Industrie & Technik

Der Meyer-Galow-Preis für Wirtschaftschemie geht an die Entwickler eines Zweikomponenten-Polyurethanstrukturklebers für die Automobilindustrie.
Andreas Lutz und Stefan Schmatloch von Dow Automotive Systems entwickelten einen Zweikomponenten-Polyurethanstrukturklebstoff. Er härtet je nach Temperatur zeitlich variabel aus und eignet sich so für Großserienfertigung und Reparaturen. Ausbalancierte Weich- und Hartsegmente – ein Beispiel wären flexible Polyethylenglykolketten zwischen steifen Urethaneinheiten – liefern hohe Elastizität und Bruchdehnung. Damit lassen sich Faserverbundwerkstoffe wie kohle- und glasfaserverstärkte Kunststoffe beispielsweise mit Stahl und Aluminium verkleben. Dies ist notwendig im Fahrzeugleichtbau. Zurzeit wird der Klebstoff in Elektrofahrzeugen eingesetzt.<figure><img src="https://media.graphcms.com/MbFk8E0PRuWuVSlzWadF"><figcaption><label>Abb. 1: </label>GDCh-Präsident Thomas Geelhaar, mit den Gewinnern Stefan Schmatloch und Andreas Lutz sowie dem Stifter Erhard Meyer-Galow (v.l.).</figcaption></figure>
GDCh-Präsident Thomas Geelhaar würdigte die innovative Chemie der Entwickler und sagte: „Das Dow-Team hat sich mit seinen neuartigen Klebern für Verbundwerkstoffe und durch seine ganzheitliche Betrachtung mit den Partnern aus der Automobilindustrie als Treiber von Leichtbauinnovationen verdient gemacht und damit einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Elektromobilität geleistet.“

Meldung

Klebstoff für den Leichtbau

Der Meyer-Galow-Preis für Wirtschaftschemie geht an die Entwickler eines Zweikomponenten-Polyurethanstrukturklebers für die Automobilindustrie. Andreas Lutz und Stefan Schmatloch von Dow Automotive Systems entwickelten einen Zweikomponenten-Polyurethanstrukturklebstoff. Er härtet je nach Temperat...

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Kurz nachdem Henri Moissan im Jahr 1886 zum ersten Mal reines Fluor hergestellt hatte, beschrieb er bereits Fluorierungen. Aber wie viele nach ihm erhielt er keine verwertbaren Produkte: Fluor war zu reaktiv. Über 50 Jahre später, ab 1942, schuf dann das Manhattan-Projekt mit der Entwicklung der Atombombe die technischen Grundlagen der industriellen Anwendung von Fluor. Aufgrund der sehr hohen Elektronegativität, des hohen Oxidationspotenzials und der teilweise extrem stabilen Produkte nutzen mittlerweile fast alle Gebiete der Chemie Fluor kommerziell.<h2>Atomkraft</h2>Bis heute ist das bedeutendste Produkt, das die Industrie weltweit mit elementarem Fluor herstellt, Uranhexafluorid. Es sublimiert bei 56,5 °C und ist seit den 1940er Jahren die Schlüsselverbindung der Urananreicherung. Hierbei oxidiert elementares Fluor Uran(IV)-fluorid abschließend zu Uran(VI)-fluorid. Im Jahr 2014 wurden weltweit über 56 000 Tonnen Uran produziert1) und anschließend angereichert. Das entspricht einem jährlichen Verbrauch von etwa 8000 Tonnen gasförmigem Fluor – einem Volumen von etwa fünf Millionen Kubikmetern, etwa soviel wie das von zwei Cheopspyramiden.2)<h2>Elektronikindustrie</h2>Die zweitgrößte Anwendung von Fluorgas ist die Synthese von Schwefelhexafluorid direkt aus den Elementen. Dieses Gas ist inert, hat eine sehr hohe Dichte und hervorragende Isolatoreigenschaften. Mit zirka 88 kV·cm−1 hat es eine etwa dreimal höhere Durchschlagsspannung als Luft und wird deshalb in Hochspannungsanlagen verwendet.Schwefelhexafluorid dient außerdem als Schutzgas bei Metallschmelzen oder zur Wärme- und Geräuschdämpfung in Isolierglasfenstern.Andere aus Fluor synthetisierte Verbindungen in der Elektronikindustrie gibt es vor allem bei der Gasphasenabscheidung. Wichtigste Verbindung hier ist Stickstofftrifluorid, das