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Meilensteine der Chemie 2015

Vor 200 Jahren (1815) Proutsche Hypothese Der britische Naturforscher William Prout (1785 — 1850) stellt auf der Grundlage der Atomtheorie seines Landsmanns John Dalton (1766 — 1844) die Hypothese auf, dass der Wasserstoff der Baustein aller Elemente ist. Daher muss deren Atomgewicht stets ein...

Prof.Dr.

Um den Bedarf an synthetischen organischen Polymeren, kurz Kunststoffen, zu decken, hat die Chemieindustrie immer effizientere und ökonomischere Syntheseverfahren entwickelt.1 Da organische Polymere heute leicht verfügbar und verarbeitbar sind, zudem Technologie und Design stetig fortentwickelt werden, gibt es den Trend, in kürzer werdenden Zeitabständen neue Produkte einzusetzen. Haushaltsgeräte, für die früher eine Lebensdauer von mehr als 30 Jahren angesetzt wurde, gelten heute schon nach weniger als 10 Jahren als überholt.
Ausgemusterte Kunststoffe, insbesondere Gehäuse und Verpackungen, werden in immer kürzeren Zyklen zu Plastikmüll. Für dieses Umweltproblem — zu dem unter anderem der riesige pazifische Müllstrudel gehört — ist bereits der Begriff “Plastic Planet” geprägt worden [siehe auch diese Nachrichrichten, S. 46]. Maßnahmen zur Vermeidung von Müll und zum Recycling von organischen Polymeren werden folglich immer dringlicher. Den Müll zu vermeiden, kann das Problem zwar dämpfen, aber nicht beseitigen; lösen kann das Problem nur die Chemie.


<h2>Kunststoffe wiederverwenden</h2>
Organische Polymere als Werkstoffe sind an sich eine ausgesprochen günstige Basis, um Müll wiederzuverwenden. Sie sind viel leichter und effizienter direkt wiederverwend-, umwandel- oder abbaubar als anorganische Materialien wie Porzellan, Keramik und Silikatglas in Form von Flachglas. Notfalls können organische Verbindungen immer noch verbrannt werden, um wenigstens ihren Energieinhalt zu nutzen.
Unter den technischen Polymeren überwiegen die Thermoplasten bei weitem. Gründe dafür sind ihre einfache und ökonomische Verarbeitbarkeit durch Aufschmelzen und Formen im Spritzgießverfahren sowie ihre guten Biege- und Stoßeigenschaften. Wiederverwendung durch erneutes Aufschmelzen und Formen wäre ein attraktiver Weg, erfordert aber sortenreines Material. Bereits 5 % Fremdmaterial verschlechtern wegen der Unverträglichkeit und Unmischbarkeit von Polymeren durch Kornbildung die Materialeigenschaften. Manche Spezialanwendungen benötigen noch wesentlich bessere Einheitlichkeiten. Solch sortenreine Polymermaterialien fallen aber allenfalls direkt bei deren Herstellungs- und Verarbeitungsprozessen an. Für unspezifisch gesammeltes Polymermaterial ist Sortenreinheit unrealistisch; sie lässt sich höchstens durch effizientes Sortieren erreichen.
 Sortieren scheint zunächst nur für Thermoplaste notwendig zu sein, um diese wieder in eine homogene Schmelze für die Wiederverwertung zu überführen. Ein Sortieren ist aber auch für die unschmelzbaren Thermodure von Vorteil, die durch chemische Prozesse aufzubereiten sind. Solche Prozesse lassen sich bei einheitlichem Ausgangsmaterial effizienter und stabiler betreiben und steuern als mit schlecht definierten Gemischen.
Da gebrauchte Polymere massenhaft entstehen, sind automatische Sortierverfahren anzustreben — zumal manuelles Sortieren nicht die erforderliche Fehlerfreiheit erreicht. Nötig sind also Sortieranlagen für geschreddertes Material. Solche Anlagen sind bekannt und realisiert, etwa die populären Glassortieranlagen. Das Problem ist die Erkennung des jeweiligen Polymers der einzelnen Schredderflakes. Bisherige Entwicklungen nutzen zur Erkennung beispielsweise die Dichte der Flakes oder deren elektrostatische Aufladung.2 Ein universelles, sicheres und schnelles Verfahren steht aber noch aus.


