel an der spektroelektrochemischen Untersuchung von Kohlenstoffnanoröhren.
Daniel Schilling, Jahrgang 1983, schloss sein Chemiestudium an der Universität Würzburg im Jahr 2011 ab und arbeitet seitdem als Doktorand im Arbeitskreis von Tobias Hertel zur Ultrakurzzeitspektroskopie von halbleitenden Kohlenstoffnanoröhren.
Florian Späth, Jahrgang 1984, studierte Chemie an der Universität Würzburg und promoviert seit dem Jahr 2009 bei Tobias Hertel über Kohlenstoffnanoröhren-Polymer-Konjugate.



<ul>
<li>
1 

 
R. Schlögl, 
S. B. Abd Hamid, 
<source>Angew. Chem. 
(2004), 
116, 
1656.
</li>
<li>
2 

 
A. M. Doyle, 
S. K. Shaikhutdinov, 
S. D. Jackson, 
H-J. Freund, 
<source>Angew. Chem. 
(2003), 
115, 
5398.
</li>
<li>
3 

 
Y. Yin, 
A. P. Alivisatos, 
<source>Nature 
(2005), 
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M. Sovago, 
R. K. Campen, 
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<source>Phys. Rev. Lett. 
(2008), 
100, 
173901.
</li>
<li>
5 

 
Y. Homma, 
T. Hanashima, 
S. Chiashi, 
<source>Sensor. Mater. 
(2009), 
21, 
331.
</li>
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6 

 
X. Tu, 
S. Manohar, 
A. Jagota, 
M. Zheng, 
<source>Nature 
(2009), 
460, 
250.
</li>
<li>
7 

 
D. J. Bindl, 
M. Y. Wu, 
F. C. Prehn, 
M. S. Arnold, 
<source>Nano Lett. 
(2011), 
11, 
455.
</li>
<li>
8 

F. Späth, T. Hertel, A. Steindamm, J. Pflaum, unveröffentlicht.
</li>
<li>
9 

 
H. A. Kramers, 
<source>Physica 
(1940), 
7, 
284.
</li>
<li>
10 

 
A. Halperin, 
<source>Langmuir 
(1999), 
15, 
2525.
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<li>
11 

 
T. Hertel, 
S. Himmelein, 
T. Ackermann, 
D. Stich, 
J. Crochet, 
<source>ACS Nano 
(2010), 
4, 
7161.
</li>
</ul>

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“Die Chemie steht am Anfang von allem. Und am Ende.”

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