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Meilensteine der Chemie 2014

Vor 200 Jahren (1814) Berzeliussche Formelsprache Der schwedische Naturforscher Jöns Jacob Berzelius (1779 — 1848) revolutioniert mit seiner Arbeit “On the chemical signs and the method of employing them to express chemical proportions” nachhaltig das System der chemischen Formelsymbole. “I sha...

Prof.Dr.

Früher wurden Polymerbeschichtungen durch das Benetzen einer Oberfläche mit einer Polymerlösung oder -schmelze erzeugt, also durch Tauchen, Streichen oder Spritzen. Wesentlich dünnere und homogenere Beschichtungen entstehen, wenn Polymerketten direkt an das zu beschichtende Material binden. Falls jede Kette nur an einem Ende an das Substrat gebunden ist, entstehen Polymerbürsten (polymer brushes); aber auch Schlaufen und komplexere Topologien sind realisierbar.
Solche Schichten haben eine Reihe von Vorteilen gegenüber herkömmlichen Polymerbeschichtungen. Die Polymerketten binden in der Regel kovalent an das Substrat. Sie sind dadurch haltbarer als ein Lack, den nur Van-der-Waals-Wechselwirkungen festhalten. Die Schichtdicke ist außerdem viel kleiner als bei einem traditionellen Lack: nämlich maximal gleich der Kettenlänge. Deshalb lassen sich auch Nanopartikel beschichten, ohne deren räumliche Dimensionen signifikant zu stören.
Polymerbürsten machen Oberflächen hydrophob oder hydrophil,1 verhindern die Anhaftung von Biofilmen,2 verbessern die Kompatibilität zu lebendem Gewebe3 oder verändern die Reibungseigenschaften einer Oberfläche.4 Durch strukturelle Modifikationen des Polymers sind diese Effekte steuerbar und auf die jeweilige Anwendung anzupassen. Viele dafür wichtige Polymere werden durch radikalische Polymerisation hergestellt. Allerdings ergibt eine konventionelle radikalische Polymerisation in der Regel eine breite Molmassenverteilung und lässt nur wenig Steuerung der Mikrostruktur zu. Polymerbürsten und andere maßgeschneiderte Beschichtungen mit Polymeren aus radikalischer Polymerisation waren damit lange Zeit nur schwer möglich.
Erst mit Verfahren der reversibel deaktivierten Radikalpolymerisation (reversible-deactivation radical polymerization, RDRP) wuchsen Polymere kontrolliert an vordefinierten Orten und somit auch an Oberflächen. Diese Verfahren liefern enge Molmassenverteilungen um vordefinierte Mittelwerte. Sie haben zusätzlich den Vorteil, dass sich so komplexe makromolekulare Architekturen wie Block-Copolymere synthetisieren lassen. Auch die Funktionalisierung vor allem am Kettenende, aber auch an anderen Punkten entlang des Polymerstrangs ist einfach. Es gibt unterschiedliche Techniken der RDRP, wie die Atomtransfer-Radikalpolymerisation (ATRP), die Nitroxid-vermittelte Polymerisation (NMP), die Organometall-vermittelte Radikalpolymerisation (OMRP) oder die Reversible Additions-Fragmentierungs-Kettentransferpolymerisation (reversible addition-fragmentation chain transfer polymerization, Raft).


<h2>Raft als Radikalpolymerisation der Wahl</h2>
Raft weist bei der Oberflächenfunktionalisierung einige Besonderheiten auf:
Beim Raft-Prozess wird dem Reaktionssystem außer Monomer, Radikalstarter und Lösungsmittel noch ein Raft-Agens zugesetzt. Dabei handelt es sich um einen Dithioester, ein Xanthat, ein Trithiocarbonat oder ein Dithiocarbamat. Über ein tertiäres Radikal als Zwischenstufe überträgt die Raft-Gruppe die Radikalfunktion auf andere Polymerketten. Die Raft-Funktion verbleibt an der ursprünglich wachsenden Kette, die so lange ruht, bis sie durch Reaktion mit einer anderen wachsenden Kette wieder aktiviert wird (Abbildung 1). Dieses Raft-Gleichgewicht sorgt dafür, dass die Radikalfunktion ständig unter den Polymerketten hin und her gereicht wird. Dadurch wachsen alle Ketten mit der gleichen Wahrscheinlichkeit. Dies führt zu einer engen Molmassenverteilung: Am Ende haben alle Ketten in etwa die gleiche Kettenlänge. In der Nettoreaktion wird im Raft-Agens zwischen Raft- und R-Gruppe das Polymer eingeschoben; eine Bindung des Raft-Agens an Oberflächen — egal ob über die R- oder die Z-Gruppe — führt damit automatisch zu oberflächengebundenen Ketten. Weil die Raft-Gruppe in den Makromolekülen bleibt, kann die Polymerisation dann auch immer wieder neu gestartet werden. Die Raft-Polymerisation ist universell: Alle Monomere, die radikalisch polymerisierbar sind, sind für Raft zugänglich.