vor allem als Ätzgas in Plasmaprozessen verwendet wird: NF3 zersetzt sich im Plasma, und es entstehen Radikale, die ätzend wirken (NF3 S NF2<private-char name="freerad" description="chemistry free radical"><inline-graphic></inline-graphic></private-char> + F<private-char name="freerad" description="chemistry free radical"><glyph-ref glyph-data="freerad"></glyph-ref></private-char>). Zudem kann durch Rekombination auch F2 entstehen, das ebenfalls ätzend wirkt.Eine direkte Synthese von Stickstofftrifluorid aus den Elementen ist theoretisch machbar, aber sehr aufwendig. Wirtschaftlicher sind katalysierte Synthesen aus Ammoniak oder Ammoniumsalzen und Fluor. Da NF3 das Klima 17 000-fach stärker schädigt als CO2, wird es als Ätzgas immer häufiger durch elementares Fluor ersetzt.Mit Stickstoff verdünntes Fluorgas eignet sich außerdem als Reiniger für Kammern der plasmaunterstützten chemischen Gasphasenabscheidung (PECVD).<h2>Excimerlaser</h2>Fluorgas nimmt bei den Betriebsgasen für Excimerlaser eine wichtige Rolle ein. Diese besonders kurzwelligen UV-Laser verwendet die Fotolithografie, eine zentrale Methode der Halbleitertechnik, die integrierte Schaltungen herstellt. Aufgrund ihrer Wellenlänge erzeugen die Laser dabei Strukturen, die kleiner als 50 nm sind. Zudem führen Chirurgen mit diesen Lasern sehr feine Operationen durch, vor allem an den Augen.Je nach gewünschter Wellenlänge eignen sich Edelgase oder Edelgas-Halogen-Gemische für Excimerlaser. In vielen dieser Gemische reagiert angeregtes Fluor mit den Edelgasen. Es entstehen kurzlebige Verbindungen, die anschließend zerfallen und dabei UV-Strahlen emittieren. Die Fluorkonzentration in solchen Lasergasen liegt normalerweise zwischen 0,5 und 5 Prozent.<h2>Kunststoffoberflächen</h2>Eine unter Chemikern relativ unbekannte, aber industriell verbreitete Anwendung von elementarem Fluor ist die Behandlung von Kunststoffoberflächen.Kunststoffgegenstände sollen optisch und haptisch ansprechend sein, sich gut verkleben lassen und einen geringen Reibwert haben. Die Reibungskoeffizienten fluorierter Kunststoffe liegen bei etwa 0,3.3)Auch soll der Kunststoff nicht durchlässig für seinen Inhalt sein. Günstige Standardkunststoffe stoßen hier oft an ihre Grenzen. Eine Alternative zu höherwertigen Kunststoffen oder anderen Werkstoffen ist es, die Oberflächen von Standardkunststoffen zu modifizieren. Für diese Funktionalisierung hat sich neben anderen Verfahren die Fluorierung mit einem auf 1 bis 20 Prozent stickstoffverdünntem Fluorgasgemisch etabliert. Durch die Reaktion von Fluor mit dem Polymer werden die an das Kohlenstoffgerüst gebundenen Wasserstoffatome durch Fluoratome ersetzt (Abbildung 1). Dabei gibt es zwei grundlegend verschiedene Effekte: Es entsteht eine stark fluorierte, unpolare, chemisch inerte Barriereschicht oder eine leicht fluorierte, polare Oberfläche. Hierdurch ergeben sich bei der stark fluorierten Oberfläche kleinere Diffusionskonstanten für Gase und Flüssigkeiten, die Oberfläche ist beständiger gegenüber Oxidationsmitteln, Laugen und Säuren, und sie hat kleinere Reibwerte. Auf der anderen Seite wird die Oberfläche besser bedruckbar, Klebstoffe haften besser und Wasser benetzt sie stärker. Auf Grund der geringen Fluoreindringtiefe bleiben bei beiden Oberflächen die Eigenschaften des Basismaterials erhalten.Soll das Produkt eine höhere Benetzbarkeit aufweisen, wird dem Fluorgasgemisch häufig bewusst etwas Raumluft zugesetzt. Das senkt deutlich die Reaktionsstärke des Fluors und der gewünschte Effekt ergibt sich durch entstehende polare Hydroxyl- und Carboxylgruppen. Grundsätzlich lässt sich jede Art von Kunststoff oder Kautschuk fluorieren. Allerdings brauchen Verbindungen wie Polyamid, Polyoxymethylen oder Silikon besonders schonende Bedingungen, da die Polymerketten sonst stark abgebaut werden (Abbildung 2).