Wissenschaft & Forschung

Hin und wieder als „Vitamine der Industrie“ bezeichnet, aber auch für manche Organismen lebensnotwendig: Lanthanoide, also die Elemente von Lanthan bis Lutetium. Vor kurzem sind sie wegen ihrer biologischen Funktion in den Fokus von Mikrobiologen und Koordinationschemikern gerückt.
<h2>Entdeckung lanthanoidabhängiger Enzyme</h2>Auf den ersten Blick scheinen die drei Orte in Abbildung 1 – die Deepwater-Horizon-Plattform im Golf von Mexiko, der Schlammtopf nahe des Solfatara-Kraters in Italien und die blühende Landschaft in Oregon – nichts gemeinsam zu haben. Jedoch finden sich in allen drei Lebensräumen Bakterien, die Lanthanoide nutzen, um Stoffwechselprozesse zu katalysieren.<figure><img src="https://media.graphcms.com/9bORUdQaQNuduuexJaOZ"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Oben: Landschaft in Oregon. Pflanzensymbionten, blattbewohnende und Bodenbakterien nutzen Lanthanoide für ihren Stoffwechsel. Oben rechts: Mikrobiologe Arjan Pol nimmt eine Probe aus dem Schlammtopf nahe des Solfatara-Kraters in Italien.1) Hier lebt das Bakterium Methylacidiphilum fumariolicum SolV. Unten rechts: Brennende Deepwater-Horizon-Plattform im Jahr 2010.16) Durch das Methan, das bei dem Unglück ins Wasser gelangte, vermehrten sich dort explosionsartig marine methanotrophe Bakterien.</figcaption></figure>
Die biochemischen Eigenschaften der Lanthanoide werden zwar schon seit Jahrzehnten studiert, ihre biologische Relevanz ist aber erst seit weniger als zehn Jahren bekannt und anerkannt.2) Alles begann mit zwei Publikationen im Jahr 2011 von Keiichi Kawai und Mitarbeitern. Wie sie beobachteten, exprimieren Bakterienstämme der Spezies von Methylobacterium radiotolerans und Bradyrhizobium sp. durch das Zufügen von Lanthan(III) und Cer(III) zu den Kulturen eine 63 kDa schwere Methanoldehydrogenase (MDH). Ein Jahr später isolierten und analysierten Tomoyuki Nakagawa und Mitarbeiter erstmals eine lanthanabhängige MDH aus Methylobacterium extorquens.3) Wie sie damit zeigten, gibt es neben den lange bekannten und gut studierten calciumabhängigen MDH-Systemen einen alternativen Methanoloxidationsweg, den lanthanoidabhängige Enzyme katalysieren.<h2>Nicht ohne mein Lanthanoid</h2>Methanoldehydrogenasen sind essenziell für methylotrophe und methanotrophe Bakterien, die C1-Verbindungen wie Methanol und Methan verstoffwechseln, um Energie zu gewinnen.Im Jahr 2007 hatten die Mikrobiologen um Arjan Pol und Huub Op den Camp dem Schlammtopf des Solfatara-Kraters nahe Neapel in Italien (Abbildung 1, oben rechts) eine Probe entnommen.1) Diese Probe enthielt ein bis dahin unbekanntes, methanotrophes und acidophiles Bakterium, das die Forscher Methylacidiphilum fumariolicum SolV nannten.Zurück im Labor an der Radboud-Universität in Nimwegen versuchten die Forscher, SolV zu kultivieren, doch wuchs es mit keinem der bekannten und angebotenen Spurenelemente wie Eisen, Kupfer oder Mangan exponentiell. Wohlweislich hatte die Gruppe auch eine Probe des Wassers aus dem Schlammtopf aus Italien mitgenommen – nach dessen Zugabe zum Nährmedium gedieh