Blickpunkt

Prof.


<p>Durch die matrixunterstützte Laserdesorptions-Ionisation (matrix-assisted laser desorption/ionization, M<sc>aldi</sc>) und die Electrospray-Ionisation (ESI) lassen sich heute sehr große, komplexe Biomoleküle intakt in die Gasphase bringen und mit Massenspektrometrie (MS) vermessen.<sup>1</sup>,<sup>2</sup> M<sc>aldi</sc> und ESI sind heute sehr verbreitet und beispielsweise aus der Proteomik nicht mehr wegzudenken. Entscheidende Beiträge zur Verbreitung dieser Methoden kamen auch von Geräteherstellern: Hochspannungs-Pulserzeugung, Detektoren, Modellierung von Ionentrajektorien und Softwareentwicklung sind nur einige der Komponenten, die sehr hohe Auflösung (m/Δm ≥1 000 000), eine Massengenauigkeit im Sub-ppm-Bereich, exzellente Empfindlichkeit und Hochdurchsatz-Messungen ermöglichen.</p>


<h2>ESI-MS: intakte Biomoleküle und Bindungskonstanten</h2>
<p>ESI ist eine der weichsten bekannten Ionisationsmethoden und bringt, sofern aus nativen, als nicht denaturierten Lösungen gesprayt wird, selbst nichtkovalente Komplexe intakt in die Gasphase. So ist es beispielsweise gelungen, das intakte Ribosom samt seinen Protein-Konjugaten<sup>3</sup> oder ganze Viren-Capside<sup>4</sup> massenspektrometrisch zu untersuchen (Abbildung 1).</p>
<p>Ebenso lassen sich Komplexe großer Biomoleküle und niedermolekularer Liganden mit nativer ESI-MS vermessen. Da ESI-Tröpfchen während des Sprayprozesses durch Coulomb-Explosion innerhalb von Mikrosekunden auseinanderbrechen, frieren Lösungsgleichgewichte gewissermaßen ein, und das ESI-Massenspektrum gibt einen Schnappschuss der chemischen Zusammensetzung der Lösung wieder. Durch sukzessive Erhöhung der Konzentration des Liganden erreicht man eine Titration mit MS-Auslesung, aus der sich die Bindungskonstante K<sub>d</sub> des nichtkovalenten Komplexes ergibt (Abbildung 2).<sup>5</sup>,<sup>6</sup> Die Resultate solcher Messungen stimmen überraschend gut mit Referenzmethoden wie isothermer Titrations-Kalorimetrie (ITC) überein. ITC ist der Gold-Standard für K<sub>d</sub>-Messungen, verbraucht jedoch wesentlich mehr Probenmaterial als ESI-MS und liefert keinerlei Angaben über Stöchiometrie und Identität der Interaktionspartner.</p>
<p>Ob Biomoleküle, die mit nativer ESI-Technik ionisiert werden, in der Gasphase auch in nativer, also biologisch funktioneller Form vorliegen, ist noch offen. Um dies herauszufinden, ergänzen Forscher Massenspektrometrie mit komplementären Methoden wie Ionenmobilität, Fluoreszenz oder hochauflösender Laserspektroskopie.</p>


<h2>Entwicklungen in der M<sc>aldi</sc>-MS: neue Detektoren und Bildgebung</h2>
<p>Anders als bei ESI dominieren einfach geladene Ionen die M<sc>aldi</sc>-Massenspektren, was ihre Interpretation vereinfacht. So dient M<sc>aldi</sc> beispielsweise dazu, Peptidgemische simultan zu messen, die für die Identifizierung von Proteinen durch tryptische Verdauung erzeugt werden.</p>
<p>Bei M<sc>aldi</sc>-MS-Messungen an sehr großen Makromolekülen stoßen handelsübliche Instrumente bei der Detektion solcher langsam fliegender Ionen jedoch an Grenzen. Spezielle Hochmassendetektoren sind seit Kurzem kommerziell erhältlich und detektieren Ionen mit m/z-Werten bis über 10<sup>6</sup>. Ein Beispiel ist der Vitamin-B12-Importer BtuC<sub>2</sub>D<sub>2</sub>, ein heterotetrameres Membranprotein (Abbildung 3). Um die Untereinheiten mit M<sc>aldi</sc>-MS zu messen, wurden sie in Anwesenheit des Detergens, das für die Löslichkeit von Membranproteinen unabdingbar ist, mit Glutaraldehyd quervernetzt; das Signal des Heterotetramers liegt bei m/z = 133 000, dies bestätigt die C<sub>2</sub>D<sub>2</sub>-Stöchiometrie der Untereinheiten.</p>
<p>Die Geschwindigkeit von M<sc>aldi</sc> ist bei bildgebenden MS-Verfahren von Vorteil. Auf diesem Gebiet gab es in den letzten Jahren große Fortschritte. Es ist heute möglich, mit einer räumlichen Auflösung von nur einigen µm, einer Massenauflösung von über 100 000 und einer Aufnahmegeschwindigkeit von zirka 1 s pro Pixel MS-Bilder mittels Atmosphärendruck-M<sc>aldi</sc> zu erzeugen, die eindeutige Zuordnungen nominal isobarer Komponenten in Gewebeschnitten erlauben (Abbildung 4).<sup>7</sup></p>


