Bildung & Gesellschaft

<p>Stehempfang bei einer Konferenz. Während ich meine Augen nach Gesprächspartnern offen hielt, beobachtete ich, wie eine Doktorandin selbstsicher auf einen Professor zuschritt, der alleine an der Bar stand. „Darf ich mich vorstellen?“, waren ihre ersten Worte, während sie ihm die Hand entgegenstreckte. Während des Händedrucks nannte sie ihren Namen und ihr Institut. Der Professor erwiderte mit einem Lächeln und hörte aufmerksam zu. Der Name ihrer Doktormutter schien bei dem Gesprächspartner nur Fragezeichen auf der Stirn zu hinterlassen, das Forschungsgebiet wurde nicht erwähnt. „Ich habe bereits viele Ihrer Publikationen gelesen, und Ihre Arbeit interessiert mich sehr“, fuhr die Doktorandin fort, ohne zu sagen, was es denn nun sei, das sie so faszinierte. Immer noch lächelte der Professor, ohne zu wissen, in welche Richtung die Unterhaltung gehen würde. „Ich werde meine Promotion in den nächsten Monaten abschließen und würde gerne wissen, ob in Ihrem Labor eine Postdoc-Stelle frei wird?“ Die Stirn des Zuhörers legte sich in Falten. Seine Neugierde wich umgehend einem Fluchtreflex. „Derzeit leider nicht, aber Sie können gerne nach Stellen auf meiner Homepage Ausschau halten.“, sagte er und verabschiedete sich mit einem Nicken. Die Doktorandin schien zu ahnen, was das bedeutet.</p><p>Für mich war die Unterhaltung instruktiv. Gutes Netzwerken verläuft meist in drei Phasen: 1. Sichtbarkeit, 2. Glaubwürdigkeit und 3. Profit. Zuerst müssen Sie also gesehen werden, Sie müssen irgendwie aus einer Menge an Leuten herausstechen. Dafür gibt es viele Möglichkeiten, etwa mit einer Präsentation oder, wie es die Doktorandin getan hatte, indem Sie sich vorstellen. Danach sollte eine Phase folgen, in der Sie Ihre Glaubwürdigkeit unterstreichen: Ihr Gesprächspartner sollte Sie als professionell und interessant wahrnehmen. Je nach Herkunft der Gesprächsteilnehmer und Situation dauert diese Phase unterschiedlich lange – manchmal Jahre. Erst nach dieser Phase können Sie zur letzten Phase übergehen und das Ziel Ihrer Unterhaltung ins Visier nehmen. Jetzt können Sie sich nach freien Stellen erkundigen oder eine Zusammenarbeit vorschlagen. Wenn wir zu schnell auf unseren Profit abzielen, dann nerven wir schlicht. Wenn wir hingegen Phase 3 weglassen und hoffen, dass wir entdeckt werden, dann sitzen wir in der Dornröschenfalle. Der Erfolg der Doktorandin wäre also möglicherweise größer gewesen, hätte sie sich über Phase 2 Gedanken gemacht.</p><p>Karin Bodewits ist Biochemikerin, Autorin, Seminarleiterin und Mitgründerin von Naturalscience Careers, eines Unternehmens für Karriereberatung und Soft-Skill-Seminare für Naturwissenschaftler. Für die Nachrichten aus der Chemie schreibt sie über Erfahrungen aus ihrer Tätigkeit. k.bodewits @<a href="https://naturalscience.careers" target="_blank">naturalscience.careers</a></p><div><img src="https://media.graphcms.com/hNRmxLGGR6OdK535Z5Np">

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Meldung

Karrierekolumne:Sichtbarkeit, Glaubwürdigkeit und dann erst Profit

Stehempfang bei einer Konferenz. Während ich meine Augen nach Gesprächspartnern offen hielt, beobachtete ich, wie eine Doktorandin selbstsicher auf einen Professor zuschritt, der alleine an der Bar stand. „Darf ich mich vorstellen?“, waren ihre ersten Worte, während sie ihm die Hand entgegenstrec...

