Wissenschaft & Forschung

Prof.Dr.habil.

<p>Bislang war unklar, wie Graphit Schwefelsäuremoleküle einschließt und zu Graphitsulfat reagiert. Dies haben Chemiker nun mit Ab-initio-Moleküldynamiksimulationen geklärt. Soll aus Graphitsulfat wieder Graphen entstehen, entscheiden Korngröße und Schichtfolge, ob und wie gut dies funktioniert.</p>
<p>Graphitsulfat ist eine Graphitinterkalationsverbindung, die Walther Rüdorff und Ulrich Hofmann erstmals im Jahr 1938 beschrieben.<sup>2)</sup> Es ist immer noch Gegenstand der Forschung: So untersuchte Ayrat Dimiev im Jahr 2013 die Entstehung von Graphitsulfat mit zeitaufgelöster Ramanspektroskopie.<sup>3)</sup> Graphen lässt sich nasschemisch herstellen, muss aber für Folgereaktionen isoliert werden.<sup>4)</sup> Hochwertiges Graphen ohne nennenswerte Verunreinigung durch mehrlagiges oder defekthaltiges Material ließ sich bisher nicht synthetisieren.</p><p>Obwohl Entstehung und Reaktivität von Graphitsulfat vielfach untersucht wurden, war der Reaktionsmechanismus unklar. Bernd Meyer und sein Doktorand Steffen Seiler haben diesen nun erstmals mit Ab-initio-Moleküldynamiksimulationen untersucht (Abbildung 1). Gleichzeitig haben Christian E. Halbig und Fabian Grote die Synthesebedingungen optimiert und analysiert, wie die Entstehung von Graphen von der Graphitqualität abhängt.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/IXc8OHAOTam4m9PmEeWO"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Links: Graphenbildung. Die Wechselwirkung von Graphit mit Schwefelsäure und einem Oxidationsmittel führt nach der Hydrolyse zu oxofunktionalisiertem Graphen und ermöglicht die Delaminierung. Graphen entsteht durch reduktive Defunktionalisierung (Gn: Graphit, G1: Graphen, Index: Anzahl der Schichten). Rechts: Vorgeschlagener Oxidationsmechanismus. Leitende Graphitschichten übertragen Elektronen auf das Oxidationsmittel. Grotthus-Diffusion der Protonen durch das Wasserstoffbrückennetzwerk der Schwefelsäure erhält das Ladungsgleichgewicht.</figcaption></figure>
<p>Wie bekannt war, führt die Interkalation von Schwefelsäure in Graphit zu einer Schichtaufweitung von 3,35 Å auf 7,98 Å, und es entsteht Graphitsulfat mit der idealisierten Formel (C<sub>24</sub>(HSO<sub>4</sub>)(H<sub>2</sub>SO<sub>4</sub>)<sub>2</sub>)<sub>n</sub>. Oxidation von Graphit begünstigt die Einlagerung der Schwefelsäure. Unklar war: Warum ist die anfängliche Oxidation nötig, und in wie weit binden oxofunktionelle Gruppen wie Wasser aus 96%iger Schwefelsäure oder die Schwefelsäure selbst in diesem Stadium kovalent an das Graphitgerüst?</p><p>Berichte über die Hydrolyse von Graphitsulfat sind widersprüchlich. So galt die Einlagerung als reversibel, allerdings findet auch kovalente Hydroxylierung statt, was zu funktionalisiertem Graphen führt (Abbildung 2).<sup>5)</sup> Die Reaktion ist also nicht vollständig verstanden.