Bildung & Gesellschaft

Außenstehende von der Faszination der eigenen Forschungsarbeit zu überzeugen, fällt nicht immer leicht. Chemiedoktoranden und Studierende und Lehrende der Kunsterziehung aus Regensburg haben einen neuen Ansatz gewagt, um Kunst und Wissenschaft zu verknüpfen.
<h2>Chemie trifft Kunst: das Projekt „art &amp; sciene“</h2>Die Photochemie mit ihren Themen rund um Licht und Farben eignet sich sehr gut für eine Liaison mit künstlerischer Arbeit. So entstand im Graduiertenkolleg „Chemische Photokatalyse“ vor etwa einem Jahr die Idee, gemeinsam mit Birgit Eiglsperger, Professorin am und Leiterin des Instituts für Kunsterziehung der Universität Regensburg, das Projekt „art &amp; sciene“ zu initiieren. Das Projekt sollte zum einen über die Chemie hinaus Interesse für die wissenschaftlichen Fragen des Graduiertenkollegs wecken und zum anderen einen Dialog zwischen Chemie und Kunst anstoßen.Nach ersten Besuchen der Kunststudierenden im Chemielaboratorium, Einführungen in das Thema und einer Auftaktveranstaltung, auf der die Kunststudierenden eigene Werke vorstellten, bildeten sich schnell erste Kontakte zwischen Künstlern und Naturwissenschaftlern. Individuelle Besuche und Gespräche folgten; sie lieferten die Inspiration für die Künstler. Die Chemiker mussten ihre Forschung Gesprächspartnern ohne tieferen wissenschaftlichen Hintergrund nahebringen, und es war für viele eine interessante Erfahrung, dass die Farbe der Reaktionsmischung mehr Begeisterung weckt als das tolle Forschungsergebnis.In vier Kunstklassen zu Fotografie, Malerei, Radierungen und Plastiken, wurden die Eindrücke dann während des Jahres 2015 in Kunstwerke umgesetzt. Durch Besuche im Kunstatelier begleiteten die Chemiker die Entstehungsprozesse. Neben den Kunststudierenden beteiligten sich ebenso die Dozenten der Kunsterziehung mit eigenen Werken am Projekt.Im Januar und Februar wurden die Werke in der Ausstellung „fine art meets chemistry“ im Hauptgebäude der TU München präsentiert. Weitere Ausstellungen sind für das Jahr 2017 geplant.Birgit Eiglsperger ist Künstlerin und Wissenschaftlerin. Sie ist Inhaberin des Lehrstuhls für Kunsterziehung/Bildende Kunst &amp; Ästhetische Erziehung der Universität Regensburg. Thorsten Bach und Burkhard König sind Chemiker. Bach ist Inhaber des Lehrstuhls für Organische Chemie I an der TU München, König Inhaber eines Lehrstuhls für Organische Chemie an der Universität Regensburg und Sprecher des Graduiertenkollegs „Chemische Photokatalyse“. Die Autoren danken Andreas Bauer, Jörg Schmidt und den Graduiertensprechern Thea Hering und Bernd Mühldorf für ihre engagierte Mitarbeit in der Umsetzung des Projekts. Dieser Beitrag zeigt eine Auswahl der im Rahmen des Projekts art &amp; science entstandenen Kunstwerke. Der Ausstellungskatalog ist auf <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.kunst.ur.de" target="_blank">www.kunst.ur.de</a></ext-link> (unter art &amp; science) zu finden.<figure><img src="https://media.graphcms.com/ZTICLngSUiz7PI9MBTD2"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Marion Aich Lichtgewächs (sechs Plastiken), 2015, Wachs, Glasfaser, Pigmente, Höhe ca. 33 cm Marion Aich verwandelt in den aufstrebenden Formen, modelliert aus schwarzem, weichem Wachs, ihre Vorstellung von kraftvollen und geheimnisvollen Lichtwellen sowie deren Interaktion. Die im Kern der Plastik eingearbeiteten Glasfasern erhellen die Plastik von innen heraus. Vereinzelte Lichtpunkte und Lichtreflexionen erscheinen und unterstützen die lebendige Oberflächenstruktur der organischen Körper.