Bildung & Gesellschaft

Kurz notiert – Wissenschaft und Wirtschaft<h2>Chemische Industrie für Geheimhaltung bei Industriepromotionen</h2>Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) hält es für angemessen, bei Promotionen in Industrielabors Geheimhaltung zu vereinbaren. In dieser Position weicht die Industrie von der Auffassung der Hochschulrektorenkonferenz ab, nach der Geheimhaltungsklauseln den wissenschaftlichen Austausch und die unabhängige Prüfung von Forschungsergebnissen behindern [Nachr. Chem. 2018, 66, 59].<ul><li>
1 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://bit.ly/industrie-promotionen-vci" target="_blank">http://bit.ly/industrie-promotionen-vci</a></ext-link></li><li>
2 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.hrk.de/positionen" target="_blank">www.hrk.de/positionen</a></ext-link></li></ul>
<h2>Karlsruher Institut für Technologie und BASF wollen stärker kooperieren</h2>Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und die BASF verstärken ihre Zusammenarbeit in der Energie- und Mobilitätsforschung. Beide Partner kooperieren seit mehreren Jahren bei der Batterieforschung und betreiben seit 2011 in Karlsruhe ein Gemeinschaftslabor. Ziel der Ende 2017 unterzeichneten Kooperationsvereinbarung ist es, weitere Themen zu identifizieren und gemeinsame Forschungsprojekte zu erleichtern.<ul><li>
3 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.kit.edu" target="_blank">www.kit.edu</a></ext-link></li></ul>
<h2>Hauptgewinn Forschungskooperation</h2>Studierende in höheren Semestern, Doktoranden und Unternehmensgründer können ihre Ideen für Nachhaltigkeit in der Chemieproduktion beim Imagine-Chemistry-Wettbewerb einreichen. Veranstalter ist Akzonobel, bis zum 10. März läuft die Bewerbungsfrist. Zu gewinnen gibt es Forschungs- und Entwicklungskooperationen mit dem Ziel, Produkte oder Verfahren zur Marktreife zu bringen, sowie Beratung und Laborzeit.<ul><li>
4 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.imaginechemistry.com" target="_blank">www.imaginechemistry.com</a></ext-link></li></ul>
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Kurz notiert: Wissenschaft und Wirtschaft

Kurz notiert – Wissenschaft und WirtschaftChemische Industrie für Geheimhaltung bei IndustriepromotionenDer Verband der Chemischen Industrie (VCI) hält es für angemessen, bei Promotionen in Industrielabors Geheimhaltung zu vereinbaren. In dieser Position weicht die Industrie von der Auffassung de...

Als „eine Unterred oder Wechselung zwischen Abwesenden, in der Schrift bestehend“ wird der Brief im Jahr 1673 definiert. In der Chemie dienten Briefe seit dem 19. Jahrhundert dem Abstecken von Fachgebieten, der Organisation der ersten internationalen Fachtagung, der Kritik und der Unterstützung von Freunden und Kollegen.
