Beruf + Karriere

Ernst Guggolz — 
lieber Journalist als Chemiker
Ernst Guggolz färbte ab 1998 die blauen Blätter bunt. Trotzdem blieb er bis ins Jahr 2015 Chefredakteur der Nachrichten aus der Chemie.
Nachrichten aus der Chemie: Herr Guggolz, warum haben Sie Chemie studiert?
Ernst Guggolz: Weil es gerüchteweise das Schwierigste am Bildungsmarkt war und dadurch — sozusagen als Draufgabe — eine Marktlücke im Journalismus.
Nachrichten: Wer hat Sie bei dieser Entscheidung maßgeblich beeinflusst?
Guggolz: Mein Chemielehrer, als er uns die Aggressivität von Chlor zeigte, in dem er seinen Ehering in einen Messzylinder mit Chlor absenkte und so mattierte. Beeindruckend war sowohl die Reaktion von Gold plus Chlor als auch des Lehrers grundsätzlich unverkrampfter Umgang mit gesellschaftlichen Konventionen. Mit solchen Menschen wollte ich zu tun haben. Später erwiesen sich viele Chemiker zwar ebenfalls als meinungsstark — allerdings eher auf der konservativen Seite, beratungsresistent und langweilig.
Nachrichten: Was hat Sie als Chemiker besonders gefesselt? Was hat Ihnen überhaupt nicht behagt?
Guggolz: Gefesselt hat mich die Chance, irgendwann einmal kompetent über Chemie zu schreiben oder zumindest kompetent über naturwissenschaftliche Texte und Inhalte urteilen zu können. Unbehagen? Nach dem Diplom war klar: Nie mehr weißer Kittel. Naja, als nebenberuflicher Chemielehrer ging es dann doch nicht ohne. Anderen Menschen Chemie oder gutes Schreiben beizubringen, das hat mich immer fasziniert. Wäre nicht durch einen Institutsbrand überraschend das Ende meiner Promotions- und Lehrerzeit gekommen, hätte es mit mir an einem Mannheimer Mädchengymnasium zum ersten Mal einen Leistungskurs in Chemie gegeben. Als ich das Handtuch werfen musste, da wollten die Schülerinnen auch nicht mehr. Mädchen und Chemie — ja, das war fesselnd.
Nachrichten: Können Sie noch den Titel Ihrer Doktorarbeit aus dem Kopf zitieren?
Guggolz: “Beiträge zur Struktur metallorganischer Komplexe.” Ein schrecklicher, völlig inakzeptabler Titel, den heute kein Student in meinem Seminar “Schreiben in Studium und Beruf” wagen würde. Mit vielen Strukturplots eine anschauliche Arbeit, aber insgesamt ein Werk so verständlich wie ein dadaistisches Gedicht. Gewidmet war es St. Florian, der netterweise nicht nur Patron der Feuerwehr ist, sondern auch der Seifensieder und der Bierbrauer.
Nachrichten: Wie verliefen der Abschied von der Chemie und der Einstieg in den Journalismus?
Guggolz: Es war anders herum: Mit zwölf Jahren machte ich meine erste Zeitung, ein Klassenjournal. Kostete zehn Pfennige. Mit einem vom Verlag genehmigten Nachdruck einer Geschichte von Mark Twain “Rauhe Sitten in Tennessee”. Die war ein weiterer Grund, Journalist werden zu wollen; in Tennessee war was los. Die Ausbildung zum Blattmacher köchelte während des Studiums immer auf kleiner Flamme, die Chemie war dennoch das Add-on, das Mittel zum Zweck; fraß allerdings eine Unmenge Zeit und Energie.
Nachrichten: Halfen Ihnen chemische Fachkenntnisse bei Ihrer journalistischen Tätigkeit?
Guggolz: Immerhin verhalfen mir die Chemie und meine Idee, dass ein Journalist wissen muss, worüber er schreibt und schreiben lässt, zu meiner ersten Redakteursstelle bei der Chemischen Rundschau; zugegeben, der damalige Verlag-Chemie-Geschäftsführer quetschte mich im Vorstellungsgespräch vor allem zu meinem Gemeindebrief aus. Später als Freiberufler und schließlich als Chefredakteur der Nachrichten aus der Chemie waren völlig andere Qualitäten gefragt: (Selbst-)Marketing, Kommunikationsstärke, Neugier, Kostendenken, Kreativität, Teamorganisation und nicht zuletzt Termintreue.
Nachrichten: Werden Sie noch gefragt, wenn es — um ein Beispiel zu nennen — um chemische Kampfstoffe geht?
Guggolz: Chemische Kampfstoffe wären einfach zu diskutieren, dazu hatten wir in den Nachrichten einige Beiträge. Gestern Abend aber ging es um schlagartigen Haarausfall angeblich durch die Quecksilberbelastung aus einer zerbrochenen Energiesparlampe. Das ist zunächst heikel, weil jeder am Stammtisch sofort per Wikipedia Informationen auf den Markt wirft. Aber wenn ich die richtig sortiere, klappt das schon. Politische und fachliche Hintergründe bei Chemiethemen, NOx bei VW, Klimawandel sind dann ein Alleinstellungsmerkmal, da kommen Wiki et al. nicht mit. In die Kommunikation eingebunden macht Chemie Spaß.

“Mit zwölf Jahren machte ich meine erste Zeitung”

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