<p>Die Biochemikerin und Journalistin Sarah Everts ging im Jahr 2007 von Washington nach Berlin, um für US-Leser über europäische Wissenschaft zu berichten. Nun verlässt sie Europa. Ein Rückblick auf Geschichten aus dem 20. Jahrhundert, über den ehemaligen Ostblock und deutsche Umgangsformen.</p>
<p>Anfang des Jahres 2007 schrieb Rudy Baum, damals Chefredakteur der Chemical &amp; Engineering News (C&amp;EN), eine E-Mail an seine Mitarbeiter: Der Europa-Korrespondent der Zeitschrift hatte gekündigt, und Baum suchte einen Nachfolger. Keine 15 Sekunden später stand Sarah Everts in seinem Büro, um sich zu bewerben. Die junge Kanadierin hatte gerade als Reporterin bei der C&amp;EN angefangen und war nach Washington D.C. gezogen. Er habe erwartet, dass sie sich meldet, meinte Baum, „aber nicht so schnell.“</p><h2>Etwa Neues</h2><p>„Ich fand die Gelegenheit gut,“ meint Sarah Everts, „ich war nicht verheiratet, besaß kein Haus, hatte nichts, was mich zurückhielt.“ Sie hat nun zehn Jahre von Berlin aus für die Mitgliederzeitschrift der American Chemical Society berichtet. Was US-Chemiker über den Mauerfall, Wissenschaftler an Max-Planck-Instituten und die Rolle der Chemie zur Erhaltung europäischer Kulturgüter wissen, haben sie von Sarah Everts erfahren. Sie schrieb über die Untiefen des deutschen Strafrechts, wenn ausländische Wissenschaftler sich Dr. statt Ph.D. nennen, recherchierte über Chemiker im Dritten Reich und erfragte, wie Pflanzen über flüchtige Botenstoffe kommunizieren. Aktuell schreibt sie ein Buch über Schweiß, reiste dafür zu einer Tagung nach Lappland und besuchte das Parfümarchiv Osmothèque in Paris.</p><p>Im Januar verlässt sie Europa und übernimmt an der Carleton-Universität in Ottawa den Lehrstuhl für Wissenschaftsjournalismus. In der kanadischen Hauptstadt studierte sie selbst Journalismus, nachdem sie in Guelph ein Bachelorstudium in Biophysik und in Vancouver ein Masterstudium in Biochemie absolviert hatte.</p><h2>Alles über Naturwissenschaften</h2><p>Bereits während des Bachelorstudiums bekam Sarah Everts die Gelegenheit, in den Sommermonaten in einem Labor an Forschungsprojekten mitzuarbeiten, über Prostatakrebs, Proteinfaltung oder Ionenkanäle. „Zu Beginn jedes Sommers freute ich mich darauf, arbeitete mich in die Literatur ein“, erinnert sie sich. „Und jedes Mal langweilte mich vier Monate später die Forschung.“ Sie wollte nicht im Labor das gleiche Experiment zigfach wiederholen, aber alles über Naturwissenschaften erfahren – gute Voraussetzungen für den Beruf als Wissenschaftsjournalistin.</p><p>Nach dem Journalismusstudium arbeitete Sarah Everts zunächst für den kanadischen Rundfunk, beim Fernsehen und schrieb für Zeitschriften wie Scientific American und New Scientist, bis sie im Jahr 2006 zur C&amp;EN kam.</p><h2>Nahe am alten Osten</h2><p>Dass die Europa-Korrespondentin der C&amp;EN von Berlin aus berichten würde, stand im Jahr 2007 noch nicht fest. Sarah Everts Vorgänger, Michael Freemantle, arbeitete von London aus wie heute Alex Scott, der für das US-Publikum die chemische Industrie in Europa beobachtet. Aber die American Chemical Society wünschte sich noch einen Reporter auf dem Kontinent. München und Zürich waren im Gespräch, „Brüssel und Paris hätten auch gepasst,“ sagt Everts, sie stammt aus Montreal und spricht Französisch. Barcelona hätte ihr ebenfalls gefallen.</p><p>Die Sprache spielte dann keine Rolle, die C&amp;EN entschied sich für Berlin, verkehrsgünstig mitten in Europa, mit Flughafen und Bahnanbindung, nahe am ehemaligen Ostblock.</p><p>Es sei aus vielen Gründen sinnvoll, als Wissenschaftsautorin von Berlin aus zu arbeiten, betont Sarah Everts: „Zuallererst ist Berlin eine tolle Stadt.“ Dann gebe es dort wie überall in Deutschland gute Forschung, „und es ist Regierungssitz. Wenn ich die Forschungspolitik beobachten möchte, sind hier meine Quellen.