Die kurze Mitteilung in Schriftform ging um 800 n. Chr. als brevis libellum in den Sprachgebrauch ein. Insbesondere Akademiker tauschten sich über solche Mitteilungen aus. Dieser Gelehrtenbriefwechsel wurde bis ins 17., 18. Jahrhundert lateinisch und streng formal strukturiert geführt.2) Als die Zahl der Wissenschaftler und deren Informationsbedürfnis wuchs, verschickten sie einen Privatbrief oft mehrfach gleichlautend, um alle zu benachrichtigen. Diese Funktion als halb öffentliches Rundschreiben änderte sich erst mit der Gründung von Zeitschriften, etwa der Acta Eruditorum ab 1682 und der Monatsgespräche ab 1688 in deutscher Sprache. Diese nahmen dem Brief eine seiner wichtigsten organisatorischen Funktionen ab: das Abstecken der Arbeitsgebiete.Im 19. Jahrhundert wurde die Zeitschrift zum zitierbaren Kommunikationsmittel und stimulierte wiederum den privaten Briefwechsel, beispielsweise in Form von Leserbriefecken. In der zweiten Jahrhunderthälfte übernahmen Schreibtelegrafen (Samuel Morse, 1833, internationaler Code 1865), das Telefon (Philipp Reis, 1861) und ab 1898 die Funkübertragung (Ferdinand Braun, 1898) große Teile der bisherigen Briefkultur. Kontakte wurden mehr, Inhalte weniger, und die durch Handschrift, Briefumschläge und Briefmarken brieflich-persönliche Begegnung ging verloren. Die Einführung der Postkarte im Jahr 1870 als kurzer und offener Brief verlangte stilistische Knappheit, und die extrem verkürzte Mitteilung im Telegramm übermittelte nicht einmal mehr die Handschrift.Dass die einst vertraute Briefkultur zurückgeht, empfinden viele Menschen als Verlust. Die verbliebenen informellen kommunikativen Möglichkeiten wie Konferenzpausen oder persönliche Begegnungen sind eher sporadisch und unkonzentriert. Die Fähigkeit zuzuhören, entwickelt sich in Pausengesprächen kaum. Sind also der Gelehrten- und der Privatbrief heute noch zeitgemäß? E-Mails, Apps, Smartphones übernehmen weitgehend die Informationsübermittlung sowie den persönlichen und privaten Austausch.<h2>Kommunikationskrise im 19. Jahrhundert</h2>Im 19. Jahrhundert wuchsen in den Einzelwissenschaften das Faktenwissen, die Methoden-, Geräte- und Theorienvielfalt. Diese Bereicherung führte jedoch dazu, dass sich die einzelnen Fächer spezialisierten, verengten und sich von Nachbargebieten trennten. Dadurch verstanden sich die einzelnen Disziplinen und Wissenschaftler immer schlechter. Für die Chemie bedeutete die Kommunikationskrise ein Problem, da es noch keine allgemeingültigen Fachbegriffe gab und daher oft nicht klar war, worüber man sprach.Chemische Fachsprache entwickelt sich mit der Erforschung spezifisch chemischer Sachverhalte. Das Ausloten der Besonderheiten der Chemie braucht eine genügend präzise sprachliche Basis. Auf Desiderate, also wünschenswerte Veränderungen oder notwendige Ergänzungen deuten Probleme der Verständigung im Gelehrtenbriefwechsel, verstärkt durch den massiven Popularisierungsdruck. Dieser kam durch immer mehr Forschung und immer mehr Forschungsstätten zustande und resultierte in einem Wettlauf, welches Ergebnis zuerst vorhanden war. Indizien sind akademische wissenschaftliche Preisaufgaben. Liebig organisierte diese auch in seinem Institut.Nach Lavoisier und Berzelius wurde die Formelsprache im 19. Jahrhundert weiter präzisiert. Nach Wöhlers Harnstoffsynthese im Jahr 1828 etablierte sich die organische Chemie als eigenes Fachgebiet; agrochemische