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<p>“Ich bin ein mickriger Verlierertyp — kann die Chemie mein Leben verbessern?” Eine solche Frage an den Kummerkasten einer drittklassigen Wartezimmerzeitschrift mag die Entstehung des Films “Hauptsache die Chemie stimmt” (Originaltitel: Better living through chemistry) inspiriert haben. Zumindest würde diese Entstehungsgeschichte erklären, dass die meisten Kritiker nur ein Kopfschütteln übrig hatten für das Voiceover im Film, also den Kommentar einer unsichtbaren Person. Hier erledigte das Jane Fonda (deutsche Stimme: Judy Winter). Sie ist einfach die Postillen-Ratgeberin, deren Antwort etwas zu lang geraten ist.</p>


<h2>Liebesleben</h2>
<p>Also, versuchen wir einmal, die Antwort etwas kürzer zusammenzufassen. Um für ein hypothetisches soziales Experiment genügend Wirkstoffe zur Verfügung zu haben, vertrauten die Filmemacher Geoff Moore und David Posamentier, die gemeinsam die schwere Verantwortung für Drehbuch und Regie übernahmen, ihrem glücklosen Protagonisten eine Kleinstadtapotheke an. Zunächst weiß er mit dieser verantwortungsvollen Position nicht viel anzufangen und erfreut sich nur im Stillen an den intimen Informationen, die er dabei über seine Mitbürger sammelt.</p>
<p>Bei einer abendlichen Lieferung stößt der Apotheker auf eine attraktive Frau, die ihren erheirateten Reichtum mit chronischer Langeweile bezahlt hat: Olivia Wilde, die als Ärztin in der US-amerikanischen Fernsehserie Dr. House zu sehen war. Sie kommt auf die Idee, dem öden Apotheker, der für alle Leute eine Lösung oder ein Pülverchen parat hat, außer für sich selbst, auf die Sprünge zu helfen. Sie bringt ihn mit den Wirkstoffen in seinem Regal auf Touren und damit ein wenig Schwung in sein Leben und in den Kleinstadtalltag.</p>
<p>Das Liebesleben wird aufgepeppt und die Stimmung aufgehellt. Die ehemals schlaffen Haare unseres Helden ragen plötzlich steil gen Himmel. Der mickrige Apotheker verschafft sich Respekt bei seiner Ehefrau und seinem Sohn und klettert von der untersten Stufe der sozialen Hackordnung zu einer höheren. Dort muss er nur noch den Inspektor fürchten, der kommt, um seine Geschäfte zu kontrollieren.</p>


<h2>Drogenmoral</h2>
<p>Verstörend wird der Film, wenn man sich anschaut, wer für seine Gesetzesübertretungen bestraft wird und wer ungeschoren davonkommt. Nach diesem moralischen Maßstab ist der großformatige Missbrauch verschreibungspflichtiger Medikamente vollständig in Ordnung, gerne auch in Verbindung mit starken alkoholischen Getränken, aber der Hasch rauchende Gehilfe muss für seine Vergehen büßen und bekommt postum auch noch die Missetaten seines Chefs angehängt. Eine schöne Drogenmoral ist das.</p>
<p>Was also sollen wir aus dem Film lernen? Die Stimme aus dem Off und die schöne Verführerin wollen uns eintrichtern, dass es im Produktspektrum der Pharmaindustrie für jedes Problem eine Lösung gibt. Wenn der Apotheker sich an sein Berufsethos erinnert und auf Dosisbegrenzungen, Risiken und Nebenwirkungen hinweist, macht er sich lächerlich.</p>
<p>Diese beschönigende Werbebotschaft brachte manche Kritiker auf die Idee, dass der ganze Film nur der Schleichwerbung für die erwähnten Medikamente dient. Aber würde die Pharmabranche ihre treuen Verkäufer, die an vorderster Front ihre Produkte an den Mann und an die Frau bringen, derart lächerlich machen und in Verruf bringen? Bleibt als Moral von der Geschichte festzuhalten: Hauptsache die Chemie stimmt, und es ist genug davon da.</p>
<p>Michael Groß, <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.michaelgross.co.uk" target="_blank">www.michaelgross.co.uk</a></ext-link></p>


<h2>Wohnwelten</h2>
<p>Wissen Sie, wer hier hauste — Verzeihung — arbeitete? Wenn Ihnen das Brötchen, der Laborkittel, die Hundefotos, das Tafelbild, der Stapel <i>Analytical and Bioanalytical Chemistry</i>, der mehrfache <i>Chemanager</i>, die <i>Angewandte Chemie</i>, das Programm der Processnet 2011, die FAZ, der Sattel- und Lederbalsam sowie der “Grosse Illustrierte Weltatlas” nicht weiterhelfen, lesen Sie die Antwort auf Seite 469.</p>



Hauptsache, die Chemie stimmt

“Ich bin ein mickriger Verlierertyp — kann die Chemie mein Leben verbessern?” Eine solche Frage an den Kummerkasten einer drittklassigen Wartezimmerzeitschrift mag die Entstehung des Films “Hauptsache die Chemie stimmt” (Originaltitel: Better living through chemistry) inspiriert haben. Zumindest...