<h2>Ambiente Ionisationsmethoden</h2>
<p>Die meisten MS-Spezialisten wurden von einer großen Umwälzung überrascht, die sich in den Jahren 2004, 2005 anbahnte: den ambienten Ionisationsmethoden, die charakteristische Ionen komplexer Proben für die MS-Analyse bei Normaldruck und -temperatur erzeugen, und das mit minimaler oder ganz ohne Probenvorbereitung. Bis dahin herrschte die Meinung, dass sich Massenspektrometrie mit ESI, M<sc>aldi</sc> und einigen anderen Entwicklungen wohl auf hohem Niveau konsolidieren würde. Möglicherweise getrieben durch die Verbesserung der Empfindlichkeit und durch die weite Verbreitung von API-(atmospheric pressure inlet)-Geräten entstand eine ganze Klasse ambienter Ionisationsmethoden. Den Auftakt bildete Desi (desorption electrospray ionization), eine Methode, die charakteristische Sekundärionen von einer Oberfläche durch ein mit reinem Lösungsmittel betriebenen Electrospray erzeugt, der auf die zu analysierende Oberfläche gerichtet wird.<sup>8</sup> Fast zeitgleich wurde Dart (direct analysis in real time) entwickelt,<sup>9</sup> eine Methode, die mit metastabilen Helium-Atomen charakteristische Sekundärionen erzeugt.</p>
<p>In der Zwischenzeit wurden 20 bis 30 verschiedene ambiente Ionisationsmethoden beschrieben, wobei für die meisten eine neue Abkürzung eingeführt wurde (was nach Ansicht des Autors weitgehend unnötig ist). Die Fülle an ambienten MS-Methoden lässt sich etwa wie folgt gliedern:</p>
<p>Varianten der ESI-Ionisation, darunter paper spray, toothpick spray, leaf spray,</p>
<p>direkte Desorptions-Ionisations-Methoden, darunter Desi, Dart, Methoden, die mit Plasmaquellen arbeiten, die auf eine Probe gerichtet sind, </p>
<p>Methoden, die ein Electrospray aus reinem Lösungsmittel zur Nachionisation einsetzen.</p>
<p>Ein Beispiel einer Anwendung ambienter MS, das zur dritten Kategorie gehört (Nachionisation mit ESI), zeigen die Abbildungen 5 bis 7. Hier wurde das Epilepsiemedikament Valproinsäure (VPA) direkt im Atem von Patienten nachgewiesen.<sup>10</sup> Interessanterweise detektierte die MS in der ausgeatmeten Luft nicht Valproinsäure selbst, sondern ein bislang unbekanntes Stoffwechselprodukt bei m/z = 160. Dieses entsteht durch Laktonbildung einer offenbar im Körper gebildeten Hydroxy-Valproinsäure und Aufpicken eines Ammoniumions, das die Ladung hinzufügt.</p>
<p>Eine Vision für den Einsatz ambienter MS-Methoden — inklusive verwandter Methoden wie Ionenmobilitäts-Spektroskopie, PTR(proton transfer reaction)- und SIFT-(selected ion flow tube)-Massenspektrometrie — liegt denn auch in der Medizin: Falls die Leistungsfähigkeit miniaturisierter Massenspektrometer11) in Zukunft weiter steigt, ist es denkbar, dass Patienten keine Blut- oder Urinproben mehr abgeben, die ins Labor geschickt werden müssen. Stattdessen geben sie in der Klinik oder in der Arztpraxis eine Atemprobe ab, die vor Ort sofort analysiert wird. Die Diagnose von Krankheiten, das Verfolgen einer Genesung und die Einhaltung der Medikamentendosis lassen sich auf diese Art überprüfen.</p>
<p>Renato Zenobi, Jahrgang 1961, ist Professor für analytische Chemie an der ETH Zürich. Nach dem Studium an der ETH Zürich ging er in die USA, wo er 1986 an der Stanford University promovierte und an der University of Pittsburg sowie an der University of Michigan als Postdoc tätig war. Als Werner-Fellow kehrte er anschließend in die Schweiz zurück, wo er an der EPFL (Lausanne) eine eigene Gruppe aufbaute. Im Jahr 1995 folgte er einem Ruf als Assistenzprofessor an die ETH Zürich, seit 2000 ist er ordentlicher Professor. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Massenspektrometrie und die Entwicklung spektroskopische Verfahren, die chemische Informationen auf der Nanometerskala liefern.</p>