SolV prächtig.Eine Analyse des Schlammtopfwassers zeigte außergewöhnlich hohe Gehalte an Lanthanoiden wie La (0,7 μM), Ce (1,4 μM), Pr (0,13 μM) und Nd (0,45 μM).4) Üblicherweise sind die Gehalte an Lanthanoiden in der Umgebung weitaus niedriger: So enthalten beispielsweise Flüsse in den Niederlanden oder England nanomolare Mengen an Cer, während Meerwasser oft sogar nur picomolare Mengen aufweist.5)Im Solfatara-Krater herrschen Temperaturen von 60 °C und eine extrem saure Umgebung (pH = 1 – 2), da dort Mikroben H2S in Schwefelsäure umwandeln. Das liefert optimale Bedingungen, um die in der Natur fein verteilten und in der Erdkruste gar nicht so selten vorkommenden Lanthanoide zu lösen (Häufigkeit von Ce etwa 66 ppm,6) Cu etwa 60 ppm und Zn etwa 70 ppm).Aus SolV isolierten und kristallisierten die Forscher die erste Ln-abhängige MDH und klärten deren Struktur auf (Abbildung 2).4) Wie sich später zeigte, lässt sich SolV auch mit einzelnen Lanthanoiden wie Europium kultivieren.4,7)<figure><img src="https://media.graphcms.com/AAJzlbtPTayl1k1gUjVK"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Monomer (oben links) und aktives Zentrum (oben rechts) der ersten Eu-Methanoldehydrogenase (MDH), isoliert aus dem Bakterium SolV (Protein Data Bank (PDB): Code 6FKW).7) Die erste Kristallstruktur wurde mit Cer im aktiven Zentrum verfeinert (unten rechts), enthielt aber eine Mischung der frühen Lanthanoide La, Pr, Nd, Ce (PDB: 4MAE).4) Unten links: Aktives Zentrum von Ca-MDH (M. extorquens, PDB: 1W6S). Sauerstoff rot, Stickstoff blau, Kohlenstoff beige.</figcaption></figure>
Das xoxF-Gen, welches für das lanthanoidabhängige XoxF-Enzym codiert, ist weit verbreitet in methanotrophen und methylotrophen Bakterien. Hierbei steht x für die lange Zeit unbekannte Funktion des XoxF-Enzyms, und oxF ist an die Ca-MDH angelehnt (früher MoxF, heute MxaF). Die Mikrobiologen stellten fest: Bakterien, die Lanthanoide nutzen, sind weit verbreitet in Gewässern, im Boden, auf Pflanzen und in lebensfeindlich anmutenden Umgebungen wie den Vulkanschlammtöpfen. Selbst in methanreichem, lanthanoidarmem Meerwasser kommen sie vor, wie sich nach der Explosion der Deepwater-Horizon(DWH)-Plattform im Jahr 2010 im Golf von Mexiko zeigte.8) Man unterscheidet verschiedene Subtypen (XoxF1 bis 5) der MDH-Enzyme, die sich nach ersten Analysen in biochemischen Eigenschaften wie pH-Optimum, Substratspezifität und katalytischer Effizienz unterscheiden.7–9)<h2>Was bisher bekannt ist</h2>Bakterien können nicht jedes Lanthanoidion nutzen. Besonders die frühen, größeren Lanthanoide unterstützen sowohl das Wachstum der Bakterien als auch die Aktivität der isolierten Alkoholdehydrogenasen.7,10) Wie sich in einer Studie an den Wasserproben zeigte, die um die DWH-Plattform genommen wurden, reicherten sich dort durch das hohe lokale Aufkommen an methanotrophen Bakterien hauptsächlich La, Ce, Pr und Nd im Meerwasser ab.11)Lange bekannt und gut studiert sind die eng verwandten Methanoldehydrogenasen, die Calcium(II) als Lewis-Säure im aktiven Zentrum tragen (Abbildung 2) und durch das mxaF-Gen