“</p><h2>Linguistik und akademische Traditionen</h2><p>Als sich herausstellte, dass Sarah Everts nach Berlin gehen würde, war sie begeistert von der Idee, Deutsch zu lernen. Das stellte sich – abseits von den Kursen am Goethe-Institut – als nicht so einfach heraus: „Jeder mit dem ich rede, wechselt sofort ins Englische.“ Jeder wolle seine Sprachkenntnisse praktizieren. Das änderte sich erst, als sie ihren Mann kennen lernte: Dessen Eltern sprechen eben kein Englisch.</p><p>Mit ihren zunehmenden Sprachkenntnissen kam ein kulturelles Dilemma: Wie sollte Everts die deutschen Wissenschaftler, mit denen sie bisher auf Englisch kommuniziert hatte, auf Deutsch ansprechen? Im Englischen ist es üblich, sich mit dem Vornamen anzureden. Ihre Gesprächspartner nun mit dem Nachnamen anzusprechen, war ihr unangenehm. Das „Du“ kam ihr in der deutschsprachigen Umgebung aber auch nicht über die Lippen. „Ich entschied mich, beim Vornamen zu bleiben, aber zum „Sie“ zu wechseln.“</p><p>Den europäischen und insbesondere den deutschen Wissenschaftsbetrieb empfindet Sarah Everts immer noch als seltsam hierarchisch. „Ich denke, es ist ungut, wenn sich ausgezeichnete Wissenschaftler unter Druck fühlen zu habilitieren, weil sie befürchten, ihre Publikationen in Science, Nature, Jacs oder der Angewandten könnten für eine akademische Karriere nicht reichen. Dabei geht Zeit und Energie für einen überflüssigen Abschluss drauf.“</p><h2>Chemie und die Geschichte des 20. Jahrhunderts</h2><p>In Berlin finden sich reichlich wissenschaftshistorisch bedeutende Orte. Dazu zählt Sarah Everts die Spandauer Zitadelle, in der das Dritte Reich ein Heeresschutzgaslaboratorium für die Tabunforschung unterhielt, und die Temmler-Werke, die im Zweiten Weltkrieg Methamphetaminpräparate für die Wehrmacht herstellten.</p><p>„Die chemiehistorischen Themen, über die ich geschrieben habe, fanden bei Lesern in den USA unglaublich Anklang“, fiel ihr auf. Über die Chemie und ihre Rolle im Dritten Reich hat Everts ebenso berichtet wie über den Ersten Weltkrieg, über den eine ganze Artikelserie entstanden ist. Dazu setzte sie sich intensiv mit Fritz Haber auseinander, seinem Leben und seiner Rolle im Gaskrieg, reiste nach England, um Fritz Habers 96-jährige Tochter Eva zu interviewen, die drei Monate später starb. „Man muss sich das vorstellen“, sagt Everts, „er war ein Wissenschaftler, der durch seine Arbeit half, Milliarden Menschen satt zu machen, und ebenso Millionen Menschen durch sein Engagement für die chemische Kriegsführung schadete.“</p><p>Eine andere Geschichte, die Sarah Everts in Erinnerung behalten wird, war ein seitenlanger Artikel über Wissenschaftler aus der DDR. Mehr als 20 Jahre nach dem Mauerfall hatte sich Everts auf die Suche nach ihnen gemacht und sechs porträtiert. Eine von ihnen ist Beate Koksch, die in der DDR zunächst nicht Chemie studieren durfte und heute Professorin für organische Chemie an der FU Berlin ist, ein anderer Uwe Rosenthal, den die Stasi „Nickel“ nannte, und dessen wissenschaftliche Karriere in der DDR stoppte, als sein Mentor nach einer Reise in den Westen nicht zurückkehrte. „Diese Leute haben mir Einblicke in ihren Lebensweg gewährt,“ erzählt Everts, „und dafür bin ich dankbar.“</p><p>Auf ihrer neuen Stelle als Professorin wird Sarah Everts vor allem lehren, was ihr viel Freude macht, und die Gelegenheit nutzen, sich ausführlicher mit Wissenschaftskommunikation auseinanderzusetzen. Sie hofft, weiter Zeit fürs Schreiben zu finden. Die Arbeit als Reporterin wird sie vermissen, sagt sie.</p><p>Nachrichten-Redakteurin Frauke Zbikowski traf Sarah Everts in Berlin.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/UIEaI7ZyT6SucKjuSF9w"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Wissenschaftsreporterin Sarah Everts, noch in Berlin.</figcaption></figure>


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Karrierekolumne:Sichtbarkeit, Glaubwürdigkeit und dann erst Profit

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