Notizen

Diese Geschichte fängt mit dem Bildschirmhintergrund auf meinem Laptop an. Um diesen etwas heimeliger zu gestalten, hatte ich nämlich ein Foto installiert, das sechs 500-mL- Erlenmeyerkolben mit verschiedenfarbigen Lösungen zeigt. Fünf Kolben stehen mehr oder weniger im Kreis um einen zentralen Oberkolben herum, der als Zeichen seiner Besonderheit und Würde außerdem eine Glaspipette enthält. Wenn man vor so einem Bildschirm sitzt, fühlt man sich als Chemiker gleich heimisch.
Nicht aber meine Jüngste, die wollte als Hintergrund für ihr getrenntes Benutzerkonto lieber einen niedlichen Waschbären aus dem Naturpark als “deine schrägen Dinger da”. Aber wie heißen die Dinger eigentlich? Keine Ahnung, nie gehört. Ihr einfach nur einen Namen an den Kopf zu werfen, hilft natürlich auch nicht; der ist am nächsten Tag gleich wieder vergessen.
Also ist ein wenig Recherchieren angesagt. Die Nachrichten aus der Chemie würdigten den 100sten Todestag des Erfinders Emil Erlenmeyer (1825—1909) mit einem Titelbild und einer halben Spalte Text im Januar 2009. Aber warum Erlenmeyer so einen schrägen Kolben erfunden hat, will mir das Heft nicht verraten.
Das britische Pendant Chemistry World widmete dem Erlenmeyerkolben, der merkwürdigerweise in Nordamerika als “Erlenmeyer”, auf den britischen Inseln hingegen nur als “conical flask” bekannt ist, eine Folge in der Serie “Classic Kit” im Juli 2008. Dieser auf eine Seite beschränkte Beitrag umreißt den Werdegang des Namenspatrons und nennt eine Jahreszahl: Im Jahr 1861 habe Erlenmeyer den gleichnamigen Kolben erfunden, also wird er dieses Jahr 150 Jahre alt. Leider wissen wir den genauen Tag nicht, an dem wir feiern müssten. Ein halber Absatz zählt dann die Vorzüge des schrägen Kolbens auf — für alle, die noch nie einen solchen benutzt haben:
Dank der flachen Unterseite kann man Flüssigkeiten hervorragend erhitzen, etwa auf dem ebenfalls von Emil Erlenmeyer erfundenen Asbest netz mit einem Bunsenbrenner (det krieje mer später). Dank der schrägen Wand lässt sich der Inhalt herumschwenken, ohne dass er gleich überschwappt. Und die Farbe der Flüssigkeit, belehrt uns Chemistry World, erscheint beim Erlenmeyer einheitlicher als bei einem Rundkolben, so dass bei der Titration der Endpunkt besser zu erkennen ist.
Nun wissen wir also ganz genau, warum wir alle den Erlenmeyerkolben so sehr schätzen (als kippsichere Blumenvase ist er übrigens auch geeignet), aber wie kam der alte Emil auf den Dreh mit der schrägen Wand? Die Suche geht weiter. Wikipedia und meine uralte Ausgabe von “Römpps Chemie-Lexikon” wissen es auch nicht, bieten aber beide einen Literaturhinweis auf einen biografischen Beitrag von Otto Krätz in Chemie in unserer Zeit im Februar 1972.
Dort lernen wir Emil Erlenmeyer kennen als temperamentvollen Charakter, der gerne Havanna-Zigarren rauchte und sich mit ätzender Kritik viele Feinde machte. Abgesehen von Glasgefäßen und Asbestnetzen ist sein bleibendes Verdienst, dass er für organische Verbindungen die Formelschreibweise einführte, die wir heute noch verwenden. Als akademischer Lehrer war er vor allem bei zahlreichen russischen Gaststudenten beliebt, darunter waren der auch als Komponist bekannte Alexander Borodin und Wladimir Wassiljewitsch Markownikow (der mit den Regeln). Aber auch hier findet sich kein Hinweis auf den Heureka-Moment.
Schwebte ihm die inzwischen zur identitätsstiftenden Ikone der Chemie beförderte gläserne Form im Traum vor? Immerhin gehörte er derselben Generation an wie der Benzolträumer Friedrich August Kekulé. Wollte Erlenmeyer einen Rundkolben blasen und setzte diesen zu früh auf den Labortisch ab, so dass der Kolben sich plattdrückte? Verschüttete er Säure beim Schwenken eines Becherglases und verwünschte die weite Öffnung? Wir werden es womöglich nie erfahren.
All dies hat natürlich meine Jüngste überhaupt nicht beeindruckt; ihr gefällt der Waschbär immer noch besser. Ich muss bei Gelegenheit mal prüfen, ob sie sich wenigstens gemerkt hat, wie die schrägen Kolben heißen.
Michael Groß
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Artikel

Eine schräge Geschichte

Diese Geschichte fängt mit dem Bildschirmhintergrund auf meinem Laptop an. Um diesen etwas heimeliger zu gestalten, hatte ich nämlich ein Foto installiert, das sechs 500-mL- Erlenmeyerkolben mit verschiedenfarbigen Lösungen zeigt. Fünf Kolben stehen mehr oder weniger im Kreis um einen zentralen O...