codiert werden. Manche Bakterien wie SolV haben ausschließlich das xoxF-Gen und können damit nur das Ln-MDH-(XoxF)-Enzym exprimieren – nur ein Lanthanoid ermöglicht also ihr Wachstum. Andere Organismen wie M. extorquens haben beide Gene.Wie Studien von Martinez-Gomez und Mitarbeitern von der Michigan State University zeigen, exprimiert M. extorquens schon bei Konzentrationen von 2,5 nM Lanthanoid bevorzugt die Ln-MDH, und auch bei Konzentrationen von 20 μM Calcium im Medium hat das Ca-MDH-(MxaF)-Enzym nur eine untergeordnete Rolle. Dessen Expression wird sogar unterdrückt. Wie genau dieser als „Lanthanide Switch“ bezeichnete Schaltmechanismus funktioniert, ist noch nicht vollständig geklärt.8)Die Bakterien müssen bis dato unbekannte, hocheffiziente Aufnahmemechanismen für diese Elemente nutzen – denn sie wachsen sogar mit weniger als nanomolaren Ln-Konzentrationen.4)Nicht nur Methanol dient als Substrat für Ln-anhängige Enzyme. Auch Formaldehyd, das Produkt aus der Methanoloxidation, eignet sich.10b) Zudem wurde im Jahr 2016 die erste Ln-abhängige Ethanoldehydrogenase ExaF entdeckt.12) Die Ln-Biochemie konzentriert sich also nicht nur auf den C1-Metabolismus.Ln-abhängige Enzyme sind überdies nicht auf methylotrophe Organismen beschränkt: Aus dem Bodenbakterium Pseudomonas putida wurde die Ln-Alkoholdehydrogenase PedH isoliert.10a)<h2>Das aktive Zentrum</h2>Lanthanoide verhalten sich durch die Abschirmung der 4f-Elektronen zueinander chemisch ähnlich, mit einer präferierten Oxidationszahl von +III (wobei einige Vertreter zusätzlich die Oxidationszahlen +II und +IV aufweisen). Ein Merkmal der Lanthanoide: Ihr Atom- und Ionenradius sinkt mit steigender Ordnungszahl im Zuge der Lanthanoidenkontraktion.Calcium(II) hat einen ähnlichen Ionenradius wie die frühen dreiwertigen Lanthanoide und bevorzugt ähnliche Liganden, nämlich Sauerstoffdonoren. CaII weist jedoch oft eine kleinere Koordinationszahl auf, was sich in den unterschiedlichen aktiven Zentren der Methanoldehydrogenasen widerspiegelt (Abbildung 2).2a)Das Calciumion im aktiven Zentrum der MxaF-MDH von M. extorquens (Abbildung 2) wird koordiniert vom Redox-Cofaktor Pyrrolochinolinchinon (PQQ) sowie den Aminosäuren Glu177, Asn261 und Asp303. Ähnlich aufgebaut ist die XoxF-Ln-MDH von SolV, die bisher einzige Ln-MDH, deren Struktur charakterisiert ist. Hier ist eine zusätzliche koordinierende Aminosäure (Asp301) im aktiven Zentrum, was die Vorliebe der Lanthanoidionen für höhere Koordinationszahlen unterstreicht. Das Zentralmetall fungiert als Lewis-Säure, welche die C-O-Bindung des Cofaktors PQQ aktiviert (Abbildung 3a).<figure><img src="https://media.graphcms.com/jY4rX5vpR0aqaspGFyRl"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Methanoloxidation durch MDH und Schlüsselschritte der beiden möglichen Mechanismen von Ca-MDH.</figcaption></figure>