</p><h2>Graphitinterkalation und Graphenherstellung</h2><p>Um Graphitsulfat herzustellen, wurde zunächst ein Graphitkristall in einer Quarzglasküvette in konzentrierte Schwefelsäure getaucht und mit Ammoniumpersulfat als Oxidationsmittel versetzt (Abbildung 3). Eine Blaufärbung der Lösung zeigt Graphitsulfat an, aber auch Mischphasen lassen sich anhand hellblau, violett und grün gefärbter Bereiche erkennen. Darin ist die Schwefelsäure nicht vollständig eingelagert, die Moleküle befinden sich also nicht zwischen jeder Kohlenstofflage des Graphits.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/57XxwpWdQXaCSbxvr1kk"><figcaption><label>Abb. 2: </label>a) Ideal AB-gestapeltes Graphit in Schwefelsäure mit Ammoniumpersulfat als Oxidationsmittel reagiert zu Graphitsulfat. b) Einen Monat lang behandelte Graphitflocke und c) Mikroskopiebild mit dunkelblauen Bereichen (1) (vollständige Bildung von Graphitsulfat) und hellere Bereiche (unvollständige Bildung von Graphitsulfat) ((2),(3)).</figcaption></figure>
<p>Für die weiteren Untersuchungen zu Interkalation, Hydrolyse und Graphenbildung nutzten wir drei Graphitarten, die sich in ihrer Kristallitgröße und Schichtabfolge unterscheiden: die Naturgraphite NG1 und NG2. NG1 hat eine Korngröße von 70 bis 150 μm, besteht aus 28 Prozent 3R-Phase (also ABC-Stapelung), deren Kristallite größer sind als 10 μm, und aus 72 Prozent 2H-Phase (also AB-Stapelung), deren Kristallite etwa 100 nm groß sind. NG2 hat eine Korngrößen von 10 μm mit etwa gleichen Anteilen 3R- und 2H-Phase, deren Kristallite jeweils etwa 100 nm groß sind. Als drittes Graphit nutzten wir turbostratischen Graphit (TG), der keine Stapelordnung hat, also keine geordnete Schichtfolge hat.</p><p>Der mittlere Abstand der Gitterdefekte beträgt bei allen Graphitarten zwischen 20 und 35 nm. Wie Ramananalysen nach Interkalationsexperimenten zeigen, bilden nur NG1 und NG2 Graphitsulfat. Nach Hydrolyse des Graphitsulfats mit Schwefelsäure sind nur NG1 und NG2 mit Hydroxylgruppen funktionalisiert, wohingegen TG unter diesen Reaktionsbedingungen nur teilweise Graphitsulfat bildet und bei der Hydrolyse wieder zu Graphit reagiert. Ob sich Graphitsulfat funktionalisieren lässt, hängt also von der Graphitqualität des Graphitsulfats ab.</p><p>Die Vereinzelung oder Ablösung einzelner Schichten (Delaminierung) und Entstehung von Graphen mit bis zu 10 μm Durchmesser gelingt für NG1, bei NG2 entstehen kleinere Flocken von etwa 100 nm. Bei TG entsteht überhaupt kein Graphen.</p><h2>Graphenfilme und atomare Gitterstruktur</h2><p>Wir dispergierten Graphen, das einen Hydroxylierungsgrad von etwa vier Prozent hat, und stellten mit Langmuir-Blodgett-Technik Filme her (Abbildung 2). Das optische Mikroskop und das Rasterkraftmikroskop zeigen überlappende Flocken. Die Flocken sind zwischen 0,5 und 3 µm groß. Wie Ramanspektroskopie zeigte, kommt auf 4000 Kohlenstoffatome statistisch ein Defekt, der beispielsweise durch Entfernen eines C-Atoms entstanden ist. Transmissionselektronenspektroskopie bestätigt die Interpretation der Ramandaten. Das Kohlenstoffgitter wurde weder gereinigt noch erhitzt, und das Kohlenstoffgerüst zeigt punktförmige Defekte, die durch fehlende C-Atome oder ein umgelagertes Kohlenstoffgitter entstanden sind. Es lässt sich somit ein kohärentes hexagonales Gitter nachweisen.