Magazin

Prof.Dr.

Die Huisgen-[3+2]-Cycloaddition zwischen Alkinen und Aziden ist seit Jahrzehnten bekannt.1 Diese thermische Reaktion führt zu einer Mischung zweier Regioisomeren. Nachdem vor neun Jahren zwei Forschungsgruppen unabhängig voneinander eine kupferkatalysierte Version der Cycloaddition entdeckten,2 avancierte diese zum bekanntesten Beispiel der Klick-Reaktionen.3 Eine Klick-Reaktion ist modular und breit anwendbar, ergibt hohe Ausbeuten und liefert sehr wenige oder überhaupt keine Nebenprodukte.
Die kupferkatalysierte Cycloaddition läuft unter milden Bedingungen und in umweltfreundlichen Lösungsmitteln ab. Außerdem toleriert sie sehr viele funktionelle Gruppen, ergibt hohe Ausbeuten und benötigt keine komplizierte Aufarbeitung. Des Weiteren führt die katalytische Reaktion ausschließlich zum 1,4-Cycloadditionsprodukt (Abbildung 1). Die Funktionalisierung dieser Verbindungen über die R1- und R2-Gruppe ist einfach; sie hängt nur von der Verfügbarkeit der entsprechenden Azide und Alkine ab.
Im Anschluss an ihre Entdeckung vor einem Jahrzehnt wurde die Klick-Cycloaddition zu einem Arbeitspferd der synthetischen Chemie, wobei Gebiete wie Biokonjugation4 und Metallionen-Nachweis5 bereits einen hohen Reifegrad erreicht haben. Das Potenzial dieser Moleküle für die Synthese funktioneller Metallkomplexe wurde in den letzten Jahren erkannt.


<h2>Donormöglichkeiten und Ligandenfunktionalität</h2>
Der 1,2,3-Triazolring, den die Klick-Cycloaddition generiert, besitzt zwei potenzielle Stickstoffdonoratome. Während die Donorfähigkeit des N3-Stickstoffatoms überlegen ist, lässt sich die Koordination des N2-Stickstoffatoms durch die Einbindung einer Donorfunktion in der R2-Gruppe erzwingen und dadurch eine bevorzugte N2-Koordination durch Chelatisierung erreichen (Abbildung 2, S. 938).
Das C-H-Proton des 1,2,3-Triazolrings ist sehr azid und kann an starken Wasserstoffbrückenbindungen teilnehmen, wie es in triazolbasierten Systemen für den Nachweis von Anionen beobachtet wurde.6 Diese C-H-Gruppe kann deprotoniert werden und das so generierte Carbanion anschließend an ein Metallzentrum binden. Außerdem führt die Alkylierung des N3-Stickstoffatoms gefolgt von Deprotonierung zu einem anomalen oder mesoionischen Carben, das an das Metallzentrum durch das (neutrale) C-Atom binden kann (Abbildung 2). Die Bezeichnung “mesoionisch” für diese Verbindungen rührt von dem Problem her, eine lokalisierte Struktur ohne Ladungstrennung zu zeichnen.
Die Gruppen R1 und R2 dienen der Einbettung von zusätzlichen Donor atomen, von Gruppen mit verschiedenem sterischen Anspruch und elektronischen Eigenschaften sowie von Substituenten, die gezielt schwache nicht-kovalente Wechselwirkungen erzeugen sollen. Dasselbe gilt für potenziell zwei-, drei- und vierzähnige Liganden.