Außer dieser Funktion werden zusätzliche Aufgaben wie Orientierung und Aktivierung des Substrats sowie Einfluss auf den Redoxkreislauf des Cofaktors diskutiert. Nun sind die späten Lanthanoide zwar die stärkeren Lewis-Säuren und sollten den Cofaktor dadurch besser aktivieren, jedoch zeigt die XoxF-MDH von SolV keine oder nur verminderte Aktivität in vitro, wenn späte Lanthanoide wie Lu oder Yb hinzugefügt werden. Daher wächst beispielsweise SolV vermutlich auch nicht mit Yb.7,13) Lewis-Acidität ist also offenbar nicht das alleinige Kriterium, und damit lässt sich höchstens der mögliche evolutionäre Vorteil von Ln-MDH gegenüber Ca-MDH erklären. Um die Zusammenhänge zu verstehen, muss der Mechanismus dieser Enzyme geklärt werden.Für die seit 50 Jahren studierte Ca-MDH werden Varianten zweier Mechanismen diskutiert. Im Schlüsselschritt wird entweder das deprotonierte Substrat auf das C5-Carbonylatom des Cofaktors übertragen, wobei ein Hemiketal entsteht, oder das Substrat wird deprotoniert, wobei ein Hydrid auf das C5-Atom des Cofaktors übergeht (Abbildungen 3b und c, S. 947). Der Cofaktor PQQ wird dabei zum Chinol (PQQH2) reduziert und anschließend durch den Elektronenakzeptor Cytochrom in vivo reoxidiert (Abbildung 3a).Um zu klären, wie die Ln-MDH Methanol oxidiert, ist es von Vorteil, dass die Lanthanoide spektroskopisch aktiv sind. Neben der Spektroskopie sind Synthese und Untersuchung von Modellkomplexen wichtige Werkzeuge, um Enzymmechanismen besser zu verstehen. Schelter und Mitarbeiter synthetisierten im Jahr 2018 einen solchen Modellkomplex mit Lanthan und einem vereinfachten PQQ-Derivat (Abbildung 4).14) Mit diesem Modell ließ sich Benzylalkohol zu Benzaldehyd oxidieren. Darüber hinaus zeigten DFT-Rechnungen, dass hier der Hydridtransfer energetisch begünstigt ist.<figure><img src="https://media.graphcms.com/sm5kHYVRQ5yQd1teot7U"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Ligand LQQ sowie die Kristallstruktur des ersten La-LQQ-MDH-Modellkomplexes.14)</figcaption></figure>
<h2>Resümee</h2>Warum hat es verhältnismäßig lange gedauert, bis Forscher auf die biologischen Funktionen der Lanthanoide aufmerksam wurden?2b,8,15) Diesen Elementen hängt immer noch der Mythos an, dass sie nicht besonders häufig wären – schließlich gehören sie ja zu den Seltenen Erden. Sie machen ihrem Namen aber keine Ehre: Feinstverteilt sind sie überall in Spuren vorhanden. Nanomolare Konzentrationen reichen, um bakterielles Wachstum anzukurbeln. Bakterien müssen also extrem effiziente Mechanismen zur Aufnahme von Lanthanoiden haben.Blickpunkt Anorganik berichtet über neue präparative Techniken, den richtigen Umgang mit gefährlichen Stoffen, neue Analysetechniken, Reinigungsverfahren und mehr. Die Beiträge zur Serie verfasst dieses Jahr Lena Daumann.<h2>Vitakasten</h2>Lena Daumann, Jahrgang 1983, studierte in Heidelberg Chemie und promovierte von 2010 bis 2013 an der University of Queensland in Australien über pestizidabbauende Enzyme. Es folgte ein Postdocaufenthalt bei Ken Raymond an der University of California in Berkeley. Seit Mai 2016 ist sie W2-Professorin mit Tenure Track für bioanorganische Chemie an der LMU München. Ihre Gruppe beschäftigt sich unter anderem mit der essenziellen Rolle von Seltenerdelementen in biologischen Prozessen. Bei diesem Beitrag wurde sie unterstützt von ihrem Doktoranden Henning Lumpe.<div><img src="https://media.graphcms.com/uIUrp0xxQYud3kG23lUS">