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/s8J345SsqxC4eel2sN4g"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Charakterisierung des hergestellten Graphens. a) UV/Vis-Spektren von oxofunktionalisiertem Graphen (als Oxidationsmittel dienten KMnO<sub>4</sub> oder (NH<sub>4</sub>)<sub>2</sub>S<sub>2</sub>O<sub>8</sub>) und den entsprechenden reduzierten Spezies. b) Rasterkraftmikroskopiebild. c) Ergebnisse der statistischen Ramanspektroskopie des Graphenfilms (Dichte der Defekte etwa 0,025 % (schwarz)) im Vergleich zu Graphen, das aus oxofunktionalisiertem Graphen mit einer Defektdichte von 0,3 % (grün) oder etwa 3% (rot) entstanden ist. d) Lichtmikroskopische Aufnahme eines Films aus Graphenflocken, hergestellt durch Langmuir-Blodgett-Technik auf einer 300 nm großen SiO<sub>2</sub>-Oberfläche. e) Transmissionselektronenmikroskopiebild des aufgelösten Kohlenstoffgitters von Graphen neben amorphen Verunreinigungen. Gitterdefekte sind hauptsächlich Punktdefekte.</figcaption></figure>
<p>Mikrometergroße Graphitkörner mit perfekter Kristallstapelung wie bei NG1 sind leichter interkalierbar und zu oxidieren als Graphit mit mehr Schäden und kleineren Körnern (NG2) oder gestörter Stapelung (TG). Es scheint, als sei die Beweglichkeit der Schwefelsäure zwischen ausgedehnten Graphitschichten ein entscheidender Faktor für Interkalation und Oxidation.</p><h2>Stabilität von Oxospezies</h2><p>Mit Ab-initio-Moleküldynamiksimulationen haben wir untersucht, wie eingeschlossene Schwefelsäuremoleküle mit dem Graphitgitter wechselwirken.</p><p>Zunächst analysierten wir anhand einer periodischen orthorhombischen Superzelle mit lateraler Ausdehnung von 60 C-Atomen und einem Schichtabstand von 9,12 Å die Stabilität von Oxogruppen. Innerhalb weniger Pikosekunden Simulationszeit übertrugen Schwefelsäuremoleküle sporadisch Protonen auf die kovalent gebundenen Hydroxylgruppen. Dies führt schließlich zur Entstehung von Wassermolekülen, die sich vom Kohlenstoffgerüst lösen und in die Schwefelsäureschicht eintreten (Abbildung 4). Sind die Graphitschichten jeder Superzelle formal +2 geladen, sind zusätzliche kovalent gebundene Oxogruppen stabil. Das erklärt, warum hydroxyliertes Graphen so stabil ist, besonders bei der Hydroylse von Graphitsulfat.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/qoeEH5OfSUGiDiO1uCn3"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Skizze von spontanen Dehydroxylierungen für verschiedene Hydroxylierungsgrade. Oben: Anfangskonfigurationen, unten: Ergebnis nach 40 ps Ab-initio-Moleküldynamiksimulationszeit.</figcaption></figure>