<p>Es muss ja nicht immer so rabiat zugehen wie in der Fernsehserie “Breaking Bad”[<i>Nachr. Chem.</i> 2011, 59, <i>427</i>, 621 und 2014, <i>62</i>, 428]. Dort löst der Chemielehrer und Drogenkoch Walter White die Leiche eines Konkurrenten in Flusssäure auf — und wegen seines chemisch weniger beschlagenen Komplizen auch noch die Badewanne und den Fußboden. Offensichtlich handelte es sich um spezielle Fernsehflusssäure — mit der gewöhnlichen hätte wohl weder das eine noch das andere funktioniert.</p>


<h2>Kein Balsam für die Umwelt</h2>
<p>In den meisten Fällen ist das Ziel der chemischen Behandlung eines Körpers, die Leiche zu erhalten. Einbalsamierer verwenden heute meist Formaldehydlösungen: Die Carbonylverbindung reagiert mit den reichlich vorhandenen Aminen der Biomoleküle und bildet stabilisierende Quervernetzungen. Daneben enthalten die Balsamierungsflüssigkeiten andere Stoffe, etwa Basen, die den als Zwischenprodukten entstehenden Iminen das nötige alkalische Milieu garantieren, und selbstverständlich Farbstoffe für den Teint. Nur weil man tot ist, muss man heutzutage noch lange nicht aussehen wie eine Leiche.</p>
<p>Die Substanzen zum Einbalsamieren sind leider nicht allzu umweltfreundlich. Wie auch? Schließlich sollen sie die Umwelt und vor allem ihre Pilze und Bakterien daran hindern, den Körper unästhetisch zu zersetzen, bevor sich der Sargdeckel für immer schließt. Das wird zum Problem, wenn Körper und Sarg erst einmal unter der Erde sind. Dann nämlich soll der Verstorbene möglichst bald zu Erde zerfallen.</p>
<p>Einbalsamierer der Antike halfen diesem Vorgang übrigens noch chemisch nach — der Begriff Sarkophag (Abbildung 1) bedeutet “Fleischverzehrer” und bezeichnete ursprünglich nicht die letzte Ruhestätte, sondern ein Gestein: Alaunschiefer aus Kleinasien kam mit ins Grab, um die Verwesung zu beschleunigen: Die Oxidation des enthaltenen Pyrits erzeugt ein saures Milieu, die den Leichnam quasi schon anverdaut. Binnen 40 Tagen seien nur noch die Zähne übrig, schrieb der antike Chronist Plinius der Ältere.<sup>1</sup></p>
<p>Im Fall einer mit Formaldehyd konservierten Leiche gelingt dies nicht. Im Gegenteil, heutzutage ist sogar zu fürchten, die Konservierungsmittel im Grundwasser wiederzufinden. Deswegen gilt es als umweltfreundlicher, den Körper zu verbrennen.</p>


<h2>Verbrannt oder getrocknet</h2>
<p>Die anorganischen Materialien, die sich in uns modernen Menschen ansammeln, sind nicht von schlechten Eltern. Amalgamfüllungen mit Quecksilber zum Beispiel dürften in den letzten 50 Jahren einen ganz erheblichen Beitrag zur Quecksilberbelastung der Umwelt geleistet haben: Im Jahr 1994 berechneten japanische Forscher, dass ein von ihnen untersuchtes Krematorium jährlich fast zehn Kilogramm reines Quecksilber abgab.<sup>2</sup></p>
<p>Selbst mit moderner Filtertechnik ist das Verbrennen also nicht der Weisheit letzter Schuss. In den letzten Jahren ist deswegen die Meeresbiologin Susanne Wiigh-Mäsak mit einer Idee auf den Plan getreten: Ihre Firma Promessa will Tote gefriertrocknen und in Granulat verwandeln. Erfahrene Laborbewohner wissen: Eine Rose in flüssigen Stickstoff wird spröde und lässt sich leicht zerbröseln. Das ist auch die Idee bei der Promessa-Methode — das Granulat ist dann zu kompostieren.</p>
<p>Inzwischen allerdings regt sich weithin der Verdacht, dass das alles nicht so recht funktioniert und auch stickstoffgekühlte Leichen nicht so einfach zu Granulat zerfallen. Außerdem ist nicht herauszufinden, wie aus dem oft umweltschädlichen Ausgangsmaterial der schadstofffreie Biohumus wird. Dem Unternehmen sind zuletzt diverse Investoren verloren gegangen. Es heißt, die Erfinderin des Verfahrens sehe sich als Opfer der Krematoriumsmafia.</p>