<h2>QUERGELESEN</h2>
<p>ESI bringt Komplexe großer Biomoleküle intakt ins Massenspektrometer und ermöglicht über ESI-MS-Titration die Bestimmung von Bindungskonstanten.</p>
<p>M<sc>aldi</sc>-MS-Detektoren detektieren inzwischen besonders große Massen, etwa Membranproteine.</p>
<p>Aufgrund der Geschwindigkeit dient M<sc>aldi</sc> für bildgebende MS-Verfahren.</p>
<p>Ambiente Ionisationsmethoden, also solche, die bei Normaldruck und -temperatur arbeiten, erschließen die MS für medizinische Anwendungen, etwa für die Atemluftanalyse.</p>


<h2>Fresenius-Lecture</h2>
<p>Über Themen dieses Beitrags berichtete Renato Zenobi auch in seiner Fresenius-Lecture im Jahr 2012. Neben Zenobi haben im letzten Jahr Christian Huber, Universität Salzburg, und Ulrich Panne, Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung und Humboldt-Universität Berlin, im Rahmen der Fresenius-Lecture vorgetragen. Bei dieser Vorlesung berichten Hochschul-Analytiker aus dem deutschsprachigen Raum in den GDCh-Ortskolloquien aus ihren aktuellen Forschungsgebieten. Die Fresenius-Lecture fand zum ersten Mal im Rahmen des Internationalen Jahres der Chemie 2011 statt und wird seitdem jährlich mit drei Vortragenden fortgeführt. Die GDCh-Fachgruppe Analytische Chemie bestimmt die Referenten. Die Vortragenden in diesem Jahr gibt der Vorstand demnächst bekannt.</p>



<ul>
<li>
<sup>1 </sup>

 
</li>
<li>
<sup>1a </sup>

 
M. Karas, 
D. Bachmann, 
U. Bahr, 
F. Hillenkamp: 
„<article-title>Matrix-assisted ultraviolet laser desorption of nonvolatile compounds</article-title>”︁, 
<source>Int. J. Mass. Spectrom., 
1987, 
78, 
53–<lpage>68;</lpage>
</li>
<li>
<sup>1b </sup>

 
M. Karas, 
F. Hillenkamp: 
„<article-title>Laser desorption ionization of proteins with molecular masses exceeding 10000 Daltons</article-title>”︁, 
<source>Anal. Chem., 
1988, 
60, 
2299–<lpage>2301.</lpage>
</li>
<li>
<sup>2 </sup>

 
</li>
<li>
<sup>2a </sup>

 
S. F. Wong, 
C. K Meng, 
J. B. Fenn: 
„<article-title>Multiple charging in electrospray ionization of poly(ethylene glycols</article-title>”︁, 
<source>J. Phys. Chem., 
1988, 
92, 
546–<lpage>550;</lpage>
</li>
<li>
<sup>2b </sup>

 
J. B. Fenn, 
M. Mann, 
C. K. Meng, 
S. F. Wong, 
C. M. Whitehouse: 
„<article-title>Electrospray ionization for mass spectrometry of large biomolecules</article-title>”︁, 
<source>Science, 
1989, 
246, 
64–<lpage>71.</lpage>
</li>
<li>
<sup>3 </sup>