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<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 A. Pol, K. Heijmans, H. R. Harhangi, D. Tedesco et al., Nature 2007, 450, 874</li><li>
2 a) C. H. Evans, Biochemistry of the Lanthanides, Springer Science &amp; Business Media, New York, 1990; b) B. Jahn, L. J. Daumann, Chem. Unserer Zeit 2018, 52, 150–158</li><li>
3 a) Y. Hibi, K. Asai, H. Arafuka et al., J. Biosci. Bioeng. 2011, 111, 547–549; b) N. A. Fitriyanto, M. Fushimi, M. Matsunaga et al., J. Biosci. Bioeng. 2011, 111, 613–617; c) T. Nakagawa, R. Mitsui, A. Tani et al., PLoS One 2012, 7, 1–7</li><li>
4 A. Pol, T. R. M. Barends, A. Dietl et al., Environ. Microbiol. 2014, 16, 255–264</li><li>
5 a) L. Weltje, H. Heidenreich, W. Zhu et al., Sci. Total Environ. 2002, 286, 191–214; b) C. Neal, Hydrol. Earth. Syst. Sci. 2007, 11, 313–327; E. R. Sholkovitz, W. M. Landing, B. L. Lewis, Geochim. Cosmochim. Acta 1994, 58, 1567–1579</li><li>
6 S. Cotton, Lanthanide and actinide chemistry, John Wiley &amp; Sons, Chichester, UK, 2006</li><li>
7 B. Jahn, A. Pol, H. Lumpe et al., ChemBioChem 2018, 19, 1147–1153</li><li>
8 N. C. Martinez-Gomez, E. Skovran in Methane Biocatalysis: Paving the Way to Sustainability [Hrsg.: M. G. Kalyuzhnaya, X.-H. Xing], Springer International Publishing, Cham, 2018, pp. 67–82</li><li>
9 J. Huang, Z. Yu, L. Chistoserdova, Frontiers in Microbiology 2018, 9, 1366</li><li>
10 a) M. Wehrmann, P. Billard, A. Martin-Meriadec, A. Zegeye, J. Klebensberger, mBio 2017, 8, e00570–00517; b) A. Pol, T. R. M. Barends, A. Dietl et al., Environ. Microbiol. 2014, 16, 255–264; c) H. N. Vu, G. A. Subuyuj, S. Vijayakumar et al., J. Bacteriol. 2016, 198, 1250–1259</li><li>
11 A. M. Shiller, E. W. Chan, D. J. Joung, M. C. Redmond, J. D. Kessler, Sci. Rep. 2017, 7, 1–9</li><li>
12 N. M. Good, H. N. Vu, C. J. Suriano et al., J. Bacteriol. 2016, 198, 3109–3118</li><li>
13 H. Lumpe, A. Pol, H. J. M. O. d. Camp, L. J. Daumann, Dalton Trans. 2018, 47, 10463–10472</li><li>
14 A. McSkimming, T. Cheisson, P. J. Carroll, E. J. Schelter, J. Am. Chem. Soc. 2018, 140, 1223–1226</li><li>
15 a) E. Skovran, N. C. Martinez-Gomez, Science 2015, 348, 862–863; b) L. Chistoserdova, World J. Microbiol. Biotechnol. 2016, 32, 138; c) J. D. Semrau, A. A. DiSpirito, W. Gu, S. Yoon, Appl. Environ. Microbiol. 2018, 84:e02289-17</li><li>
16 Wikipedia US Coast Guard, <a href="https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10089914" target="_blank">https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10089914</a>, aufgerufen Juni 2018</li></ul>

Artikel

Lanthanoide – biologisch wichtig

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Kuriose Effekte der Quantenmechanik sind nicht nur im Subatomaren wichtig, sondern auch bei Photosynthese oder Geruchswahrnehmung. Kürzlich wurden 100 000 Versuchspersonen rund um die Welt Teil eines quantenmechanischen Experiments zum Nachweis, dass die Kuriositäten nicht mit klassischer Physik zu erklären sind.
