Beruf + Karriere

Rafik Schami — 
Von der Chemie zum “Erzähler der Nacht”
Rafik Schami wanderte 1971 in die Bundesrepublik Deutschland ein und setzte sein in Damaskus begonnenes Chemiestudium in Heidelberg fort. Heute zählt er zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren.
Nachrichten aus der Chemie: Herr Schami, warum haben Sie Chemie studiert?
Rafik Schami: Ich bin im Damaskus der 50er Jahre aufgewachsen. Das Handwerk war alltäglich präsent. Als Kind faszinierten mich die Färberei von Wolle und Baumwolle, die Gießerei in der Nähe, die Verwandlung von Mehl, Wasser und Hefe in Brot in der Bäckerei meines Vaters. In der fünften Klasse las ich mit Spannung ein Buch über Alchimisten. Dazu kam mein gutes Gedächtnis, das mich jede Formel leicht merken und behalten ließ. So wurde die Chemie im Unterricht ab der siebten Klasse für mich zu einer spannenden Geschichte. Bald verstärkten gute Noten meine Zuneigung.
Nachrichten: Wer hat Sie bei dieser Entscheidung maßgeblich beeinflusst?
Schami: Niemand. Im Gegenteil: Man hat mir nahegelegt, Medizin zu studieren.
Nachrichten: Was hat Sie als Chemiker besonders gefesselt?
Schami: Die Naturstoffchemie. Ich wollte aus den Pflanzen in meinem Land nützliche Medikamente gewinnen, aber auch die Geheimnisse der Natur verstehen. Das zählt für mich bis heute zu Grundpfeilern der Weisheit.
Nachrichten: Was hat Ihnen überhaupt nicht behagt?
Schami: Manchmal der Gestank, selten die Gefahr bei der Forschung.
Nachrichten: Werden Sie noch gefragt, wenn es um Chemie geht, zum Beispiel um chemische Kampfstoffe?
Schami: Nein, auch früher nicht und besonders nicht zu diesem Thema — weil meine Haltung gegen das Militär immer deutlich war.
Nachrichten: Wie haben Sie es geschafft, neben einem Studium, das weithin als eines der härtesten gilt, zu schreiben?
Schami: Es wohnten von Anfang an zwei Seelen in mir. Ich liebte Literatur und Naturwissenschaft und hatte in beidem gute Ergebnisse.
Nachrichten: Steckt im Erzähler immer auch ein Chemiker, und der Naturwissenschaftler fängt nach geglücktem Experiment an zu erzählen?
Schami: Das stimmt, aber der Chemiker erzählt noch mehr bei misslungenen Experimenten. Der Naturwissenschaftler in mir verlangt, dass ich meine Texte gut recherchiere und mich nicht allzu schnell freue über spontan gefundene Formulierungen.
Nachrichten: Sie haben sich schon während des Studiums und bis heute politisch engagiert. Warum?
Schami: Ich bin in keiner Partei, aber die Freiheit und Demokratie in diesem Land verpflichteten mich, Stellung gegen die Diktatur zu nehmen.
Nachrichten: Was müsste geschehen, damit die Parteien im Nahen Osten in Dialog treten und auf Gewalt verzichten?
Schami: Die Wunden sind tief, und das Misstrauen ist groß, deshalb kommt die Region nicht ohne Hilfe von außen zur Ruhe. Ich versuche seit über 40 Jahren aufzuklären. Seit dem Ausbruch des Aufstands in Syrien habe ich — neben unzähligen Interviews und Essays — mit Freunden den Verein Schams zur Unterstützung der syrischen Kinder und Jugendlichen gegründet, weil ich sicher bin: Sie sind die wahren Verlierer eines jeden Krieges.
Nachrichten: Auch wenn bei Ihnen Naturwissenschaft, Literatur und politisches Engagement zusammengehören, haben Sie doch einmal Abschied von der Chemie genommen. Wie schwer ist Ihnen das gefallen?
Schami: Sehr schwer. Ich hatte eine gut bezahlte Stelle mit Zukunft bei einer großen Pharmafirma. Mein Chef behandelte mich respektvoll. Es fiel mir sehr schwer, die Firma zu verlassen. Ich wusste auch, dass ich ins kalte Wasser der freien Schriftstellerei springe. Die Praxis hat meine Befürchtung mehr als bestätigt. Erst nach sieben Jahren erzielte ich mit “Erzähler der Nacht” einen Welterfolg.
Nachrichten: Welche persönlichen Kontakte aus der alten Zeit sind geblieben?
Schami: Wenige. Man sieht sich auf meinen Veranstaltungen, und man ist freundlich zu mir. Die früheren süffisanten, ironischen und bisweilen zynischen Bemerkungen sind verschwunden.

“Die süffisanten Bemerkungen sind verschwunden”

Rafik Schami — Von der Chemie zum “Erzähler der Nacht” Rafik Schami wanderte 1971 in die Bundesrepublik Deutschland ein und setzte sein in Damaskus begonnenes Chemiestudium in Heidelberg fort. Heute zählt er zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren. Nachrichten aus der Chemie: Herr Scham...

“Die süffisanten Bemerkungen sind verschwunden”

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