</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/XFAcvGnReeVw6NH8Dl5Q"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Johanna Schuster RGB-Technik 2015, Fotografie auf Alu-Dibond, 90 x 60 cm Um Energiegewinnung durch Licht und Farbstoff anzustoßen, bestrahlen Chemiker verschiedenfarbige, gelöste Farbstoffe mit unterschiedlichem Licht. Dabei wird Energie freigesetzt. In Johanna Schusters Fotografie sind interessante Oberflächen und Materialien aufgenommen, welche mit unterschiedlich farbigen Lichtquellen bestrahlt wurden. Form und Farbe verdichtet sie in einer spannungsreichen Komposition.</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/c5WCpjgISmS87G8veYvr"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Tanja Henzel Aufwärts 2015, Acryl auf Leinwand, 60 x 80 cm Fiktive beleuchtete Glassäulen, mit farbigen Flüssigkeiten gefüllt, streben nach oben. Sie verbinden sich als architektonische Elemente zu einem schwer definierbaren Raum. Querverbindungen zwischen den Säulen bieten Stabilität, stellen aber auch Hindernisse für die Farbsäulen dar. Ein „Aufwärts“ ist nur an einigen Stellen möglich.</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/tKF092RsSJmh0gHyfuU2"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Julia Leopold Gedankenexperiment 2015, Acryl auf Leinwand, 140 x 100cm Das Bild entstand aus mehreren gemalten, zum Teil gesprühten Schichten. Auch Fotos, die in Laboren entstanden sind, sowie Vorlagen verwendeter Formeln wurden integriert. Der künstlerische Arbeitsprozess aus Materialschichtungen, Malerei und Collage sucht Analogien zum wissenschaftlichen Forschungsprozess eines Chemikers, den Kombinationen aus Berechnungen und Experimenten, mit denen er sich einer Lösung anzunähern versucht.</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/jg1rSXPPSYaHtQq1pucG"><figcaption><label>Abb. 5: </label>Matthias Weich 455nm 2015, Fotografie auf Alu-Dibond, 80 x 50 cm Im Zentrum der Arbeit steht die Belichtung von Farbstoffen mit einer LED-Lichtquelle von 455 nm im Rahmen der chemischen Photokatalyse. Theorie und Praxis scheinen durch die Projektion der Skizze fließend ineinander überzugehen.</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/1bFxtXa0Sb2BGTAkKP5m"><figcaption><label>Abb. 6: </label>Birgit Eiglsperger Wissenschaftlerin 2015, Wachs, Papier, Gips, Höhe 200 cm Die abwägende Wissenschaftlerin vereint Kräfte und Gegenkräfte, wie Statik und Dynamik, sie zeigt Richtungen und Gegenrichtungen auf, sie sammelt sich und öffnet sich. Der harte Kern aus Gips trägt eine sensible, bildende Oberfläche aus Wachs und Papier.</figcaption></figure>
<h2>Das Graduiertenkolleg</h2>Das DFG-Graduiertenkolleg „Chemische Photokatalyse“ (GRK 1626) wurde vor sechs Jahren eingerichtet und ist an der Universität Regensburg sowie an der LMU und der TU München angesiedelt. 40 Graduierte aus 15 Arbeitsgruppen erforschen die Nutzung von Licht, wenn möglich aus dem sichtbaren Bereich des Spektrums, zum Antrieb selektiver chemischer Reaktionen. Die Ergebnisse der interdisziplinären Forschungsarbeiten wurden bereits in über 100 Publikationen festgehalten. <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.chemie.uni-regensburg.de/fakultaet/forschung/grk1626/index.phtml" target="_blank">www.chemie.uni-regensburg.de/fakultaet/forschung/grk1626/index.phtml</a></ext-link>

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Licht, Kunst, Chemie

Außenstehende von der Faszination der eigenen Forschungsarbeit zu überzeugen, fällt nicht immer leicht. Chemiedoktoranden und Studierende und Lehrende der Kunsterziehung aus Regensburg haben einen neuen Ansatz gewagt, um Kunst und Wissenschaft zu verknüpfen. Chemie trifft Kunst: das Projekt „art...