<h2>Polymere Bürsten</h2>
Es gibt drei prinzipielle Ansätze, um Polymerketten kovalent auf einer Oberfläche zu binden (Abbildung 2): 
Beim Grafting-To, also dem Pfropfen auf die Oberfläche, bindet das vorab synthetisierte Polymer an die Oberfläche.
Beim Grafting-From, also dem Pfropfen von der Oberfläche, wachsen die Polymerketten von der Oberfläche aus.
Beim Grafting-Through-Ansatz, dem Hindurchpfropfen, werden Monomermoleküle chemisch an die Oberfläche gebunden und anschließend in eine wachsende Kette eingebaut. Mit diesem Ansatz lässt sich die Struktur der Polymerschicht allerdings schlechter kontrollieren: An jedem Ankerpunkt hängen zwei Polymerketten unterschiedlicher Länge. Wächst die Kette gar zwei- oder mehrfach durch ein oberflächengebundenes Monomer, bilden sich unkontrolliert Schlaufen.
Eine funktionelle Gruppe zur Verankerung von Molekülen ist beispielsweise die Trimethoxysilylgruppe bei Silikaoberflächen. In anderen Fällen ist es nötig, die Oberfläche zu behandeln, damit sich Bindungen zu Ankergruppen ausbilden.
Gegenüber anderen RDRP-Verfahren hat die Raft-Methode mehrere Vorteile. Sie toleriert viele funktionelle Gruppen und gelingt in unterschiedlichen Lösungsmitteln, selbst in wässriger Lösung. Außerdem ist im Grafting-From-Ansatz ein weiterer Kniff möglich: Indem nämlich entweder die R- oder die Z-Gruppe an das Substrat bindet, entfernt sich das Raft-Agens entweder mit Fortschreiten der Polymerisation von der Oberfläche, sodass die Kette von unten nach oben wächst. Bleibt es dagegen an der Oberfläche verankert, wächst die Kette von oben nach unten (Abbildung 2). Wegen dieser Besonderheit im Mechanismus zählen manche Autoren den Z-Ansatz auch zu den Grafting-To-Methoden.
Der Z-Ansatz ist eine mechanistische Besonderheit von Raft und ist mit keiner anderen kontrollierten Polymerisation realisierbar. Dabei bleibt das Raft-Agens ständig in Verbindung mit der Oberfläche. So gelingt es, Raft-Agenzien komplett an festen Trägermaterialien zu immobilisieren, was für technische Anwendungen interessant ist.5 Die Polymerketten können beim Z-Ansatz relativ leicht wieder von der Oberfläche gelöst werden. Lösen kleine Radikale die Ketten ab, lässt sich ein funktionierendes, oberflächengebundenes Raft-Agens zurückgewinnen.
Außer dem R- und dem Z-Ansatz gibt es darüber hinaus noch den Initiator-Ansatz, bei dem anstelle des Raft-Agens ein Initiator an die Oberfläche bindet (Abbildung 2, S. 25).