<h2>Optische Detektion: Fluoreszenz</h2>
Die aus der Chemie bekannten spektroskopischen Methoden sind für die individuelle Erkennung der Polymere attraktiv. Da mit Transportgeschwindigkeiten der Flakes von mehr als 100 Metern pro Sekunde zu rechnen ist, sind ausgesprochen schnelle Detektionsverfahren erforderlich. Erschwerend kommt hinzu, dass die Oberflächen und die Strukturen der Recyclingflakes nur schlecht definiert sind. Günstig ist es daher, wenn die Flakes selber zu Strahlungsquellen werden, die auf Detektoren fokussiert werden. Diesen Randbedingungen entsprächen die Ramanspektroskopie und die Fluoreszenzspektroskopie; sie wären auch schnell genug für zügige Sortiervorgänge.
Geht man von einem typischen, 25 mg schweren Recyclingflake aus, dessen Abmessungen ungünstigstenfalls 10 mm betragen, wäre ein 20-mm-Sicherheitsabstand zwischen den zu detektierenden Flakes nötig. Eine Vorschubgeschwindigkeit von 140 Metern pro Sekunde (aus technischen Gründen sollte sie deutlich unter der Schallgeschwindigkeit bleiben) schafft dann im Extremfall über 1,5 Tonnen Material pro Stunde und Sortierlinie. Um die Anlage und deren Betrieb einfach zu halten, sollte sie deutlich unter diesem technischen Limit bleiben.
Bei der Ramanspektroskopie sind stets fluoreszierende Beimengungen ein Problem, das bei unkontrolliert gesammeltem Recyclingmaterial unbekannter Vorgeschichte noch gravierender wird. Außerdem schwankt die Lichtstreuung des Anregungslichts unter den Bedingungen stark. Fluoreszenzspektroskopie ließe sich hier wesentlich effizienter einsetzen. Bei technischen Polymeren tritt nämlich eine beachtliche Eigenfluoreszenz auf, diese lässt sich als Fingerabdruck für ihre Identifizierung nutzen.
Abbildung 1 zeigt exemplarisch Fluoreszenzspektren für die technischen Hochleistungskunststoffe Delrin (Polyoxymethylen-Homopolymer), Luran (Acrylester-Styrol-Acrylnitril) und Ultramid (Polyamid-Faser). Die Polymere sind anhand des spektralen Verlaufs zu identifizieren; für Aufgaben dieser Art stehen effiziente Algorithmen zur Verfügung. Array-Spektrometer oder CCD-Systeme könnten die Spektren aufnehmen. Da der komplette Spektralbereich bearbeitet werden muss und weil die Spektren ähnlich sind, ist dieses Verfahren verhältnismäßig rechenintensiv und dadurch aufwendig. Die Detektion zu vereinfachen, brächte deshalb einen erheblichen Fortschritt.


<h2>Fluoreszenzabklingzeit als Detektionskriterium</h2>
Überraschenderweise unterscheiden sich nicht nur die spektralen Verläufe der Eigenfluoreszenzen der Polymermaterialien erheblich, sondern auch ihre individuellen Fluoreszenzabklingzeiten. So klingt die Eigenfluoreszenz von Luran nach einer pulsförmigen Anregung mit einer e-Funktion erster Ordnung ab (Abbildung 2). Abbildung 3 zeigt, wie stark sich individuelle Zeitkonstanten τ des Fluoreszenzabklingens verschiedener Polymere unterschieden.3 Der Exponentialverlauf ist für eine Detektion besonders interessant, denn unabhängig von der Anfangsintensität oder vom Beginn der Messung ergibt sich immer dieselbe Zeitkonstante (ähnlich beim radioaktiven Zerfall); dies vereinfacht den Messvorgang und erhöht die Messsicherheit. Für die Messungen aus Abbildung 2 und 3 verfolgte ein Spektrometer den zeitlichen Verlauf. Für ein technisches Messsystem wäre dies aber nicht erforderlich.
Die Zeitkonstante τ lässt sich aus zwei Intensitätsmessungen4 — zweckmäßigerweise vor und nach der ersten Halbwertzeit — berechnen. Die Messungen brauchen nicht einmal punktförmig, sondern können auch, zum Beispiel mit einem Gaußprofil, integrierend sein (Abbildung 4); dies verbessert das Signal-zu-Rauschverhältnis. Mit modernen Halbleiterbauteilen sowie mit Laserdioden und phasenempfindlichen Detektoren ist dieses Verfahren ökonomisch realisierbar.