 
D. R. Benjamin, 
C. V. Robinson, 
J. P. Hendrick, 
F. U. Hartl, 
C. M. Dobson, 
<source>Proc. Natl. Acad. Sci. USA 
(1998), 
95, 
7391–<lpage>7395.</lpage>
</li>
<li>
<sup>4 </sup>

 
C. Uetrecht, 
C. Versluis, 
N. R. Watts, 
W. H. Roos, 
G. J. Wuite, 
P. T. Wingfield, 
A. C. Steven, 
A. J. R. Heck: 
„<article-title>High-resolution mass spectrometry of viral assemblies: molcular composition and stailty of dimorphic hepatitis B virus capsids</article-title>”︁, 
<source>Proc. Natl. Acad. Sci. USA 
(2008), 
105, 
9216–<lpage>9220.</lpage>
</li>
<li>
<sup>5 </sup>

 
M. C. Jecklin, 
S. Schauer, 
C. E. Dumelin, 
R. Zenobi: 
„<article-title>Label-free determination of protein-ligand binding constants using mass spectrometry and validation using surface plasmon resonance and isothermal titration calorimetry</article-title>”︁, 
<source>J. Mol. Recogn. 
(2009), 
22, 
319–<lpage>329.</lpage>
</li>
<li>
<sup>6 </sup>

 
D. Cubrilovic, 
A. Biela, 
S. Sielaff, 
T. Steinmether, 
G. Klebe, 
R. Zenobi: 
„<article-title>Quantifying Protein-Ligand binding constants using electrospray ionization mass spectrometry: a systematic binding affinity study of a series of hydrophobically modified trypsin inhibitors</article-title>”︁, 
<source>J. Am. Soc. Mass Spectrom. 
(2012), 
23, 
1768–<lpage>1777.</lpage>
</li>
<li>
<sup>7 </sup>

 
A. Römpp, 
S. Guenther, 
Y. Schober, 
O. Schulz, 
Z. Takats, 
W. Kummer, 
B. Spengler: 
„<article-title>Massenspektrometrische Histologie: markierungsfreie Gewebecharakterisierung durch hochgenaue bildgebende Bioanalytik</article-title>”︁, 
<source>Angew. Chem. 
(2010), 
122, 
3923–<lpage>3927.</lpage>
</li>
<li>
<sup>8 </sup>

 
Z. Takats, 
J. M. Wiseman, 
B. Gologan, 
R. G. Cooks: 
„<article-title>Mass spectrometry sampling under ambient conditions with desorption electrospray ionization</article-title>”︁, 
<source>Science 
(2004), 
306, 
471–<lpage>473.</lpage>
</li>
<li>
<sup>9 </sup>

 
R. B. Cody, 
J. A. Laramee, 
H. D. Durst: 
„<article-title>Versatile new ion source for the analysis of materials in open air under ambient conditions</article-title>”︁, 
<source>Anal. Chem. 
(2005), 
77, 
2297–<lpage>2302.</lpage>
</li>
<li>
<sup>10 </sup>

 
G. Gamez, 
L. Zhu, 
A. Disko, 
H. Chen, 
V. Azov, 
K. Chingin, 
G. Krämer, 
R. Zenobi: 
„<article-title>Real-time, in-vivo monitoring and pharmacokinetics of valproic acid via analysis of exhaled breath</article-title>”︁, 
<source>Chem. Commun. 
(2011), 
47, 
4884–<lpage>4886.</lpage>
</li>
<li>
<sup>11 </sup>

 
Z. Ouyang, 
R. J. Noll, 
G. R. Cooks: 
„<article-title>Handheld miniature ion trap mass spectrometers</article-title>”︁, 
<source>Anal. Chem. 
(2009), 
81, 
2421–<lpage>2425,</lpage> 2009.
</li>
</ul>


Artikel

Meilensteine in der modernen Massenspektrometrie

Durch die matrixunterstützte Laserdesorptions-Ionisation (matrix-assisted laser desorption/ionization, Maldi) und die Electrospray-Ionisation (ESI) lassen sich heute sehr große, komplexe Biomoleküle intakt in die Gasphase bringen und mit Massenspektrometrie (MS) vermessen.1,2 Maldi und ESI sind h...