<h2>Fluorierungsverfahren</h2>Für Fluorierungen im industriellen Maßstab entwickelten Forscher bisher zwei Verfahren:Das In-Line-Verfahren fluoriert das Werkteil noch in der Blasform – etwa Autotanks und Kanister. Deren Inneres erhält so direkt nach dem Formen und noch während des Abkühlprozesses bei 200 °C eine Behandlung mit einem Gemisch von 0,5 Prozent Fluor in Stickstoff. Dies reduziert stark die Permeabilität der Tank- oder Kanisterwand für Treibstoff.Beim Off-Line-Verfahren hängen Kunststoffteile vom O-Ring bis zum Öltank auf Gestellen oder liegen als Schüttgut in verschließbaren Kammern. Dort werden sie fluoriert und anschließend mit Luft oder Stickstoff gespült. Mess- und Regeltechnik automatisiert die Fluorierungsprozedur, weshalb kein spezielles Fachpersonal dafür notwendig ist. Solche Anlagen nutzt die mittelständisch geprägte kunststoffverarbeitende Industrie weltweit.Eine Weiterentwicklung dieses Verfahrens besteht darin, Bahnen von Stoffen, Folien und Vliesen durch eine Fluorierungskammer zu führen. Durch frei wählbare Verfahrensparameter lassen sich Eigenschaften einstellen wie Haftung, Hydrophilie oder Hydrophobie sowie glatte und strukturierte Oberflächen.Durch die Oberflächenbehandlung mit Fluor lassen sich heute Kunststoffstoßstangen und Gummidichtungen lackieren sowie die Verklebbarkeit und Haftung von Klettverschlüssen bestimmen; Gummiummantelungen und Silikonteile fühlen sich besser an und Bauteile für Fahrzeuginnenräume lassen sich beflocken (Abbildung 3).<h2>Spezialkunststoffe</h2>Die meisten fluorierten Spezialkunststoffe wie Polytetrafluorethylen (PTFE, zum Beispiel Teflon) entstehen über Syntheserouten mit Fluorwasserstoff als Fluorierungsreagenz. Allerdings behalten Kunststoffe wie Perfluoralkoxypolymere (PFA) oder fluoriertes Polyethylenpropylen (FEP) nach der Herstellung noch thermisch unbeständige Endgruppen wie -COOH, -COF und -CONH2. Die bilden bei der Weiterverarbeitung Blasen oder verfärben das Produkt. Um dies zu vermeiden, behandeln Hersteller die Kunststoffe mit einem 10- bis 25-prozentigen Fluor-Stickstoff-Gemisch (Abbildung 4) und entfernen so die unerwünschten Endgruppen.4)<h2>Organische Chemie</h2>In den letzten Jahrzehnten stieg der Anteil von organischen Verbindungen und Wirkstoffen mit mindestens einem Fluoratom. Die besonderen Eigenschaften des elektronegativen Fluors eignen sich, um Lipophilie, Säure-Base-Eigenschaften, die Stabilität oder die Fähigkeit zur Bildung von Wasserstoffbrückenbindungen einzustellen. Elementares Fluor zersetzt häufig die Moleküle oder macht die Fluorierung unselektiv. Deshalb nutzen Organiker meist spezielle Fluorierungsreagenzien. Trotzdem gibt es seit den 1970er Jahren eine wachsende Zahl an Arbeiten zur direkten Fluorierung organischer Verbindungen und mittlerweile auch erste industrielle Anwendungen.Ein Beispiel ist die Synthese des zyklischen Batterieadditivs Monofluor-Ethylencarbonat, das heute großtechnisch durch Einleiten von fein verteiltem verdünntem Fluor – direkt ohne Lösungsmittel – in Ethylencarbonat entsteht. Der Zusatz von wenig bereits fluoriertem Produkt senkt den Schmelzpunkt des Gemischs und mildert die Reaktion. Die Temperatur der Reaktion bewegt sich hierbei zwischen 20 und 35 °C.5)Ein weiteres Beispiel ist die direkte Synthese von b-Fluoroketoester. Aus dieser Verbindung entsteht letztlich 5-Fluorpyrimidin, eine Zwischenstufe zu einem kommerziell erfolgreichen Fungizid. Die Industrie führt diese Synthese heute im 1000-L-Maßstab durch.6)Eine Reaktionsführung