<h2>Bipyridin- und Terpyridinanaloge und deren Photochemie</h2>
Frühe Arbeiten über Metallkomplexe von Triazolliganden beschäftigten sich mit der Verwandtschaft zu den ausführlich verwendeten Liganden 2,2'-Bipyridin (bpy) und 2,2',6',2''-Terpyridin (tpy) und Liganden wie L1,L2 und L3 (Abbildung 3).7,8 Hierbei liegt der Vorteil bei der leichten Funktionalisierung der Triazolliganden durch die Klick-Methode. Die cyclometallierte Form von L4 wurde in Kombination mit Iridium(III) verwendet.9
Elektrochemische und UV-Vis-spektroskopische Untersuchungen von Ruthenium(II)-/Iridium(III)- sowie Palladium(II)-/Platin(II)- Kom plexen zeigten, dass die p*-LUMOs der Liganden L1 bis L3 energetisch höher liegen als bei ihren bpy- und tpy-Analoga.7,8) Iridium(III)-Komplexe mit dem cyclometallierten Liganden L4 (Abbildung 4) zeigen spektroskopische Blauverschiebung im Vergleich zu ihren Phenylpyridin-Gegenspielern. Dies stimmt überein mit den höher liegenden p*-LUMOs der Triazole im Vergleich zu den Pyridinen. Die Emissionsenergien dieser Komplexe hängen von den Substituenten am Ligand L4 ab.9)
Iridium(III)-Komplexe mit L1 und substituierten Phenylpyridinen (Abbildung 4) sind blaue Emitter. Solche Komplexe wurden für licht emittierende elektrochemische Zellen vorgeschlagen, weil sie die kurzwelligste Emission in Verbindung mit der schnellsten Ansprechzeit aufweisen, die bis heute für Iridiumkomplexe bekannt sind.10
Ruthenium(II)-Komplexe mit L1 wurden als Sensibilisatoren in Farbstoffsolarzellen verwendet.11


<h2>Supramolekulare Verbindungen</h2>
Der modulare Ansatz der Klick-Reaktion ermöglicht es, Liganden darzustellen, die supramolekulare Strukturen entweder durch schwache nicht-kovalente Wechselwirkungen oder durch gezielte Bildung kovalenter Bindungen unterstützen.
Aus diesem Grund dienten Liganden wie L6, L7 und L8 (Abbildung 5) bereits dazu, supramolekulare Verbindungen darzustellen, indem sie kovalente Wechselwirkungen mit Kupfer(I), Kupfer (II) und Silber(I) ausbildeten.12 In Palladium(II)-Komplexen mit L1 (R = Cyclohexyl) entsteht eine Fernordnung durch starke Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den C-H-Gruppen der Triazol- und Cyclohexylringe und Chloridliganden des Metallzentrums.13


<h2>Koordinationsambivalenz und magnetische Bistabilität</h2>
Cobalt(II)-Komplexe mit den tripodalen Liganden L5 (R = Benzyl) zeigen ein ambilvalentes Koordinationsverhalten, bei dem sich der Koordinationsmodus der Liganden von “2 Triazole + 1 Amin” zu“3 Triazole” ändert (Abbildung 6, S. 940). Diese Koordinationsambivalenz ist mit einer Änderung des Spinzustands des Metallzentrums verbunden: Das oktaedrisch koordinierte Cobalt(II)-Zentrum geht von einem Low-Spin(LS)- in einen High-Spin(HS)-Zustand über.
Die Metall-Ligand-Bindungslängen in Verbindung (1) sind typisch für Jahn-Teller-verzerrte LS-d7-Cobalt(II)-Zentren. (1) zeigt einen Spin-Crossover (SCO) nahe Raumtemperatur.14 Überraschenderweise bleiben alle anderen Komplexe, die sich von (1) lediglich durch die Substituenten an den Triazolringen unterscheiden (z. B. Cyclohexyl oder n-Butyl), über den gesamten untersuchten Temperaturbereich im High-Spin-Zustand. Eine Analyse der Kristallstruktur von (1) offenbart eine starke intramolekulare C-H···p-Wechselwirkung zwischen zwei Liganden L5 (R = benzyl) am selben Metallzentrum (Abbildung 6 unten). Diese schwache sekundäre Wechselwirkung innerhalb der Koordinationssphäre ist die treibende Kraft des Spin-Cross overs. Somit demonstrieren diese Beispiele den einzigartigen Fall eines SCO in einem Cobalt(II)-Komplex, der weder auf starren Ligandenstrukturen noch auf Packungseffekten beruht, wie es für Komplexe mit tpy bekannt ist.15 Stattdessen entsteht er durch schwache Wechselwirkungen innerhalb der sekundären Koordinationssphäre des Metallzentrums.
Auch Eisen(II)-Komplexen mit Liganden vom Typ L3 können eine temperaturinduzierte Änderung des Spinzustands durchlaufen.16