<p>Erste Ansätze für Mikroextraktionstechniken existierten bereits Mitte der 1980er Jahre.<sup>1</sup> Ihren Durchbruch erlebten sie mit der Einführung der Festphasenmikroextraktion (Solid Phase Microextraction, SPME)<sup>2</sup>, die seit Anfang der 1990er Jahre kommerziell verfügbar ist. Seitdem wurden einige tausend Artikel über neue Techniken, Materialien und Anwendungen veröffentlicht. Trotzdem gibt es bisher nur wenige Standardverfahren für Routineuntersuchungen, da der Fokus zur Verbesserung von Analysemethoden lange auf Trenn- und Detektionstechniken lag.</p>
<p>Eine erste genormte Methode zur Analyse von Pflanzenschutzmitteln nach Anreicherung mit SPME erschien im Jahr 2006.<sup>3</sup> Bedingt durch den aufwendigen Normungsprozess basieren die meisten Standardverfahren jedoch weiterhin auf klassischen Techniken wie der Flüssig-Flüssig-, Festphasen- oder Soxhletextraktion. Bei diesen Techniken ist ein exaktes und zeitaufwendiges Protokoll einzuhalten, zum Teil erfordern sie große Probenmengen und hochreine, toxische Lösungsmittel. Die Probenvorbereitung ist somit einer der zeit- und arbeitsintensivsten Schritte im analytischen Prozess. Fehler, die hier entstehen, sind im weiteren Verlauf kaum zu korrigieren.</p>


<h2>Mikroextraktionstechniken</h2>
<p>Lösemittelfreie Mikroextraktionstechniken vereinfachen die Probenvorbereitung, da sie wichtige Schritte wie die Abtrennung störender Matrixkomponenten und die Anreicherung der Analyten vereinen. Zudem sind diese Techniken durch die Miniaturisierung leicht in gängige Probenaufgabesysteme integrierbar. So beschränkt sich die manuelle Probenvorbereitung im einfachsten Fall auf das Abfüllen weniger Milliliter Probe in Probengläschen.</p>
<p>Bei den Mikroextraktionstechniken wird eine geringe Menge einer Extraktionsphase, typischerweise wenige µL einer Verteilungs- oder Adsorptionsphase, entweder als Film auf einer Oberfläche immobilisiert, zum Beispiel bei SPME, solid phase dynamic extraction (SPDE) und stir bar sorptive extraction (SBSE) (Abbildung 1 a bis c). Oder die Phase wird in einem kleinen Volumen gepackt, etwa bei in-tube extraction (Itex) und needle trap (NT) (Abbildung 1 d und e).</p>
<p>Die Techniken, die auf Beschichtungen beruhen, also SPME, SPDE und SBSE, extrahieren die Analyten sowohl aus der Gasphase als auch durch Eintauchen in die flüssige Probe. Die Varianten mit gepackten Phasen sind hingegen auf Extraktionen aus der Gasphase beschränkt, da Partikel aus der Matrix die Packung verstopfen können und sie nur schwer wieder trocknen.</p>
<p>Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist die Art der Probennahme: Sie erfolgt entweder aktiv, indem die Probe über die Extraktionsphase gepumpt wird, oder passiv durch Diffusion.</p>
<p>Aufgrund dieser Charakteristika ergeben sich unterschiedliche Anwendungsschwerpunkte für die einzelnen Mikroextraktionstechniken. Allen genannten Techniken gemeinsam ist die Aufgabe der Analyten auf die Säule des Gaschromatographen durch thermische Desorption. SPME, SPDE und NT nutzen dazu direkt die Heizung des GC-Injektorblocks. Das Itex-System verfügt über eine eigene Heizung für die Packung, und die SBSE benötigt ein spezielles Injektions- oder Thermodesorptionssystem. Nach der Desorption folgt eine Rekonditionierungsphase, die das System für die Extraktion der nächsten Probe vorbereitet und Verschleppungen ausschließt. So schafft eine Phase zum Teil mehrere hundert Messungen, bevor ihre Extraktionskapazität abfällt.<sup>4</sup></p>