<h2>Grafting-From</h2>
Mit dem Grafting-From-Ansatz lassen sich Makro-, Mikro- und Nanooberflächen relativ einfach modifizieren. Beispiele dafür sind Bürsten von Polymethylmethacrylat und Polystyrol auf Silicium-Wafern6 und auf Siliciumdioxid-Nanopartikeln5 sowie von Polyvinylacetat auf Partikeln aus quervernetzten Polymeren.7
Die ersten Polymerbürsten durch Raft-Polymerisation entstanden, indem ein Initiator an die zu beschichtende Oberfläche gebunden und das Raft-Agens in Lösung hinzugegeben wurde. Dadurch gehen jedoch teilweise die Vorteile der kontrollierten Polymerisation verloren, da sich durch den kontinuierlichen Initiierungsprozess auf der Oberfläche ständig neue Ketten bilden und sich so die Molmassenverteilung verbreitert. Andere Parameter sind besser zu kontrollieren: Konzentration und Zerfallsgeschwindigkeit des Initiators auf der Oberfläche bestimmen die Pfropfdichte. Die Reaktionszeit entscheidet dagegen über die Schichtdicke, und sehr dünne Polymerfilme werden so möglich.
Noch besser wird die Kontrolle, wenn das Raft-Agens an der Oberfläche fixiert wird (Abbildung 3a und b). Es bindet dabei entweder über die Z- oder über die R-Gruppe. Wenn sowohl das Raft-Agens als auch der Initiator an der Oberfläche binden,8 hat das den Vorteil, dass sich das Polymer praktisch ausschließlich auf der Oberfläche bildet. Bei der Arbeit mit freiem Initiator entsteht dagegen immer etwas Polymer in Lösung.
Bifunktionelle Raft-Agenzien erzeugen Polymerschlaufen auf der Oberfläche. Die Raft-Agenzien sind dabei doppelt an die Oberfläche gebunden. Je nach Ansatz werden entweder die Z- oder die R-Gruppen verankert. Die jeweils anderen Gruppen der beiden Raft-Funktionen sind miteinander verknüpft. Das Kettenwachstum findet dann entweder zwischen Raft-Gruppe und Anker statt oder zwischen den beiden Raft-Gruppen (Abbildung 3c). So entstehen dichte Schlaufenteppiche mit enger Molmassenverteilung.9 Eine Besonderheit dieses Mechanismus ist, dass im Gegensatz zum herkömmlichen R- und Z-Ansatz im Idealfall kein Bestandteil des Raft-Agens die Oberfläche verlässt: Sowohl die R-Gruppe als auch die Raft-Funktion bleiben stets auf mindestens einer Seite mit der Oberfläche verbunden.
Schließlich entstehen durch Grafting-From auch einfach Block-Copolymere, indem man zuerst ein Monomer A einsetzt und nach Abschluss der Reaktion ein weiteres Monomer B hinzufügt.10 Die lebenden Polymerketten bauen dann einen einheitlichen Block des zweiten Monomeren ein. Je nach R- oder Z-Ansatz entsteht ein AB- oder BA-Block-Copolymer (Abbildung 3d). Die Reihenfolge, in welcher der Raft-Prozess die Monomere einbaut, ist häufig durch deren Reaktivität vorgegeben. Das wachsende Radikal des ersten Blocks A sollte eine gute homolytische Abgangsgruppe sein, verglichen mit der wachsenden Kette des zweiten Blocks B. Je nachdem, ob man den R- oder Z-Ansatz verwendet, bietet die Raft-Polymerisation somit die Möglichkeit, die Blöcke A und B in beliebiger Reihenfolge auf der Oberfläche anzuordnen.


<h2>Grafting-To</h2>
Der Grafting-To-Ansatz führt zwar in der Regel zu keiner hohen Besetzungsdichte, dafür lässt sich das Polymer kontrollierter herstellen. Auch dazu eignet sich die Raft-Polymerisation gut. Zum Einsatz kommt ein Raft-Agens, das bereits die Ankergruppe trägt. Wenn diese dabei Teil der Z-Gruppe ist, befinden sich nach der Immobilisierung nur lebende Polymerketten auf der Oberfläche. Anders terminierte, tote Ketten tragen dann nämlich keine Ankergruppe. Das ist dann ideal, wenn noch eine weitere Polymerisation von der Oberfläche aus folgen soll.
Auf Goldoberflächen binden die schwefelhaltigen Raft-Gruppen ohne weitere Umwandlung. Damit erfüllt das Raft-Agens eine doppelte Funktion: Erst sorgt es für die Kontrolle bei der radikalischen Polymerisation. Danach verbleibt die Raft-Gruppe im Polymer und dient im zweiten Schritt als Anker, um an die Oberfläche zu binden. Abbildung 4a zeigt ein kugelförmiges Goldnanopartikel, das mit Raft-Polymeren funktionalisiert ist, die eine Trithiocarbonatgruppe am Ende haben, — ein Kern-Schale-Nanohybrid. Im Elektronenmikroskop sind für solche Nanohybride gleichmäßige hexagonale Anordnungen der Goldkerne (Durchmesser ungefähr 14 nm) zu beobachten (Abbildung 4d). Das Polymer (in diesem Fall das thermoresponsive Poly-N-isopropylacrylamid) füllt den Raum zwischen den Partikeln aus und ist hier im Vergleich zu den Goldkernen fast unsichtbar. Es ist indirekt dadurch zu erkennen, dass die gleichmäßige Polymerhülle die Goldpartikel auf einem konstanten Mindestabstand hält. Rasterkraftmikroskopie zeigt, wie sich das Polymer bei den auf einer Oberfläche aufgebrachten Nanohybriden rund um den Partikelkern herum anordnet (Abbildung 4e, Profil: Abbildung 4f).
Mit Polymeren, deren Ketten einheitlich länger sind, nehmen auch die Abstände zwischen den Goldkernen zu. Die Aufnahmen in Abbildung 4d sind alle mit der gleichen Vergrößerung aufgenommen, aber die eingesetzten Makromoleküle sind nach rechts hin immer länger. In Abbildung 4b ist der mittlere Abstand der Goldkerne gegen die mittlere Molmasse des Polymers auf der Oberfläche aufgetragen. Mit diesen Daten lässt sich eine neue Art von Nanohybriden mit dem konventionellen Typ vergleichen. Abbildung 4c zeigt diese neuen Nanohybride. Hier sind Polymere eingesetzt, die mehrere Trithiocarbonatgruppen entlang ihrer Hauptkette besitzen. Solche Makromoleküle sind in einer einzigen Raft-Polymerisation leicht herstellbar, indem man polymere Raft-Agenzien verwendet, die bereits mehrere dieser Gruppen besitzen. Wenn man die Goldpartikel mit diesen multifunktionellen Polymeren bedeckt, kann man wieder die gleichen regelmäßigen Anordnungen der resultierenden Nanohybride finden. Allerdings bleiben die Abstände jetzt immer ungefähr gleich groß, unabhängig von der Gesamtlänge der Polymere oder der Anzahl ihrer Trithiocarbonatgruppen (Abbildung 4b, S. 27). Vor allem sind die Abstände kleiner, als für die konventionellen Raft-Polymere mit gleicher Molmasse zu erwarten. Eine Quervernetzung ist nicht zu beobachten. Mit den multifunktionellen Raft-Polymeren sind also neuartige Nanohybride entstanden, bei denen die Polymerketten um die Goldkerne gewickelt sind (Abbildung 4c, S. 27). Jede Polymerkette ist also sogar über mehrere chemische Bindungen an den Nanopartikeln befestigt. So stehen die Polymere weniger von der Oberfläche ab und halten die Goldpartikel auf geringerem Abstand. Neben dem Einsatz eines doppelt verankerten Raft-Agens im Grafting-From-Ansatz ist dies eine weitere Art, um Polymerschlaufen auf Oberflächen zu befestigen.11