<h2>Zwischen flüssig und fest</h2><p>Mit weiteren Moleküldynamiksimulationen untersuchten wir drei Modellkonfigurationen mit zwei verschiedenen Stapelsequenzen der Graphitschichten: AA, AB und AB mit formaler Ladung von C<sub>30</sub><sup>+</sup>. Aus den Gleichgewichtsschwankungen der Reibungskraft in einer Gleichgewichtssimulation lassen sich die Reibungskoeffizienten ermitteln. Wie der Vergleich zwischen den drei Simulationen zeigt, reduzieren die Oxidation und die Änderung der Stapelung von AA nach AB den Reibungskoeffizienten. Es ist also ein Oxidationsmittel notwendig, damit eine Interkalation stattfinden kann. Jede Abweichung, etwa inhärente Stapelfehler oder kleine Körner wie in NG2 und TG erhöhen die Barriere der freien Energie und behindern somit den Interkalationsprozess. Außerdem kann geschlossen werden, dass die Elektronen von den leitenden Kohlenstoffschichten zum Oxidationsmittel außen am Graphitstapel übertragen werden, da Graphen und Graphit eine hohe Elektronenleitfähigkeit haben. Die Ladung wird dann durch eine Grotthus-Diffusion von positiv geladenen Protonen durch das Wasserstoffbindungsnetzwerk der Schwefelsäuremoleküle ausgeglichen (Abbildung 1, S. 1150).</p><h2>Quergelesen</h2><p>Die Beweglichkeit von Schwefelsäure zwischen Graphitschichten scheint ein entscheidender Faktor dafür zu sein, ob das Graphit sich interkalieren und oxidieren lässt.</p><p>Inhärente Stapelfehler oder kleine Graphitkörner von etwa 100 nm Größe erhöhen die Barriere der freien Energie und behindern dadurch den Interkalationsprozess.</p><p>Oxofunktionalisiertes Graphen, Graphen auf Substraten und Graphen stabilisiert durch Tenside in Wasser eignen sich für elektronische oder Biosensoranwendungen.</p><h2>Der Autor</h2><p>Siegfried Eigler ist seit 2016 Professor für organische Chemie an der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsinteressen sind die kontrollierte Chemie von Graphen und die Synthese lichtemittierender Moleküle sowie expandierter π-Systeme. Er promovierte im Jahr 2006 an der Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und forschte anschließend in der Industrie an elektrisch leitfähigen Polymeren. Im Jahr 2016 habilitierte er sich an der FAU und wurde im selben Jahr Associate Professor an der Chalmers University of Technology in Schweden.</p><div><img src="https://media.graphcms.com/osLRQfpaSq2NMOv3Px43">

</div><p></p>
<ul><h2>Literatur</h2><li>
<sup>1 </sup>S. Seiler, C. E. Halbig, F. Grote et al., Nat. Commun. 2018, 9, 836</li><li>
<sup>2 </sup>W. Rüdorff, U. Hofmann, Z. Anorg. Allg. Chem. 1938, 238, 1</li><li>
<sup>3 </sup>A. M. Dimiev, G. Ceriotti, N. Behabtu et al., ACS Nano 2013, 7, 2773</li><li>
<sup>4 </sup>S. Eigler, Chem.-Eur. J. 2016, 22, 7012</li><li>
<sup>5 </sup>S. Eigler, Chem. Commun. 2015, 51, 3162</li></ul>


Artikel

Mit Schwefelsäure von Graphit zu Graphen

Bislang war unklar, wie Graphit Schwefelsäuremoleküle einschließt und zu Graphitsulfat reagiert. Dies haben Chemiker nun mit Ab-initio-Moleküldynamiksimulationen geklärt. Soll aus Graphitsulfat wieder Graphen entstehen, entscheiden Korngröße und Schichtfolge, ob und wie gut dies funktioniert. Gra...

Jun.-Prof.