Rückstände von Arzneimitteln und anderen Chemikalien im Abwasser und in der Umwelt – wie werden wir die wieder los? Klaus Kümmerer, Professor für nachhaltige Chemie an der Universität Lüneburg, findet: Wir sollten schon bei der Herstellung dieser Substanzen etwas dafür tun. Den Nachrichten aus der Chemie stellte er seine Ideen vor.
Nachrichten aus der Chemie: Was unterscheidet grüne Chemie von gewöhnlicher Chemie?Klaus Kümmerer: Grüne Chemie will chemische Produkte – Moleküle, Polymere, komplexe Materialien etwa für Autos und Smartphones – mit möglichst wenig Energie und Rohstoffen herstellen und dabei möglichst wenig Abfälle erzeugen.Nachrichten: Und was ist nachhaltige Chemie?Kümmerer: Nachhaltige Chemie geht weiter. Sie fragt: Warum nutze ich das Molekül oder das Material? Gibt es Alternativen, lässt sich etwa rohstoffsparende Mobilität als Service nutzen oder über ein neues Geschäftsmodell realisieren? Welche Aspekte der Nachhaltigkeit spielen neben Umwelt- und Ressourcenschutz eine Rolle? Aus Sicht der nachhaltigen Chemie ist nicht automatisch jede grüne Synthese oder die Nutzung nachwachsender Rohstoffe erstrebenswert.Nachrichten: Haben Sie ein konkretes Beispiel?Kümmerer: Als Schutz gegen Regen brauche ich ein imprägniertes Material. Die grüne Chemie fragt: Ist das auch rezyklierbar, wo kommen die Ressourcen her? Die nachhaltige Chemie fragt zusätzlich: Kann ich es so einrichten, dass ich nicht so viel im Regen sein muss? Denn dann reicht statt eines PVC-imprägnierten Materials vielleicht ein nur mit Wachs imprägniertes.Nachrichten: Aber ist das nötig? Wenn ich alle Produkte rezykliere, ist doch alles bestens.Kümmerer: Recycling ist gut und wichtig, aber der derzeitige Hype darum ist Blödsinn. Ich muss die Produkte ja zunächst so herstellen, dass ich sie auch rezyklieren kann. Jeder Deutsche hat angeblich drei Handys in der Schublade – die bekommen Sie nie wieder eingesammelt, die enthaltenen Metalle also auch nicht rezykliert.<h2>Recycling: Ja? Nein? Alternativen?</h2>Nachrichten: Wenn also alles immer effizienter mit weniger Rohstoffen hergestellt wird, dann lohnt sich Recycling am Ende gar nicht mehr?Kümmerer: Genau. Ich brauche einen Markt für die rezyklierten Stoffe und Produkte, und beim Rezyklieren gibt es immer irgendwo Qualitätsverluste. Mit anderen Worten: Es wird immer Entropie erzeugt. Zurzeit könnte man meinen, die Welt funktioniere entgegen den grundlegenden Gesetzen der Thermodynamik – vor 30 Jahren war man da schon weiter.Nachrichten: Was schlagen Sie stattdessen vor?Kümmerer: Recycling als einen Ansatz von vielen zu sehen. Genau zu betrachten, was möglich ist, was Sinn ergibt und welche Nachteile damit verbunden sind. Stoff- und Materialströme homogenisieren und verkleinern, um die entropischen Verluste im Gesamtsystem so gering wie möglich zu halten. Eine Möglichkeit sind neue Geschäftsmodelle.Nachrichten: Wie sollen die aussehen?Kümmerer: Nehmen wir die Desinfektion in Krankenhäusern. Nach dem klassischen Modell möchte derjenige, der das Desinfektionsmittel herstellt, möglichst viel davon verkaufen. Aber eigentlich geht es doch darum, einen definierten Hygienestandard einzuhalten. Am besten wäre also, die Kliniken würden nicht eine bestimmte Zahl von Litern Desinfektionsmittel pro Jahr einkaufen, sondern eine bestimmte Menge desinfizierte Fläche.