Wissenschaft & Forschung

Prof.Dr.

Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr an Bernard L. Feringa, Jean-Pierre Sauvage und James Fraser Stoddart. Sie haben die Grundlagen für die Konstruktion molekularer Maschinen gelegt und die ersten Prototypen synthetisiert.
Fast alle technischen Funktionen in der makroskopischen Welt, etwa Transport durch Pumpen und Fahrzeuge, Umwandlung von Energie in Arbeit, Konstruktion und Montage von Bauelementen, Informationsverarbeitung und -speicherung verwirklicht die belebte Natur seit mehr als einer Milliarde Jahren auf molekularer Ebene. Letztlich beruht die Funktion des Lebens auf dem komplexen Zusammenspiel molekularer Maschinen, die durch chemische Energiequellen angetrieben werden.In einigen Aspekten unterscheiden sich allerdings die molekulare und die makroskopisch-technische Welt: Während ein Ingenieur seine Bauteile am Computer maßschneidert und mit Werkzeugmaschinen passend fertigt, lassen sich molekulare Maschinen nur mit den Bauelementen herstellen, die uns die Natur vorgibt. Radien, Bindungen und Bindungswinkel der Elemente definieren die Maße. Nur durch geschickte Kombination der Teile lässt sich gezielt konstruieren.Noch tiefer geht der Unterschied zwischen der Nanowelt der Chemie und unserer Alltagstechnik in der Fertigung selbst. Anders als die Natur besitzen Chemiker bislang noch keine molekularen Roboter, welche die Bauteile Stück für Stück zusammensetzen. Die Information zur Montage muss der Chemiker in die Bauteile selbst implementieren. Einem guten Chemiker gelingt es, die Reaktivitäten der Komponenten so aufeinander abzustimmen, dass sie sich durch kovalente Bindungen wie gewünscht zusammensetzen. Moleküle herzustellen, steht seit jeher im Mittelpunkt der Chemie, und Methoden, die das Repertoire der chemischen Synthese ergänzen, wurden mehrfach mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Die Synthesekunst ist so weit fortgeschritten, dass sich – mit entsprechendem Aufwand – heute praktisch jedes stabile Molekül herstellen lässt.<h2>Mechanische Bindungen</h2>Zunehmend steht nicht mehr die konkrete Zielstruktur eines Moleküls im Vordergrund der chemischen Forschung, sondern seine Funktion. Letztlich ist es gleich, wie die Struktur aussieht, wichtig ist die Eigenschaft. Funktionen rational zu planen, erfordert ein radikales Umdenken bei der Vorgehensweise. Maschinenähnliche Funktionen setzen bewegliche Teile voraus, kompliziertere Maschinen beruhen auf dem Zusammenspiel vieler dynamischer Komponenten. Mit starren, kovalenten Bindungen ist das nicht zu erreichen. Hier setzt die Forschung von Jean-Pierre Sauvage, James Fraser Stoddart und Ben L. Feringa an.Eine kontrollierte relative Beweglichkeit zweier Komponenten zueinander erreicht man am einfachsten durch mechanisches Verzahnen. In der Chemie gibt es dafür zwei Möglichkeiten: die Rotaxane und die Catenane. In Catenanen sind Ringe miteinander verkettet; Rotaxane bestehen aus einer linearen Komponente, die in einem Ring steckt und durch voluminöse Stopper daran gehindert wird herauszurutschen. Was sich in der makroskopischen Welt so einfach realisieren lässt, ist auf molekularer Ebene alles andere als trivial.Lüttringhaus et al. legten im Jahr 1958 als erste theoretisch dar, wie man zwei molekulare Ringe zu Catenanen verkettet. Sechs Jahre später gelang dies Lüttringhaus und Schill auch praktisch (Abbildung 1).1) Schill war zudem der erste, der ein Rotaxan rational hergestellt hat.2) Die Synthesen sind genial, aber aufwendig, sodass Rotaxane und Catenane über Jahre Laboratoriumskuriositäten blieben. Die Situation änderte sich, als Sauvage im Jahr 1983 die templatgestützte Catenansynthese einführte.3) Dabei werden die Vorläufer der beiden Ringe zunächst an einem tetraedrischen Metallkomplex fixiert. Stoddart nutzte die Wechselwirkungen zwischen elektronenreichen und elektronenarmen Aromaten, um molekulare Stränge durch Makrocyclen zu fädeln.4) Damit waren nun nicht nur einfach verschlungene Ringe herstellbar, sondern auch topologisch komplexere Gebilde wie Kleeblattknoten und Borromäische Ringe (Abbildung 2) sowie Catenane in Polymerketten. Die Beispiele zeigen, welche topologische Komplexität mittlerweile chemisch beherrschbar geworden ist.