<p>Aufgrund ihrer Eigenschaften werden Nanopartikel inzwischen in Alltagsprodukten eingesetzt. Dabei ist etwa bei Metallnanopartikeln unklar, wie sie sich chemisch verhalten und wie sie abgebaut werden – und das nicht nur in komplexen Systemen wie Blut oder Oberflächengewässern, sondern auch in einfacher chloridhaltiger Lösung.</p>
<h2>Die Krux der Charakterisierung auf der Nanoskala</h2><p>Silbernanopartikel, zum Beispiel in Sportkleidung, töten geruchsbildende Bakterien und wirken antistatisch. In Gesichts- und Augencremes sollen Partikel die Haut straffen, Falten vorbeugen und vor freien Radikalen schützen. Wie diese Nanopartikel jedoch in unserem Körper und in der Umwelt reagieren, ist weitgehend unklar.<sup>1)</sup></p><p>Auch die Reaktivität von Nanopartikeln in Laborexperimenten stellt die wissenschaftliche Gemeinschaft vor Fragen, und Studien liefern widersprüchliche Ergebnisse.<sup>2)</sup> Das liegt unter anderem daran, dass bei der Herstellung von Nanomaterialien ein Gemisch verschiedener Partikelgrößen entsteht. Schon kleine Größenunterschiede führen oft zu stark variierenden Eigenschaften.</p><p>Übliche Charakterisierungsmethoden untersuchen eine Menge Partikel gleichzeitig und liefern Durchschnittswerte, die mit einer zweiten Probe mit anderer Größenverteilung nicht unbedingt reproduzierbar sind. Um die Reaktivität zu entschlüsseln, entwickeln wir deshalb Methoden, die einzelne Nanopartikel charakterisieren.</p><p>Eine Schwierigkeit bei der Untersuchung von Nanopartikeln ist ihre typische Umgebung: In der Umwelt und im menschlichen Körper sind sie in wässriger Lösung. Da die Partikel so klein sind, werden sie jedoch meist mit Röntgenbeugung oder Elektronenmikroskopie im trockenen Zustand oder unter Hochvakuum charakterisiert. Die etablierten Flüssigphasenmethoden wie dynamische Lichtstreuung und UV/Vis-Spektroskopie liefern sehr aussagekräftige Ergebnisse für Partikel mit enger Größenverteilung; diese Voraussetzung erfüllen die meisten heute genutzten Partikel nicht.</p><p>Um die Reaktionen einzelner Nanopartikel in einer wirklichkeitsnahen Mischung in wässriger Suspension zu erforschen, kombinieren wir Dunkelfeldmikroskopie und elektrochemische Methoden.<sup>3)</sup></p><h2>Plasmonenresonanz</h2><p>Dunkelfeldmikroskopie (Abbildung 1) detektiert ausschließlich gestreutes Licht. Vorteilhaft für die Charakterisierung von Partikeln ist dabei, dass Licht, das durch die Interaktion mit Partikeln gestreut wird, Information über deren Zusammensetzung und Größe trägt. Plasmonenresonanz, also kollektive Schwingungen der freien Elektronen, führt bei Silbernanopartikeln dazu, dass ein Teil des sichtbaren Lichts absorbiert wird.<sup>4)</sup> In metallischen Nanopartikeln werden Plasmonen durch einfallendes Licht einer bestimmten Wellenlänge angeregt. Die Nanopartikel erscheinen daher als farbige Bildpunkte auf dem Detektor. Dabei umgeht die Methode Abbés Beugungsgrenze, die den beobachtbaren Mindestdurchmesser auf einen Wert beschränken würde, der von der Wellenlänge des einfallenden Lichts abhängt.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/y5UoxRx2RiuJnEHa2oa8"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Immersionsobjektiv eines Dunkelfeldmikroskops mit Objektträger, auf dem Kabel mit Mikroelektroden leitend verbunden sind. Der Öltropfen am Immersionsobjektiv ist gedehnt, sodass der Lichtstrahl zur Fotokamera gebrochen und seine hohe Intensität sichtbar wird.</figcaption></figure>