<h2>Desinfektionsmittel und Antibiotika im Abwasser</h2>Nachrichten: Desinfektionsmittel landen letztendlich wie viele Antibiotika im Abwasser und bewirken Resistenzen. Sind die Medikamentenrückstände im Abwasser in den letzten Jahren gestiegen?Kümmerer: Wir können zumindest immer mehr nachweisen. Vor 30 Jahren haben wir Umweltschadstoffe noch in Milligramm pro Liter gemessen, heute messen wir in Mikro- oder sogar Nanogramm – dafür aber auch mehr Stoffe. Der Antibiotikaverbrauch ist über die letzten Jahrzehnte massiv gestiegen. Wenn wir einen heftigen Schnupfen haben, gehen wir zum Arzt – und sind froh, wenn wir mit einem Rezept wieder herauskommen.Nachrichten: An der Uniklinik in Freiburg haben Sie das Abwasser von Krankenhäusern untersucht. Was haben Sie herausgefunden?Kümmerer: Die Kliniken sind nicht die Haupteinträger von Medikamenten ins Abwasser – ganz im Gegenteil. Wir alle sind es.Nachrichten: Mal abgesehen von den Pillen, die jemand ins WC wirft – viele Medikamente gelangen doch deshalb ins Abwasser, weil wir einen Teil davon ausscheiden?Kümmerer: Richtig. Die Metabolisierungsrate verschiedener Wirkstoffe liegt zwischen 0 und 100 Prozent. Unter Umständen werden also 100 Prozent des Wirkstoffs unverändert ausgeschieden und gelangen ins Abwasser. Aber auch wenn der Wirkstoff metabolisiert wird, muss das nicht heißen, dass er zu CO2 und Wasser abgebaut wird. Er wird vielleicht chemisch nur wenig verändert, es kommt eine OH-Gruppe dazu oder eine Acetylgruppe.<h2>Abwasserreinigung verbessern?</h2>Nachrichten: Würde es helfen, die konventionelle Abwasserreinigung zu verbessern?Kümmerer: Nein, das ist nicht zielführend.Nachrichten: Warum nicht?Kümmerer: Kein Verfahren kann alle Substanzen zurückhalten. Nehmen wir die Adsorptionsverfahren mit Aktivkohle. Aktivkohle sorbiert gut unpolare Substanzen – je polarer, desto schlechter. Außerdem: Die wenigsten Länder reinigen überhaupt ihre Abwässer. Nordamerika, Australien, Europa – nicht mal in Europa gibt es überall konventionelle Kläranlagen.Nachrichten: Und die neueren Techniken, die mit Licht oder Ozon arbeiten?Kümmerer: Ozon gilt oft als Allheilmittel. Aber wir alle haben die Ozonolyse nach Criegee gelernt: Ozon reagiert nicht mit allen Molekülen. Wie bei allen oxidativen Verfahren entstehen Hydroxylradikale, eine hochreaktive Spezies. Und hohe Reaktivität heißt niedrige Selektivität, es gibt also viele Reaktionsprodukte. Allein für das Antibiotikum Ciprofloxacin sind in der Literatur 38 Transformationsprodukte aus Verfahren der Abwasserreinigung beschrieben. Die Produkte können Sie zum Teil nicht einmal analysieren, und sie sind in der Regel hoch polar. Die gute Nachricht: Sie werden sich in Organismen nicht gut akkumulieren. Und die schlechte: Wir finden sie überall.<h2>Schäden sind schwer abzusehen</h2>Nachrichten: Schaden uns die ganzen Rückstände von Medikamenten im Wasser?Kümmerer: Ja und nein. Wir können das Risiko bisher nicht einschätzen. Einerseits haben sie keine akuten Wirkungen. Andererseits haben wir keine Vorstellung davon, was es bedeutet, den gleichen Stoff in der gleichen Menge ein Leben lang aufzunehmen, und ob etwa Babys oder Menschen mit Vorerkrankungen empfindlicher sind. Es gibt Folgeprodukte, die toxischer sind als die Muttersubstanz. Nehmen