<h2>Anwendungsbeispiele</h2>
<p>Aufgrund der technischen Besonderheiten der einzelnen Mikroextraktionstechniken ergeben sich jeweils bevorzugte Anwendungsbereiche.</p>
<p>Durch die relativ große Menge der Extraktionsphase eignet sich das Itex-System besonders für die Analyse von flüchtigen Verbindungen im Spurenbereich. So erreichten Laaks et al. für die Analyse von halogenierten Kohlenwasserstoffen und BTEX-Verbindungen (Benzol, Toluol, Ethylbenzol und Xylol), ohne weitergehende Probenvorbereitung Nachweisgrenzen von wenigen ng·L<sup>−1</sup>. Diese liegen zum Teil mehrere Größenordnungen unter den regulatorischen Grenzwerten und lassen sich sonst nur mit deutlich aufwendigeren Purge-and-Trap-Systemen erreichen. Diese sind durch ihren Aufbau allerdings anfälliger für Kontaminationen durch die Matrix.</p>
<p>Mit der hohen Empfindlichkeit durch Itex war es möglich, Spuren der genannten Substanzen sowohl in Proben von Teich-, Talsperren- und Leitungswasser als auch in verschiedenen in Plastikflaschen abgefüllten Limonaden zu finden. Die Konzentrationen lagen jedoch allesamt unterhalb der zulässigen Grenzwerte.<sup>5</sup></p>
<p>Die SBSE wird häufig zur Bestimmung von weniger flüchtigen Substanzen eingesetzt, etwa von Pestiziden, polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) oder polychlorierten Biphenylen (PCB) sowohl in Wasser als auch in Lebensmitteln.<sup>6</sup> Ochiai et al. entwickelten eine Methode zur Analyse von Organochlorpestiziden im Ultraspurenbereich durch Kopplung von zweidimensionaler GC mit einem hochauflösenden Flugzeitmassenspektrometer. Zu Beginn der Extraktion wurden neben dem beschichteten Magnetrührer 5 mL Aceton und die internen Standards zu 50 mL ungefilterter Probe gegeben. Außer dem Transfer des Rührstabs in das Desorptionsröhrchen nach der dreistündigen Extraktion war keine weitere Handarbeit notwendig. Die Nachweisgrenzen lagen im unteren zweistelligen pg·L<sup>−1</sup>-Bereich, und die Ergebnisse stimmten gut mit der herkömmlichen Flüssig-Flüssig-Extraktion überein. Die Vergleichsmethode erforderte jedoch 20 L Probe, 3,5 L organische Lösungsmittel, und die Probenvorbereitungsprozedur dauerte neun Stunden.<sup>7</sup></p>
<p>Für SPME als älteste und am weitesten verbreitete Mikroextraktionstechnik existieren heute unzählige Anwendungen aus allen Bereichen der Analytik. Und auch wenn neuere Techniken Vorteile wie eine größere Menge Extraktionsphase oder höhere mechanische Stabilität bieten, ist die SPME weiter beliebt, da sie so einfach ist.</p>
<p>Ein relativ neues Gebiet für die SPME ist die In-vivo-Probennahme bei Tieren. So haben Zhang et al. eine weiter verkleinerte Variante der SPME entwickelt, um die Bioakkumulation von Pharmazeutika und Körperpflegeprodukten im Fett- und Muskelgewebe von lebenden Regenbogenforellen zu bestimmen. Die Forellen wurden betäubt und ihnen die Phasen wie eine Spritze für 10 Minuten in den Rücken gestochen. So konnten die Wissenschaftler den zeitlichen Verlauf einer Anreicherung innerhalb eines Organismus ohne Schwankungen durch individuelle Unterschiede zwischen den Tieren aufzeichnen.<sup>8</sup></p>
<p>Ein weiteres Beispiel ist die Quantifizierung von Methoxypyrazinen (MP), die ein unerwünschtes Aroma im Wein verursachen. Diese MP sind sowohl in unreifen Trauben enthalten als auch in den asiatischen Marienkäfern, die sich in Europa ausbreiten. Cai et al. bestimmten die Menge an MP, die lebende Käfer innerhalb von 24 Stunden freisetzen.<sup>9</sup> Durch die sehr niedrige Geruchsschwelle der MP reichen bereits 1,9 Käfer je kg Trauben, um den “ladybug taint” hervorzurufen.<sup>10</sup></p>
<p>Die NT wird immer häufiger für Gasanalysen verwendet, da sie im Gegensatz zu klassischen Adsorptionsröhrchen keine speziellen Desorptionssysteme benötigt und die Probennahme schneller als mit SPME ist. Dies ist besonders in der Medizin interessant, da man so zeitsparend die Ausatemluft von Patienten untersuchen kann. Mieth et al. untersuchten Stoffe, die narkotisierte Patienten vor, während und nach einer Herzoperation ausatmen. Unter anderem haben die Forscher so den Konzentrationsverlauf des Anästhetikums Propofol im Blut nachvollzogen.<sup>11</sup> </p>