<h2>Fazit</h2>
Raft ist eine leistungsfähige Methode, um maßgeschneiderte Polymerbeschichtungen herzustellen. Da sich die verschiedenen Möglichkeiten der Kontrolle auch miteinander kombinieren lassen — beispielsweise indem man Schlaufen aus Block-Copolymeren erzeugt — wird eine ungeheure Vielfalt an Polymerfilmen zugänglich. Hinzu kommt, dass die Eigenschaften vieler dieser Filme durch Umgebungsvariablen wie Temperatur, pH-Wert und Lösungsmittel einstellbar sind.12 Anwendungsmöglichkeiten ergeben sich in Technik, Medizin, Pharmazie und Sensorik.


<h2>QUERGELESEN</h2>
Wenn Polymerketten direkt an das zu beschichtende Material binden, entstehen Polymerbürsten (polymer brushes).
Für maßgeschneiderte Polymerbürsten eignet sich besonders die Reversible Additions- Fragmentierungs-Kettentransferpolymerisation (Raft).
Es gibt drei prinzipielle Ansätze, um Polymerketten kovalent auf einer Oberfläche zu binden: Grafting-To (Pfropfen auf die Oberfläche), Grafting-From (Pfropfen von der Oberfläche) und Grafting-Through (Hindurchpfropfen)
Potenzielle Anwendungen ergeben sich in Technik, Medizin, Pharmazie oder Sensorik.


Bastian Ebeling ist Doktorand an der Universität Göttingen im Arbeitskreis von Philipp Vana. Ebeling studierte Chemie in Göttingen und Florenz. Der Schwerpunkt seiner Forschung liegt auf Polymeren an Goldnanopartikeln. Florian Ehlers, Jahrgang 1982, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Göttingen. Sein Diplom erwarb er im Jahr 2007 bei Jürgen Troe in Göttingen, 2010 folgte die Promotion. Seine Schwerpunkte sind Photophysik und Synthese konjugierter Systeme. Philipp Vana, Jahrgang 1971, ist Professor für makromolekulare Chemie an der Universität Göttingen. Nach der Promotion in Wien und Postdoktorandenaufenthalte in Sydney und Kyoto habilitierte er sich in Göttingen und wurde dort im Jahr 2008 Heisenberg-Professor für Funktionelle Polymermaterialien und im Jahr 2010 Lehrstuhlinhaber. Seine Forschungsschwerpunkte sind kontrollierte Polymerisationen, vor allem Raft-Polymerisationen, an Oberflächen, nanostrukturierte und biomimetische Polymermaterialien sowie die Untersuchung der Mechanismen und der Kinetik von kontrollierten Polymerisationsmethoden. <a href="mailto:pvana@uni-goettingen.de">pvana@uni-goettingen.de</a>



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