wir den Heroinersatzstoff Methadon: Wenn der oxidativ behandelt wird, entsteht Nitrosodimethylamid. Das ist hoch lebertoxisch und vermutlich kanzerogen. Und es geht auch nicht nur um Arzneimittel: Flammschutzmittel, Pestizide, Korrosionsinhibitoren im Geschirrspüler, Inhaltsstoffe von Shampoo – all diese Stoffe landen im Abwasser.Nachrichten: Was sollten wir gegen Rückstände im Wasser unternehmen?Kümmerer: Wir müssen am Anfang des Rohres ansetzen. Ein Konzept – übrigens für alle chemischen Stoffe, die in die Umwelt gelangen können – ist Benign by Design. Wenn ein Molekül in die Umwelt gelangen kann, dann muss es schnell und vollständig abbaubar sein, sodass es mineralisiert wird.Nachrichten: Also letztendlich zu Kohlendioxid und Wasser wird? Geht das denn?Kümmerer: Als ich das vor zehn Jahren das erste Mal gesagt habe, wurde ich entweder ausgelacht, oder es hieß: Der spinnt! Aber: Ja, es geht. Ein Beispiel: Ende der 1950er Jahre wurde Tetrapropylenbenzolsulfonat, TPS, als synthetisches Tensid eingeführt. Tenside bilden Schaum – allerdings auch auf der Kläranlage und auf Flüssen. Der Gesetzgeber hat damals gesagt: „Leute, bis in fünf Jahren ist der Stoff vom Markt. Und prüft künftig eure Stoffe daraufhin, dass sie in der Kläranlage abbaubar sind.“ Das war einer der Anfänge der aquatischen Umweltgesetzgebung in Deutschland zu Beginn der 1960er Jahre. Die Hersteller kamen dann mit neuen Molekülen, die auch heute noch alle nutzen: lineare Alkylbenzolsulfonate, LAS.<h2>Vorbild Natur</h2>Nachrichten: Und lineare Alkylbenzolsulfonate sind im Gegensatz zu Tetrapropylensulfonat gut abbaubar?Kümmerer: Genau. Beide, LAS und TPS, haben einen polaren Kopf – Benzol mit Sulfonatgruppe – und einen Alkylschwanz. Aber denken wir daran, wie die Natur Fette aufbaut: über den Acetyl-CoA-Weg, also über C2-Einheiten zu linearen Ketten. Natürliche Fettsäuren sind selten verzweigt. Wenn Bakterien also ein synthetisches Tensid abbauen sollen, das wie TPS an jedem dritten Atom verzweigt ist, kann das nicht funktionieren. Für die lineare Kette aber gibt es Enzyme in der Natur.Nachrichten: Gibt es schon biologisch abbaubare Medikamente?Kümmerer: Das Deutsche Krebsforschungszentrum hat vor einigen Jahren das Zytostatikum Ifosfamid modifiziert. Die Forscher dort wollten die Aufnahme im Darm verbessern und so die Nebenwirkungen verringern. Sie haben einen Zucker drangehängt, es entstand Glufosfamid. Das ist jetzt in klinischer Prüfung Phase 3. Dessen Abbau haben wir untersucht: Das ganze Molekül wurde mineralisiert zu CO2 und Wasser. Also auch bei Arzneimitteln geht‘s. Und die Leute werden die neuen Medikamente womöglich gar nicht deswegen kaufen, weil sie umweltfreundlicher sind, sondern weil sie besser resorbiert werden und weniger Nebenwirkungen haben.Nachrichten: Wie designt man abbaubare Medikamente?Kümmerer: Die Frage ist: Welcher Teil des Moleküls sorgt für seine Wirkung, und wo kann ich etwas ändern? Eine Möglichkeit, die auch die pharmazeutische Industrie nutzt: Strukturvariationen im Computer, die liefern hunderte Strukturen. Im nächsten computerbasierten Schritt schauen wir, welche als toxisch vorhergesagt werden, und ob dieses Molekül in den Rezeptor passt. Die Aussagen stimmen meist zu 70 bis 90 Prozent.