<h2>Der lange Weg zur Plastination</h2>
<p>Bleibt also nur noch, die verstorbenen Angehörigen dauerhaft zu lagern, so dass die enthaltenen Umweltgifte für immer dem Kreislauf entzogen sind. Wie das ging, wussten schon die alten Ägypter (Abbildung 2): Der Körper wird mit Natron entwässert und dann mit antibakteriell wirkenden Harzen und Essenzen fit für die Ewigkeit gemacht. Das hat auch ausgezeichnet funktioniert, wie die stattliche Reihe leiblich erhaltener Ägypter — samt ihrer Haustiere — belegt. Der einzige Nachteil des Verfahrens ist, dass die Körper nach der Prozedur aussehen wie ein Stück Pökelfleisch.</p>
<p>Moderne Einbalsamierungsverfahren sind da meist schonender. Auch sie verwenden Formaldehyd, Alkohol, Glykole und einige andere Substanzen, um zu verhindern, dass der Körper austrocknet oder sich zersetzt. Allerdings halten auch die neuen Verfahren der dauerhaften Konservierung nicht ewig. Prominentes Beispiel ist der sowjetische Revolutionsführer Wladimir Iljitsch Lenin, der inzwischen seit fast einem Jahrhundert in seinem Mausoleum ruht (Abbildung 3). Als der Sarg samt Inhalt während des zweiten Weltkriegs evakuiert wurde, mussten die Wissenschaftler zu ihrem Entsetzen feststellen, dass die Prozedur analog zum Sozialismus Leninscher Prägung nicht ganz so funktioniert hatte, wie erhofft, — und den vermeintlich für die Ewigkeit bewahrten Körper aufwendig restaurieren. Seither hat die Technik zwar Fortschritte gemacht, aber damit ein einbalsamierter Körper über Jahrzehnte ansehnlich bleibt, muss man ihn mit großem Aufwand regelmäßig pflegen.</p>
<p>Wirklich Abhilfe schafft da nur die Plastination, entwickelt vom Anatomen Gunter von Hagens: Dabei ersetzt Aceton im ersten Schritt Wasser und Fett. Im zweiten Schritt kommt das Aceton im Vakuum raus und eine flüssige Mischung eines Silanol-funktionalisierten Polydimethylsiloxans rein. Das gelingt mit einem Katalysator auf Zinnbasis. Anschließend bringt der Plastinator das Präparat in Form und härtet den Silikonkautschuk mit Tetraethoxysilan-Dampf.<sup>3</sup></p>


<h2>Rußiges Funkeln</h2>
<p>Wer die Ordnung des Kristalls der wilden Mischung aus Polymeren vorzieht — auch für den gibt es eine Begräbnisvariante. Für einen kleinen Obolus lässt sich ein Körper zum Diamanten pressen — ein echter Abgang mit Ewigkeitswert, allerdings mit Haken. Zuerst einmal muss man sich ja doch kremieren lassen, denn der Diamant wird aus Asche hergestellt. Moment mal, denkt der Chemiker hier, die Asche besteht doch aus anorganischen Salzen, nicht aus Kohlenstoff? Genauso ist es, und deswegen geht dem reinen Schmuckstein notwendigerweise eine unvollständige Verbrennung voraus. Wer am Ende funkeln will, muss zuerst einmal ordentlich rußen.</p>
<p>Der Chemiker Lars Fischer ist freier Mitarbeiter der Nachrichten aus der Chemie. <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.scilogs.de/fischblog" target="_blank">www.scilogs.de/fischblog</a></ext-link></p>



<ul>
<li>
<sup>1 </sup>

Gaius Plinius Secundus, Naturalis Historia. Nr. 36, 27.
</li>
<li>
<sup>2 </sup>

 
M. Yoshida, 
T. Kishimoto, 
Y. Yamamura et al., 
<source>Jpn. J. Public Health 
(1994), 
41, 
618. <ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://europepmc.org/abstract/MED/7919469/reload=0;jsessionid=Muxwqqrea7HEMCAWxPWU.2" target="_blank">http://europepmc.org/abstract/MED/7919469/reload=0;jsessionid=Muxwqqrea7HEMCAWxPWU.2</a></ext-link>
</li>
<li>
<sup>3 </sup>

 
P. Chaynes, 
A. F. Mingotaud, 
<source>Surg. Radiol. Anat. 
(2004), 
26, 
235.
</li>
</ul>


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