und physiologische Perspektiven taten sich auf. In der Folge wurden die Termini Atom, Molekül, Äquivalent und viele andere immer uneinheitlicher. Im Jahr 1860 fand dann – übrigens als erste internationale naturwissenschaftliche Fachtagung überhaupt – der Karlsruher Kongress statt, der die fachsprachliche Vieldeutigkeiten aufzeigen und Einigungen einleiten wollte. Dieser Kongress wurde noch vor der Gründung der Chemischen Gesellschaft einberufen. Der Karlsruher Kongress war vor allem durch Briefwechsel zustande gekommen und trug dazu bei, die Wissenschaftssprache in der Chemie zu stabilisieren.Die Präzisierung der chemischen Fachsprache wirkte sich auf das Publizieren in Zeitschriften und im Lehrbetrieb aus, mittelbar in Hand- und Lehrbüchern. Jegliche Publikation ist de facto ein Brief an Fachleute der eigenen oder benachbarten Disziplin, an Studierende und Nichtfachleute. Wissenschaft zu veröffentlichen, stellte die Gelehrten vor die Herausforderung, Fach- und Alltagssprache zu kombinieren: Ihre Sprache musste exakt, Begriffe mussten fassbar sein, und sie mussten entscheiden, wie sie die Leser ansprechen.Welche Zwecke Briefsteller mit ihren kurzen Mitteilungen verfolgten, lässt sich exemplarisch an drei Chemikern nachvollziehen.<h2>Liebig und die Popularisierung</h2>Für das 19. Jahrhundert setzte Justus Liebig (1803 – 1873) Maßstäbe: Er war erfolgreich als Lehrbuchautor, als Schulenbegründer und Organisator sowie mit seinem Wirken, die Chemie zu popularisieren. Sein Briefverkehr ins In- und Ausland war umfangreich, und er genoss das Privileg der Portofreiheit. Als Redakteur verlangte er von den Autoren Sprachkultur: In seinen Annalen galt Liebig als „Scharfrichter“ der Fachpresse.3) Er zwang die Autoren durch Experimentalkritik zu besserer Selbstkontrolle, um das Niveau der Beiträge zu steigern, und löste manche Polemik im Briefverkehr aus. Das Experiment, Liebigs Annalen gemeinsam mit Thomas Graham und Jean Baptiste Dumas gleichzeitig in Deutschland, England und Frankreich in der jeweiligen Landessprache herauszugeben, funktionierte mehrere Jahre und gilt als geglückter Versuch, fachsprachliche Standards zu exportieren.Liebig wollte die Auffassung durchsetzen, dass Chemie Bestandteil der allgemeinen Geistesbildung sei und selbst zu deren Erweiterung beitrage. Seine Publizistik katalysierte die Popularisierung der Chemie in Wissenschaft4) und Öffentlichkeit. Jacob und Wilhelm Grimm rühmten: „Die Chemie kauderwelscht in latein und deutsch, aber in Liebigs Munde wird sie sprachgewaltig.“5)Das bildungswillige Publikum hatte eine Vorliebe für Reiseberichte in Briefform, Briefromane und fingierte Gelehrtenbriefe. Liebig modifizierte daher diese literarische Form, um wissenschaftliche Inhalte allgemein verständlich zu gestalten: Seine Chemischen Briefe6) stellten sich als ein Akzent der Wechselwirkung zwischen wissenschaftlicher Briefschreiberei und poetisch-schöngeistiger Literatur heraus. Sie beeinflussten die Verständlichkeit der Darstellung in wissenschaftlichen Texten, dazu speziell in der populärwissenschaftlichen Literatur die verständliche und zugleich wissenschaftlich seriöse Darlegung sowie in der schöngeistigen Literatur eine Art von neuer Sachlichkeit und Objektivität in der Erzählweise. So erschienen acht Briefe über populäre Chemie für das praktische Leben, die den Chemischen Briefen unübersehbar ähnelten.7) Eine