<h2>Erweiterungen und Ausblick</h2>
Über die Bestimmung der Fluoreszenzabklingzeit lassen sich grundsätzlich Mischungen von Polymeren automatisch sortieren, die dann technisch wiederverwertet werden; das Verfahren lässt sich aber auch weiter ausbauen. So wäre es zum Beispiel interessant, bestimmte Chargen an Polymermaterial auszusortieren. Hierfür könnten Hersteller diesen Chargen gezielt kleine Anteile an Fluoreszenzfarbstoffen zusetzen. Wegen ihrer geringen Konzentration würden sie nicht auffallen, wären aber über die Fluoreszenz detektierbar.
Hierfür eignen sich beispielsweise Perylenbisimide (etwa der Farbstoff S-13, RN 110590—84—6),5 die sich trotz ihrer rein organischen Basis durch ihre starke Fluoreszenz und durch hohe Lichtechtheit auszeichnen. Deren Lichtabsorptionsvermögen ist bei 365 nm klein und ermöglicht die ungestörte Sortierung nach Polymertypen. Durch eine Anregung im sichtbaren Bereich ließe sich dann die spezielle Charge aussortieren.
Ein effizientes Recycling der Polymere kann so nicht nur einen Ausweg aus dem wachsenden Umweltproblem “Plastikmüll” bieten, sondern darüber hinaus Impulse für neue Technologien liefern.


— — — Um Plastikmüll zu vermeiden, muss das Kunststoffrecycling ausgebaut und effizienter werden.
 Bisher fehlt ein universelles, sicheres und schnelles Verfahren, um in Kunststoffschredderflakes das jeweilige Polymer zu erkennen.
Ein geeignetes Verfahren wäre die Fluoreszendetektion: Über ihre Fluoreszenzabklingzeit ließen sich Polymermischungen automatisch sortieren und technisch wiederverwerten.


Heinz Langhals, Jahrgang 1948, ist Professor für organische und makromolekulare Chemie an der LMU München im gesetzlichen Ruhestand. Er forscht an funktionalen Materialien mit chromophoren Strukturen, Solvenseffekten und makromolekularen und archäologischen Fragen, beispielsweise am Bingmayong Museum (Terrakotta Armee). Neuere Aktivitäten an der Universität Linz betreffen optische Energiewandler im Rahmen des Gottfried-Herder-Programms. <a href="mailto:Langhals@lrz.uni-muenchen.de">Langhals@lrz.uni-muenchen.de</a>



<ul>
<li>
1a 

Siehe als Übersicht z. B.
</li>
<li>
1 

H.-G. Elias, Makromoleküle, Band 1 bis 4, Wiley-VCH, Weinheim 1999—2003.
</li>
<li>
2 

 
</li>
<li>
2a 

 
E. Nemeth, 
G. Schubert, 
V. Albrecht, 
F. Simon, 
<source>Aufbereitungs Tech. 
(2005), 
46, 
35–<lpage>46</lpage>;
</li>
<li>
2b 

) E. Nemeth, F. Simon, V. Albrecht, G. Schubert, Ger. Patent, DE 102004024754 B3 (12.5.2004)
</li>
<li>
3 

 
H. Langhals, 
D. Zgela, 
T. Schlücker, 
<source>Green and Sustainable Chem. 
(2014), 
4, 
144–<lpage>150.</lpage>
</li>
<li>
4 

 
</li>
<li>
4a 

 
R. M. Ballew, 
J. N. Demas, 
<source>Anal. Chem. 
(1989), 
61, 
30–<lpage>33</lpage>;
</li>
<li>
4b 

 
R. J. Woods, 
S. Scypinski, 
L. J. Cline Love, 
H. A. Ashworth, 
<source>Anal. Chem. 
(1984), 
56, 
1395–<lpage>1400</lpage>;
</li>
<li>
4c 

 
R. J. Meier, 
L. H. Fischer, 
O. S. Wolfbeis, 
M. Schäferling, 
<source>Sensors and Actuators B 
(2013), 
177, 
500–<lpage>506.</lpage>
</li>
<li>
5 

 
</li>
<li>
5a 


H. Langhals, 
Chromophores for picoscale optical computers, in <source>Fundamentals of picoscience, [Hrsg.: <person-group person-group-type="editor">K. Sattler</person-group>], S. 705–<lpage>727</lpage>, <publisher-name>Taylor &amp; Francis Inc. CRC Press Inc.</publisher-name>, <publisher-loc>Bosa Roca/US</publisher-loc>, 2013.

</li>
<li>
5b 


H. Langhals, 
<source>Helv. Chim. Acta, 
2005, 
88, 
1309–<lpage>1343</lpage>.
</li>
</ul>

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