<p>Plasmonenresonanz ist nicht nur charakteristisch für Partikelgröße und -zusammensetzung, sondern auch für die Partikelform und die Umgebung. Wird zum Beispiel ein Metall oxidiert, verändert sich die Plasmonenresonanz und damit die Wellenlänge der spezifisch absorbierten Strahlung. Die resultierenden Farbänderungen der reagierenden Partikel detektiert eine CCD-Kamera ortsaufgelöst (Abbildung 2).</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/fV0g6bO7RRqYYcJ22ulS"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Aufbau eines Dunkelfeldmikroskops mit Hyperspektralanalyse. Im Zoom ist erkennbar, dass eingestrahltes Licht in einem Winkel einfällt, in dem es nicht zum Objektiv gelangt. Nur gestreutes Licht erreicht das Objektiv und wird dort von einer CCD- oder Hyperspektralkamera detektiert.</figcaption></figure>
<p>Mit einer Hyperspektralkamera messen wir zusätzlich die Spektren einzelner Nanopartikel von 400 bis 1000 nm Wellenlänge, um neben der Veränderung der Streuintensität die Verschiebungen der Absorptionsbanden im Lichtspektrum zu identifizieren. Somit können wir im Gegensatz zu früheren Arbeiten unterscheiden, ob sich ein Partikel auflöst, sich chemisch verändert oder einfach aus dem Bildfokus verschwindet. Das Leistungsvermögen der Dunkelfeldmikroskopie kombinieren wir nun erstmals mit elektrochemischen Methoden zur Kontrolle und Untersuchung von Reaktionen.</p><h2>Elektrochemische Reaktion unter dem Mikroskop</h2><p>In der elektrochemischen Messzelle im hyperspektralen Dunkelfeldaufbau können wir Nanopartikel in wässrigem Medium kontrolliert zur Reaktion bringen. Dazu fixieren wir ein Dreielektrodensystem aus Mikroelektroden in dem Flüssigkeitsfilm zwischen Objektträger und Deckgläschen. Auf der Arbeitselektrode können wir dann einzelne Nanopartikel optisch und spektral beobachten, während sie durch elektrische Spannung oxidiert oder reduziert werden. Durch die In-situ-Kombination von Dunkelfeldmikroskopie und elektrochemischen Methoden wie Cyclovoltammetrie oder Chromoamperometrie können wir Reaktionen selbst dann sichtbar machen, wenn Nebenreaktionen die elektrochemische Stromantwort verdecken. Somit erkennen wir auch Strukturunterschiede von Katalysatorpartikeln während einer Reaktion.</p><p>Die Ströme, die bei (elektro-)chemischen Reaktionen von Nanopartikeln fließen, sind sehr klein, wenige Pico- bis Nanoampere. Häufig werden sie von höheren Strömen begleitet, die von katalytischen Reaktionen des Lösungsmittels verursacht werden. So kann das detektierte Stromsignal von Wasserspaltung oder Protonenreduktion nicht nur an den Partikeln, sondern auch am Trägermaterial geprägt sein.</p><p>Im Gegensatz zum Strom, der eine integrale Messgröße ist, liefert die Dunkelfeldmikroskopie ortsaufgelöste Informationen einzelner Nanopartikel (Abbildung 3, S. 1154). Gestreutes Licht ist deshalb ein Indikator für den Zustand der Silbernanopartikel (Abbildung 4).</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/TtjrPWlRT9S0DBkpwwZe"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Dunkelfeldaufnahme: Silbernanopartikel auf einem Platinmikrodraht (Arbeitselektrode) erscheinen während der Oxidation als blau leuchtende Punkte. Die blaue Farbe ist ab einem Potenzial von +1,15 V gegen Ag/AgCl (0,05 mol·L<sup>–1</sup>) zu beobachten.