andere, tiefernst motivierte literarische Objektivierung gestaltete Georg Büchner in seinem sozialkritischen Drama Woyzeck. Darin spielen ernährungsphysiologische Experimente eine Rolle, wie sie Liebig um 1834 in Gießen vorgenommen hatte.Mit einem offenen Brief in Buchform kritisierte Liebig die Studienbedingungen für Naturwissenschaftler, speziell für Chemiker.8) Dies war ein politischer Affront und rief einen weit reichenden Briefwechsel im preußischen Verwaltungsapparat hervor.Leistungsanreize boten seine prämienorientierten Preisausschreiben für die Studenten.9)Seine popularisierenden Schriften und Korrespondenzen gaben auch methodische Anregungen, etwa Alltags- und Fachsprache differenziert einzusetzen, für das Ausmaß an Redundanz oder den Gebrauch von Metaphern.Seine populären Aktivitäten sollten der Verbreitung der Wissenschaft dienen, aber stets wissenschaftlich seriös sein, er verurteilte ein „Herabziehen in das gemeine und das platte Verständlichmachen“.10)<h2>Zuwendung und Hilfe in Briefen von Richard Abegg</h2>Die Korrespondenz des Physikochemikers Richard Abegg (1869 – 1910) steht für fachliche und redaktionelle Vielseitigkeit und offenbart zugleich menschliche Wärme und kollegiales Taktgefühl. Seine Hilfsbereitschaft verdeutlicht sich in den Briefen von und an Fritz Haber (1868 – 1934) sowie Clara Immerwahr (1870 – 1915), später Habers Frau. Zwischen Abegg, Clara und Fritz entfaltete sich eine Beziehung, die durch Abeggs Funktion als Lehrer und Förderer Claras und seine Freundschaft zu Fritz geprägt war und Abegg viel Einfühlungsvermögen abverlangte. Mit dem ehrgeizigen Haber verbanden ihn Freundschaft und Kollegialität. Für Clara Immerwahr war er der Mentor, der ihr Chemiestudium betreute, ihr väterlicher Freund, ihr „Beichtvater“, ihm vertraute sie Glücklichsein und Leidgefühle an. Studium war für Frauen keineswegs selbstverständlich, so auch nicht die Förderung, die Clara Immerwahr insbesondere durch Abegg erfuhr. Auch Margaret E. Maltby (1860 – 1944) unterstützte er bei ihrer physikochemischen Dissertation.Als van‘t Hoff (1852 – 1911) ihn im Jahr 1901 als Redakteur der Zeitschrift für Elektrochemie vorschlug, übernahm Abegg – nicht ohne Zögern – die Schriftleitung, eine ebenso ehrenvolle wie aufwendige Arbeit, wie aus seinen Briefen hervorgeht. Ab 1905 betreute Abegg außerdem das „Handbuch der anorganischen Chemie“, und wie bei seiner Tätigkeit als Redakteur erwuchs hieraus ein umfangreicher Schriftwechsel.Ebenso wie Liebig erkannte Abegg, dass die wissenschaftliche Sprache gepflegt werden muss. Im Jahr 1904 nahm er an Verhandlungen zur Schreibweise wissenschaftlicher Fremdwörter teil.11)Abeggs persönliche Kontakte in der physikochemischen Gemeinde und zu Wilhelm Ostwald waren freundschaftlich. Sie erlangten aber nicht jene familiäre Intimität, wie sie etwa Ostwalds Begegnungen mit Hans-Heinrich Landolt (1831 – 1910) kennzeichneten. Abeggs und Ostwalds Briefverkehr hatte sowohl wissenschaftliche, speziell redaktionelle als auch berufliche Probleme zum Thema: So lehnte Abegg im Jahr 1900 – nach ausführlicher brieflicher Beratung mit Ostwald – einen Ruf nach Kristiania (heute Oslo) ab. Die Beziehung zwischen Abegg und Arrhenius gestaltete sich freimütiger. Arrhenius schätzte Abeggs wissenschaftliche Leistung sowie die menschlichen Begegnungen bei gemeinsamen Wanderungen. Bei solcher Gelegenheit vermittelte Abegg beispielsweise, dass