<h2>Anomale Carbene und Katalyse</h2>
Die Alkylierung und anschließende Deprotonierung von 1,2,3- Triazol ringen führt zu anomalen oder mesoionischen Carbenen (aNHC) (Abbildung 7, S. 940).17 Erste Studien mit Rhodium(I) und Iridium(I) lassen erkennen, dass aNHCs ausgezeichnete r-Donoren sind. Ihre Donorfähigkeit liegt im Bereich der bekannten und oft verwendeten N-heterocyclischen Carbene oder ist sogar besser.17,18 Deshalb wurden die Anwendungsmöglichkeiten von Metallkomplexen solcher aNHCs für homogenkatalytische Prozesse getestet (Abbildung 8):
Es zeigte sich, dass Palladium(II)-Komplexe der aNHC-Liganden ausgezeichnete Katalysatoren für die Suzuki-Miyuara-Kupplung sind.19
Kupfer(I)-Komplexe der aNHCs katalysieren auf effiziente Weise die Klick-Reaktion. Im Vergleich zu traditionell genutzten Klick-Bedingungen sind hier kürzere Reaktionszeiten und geringere Katalysatorkonzentrationen möglich. Zusätzlich können mit CuI-aNHC-Komplexen als Katalysatoren interne Alkine und sterisch anspruchsvolle Azide umgesetzt werden — allesamt Edukte, die in der Klick-Reaktion als schwierige Substrate gelten.20
Iridium(III)-Komplexe mit aNHCs wurden als wirksame Katalysatoren für die Wasseroxidation identifiziert.21 Ihre Wirksamkeit hängt mit den ausgezeichneten Donoreigenschaften der aNHCs zusammen.
Aktuelle Arbeiten berichten von Ruthenium(II)-aNHC-Komplexen, die in unterschiedlichen Oxidationsreaktionen und oxidativen Kupplungen katalytisch aktiv sind.22


<h2>Ausblick</h2>
Das relative junge Forschungsgebiet der Klick-Cycloadditionsreaktionen hat bereits einen wesentlichen Beitrag zur Darstellung neuer funktioneller Liganden und Metallkomplexe geleistet. Wie es bei neu entstehenden Forschungsfeldern typisch ist, standen bei den Anfangsarbeiten grundlegende Fragen im Mittelpunkt. Das Erwachsenwerden des Gebiets geht jedoch mit der Entwicklung vieler funktioneller Metallkomplexe mit verblüffenden Eigenschaften einher.
Die Zukunft dieses Forschungsgebiets verspricht neue Entdeckungen für magnetische und optoelektronische Materialien, die Synthese neuer supramolekularer Verbindungen mit spezifischen Funktionen sowie Fortschritte bei homogenen und heterogenen katalytischen Prozessen.
Literatur:


— — — Die Kupfer(I)-katalysierte Cycloadditionsreaktion zwischen Aziden und Alkinen ermöglicht es, sehr viele Liganden mit verschiedensten Funktionalitäten darzustellen.
Metallkomplexe dieser Liganden eignen sich für die Erforschung von Elektrolumineszenz und magnetischer Bistabilität sowie für die Homogenkatalyse.
Dank der unkomplizierten Variation des Ligandengerüstes besitzt diese Verbindungsklasse ein viel größeres Anwendungspotenzial als manche der bekannten Ligandenfamilien.


— — — Biprajit Sarkar, Jahrgang 1977, ist Habilitand und Leiter einer Arbeitsgruppe an der Universität Stuttgart. Seine Forschungsinteressen: Synthese und Charakterisierung von Metallkomplexen chinoider und stickstoffreicher Liganden sowie Erforschung ihrer Anwendungsmöglichkeiten. <a href="mailto:iacbipro@iac.uni-stuttgart.de">iacbipro@iac.uni-stuttgart.de</a> David Schweinfurth, Jahrgang 1985, ist Doktorand im Arbeitskreis von Sarkar. In seiner Forschung befasst er sich mit der Synthese neuer stickstoffreicher Liganden (unter anderem mit der Klick-Reaktion) sowie der Untersuchung ihrer Metallkomplexe für magnetische Bistabilität. Naina Deibel, Jahrgang 1983, promoviert seit Juli 2010 an der Universität Stuttgart im Arbeitskreis von Sarkar. Sie arbeitet an der Entwicklung neuer chinoider Liganden und anomaler Carbenliganden auf Triazolidenbasis und deren Metallkomplexe für die H2-Aktivierung. Fritz Weißer, Jahrgang 1985, promoviert seit Mitte 2010 im Arbeitskreis Sarkar. Dabei erforscht er die Darstellung und Charakterisierung von Metallkomplexen chinoider und Klick-basierter Liganden für die Aktivierung kleiner Moleküle.



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