Vor etwa einem Jahrhundert begann die Quantenmechanik, das Weltbild der Physiker auf den Kopf zu stellen. Selbst einigen Vordenkern dieser Wissenschaft schienen die neu formulierten physikalischen Gesetze dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen.Albert Einstein zum Beispiel hatte Einwände gegen unvorhersehbare Zufallsereignisse, die er in seinem berühmten Satz „Gott würfelt nicht“ formulierte. Auch die im Phänomen der Verschränkung implizite „spukhafte Fernwirkung“, die sich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung der Lichtgeschwindigkeit hält, missfiel ihm.Erwin Schrödinger nahm Anstoß daran, dass sich verschiedene Zustände eines Quantensystems überlagern können, also gleichzeitig vorliegen. In seinem berühmten Gedankenexperiment verknüpfte er dieses Konzept mit dem Leben oder Tod einer Katze, die dann absurderweise gleichzeitig lebendig und tot wäre.Viele behelfen sich mit der bewährten Methode der Kompartimentierung: Wir wenden Quantenmechanik auf alles an, was kleiner ist als ein Atom, und klassische Physik für alles, was größer ist. Wie neuere Erkenntnisse allerdings zeigen, gibt es keine harte Grenze zwischen der uns vertrauten Wirklichkeit und der unsichtbar kleinen Welt der Quanten. Auch Katzen brauchen Quantenmechanik, etwa zum Sehen, und menschliche Entscheidungen können Teil eines quantenmechanischen Experiments werden.<h2>Globales Experiment</h2>Einsteins Erklärung für die mysteriöse Fernwechselwirkung war die Hypothese eines „lokalen Realismus“, der durch bisher verborgen gebliebene, lokal wirkende Parameter ausgelöst werden solle. Vereinfacht ausgedrückt wollte Einstein durch die Hintertür die klassische Physik wieder einsetzen als ultimative, deterministische Ursache der für ihn inakzeptablen stochastischen und spukhaften Quanteneffekte.Im Jahr 1964 zeigte John Stewart Bell jedoch, dass sich Quantenverschränkung experimentell von deterministischer klassischer Physik unterscheiden lässt. Es gab in seiner Argumentation allerdings einige Lücken, die den Anhängern von Einsteins Sichtweise Hoffnung gaben. Es dauerte Jahrzehnte, bis diese Lücken geschlossen waren. Schwierig war in diesem Zusammenhang, große Mengen an garantiert zufälligen Daten zu erzeugen. Dies gelang in diesem Jahr einem internationalen Konsortium mithilfe 100 000 Freiwilliger. Sie nahmen einen Tag lang an einem Onlinespiel teil, das sie dazu motivierte, willkürlich gewählte Daten zu den Experimenten beizutragen.1) Separate Arbeitsgruppen benutzten diese Zufallsdaten für dreizehn getrennte Quantenexperimente: Neun davon untersuchten die Wechselwirkung zwischen jeweils zwei miteinander verschränkten Photonen; die anderen Experimente schlossen auch andere Arten von Quantensystemen ein, etwa Atome oder Qubits (elementare Speichereinheiten eines Quantencomputers).Eines dieser Experimente führte die Arbeitsgruppe von Harald Weinfurter und Wenjamin Rosenfeld an der LMU München durch. Die Münchner Forscher verschränkten ein Photon mit einem Atom. Sie untersuchten dann die verschränkten Teilchen in getrennten Laboren, die 400 Meter voneinander entfernt waren. Mit den vom Onlinespiel erzeugten Zufallsdaten wiesen sie nach, dass die beobachtete „spukhafte Fernwirkung“ zwischen verschränkten Teilchen durch lokalen Realismus nicht zu erklären ist.Auch die anderen zwölf Experimente in diesem „Big Bell Test“ (siehe Infokasten) brachten ebenso wie alle anderen vorhergegangenen Experimente zum Bell-Theorem das Ergebnis: Es gibt keinen Hinweis auf Einsteins versteckte Parameter. Demnach sind auch die skurrilen und mit unserer Erfahrung der sichtbaren Welt nicht direkt erklärbaren Aspekte der Quantenmechanik Teil unserer Wirklichkeit und nicht etwa ein Artefakt unseres unvollständigen Verständnisses.Wie wir inzwischen