in Mikroreaktoren würde die Zahl der Anwendungen deutlich steigern. Durch kleinste Reaktionskanäle können Hersteller nicht nur die Fluorierungstemperatur präzise kontrollieren, sondern auch die Sicherheit erhöhen. Eine Machbarkeitsstudie im Technikumsmaßstab erreichte am Beispiel der b-Fluoroketoester bereits Produktionsraten von 200 Gramm pro Stunde.7)<figure><img src="https://media.graphcms.com/cdVauSFTTnucW6h5Kskx"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Substitution von Wasserstoff durch Fluor. Dabei bildet sich Fluorwasserstoff. Die Reaktion läuft meist über einen radikalischen Mechanismus. ÄH ≈400 kJ·mol-–1.</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/N49p4zJJSCmvQLxCHzaI"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Effekt der Permeation von Lösungsmitteln durch die Wände von Kunststoffgefäßen. Die linken drei Flaschen sind unfluoriert und haben über einige Wochen an Inhalt verloren, die rechte, fluorierte Flasche zeigt keinen Verlust. Foto: Ellerbrock</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/4IRUHAoiQjCQGgt2Ww8g"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Fluorierungskammer aus dem Jahr 1994. Foto: Feinäugle</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/JOYUTxsmQKHhyxYlEHcr"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Gasflaschen mit Fluor-Stickstoff-Gasgemisch. Nur die größten Fluorverbraucher entscheiden sich zur eigenen Fluorherstellung durch Fluorwasserstoffelektrolyse, die Mehrheit der Abnehmer kauft Fluor(-gemische) in Gasflaschen oder im 12er Flaschenbündel. Foto: Feinäugle</figcaption></figure>
QuergelesenDie Industrie nutzt Fluor, weil es sehr elektronegativ und ein starkes Oxidans ist und extrem stabile Produkte bildet.Werden die Oberflächen von günstigem Kunststoff mit Fluor behandelt, ändern sich die Kunststoffeigenschaften. Sie ähneln dann denen von teureren Materialien.Mit der Fluorierung lassen sich gezielt die Eigenschaften von Stoffen ändern und bestimmen.Mathias Feinäugle ist promovierter (Fluor-) Chemiker und arbeitet im Produktmanagement und in der Entwicklung bei Air Liquide Deutschland. <a href="mailto:mathias.feinaeugle@airliquide.com">mathias.feinaeugle@airliquide.com</a> Rolf van Bonn, Chemotechniker, ist Entwickler für Fluoranwendungen bei Air Liquide Deutschland. <a href="mailto:rolf.vanbonn@airliquide.com">rolf.vanbonn@airliquide.com</a>
<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 World nuclar association, Uranium production figures, 2004–2014, <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.world-nuclear.org/info/Facts-and-Figures/Uranium-production-figures/" target="_blank">www.world-nuclear.org/info/Facts-and-Figures/Uranium-production-figures/</a></ext-link>, aufgerufen im Juli 2015.</li><li>
2 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://www.cheops-pyramide.ch/grosse-pyramide.html" target="_blank">http://www.cheops-pyramide.ch/grosse-pyramide.html</a></ext-link>, aufgerufen am 4.11.2015.</li><li>
3 R. E. Zielinski, M. J. Seabury, Fort Wayne Ind., Pat.: Fluorination Of Articles Molded From Elastomers, US005274049A, 1993.</li><li>
4 K. Ihara, K. Ontani, Y. Nakata, T. Miyatani, Pat.: Tetrafluoropolyethylen copolymer and process preparing the same, US005115038A, 1992.</li><li>
5 O. Boese, K. Peterkord, D. Seffer, Pat.: Verfahren zur Herstellung von 4-fluor-1,3-dioxolan-2-on, WO2004076439A1, 2003.</li><li>
6 S. Elgue, A. Conte, C. Gourdon, Y. Bastard, chim. oggi/Chem. Today, 2012, 30, 18–21.</li><li>
7 University of Durham, Elemental Fluorine for Fine Chemical Manufacture, REF2014 impact case studies, 2013.</li></ul>

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