<h2>Medikamente, biologisch abbaubar</h2>Nachrichten: Können Sie auch die Bioabbaubarkeit vorhersagen?Kümmerer: Das geht noch lange nicht so gut. Aber wir haben einen OECD-Test verbessert, der auf dem Closed-bottle-Test zur biologischen Abbaubarkeit basiert. Wenn bei uns ein neues Molekül ins Labor kommt, durchläuft das zuerst diesen Test – so verbessern wir stetig Datenbasis und Modelle.Nachrichten: Hat es nicht auch Nachteile, wenn ein Medikament biologisch abbaubar ist? Zersetzt es sich nicht schon vor der Einnahme?Kümmerer: Viele der derzeit gängigen Medikamente zersetzen sich ja auch schon: Arzneimittel in braunen Blistern oder in braunen Flaschen müssen ja vor Licht geschützt werden. Auch die sind also nicht völlig stabil.Nachrichten: Das Prinzip an sich ist also nichts Neues?Kümmerer: Genau, und man hat es schon gemeistert.Nachrichten: Was sagt die Pharmaindustrie zu Ihren biologisch abbaubaren Medikamenten?Kümmerer: Das erste, mit dem die Pharmaindustrie mich konfrontiert hat, war der Vorwurf: Wir können doch keinem einen neuen Wirkstoff vorenthalten, nur weil er nicht bioabbaubar ist!Nachrichten: Und was sagen Sie dazu?Kümmerer: Meine Gegenfrage lautet: Wie viele Moleküle entwickelt die Pharmaindustrie aus ökonomischen Gründen nicht zu Ende? Es mag durchaus Fälle geben, wo wir nicht viel variieren können – okay. Wenn am Ende noch zehn Prozent der Arzneimittel nicht abbaubar sind, kann ich damit leben.Nachrichten: Brauchen wir ein Gesetz für abbaubare Medikamente, oder werden die von alleine kommen?Kümmerer: Ich glaube, wir brauchen eine Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche. Zuckerbrot könnte sein: Wir verlängern die Patentlaufzeit um ein halbes Jahr. Das macht bei einem Blockbuster-Molekül ein paar hundert Millionen aus. Oder es gibt ein bevorzugtes Zulassungsverfahren. Gesetze sind dann der Treiber, die Peitsche, die brauchen wir wahrscheinlich auch.Nachrichten: Wird es in Zukunft durch solche Gesetze nicht schwieriger, Medikamente zu entwickeln?Kümmerer: Nicht zwangsläufig. Nehmen wir den Fall Contergan. Mit Contergan kam ein ganzer Strauß an neuen toxikologischen Prüfungen für neue Moleküle. Und haben wir seit Contergan weniger Wirkstoffe? Nein, wir haben viel mehr!Mit Klaus Kümmerer sprachen Brigitte Osterath und Eliza Leusmann.<figure><img src="https://media.graphcms.com/Wp2sndsqSCGkc99qkV1P"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Klaus Kümmerer im April in Berlin beim Gespräch mit den Nachrichten. <named-content>Foto: Eliza Leusmann</named-content></figcaption></figure>
<h2>Zur Person</h2>Klaus Kümmerer, Jahrgang 1959, ist Direktor des Instituts für Nachhaltige Chemie und Umweltchemie an der Universität Lüneburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind stoffliche Ressourcen und Spurenstoffe in der aquatischen Umwelt.Er studierte Chemie in Würzburg und Tübingen und promovierte in Tübingen zu einem umweltanalytischen Thema. Gleichzeitig widmete er sich per Fernstudium der Ökologie.Er habilitierte sich an der Universität Freiburg und leitete am Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Freiburg die Sektion für angewandte Umweltforschung.Kümmerer ist im Vorstand der GDCh-Fachgruppe Nachhaltige Chemie und Gründer der Zeitschrift Sustainable Chemistry and Pharmacy.

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