wissen, gäbe es einige lebenswichtige Funktionen gar nicht ohne Quantenkuriositäten. Mit der Rolle der Quantenmechanik in der Biologie befasst sich das noch junge interdisziplinäre Forschungsgebiet Quantenbiologie.2)<h2>Keine große Glocke: Der Big-Bell-Test</h2>Der Bell-Test wurde benannt nach dem Physiker John Stewart Bell. Dabei werden Paare verschränkter Teilchen erzeugt, etwa Photonen, und zu verschiedenen Orten geschickt. Dort werden Eigenschaften wie Farbe des Photons oder seine Ankunftszeit gemessen. Stimmen die Messergebnisse beider Teilchen überein – und zwar unabhängig davon, welche Eigenschaft gemessen wird –, folgt daraus: Entweder beeinflusst die Messung mit sofortiger Wirkung das andere Teilchen, egal, wie weit es entfernt ist, oder die Eigenschaften haben vor der Messung gar nicht existiert, sondern entstehen erst dabei. Beide Möglichkeiten widersprechen Einsteins Weltbild, dem lokalen Realismus. Demnach ist das Universum unabhängig von unseren Beobachtungen, und keine Wirkung breitet sich schneller aus als das Licht.<h2>Tunneleffekte</h2>Ein Phänomen der Quantenwelt, das heute niemandem mehr kurios erscheint, ist der Tunneleffekt, also die Beobachtung, dass Teilchen eine im Prinzip unüberwindbare Barriere durchtunneln und sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf der anderen Seite wiederfinden können. Dieser Effekt dient im Rastertunnelmikroskop nun schon seit mehreren Jahrzehnten der Forschung, lässt sich also nicht mehr wegdiskutieren.Auch in der Biologie gibt es den Tunneleffekt. Als vor rund 50 Jahren die ersten hochaufgelösten Röntgenkristallstrukturen von Enzymen publiziert wurden, erhofften sich die Strukturforscher davon genaue Einblicke, wie die molekularen Maschinen der Zellen funktionieren. Sie fanden jedoch, dass in den Strukturen der Platz für die nötigen Bewegungen von Reaktionspartnern wie Protonen oder Hydridionen oft nicht vorhanden war. Wie Isotopenuntersuchungen zeigten, ist der Tunneleffekt in manchen dieser Enzyme nicht nur möglich, sondern für ihre Funktion unabdingbar.Bevor die ersten Enzymkristallstrukturen aufgeklärt waren, hatten bereits Don DeVault und Britton Chance aus Temperaturanomalien bei der Photosynthese geschlossen, dass der Tunneleffekt bei diesem Prozess aktiv sein muss.Die Photosynthese nutzt auch ein weiteres Quantenphänomen, nämlich kohärente Wellen. Exzitonen, also angeregte Zustände, die aus einem Elektron und einem Loch bestehen, würden nach der klassischen Physik allein durch thermische Bewegung einen zufälligen Weg durch das photosynthetische Reaktionszentrum wählen. Aufgrund der zahlreichen Möglichkeiten wäre diese Bewegung in der Regel zu langsam im Vergleich mit der experimentell beobachteten Reaktionsgeschwindigkeit. Die Fortbewegung der Exzitonen als kohärente Welle erklärt hingegen die Effizienz der Photosynthese.<h2>Ein Quantenkompass</h2>Auch der Kompass der Zugvögel beruht vermutlich auf Quantenmechanik. Die Vögel orientieren sich am Magnetfeld der Erde; dieser Prozess ist abhängig vom Tageslicht. Eine physische Magnetnadel etwa in Form von Magnetitkristallen, wie sie bei magnetotaktischen Bakterien vorkommen, ist in Vögeln hingegen nicht gefunden worden.Nach einer Hypothese, die unter anderem Christiane Timmel und Peter Hore an der Universität Oxford erforschen, könnte der Kompass der Vögel aus einer chemischen Reaktion zwischen zwei Radikalen bestehen. Die Spins der ungepaarten Elektronen sind dabei die Magnetnadel, und die Lebensdauer des Radikalpaars, die von ihrer Orientierung zum Magnetfeld abhängt, wäre demnach die Messgröße.Dass dieser Mechanismus im Labor funktioniert, haben die Forscher schon nachgewiesen.3) Auch die erforderliche Genauigkeit und Empfindlichkeit des Vogelkompasses gegenüber dem extrem schwachen Erdmagnetfeld