<h2>Ausblick</h2>
<p>In den über 25 Jahren seit der ersten Vorstellung wurden unzählige neue Mikroextraktionstechniken entwickelt und optimiert. Daher sind heute eher weitere Variationen bekannter Methoden zu erwarten als grundlegend neue Entwicklungen. Mittlerweile sind einige vollständig automatisierbare, lösungsmittelfreie Extraktionstechniken für die Routine-GC flüchtiger und halbflüchtiger Substanzen kommerziell verfügbar. Sie werden in den kommenden Jahren sicherlich in genormte Standardverfahren eingehen und althergebrachte Methoden ersetzen.</p>
<p>Ein aktueller Forschungsschwerpunkt bei den Mikroextraktionstechniken sind Entwicklung und Anwendung neuer Materialien für Extraktionsphasen. Sie sollen die Bandbreite der möglichen Analyten erhöhen oder die Selektivität für bestimmte Verbindungsklassen verbessern. Dabei sind verschiedene Arten von Nanomaterialien, Gold-Nanopartikel, Kohlenstoffnanoröhren, funktionalisierte Kohlenstoffnanopartikel sowie Sol-Gel-Beschichtungsverfahren, molekular dotierte Polymere oder ionische Flüssigkeiten im Test.<sup>12</sup></p>
<p>Ein weiterer Aspekt der Mikroextraktionstechniken, der bisher wenig beachtet wurde, ist die zielgerichtete Methodenentwicklung. Es gibt viele Parameter, die mehr oder minder die Effektivität der Extraktion und sich mitunter auch gegenseitig beeinflussen. Zumeist werden die Parameter nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum nacheinander durch Variation optimiert. Diese Vorgehensweise kann zeit- und arbeitsaufwendig sein, auch wenn Erfahrungswerte einige Schritte beschleunigen. Das Ziel sollte sein, die Methodenentwicklung durch statistische Versuchsplanung zu optimieren und auf so wenige Experimente wie möglich zu beschränken. Eine spätere Integration solcher Routinen in gängige Chromatographiesoftware ist ebenfalls denkbar.</p>
<p>Jens Laaks studierte an der Universität Duisburg-Essen den Bachelor- und den Masterstudiengang Water Science und ist seit dem Jahr 2009 Doktorand in der Arbeitsgruppe von Torsten C. Schmidt. Dort befasst er sich mit Mikroextraktionstechniken für die Gaschromatographie.</p>
<p>Maik A. Jochmann promovierte 2006 an der Universität Tübingen bei Stefan Haderlein am Lehrstuhl für Umweltmineralogie mit einem Thema zur Untersuchung von Anreicherungstechniken für die komponentenspezifische Isotopenanalyse. Seitdem ist er Laborleiter am Lehrstuhl für Instrumentelle Analytische Chemie an der Universität Duisburg-Essen und seit 2010 Akademischer Rat.</p>
<p>Torsten C. Schmidt hat sich von 2002 bis 2006 an der Universität Tübingen am Fachbereich Geowissenschaften über Hydrogeochemie und Umweltanalytik habilitiert. Seit 2006 hat er den Lehrstuhl für Instrumentelle Analytik an der Universität Duisburg-Essen inne und ist wissenschaftlicher Direktor am IWW Zentrum Wasser. Seit Beginn des Jahres ist er Vorsitzender der GDCh-Fachgruppe Wasserchemische Gesellschaft.</p>