Leipziger Studenten eine Art Ferienpraktikum in Stockholm absolvierten. Dies ging mit einer für Arrhenius damals noch wichtigen Steigerung seiner Reputation einher: Er sei dankbar, teilte er Ostwald mit, wenn er ein paar Studenten zugeschanzt bekäme, denn es gebe nichts, was dort mehr imponiere als Ausländer. Um sich mit Arrhenius zu verständigen, lernte Abegg Schwedisch. Abeggs Schrift war stets leserlich, insbesondere in Briefen an Ausländer wie Arrhenius. Schriftliche Höflichkeit und optische Sorgfalt gegenüber ausländischen Kollegen zeichnete auch die Briefe von Friedrich Kohlrausch (1840 – 1910), Landolt, Ostwald und Georg Bredig (1868 – 1944) aus. Das ist erwähnenswert, weil weder Nernst (1864 – 1941) noch Gustav Tammann (1861 – 1938) sich mit ihrer Schrift besondere Mühe gaben. Bewundernswert, dass Arrhenius deren Briefe entziffern konnte.<h2>Wilhelm Ostwald: Brief und System</h2>Ostwald (1853 – 1932) wirkte als Gelehrter, Redakteur, Lehrer, Autor und Organisator. Seine Forschungen galten der physikalischen Chemie, der Wissenschaftsgeschichte und -theorie, der Philosophie, Farbenlehre und Rationalisierung der wissenschaftlichen Arbeit. Zur Bewältigung solch breiten Spektrums bedurfte es ausgeprägter Fähigkeiten in Schrift, Rede und Taktik. Als er noch von Riga aus die Herausgabe seiner physikalisch-chemischen Zeitschrift vorbereitete, sondierte er in Briefen die Bereitschaft potenzieller Autoren wie Friedrich Kohlrausch und Ernst von Meyer und Mitherausgeber wie van‘t Hoff sowie die zu erwartende Konkurrenz durch Isidor Traube.Ostwald schrieb viel und beantwortete fast alle Briefe umgehend. Um die Übersicht über die eigenen Briefe zu behalten, legte er Kopierbücher an. So blieben die meisten Durchschriften seiner Briefe erhalten, und da er auch die Briefeingänge fast vollständig aufbewahrte, sind viele Korrespondenzen rekonstruierbar. Das hilft Historikern, mehrere Jahrzehnte nicht zu sehr aus der Sicht eines Einzelnen zu betrachten. Ostwalds Briefnachlass gehört zu den umfangreichsten seiner Art. Er selbst schrieb wohl mehr als 10 000 Briefe und erhielt ungefähr ebenso viele von zirka 1200 Absendern. Mit etwa 150 Partnern korrespondierte er jahrzehntelang.12) Seine Briefe sind gut lesbar, und noch vor 1900 stellte er von der üblicherweise verwendeten deutschen Kurrentschrift auf lateinische Schriftzeichen um. Er verstand Briefe als historische Dokumente, als Zeugnisse der Geschichte. Sie enthalten nicht nur Aussagen oder Fragen der Zeitzeugen, sondern sind auch kulturelle Belege für Wortwahl, Grammatik und Orthographie, Stil und Höflichkeitsfloskeln einer Epoche.Die Inhalte seines Konvoluts betreffen redaktionelle Routinekorrespondenzen, philosophische, mathematische und physikalische Debatten, Kunst und Farbenlehre, das Erlernen von Sprachen wie Esperanto, das Schulwesen, die Gründung von Gesellschaften und viel anderes.Ostwalds Vorwort für die Schriftenreihe „Klassiker der exakten Wissenschaften“ (ab 1889) wollte er als Briefe an die Leserschaft verstanden wissen. Ostwald nutzte den Briefeffekt, also die Wirkung der persönlichen Ansprache des Lesers, auch für lehrhafte Briefliteratur und ab 1928 für Unterrichtsbriefe über Farben- und Formenlehre. Autobiografien sah er als Briefe in die Zukunft an: Sie stellen eine zeitlich distanzierte Beziehung zwischen dem Autor und dem Leser als anonymem Gesprächspartner her. Der zweite Teil von Ostwalds dreibändigen „Lebenslinien“ aus den Jahren 1926, 1927 ist ausdrücklich an „die deutsche Jugend“ adressiert.Ostwald praktizierte nicht nur die briefliche Kommunikation, sondern erhob sie auch zum wissenschaftstheoretischen Untersuchungsgegenstand. Im Jahr 1903 stellte er in den USA das Konzept eines pyramidalen Wissenschaftssystems vor, einer künftigen „Wissenschaft von der Wissenschaft“.