ist im Labor reproduzierbar, wenn sich die Kohärenz zwischen den beiden Spins für länger als ein paar Mikrosekunden aufrechterhalten lässt.4)Wo und wie dieser Mechanismus in den Sinneszellen der Vögel sitzt, bleibt noch zu erforschen. Als wahrscheinlichster Ort gelten Proteine aus der Familie der Kryptochrome, doch deren genaue Funktion im lebenden Organismus ist unklar. Als aussichtsreich gelten Experimente, in denen sich der Kompass bei Versuchstieren durch schwache elektromagnetische Wellen stören lässt.5)<h2>Quantengeruchssinn</h2>Auch beim Geruchssinn könnte die Quantenmechanik Erklärungen liefern, die uns die konventionelle Physik bisher schuldig blieb. Der überraschende Befund ist der, dass die Geruchserkennung zwar auf Molekülen beruht, Geruchsstoffe mit ähnlichen Strukturen aber nicht unbedingt ähnlich riechen.Luca Turin hat dazu bereits 1996 am University College London einen quantenmechanischen Mechanismus vorgeschlagen. Dieser sieht im Prinzip vor, dass die Nase eine biologische Art von Schwingungsspektroskopie betreibt, also in den Geruchsstoffen bestimmte Vibrationsmoden nachweist. Dabei käme nach Turins Vorstellung auch wieder der Tunneleffekt zum Einsatz.Stimmt diese Hypothese, dann sollten Isotopenmarkierungen in der chemischen Bindung, deren Vibration gemessen wird, die Geruchswahrnehmung beeinflussen. Turin und einige andere haben tatsächlich solche Isotopeneffekte mit Versuchspersonen und mit Fruchtfliegen belegt. Andere Forscher haben jedoch widersprochen, und die Hypothese bleibt bis heute umstritten.Noch spekulativer sind die Versuche, das Bewusstsein mit der Quantenmechanik zu koppeln, was der Mathematiker Roger Penrose und der Psychologe Stuart Hameroff versucht haben.Klar ist jedoch heute schon, dass auch die Teile der Quantenmechanik, die unserer Intuition widernatürlich erscheinen, ihren Platz in der Natur und sogar in der Biologie haben.Michael Groß ist freier Wissenschaftsjournalist in Oxford, England. <a href="https://www.michaelgross.co.uk" target="_blank">www.michaelgross.co.uk</a><figure><img src="https://media.graphcms.com/8PoaBm2TS7uNQkrgBmLD"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Der Physiker Werner Heisenberg (1901 – 1976) im Jahr 1933, ein Jahr, nachdem er den Nobelpreis für die Begründung der Quantenmechanik erhalten hatte. <named-content>Foto: Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst – Zentralbild (Bild 183) /Wikipedia</named-content></figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/3r8RMyhIQOyPw3IGX23f"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Zugvögel orientieren sich vermutlich mit Quantenmechanik.</figcaption></figure>
<h2>Quergelesen</h2>Quantenverschränkung lässt sich experimentell von klassischer Mechanik unterscheiden. Dennoch gibt es keine harte Grenze zwischen der uns vertrauten Wirklichkeit und der Quantenwelt.Der Tunneleffekt etwa findet sich nicht nur im Rastertunnelmikroskop, sondern auch bei Enzymen und der Photosynthese.Quantenmechanik hilft Vögeln, sich zu orientieren, und möglicherweise funktioniert sogar die Geruchserkennung damit.
<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 C. Abellán, A. Acin, A. Alarcón et al., Nature 2018, 557, 212</li><li>
2 J. Al-Khalili, J. McFadden, Der Quantenbeat des Lebens: Wie Quantenbiologie die Welt neu erklärt, Ullstein, Berlin, 2015</li><li>
3 D. R. Kattnig, E. W. Evans, V. Déjean et al. Nature Chem. 2016, 8, doi: 10.1038/ NCHEM.2447, <a href="http://t1p.de/qmue" target="_blank">http://t1p.de/qmue</a></li><li>
4 H. G. Hiscock, S. Worster, D. R. Kattnig et al., Proc. Natl. Acad. Sci. USA 2016, 113, 4634</li><li>
5 H. G. Hiscock, H. Mouritsen, D. E. Manolopoulos, P. J. Hore, Biophys. J. 2017, 113, 1475</li></ul>

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