</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/ObiD6LpyTzGeqiErV8QB"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Ergebnis der Kombination aus Cyclovoltammetrie und Dunkelfeldmikroskopie; blau: Potenzialverlauf an einer mit Silbernanopartikeln belegten Platinelektrode (Potenzialvorschub: 0,05 V·s<sup>–1</sup>); schwarz: Stromantwort. Zunächst sind oxidative (&gt; 0 µA), dann reduktive Ströme (&lt; 0 µA) für die elektrochemische Reaktion an Partikeln und Platinelektrode zu beobachten. Rot: relative Intensität aus den Streuungsspektren eines einzelnen Silbernanopartikels. Die Pfeile markieren Stellen, an denen in der Stromantwort kaum Reaktionen sichtbar sind, sich aber beim gestreuten Licht starke Unterschiede zeigen. An diesen Stellen wird Ag zu AgCl oxidiert, und bei höherem Potenzial entsteht Ag<sub>2</sub>O<sub>3</sub>/AgClO<sub>2 </sub>aus dem AgCl. Graduelle Änderungen in der Intensität des gestreuten Lichts entstehen durch Änderungen der dielektrischen Umgebung des Nanopartikels.</figcaption></figure>
<h2>Lösen sich Silber- nanopartikel auf?</h2><p>Mit der neuen spektroelektrochemischen Analysemethode aus Dunkelfeldmikroskopie und simultaner elektrochemischer Charakterisierung haben wir geklärt, welche Reaktionen an Silbernanopartikeln ablaufen. Dabei handelte es sich um Partikel, wie sie für antibakterielle Anwendungen genutzt werden, etwa in Funktionskleidung. Dabei interessierte uns die Reaktivität in biologisch und umweltrelevanten Medien wie wässrigen Chloridlösungen, die einfache Modelle für extrazelluläre Medien darstellen.</p><p>Als Referenzelektrode diente eine Silber/Silberchlorid-Elektrode (Ag/AgCl (0,05 mol·L<sup>–1</sup>)). Diese hat unter den Messbedingungen ein stabiles Elektrodenpotenzial und ist selbst nicht an Prozessen beteiligt, bei denen Strom fließt.</p><p>In einer Kaliumchloridlösung mit einer Konzentration von 0,05 mol·L<sup>–1 </sup>oxidieren Silbernanopartikel bei 0,10 V und bilden dabei Silberchlorid, das bei 0,00 V wieder zu elementarem Silber reduziert wird. Silberchlorid bleibt bei diesem Vorgang auf der Arbeitselektrode erhalten und wird weiterhin beobachtet. Bei einem Potenzial von 1,15 V oxidiert Silberchlorid weiter zu Silber(I,III)oxid (Ag<sub>2</sub>O<sub>3</sub>) oder Silberchlorit (AgClO<sub>2</sub>), während Wasser elektrochemisch gespalten wird.</p><p>Die hohe Oxidationsstufe des Silbers bleibt erhalten, wenn man das Potenzial wieder zum Negativen hin ändert und die Wasserspaltung stoppt. Erst bei 0,00 V wird das Silber wieder reduziert (Abbildung 5).</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/sgk3mNwdRaiyjYbaHDBg"><figcaption><label>Abb. 5: </label>Streuungsspektren, die während des in Abbildung 4 dargestellten Potenzialverlaufs aufgenommen wurden. Die relative Intensität aus Abbildung 4 findet sich in der Hyperspektralinformation wieder und zeigt den Verlauf der Reaktion.</figcaption></figure>
<h2>Verlängerte Verweildauer</h2><p>Chloridionen sind in Oberflächenwasser allgegenwärtig. Daher lässt sich Silber gut oxidieren, aber nur schwer auflösen. Auch Silbernanopartikel lösen sich nicht auf. Stattdessen bildet sich schwer lösliches Silberchlorid, obwohl nur Nanogramm oder weniger umgesetzt werden. Damit verlängert sich die Verweildauer von Silbernanopartikeln in wässrigen Systemen. Durch Chloridionen im Medium werden Silberionen Ag<sup>+</sup><sub>(aq)</sub> über einen längeren Zeitraum, jedoch in geringerer Konzentration frei, als dies ohne Chlorid der Fall wäre. Silberionen sind für Menschen wie für Wasserorganismen giftig.