<h2>Zusammenfassung</h2>Der Gelehrtenbriefwechsel verdeutlicht, wie individuelle und kollektive Erkenntnistätigkeit durch Distanz und Prozesshaftigkeit zusammenhängen und wie soziale und emotionale Reaktionen vermittelt werden. Das Anbahnen von Gedanken im Briefwechsel, die spontanen Ideen im Verlauf des Schreibens regen den Autor selbst zu weiteren eigenen Gedanken an; der lesende Briefpartner versucht zu verstehen und denkt seinerseits weiter. Beide haben Freiräume für kreative Impulse. Der Austausch ist ein Näherungsprozess, das Bemühen um wechselseitiges Verstehen wird zur Quelle schöpferischer Dispute.„Da Briefe sich mehr nach dem Orte, wo sie geboren, als nach dem, wo sie abgegeben werden, richten, so kommt oft, was als Same abging, schon keimend und mit Wurzeln an nach dem langen Wege, und umgekehrt Blüten als trockener Same; und jedes Blatt ist eine Doppelgeburt von zwei fernen Zeiten, der schreibenden und der lesenden.“13)Die Historikerin Regine Zott, Jahrgang 1938, studierte in Greifswald, promovierte an der HU Berlin und wirkte an der Akademie der Wissenschaften der DDR, später an der TU Berlin. Sie beschäftigt sich mit Kommunikation in der Wissenschaft, Biografik und Gelehrtenbriefwechsel.
<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 Caspar Stieler, Teutsche Sekretariat-Kunst ... Bd. 1, Nürnberg 1673, S. 399.</li><li>
2 M. Ammermann, Gelehrtenbriefe des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. In Bernhard Fabian und Paul Raabe (Hrsg.): Gelehrte Bücher vom Humanismus bis zur Gegenwart. Wolfenbütteler Schriften des Buchwesens, Bd. 9, Wiesbaden 1983.</li><li>
3 J. Carriére (Hrsg.), J. J. Berzelius und J. Liebig. Ihre Briefe von 1831–1845. München, Leipzig 1893, S. 223.</li><li>
4 Marx und Engels interessierten sich lebhaft für Liebigs agrikulturchemischen Untersuchungen. In: MEW, Bd. 31, S. 183 und MEW, Bd. 32, S. 5.</li><li>
5 J. und W. Grimm, Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1854, S.XXXI.</li><li>
6 J. Liebig, Chemische Briefe. Ab 1842, als Buch 1844.</li><li>
7 R. Lassahn, Zur Popularität Justus Liebigs. Eine Würdigung des Chemikers durch das illustrierte Familienblatt „Die Gartenlaube“ 1854, S. 83. f.Sonderdruck aus Giessener Universitätsblätter, H. 2, 1976, S. 70.</li><li>
8 J. Liebig, Über das Studium der Naturwissenschaften und über den Zustand der Chemie in Preußen. Braunschweig 1840.</li><li>
9 Preisverteilung in dem Chemischen Laboratorium zu Gießen 1835. Ann. Pharm., Bd. XVII, Heidelberg 1836, S. 119.</li><li>
10 J. Liebig, Chemische Briefe. Heidelberg 1844, S. XXI.</li><li>
11 R. Abegg, Konferenz zur Verhandlung der Schreibweise wissenschaftlicher Fremdwörter. In: Z. f. Phys. Chem. 10, 1904, S. 863 – 864.</li><li>
12 H.-G. Körber, Aus dem wissenschaftlichen Briefwechsel Wilhelm Ostwalds. T. 1, Berlin 1961, S. XIII und ebenda, T. 2, 1969, S. V.</li><li>
13 Jean Paul, Titan. Berlin 1800, 15.–18. Theil, S. 509.</li></ul>

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