<h2>QUERGELESEN</h2>
<p>Lösemittelfreie Mikroextraktionstechniken vereinen wichtige Probenvorbereitungsschritte wie Abtrennung von Matrixkomponenten und Anreicherung von Analyten.</p>
<p>Die Techniken lassen sich automatisieren und reduzieren so die manuelle Probenvorbereitung auf ein Minimum.</p>
<p>Die Analyten sorbieren entweder mit Hilfe einer Oberflächenbeschichtung oder einem kleinen Volumen gepackten Sorbens.</p>
<p>Mikroextraktionstechniken können die Empfindlichkeit gaschromatographischer Wasseranalysen um mehrere Größenordnungen steigern, haben sich in der Routine aber vielfach noch nicht durchgesetzt.</p>


<h2>Anakon 2013</h2>
<p>Die Anakon, die zweijährliche Konferenz für analytische Chemie im deutschsprachigen Raum, findet in vom 4. bis zum 7. März an der Universität Duisburg-Essen (UDE) statt. Torsten C. Schmid, Lehrstuhl für analytische Chemie an der UDE, verantwortet das wissenschaftliche Programm. Die GDCh-Fachgruppen Analytische Chemie und Wasserchemische Gesellschaft, die Österreichische Gesellschaft für Analytische Chemie (ASAC) in der GÖCh und die Division Analytische Chemie der Schweizerischen Chemischen Gesellschaft beteiligen sich an der Gestaltung. Neben den etablierten Vortragsblöcken ist Wasseranalytik dieses Jahr einer der Schwerpunkte.</p>
<p><ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.gdch.de/anakon2013" target="_blank">www.gdch.de/anakon2013</a></ext-link></p>



<ul>
<li>
<sup>1 </sup>

 
K. Grob, 
A. Habich, 
<source>J. Chromatogr. A 
(1985), 
321, 
45–<lpage>58.</lpage>
</li>
<li>
<sup>2 </sup>

 
R. P. Belardi, 
J. B. Pawliszyn, 
<source>Water pollution research journal of Canada 
(1989), 
24, 
197–<lpage>191.</lpage>
</li>
<li>
<sup>3 </sup>

DIN 38407—34:2006—5: Deutsche Einheitsverfahren zur Wasser-, Abwasser- und Schlammuntersuchung — Gemeinsam erfassbare Stoffgruppen (Gruppe F) — Teil 34: Bestimmung ausgewählter Pflanzenbehandlungsmittel, Biozide und Abbauprodukte; Verfahren mittels Gaschromatographie (GC-MS) nach Festphasenmikroextraktion (SPME) (F 34), Hrsg.: Deutsches Institut für Normung e. V. Beuth Verlag, Berlin, 2006.
</li>
<li>
<sup>4 </sup>

 
J. Laaks, 
T. Letzel, 
T. C. Schmidt, 
M. A. Jochmann, 
<source>Anal. Bioanal. Chem. 
(2012), 
403, 
2429–<lpage>2436.</lpage>
</li>
<li>
<sup>5 </sup>

 
J. Laaks, 
M. A. Jochmann, 
B. Schilling, 
T. C. Schmidt, 
<source>Anal. Chem. 
(2010), 
82, 
7641–<lpage>7648.</lpage>
</li>
<li>
<sup>6 </sup>

 
F. Sanchez-Rojas, 
C. Bosch-Ojeda, 
J. Cano-Pavon, 
<source>Chromatographia 
(2009), 
69, 
79–<lpage>94.</lpage>
</li>
<li>
<sup>7 </sup>


N. Ochiai, 
T. Ieda, 
K. Sasamoto et al., 
<source>J. Chromatographia, A 
(2012), 
1218, 
6851–<lpage>6860.</lpage>

</li>
<li>
<sup>8 </sup>

 
X. Zhang, 
K. D. Oakes, 
S. Cui, 
L. Bragg, 
M. R. Servos, 
J. Pawliszyn, 
<source>Environ. Sci. Technol. 
(2010), 
44, 
3417–<lpage>3422.</lpage>
</li>
<li>
<sup>9 </sup>

L. Cai, J. A. Koziel, M. E. O'Neal, AIP Conf. Proc. 2009, 1137, 245—248.
</li>
<li>
<sup>10 </sup>

 
T. L. Galvan, 
E. C. Burkness, 
Z. Vickers, 
P. Stenberg, 
A. K. Mansfield, 
W. D. Hutchison, 
<source>Am. J. Enol. Viticult. 
(2007), 
58, 
518–<lpage>522.</lpage>
</li>
<li>
<sup>11 </sup>

 
M. Mieth, 
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