</p><p>Nach den Ergebnissen hängt es stark von der Zusammensetzung des jeweiligen wässrigen Systems ab, ob und wie Nanopartikel in der Umwelt abgebaut werden.</p><p>Die vorgestellte spektroelektrochemische Methode ist leicht auf andere Nanopartikel und Lösungen übertragbar und kann so bisher nicht zugängliche Einblicke in die Reaktivität einzelner Nanopartikel und Partikelcluster liefern.</p><h2>Quergelesen</h2><p>Konventionelle Charakterisierungsmethoden für Nanopartikelensembles liefern aufgrund unterschiedlicher Größenverteilungen widersprüchliche Informationen; Einzelpartikelstudien schaffen Abhilfe.</p><p>Mit der Kombination aus Dunkelfeldmikroskopie und Cyclovoltammetrie lassen sich einzelne Nanopartikel überwachen, während sie reagieren.</p><p>Silbernanopartikel oxidieren bereits bei kleinen Chloridmengen im Wasser zu schwer löslichem AgCl, statt sich zu Ag<sup>+</sup><sub>(aq)</sub> aufzulösen.</p><h2>Die Autoren</h2><p>Mathies V. Evers, Jahrgang 1989, studierte Chemie an der Universität Bochum und ist seit dem Jahr 2016 Doktorand in der Gruppe von Kristina Tschulik. Er beschäftigt sich mit der Synthese von Nanopartikeln und der Einzelpartikel-Elektroanalyse in wässrigen und nicht-wässrigen Medien.</p><div><img src="https://media.graphcms.com/CrERTqyqQ6qzGEd6IG2u">

</div><p></p><p>Kevin Wonner, Jahrgang 1995, studierte Chemie an der Universität Bochum und untersucht seit 2018 als Doktorand in der Arbeitsgruppe von Kristina Tschulik mit elektrochemischen Methoden Nanopartikel im Dunkelfeld.</p><div><img src="https://media.graphcms.com/vDAQtnTlSrOYWGuJ66Y6">

</div><p></p><p>Kristina Tschulik leitet seit diesem Jahr den Lehrstuhl für Analytische Chemie II an der Universität Bochum und entwickelt neue (spektro-)elektrochemische Methoden für die Nanopartikelcharakterisierung und magnetfeldgestützte Elektrochemie. Sie promovierte im Jahr 2012 an der TU Dresden und arbeitete als Postdoktorandin am Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden sowie an der Universität Oxford.</p><div><img src="https://media.graphcms.com/dFmxav7pTiO2tmiypqGk">

</div><p></p>
<ul><h2>Literatur</h2><li>
<sup>1 </sup>a) K. Ngamchuea, C. Batchelor-McAuley, R. G. Compton, Sens. Actuators B 2018, 262, 404–410; b) K. K. Y. Wong, S. O. F. Cheung, J. Huang, et al., ChemMedChem 2009, 4, 1129</li><li>
<sup>2 </sup>P. G. Figueiredo, L. Grob, P. Rinklin, K. J. Krause, B. Wolfrum, ACS Sensors 2018, 3, 93; b) E. N. Saw, M. Kratz, K. Tschulik, Nano Res. 2017, 10, 3680; c) W. Cheng, R. G. Compton, TrAC, Trends Anal. Chem. 2014, 58, 79; d) S. M. Oja, D. A. Robinson, N. J. Vitti et al., J. Am. Chem. Soc. 2017, 139, 708; e) J. Ustarroz, M. Kang, E. Bullions, P. R. Unwin, Chem. Sci. 2017, 8, 1841; f) A. N. Patel, A. Martinez-Marrades, V. Brasiliense et al., Nano Lett. 2015, 15, 6454</li><li>
<sup>3 </sup>K. Wonner, M. V. Evers, K. Tschulik, J. Am. Chem. Soc. 2018, doi: 10.1021/jacs.8b02367</li><li>
<sup>4 </sup>a) A. Tcherniak, J. W. Ha, S. Dominguez-Medina, L. S. Slaughter, S. Link, Nano Lett., 2010, 10, 1398; b) R. Sardar, A. M. Funston, P. Mulvaney, R. W. Murray, Langmuir, 2009, 25, 13840; c) K. A. Willets, R. P. Van Duyne, Annu. Rev. Phys. Chem., 2007, 58, 267; d) Y. Xia, N. J. Halas, MRS Bull. 2005, 30, 338</li></ul>


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