<figure><img src="https://media.graphcms.com/OHETjQtNRe6fwWuopUGq"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Rotaxan-Synthese nach Lüttringhaus und Schill sowie nach Sauvage.</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/wdtNJO7RS4dMuuPw70WQ"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Borromäische Ringe.</figcaption></figure>
Die Kreativität und Weitsicht Jean-Pierre Sauvages und James Fraser Stoddarts zeigt sich noch deutlicher in der nächsten Stufe der Entwicklung: Basierend auf mechanischen Bindungen konstruierte Stoddart einen molekularen Shuttle, also ein Rotaxan, dessen Ring abhängig vom pH-Wert zwischen zwei Stationen hin- und herfährt. Sauvage konstruierte Catenane, deren Ringe sich durch Reduktion und Oxidation jeweils in eine bestimmte Richtung drehen lassen. Damit hatten sie die ersten auf mechanischen Bindungen beruhenden molekularen Maschinen gebaut, und eine atemberaubende Entwicklung war in Gang gesetzt. Es folgten molekulare Muskeln, Aufzüge und lineare Motoren, die in der Lage waren, Arbeit zu verrichten.<h2>Molekulare Motoren</h2>Während über die letzten 30 Jahre Rotaxan- und Catenan-Maschinen stetig entwickelt wurden, kam die Publikation über den ersten lichtgetriebenen molekularen Motor von Ben Feringa im Jahr 1999 völlig überraschend.5) Obwohl Maschinen in der Regel von Motoren angetrieben werden, fehlte das Bauteil Motor bislang in der Sammlung der molekularen Konstruktionselemente.Molekulare Rotoren gibt es in fast jedem organischen Molekül. Alkylgruppen drehen sich bei Raumtemperatur mit einer Frequenz von bis zu 100 MHz um C-C-Einfachbindungen. Die Drehrichtung ist allerdings zufällig und lässt sich nicht nutzen, um Arbeit zu verrichten. Um eine Drehung in eine definierte Richtung zu bewirken, muss dem Motor Energie zugeführt werden. Im Fall des Feringa-Motors ist dies Licht. Eine weitere Voraussetzung für gerichtete Bewegung ist, dass vier diskrete Zwischenschritte pro Umdrehung erreicht werden, etwa zwei Schaltprozesse. Im Feringa-Motor sind dies die vier Produkte der beiden photochemischen und thermischen Reaktionen: Zwei photochemische cis-trans-Isomerisierungen induzieren die Drehung, jeweils gefolgt von einer thermischen Umwandlung, sodass sich insgesamt eine 360°-Drehung ergibt.Im ersten Motor waren die thermischen Prozesse noch so langsam, dass sich die stabilen Zwischenstufen komplett charakterisieren und der Mechanismus eindeutig beweisen ließen. Durch verbessertes Moleküldesign hat Feringa die Drehzahl des Motors mittlerweile auf über 12 MHz gesteigert.Die Möglichkeiten, molekulare Motoren einzusetzen, sind nur durch die Phantasie begrenzt. Eindrucksvoll sind die makroskopischen Effekte, die man mit den winzigen Molekülen erreicht: Eine Flüssigkeitskristallmatrix mit nur einem Prozent chiralem Motor nimmt dessen Chiralität an und verstärkt so die molekulare Bewegung. Durch Belichten dreht sich ein kleiner Glasstab, der auf der Matrix aufliegt.Wenn man einen Motor zur Hand hat, liegt es nahe, ein Auto zu bauen, so wie es im Jahr 1950 Richard Feynmann vorschlug. Die Arbeitsgruppe Feringa befestigte vier molekulare Motoren an einem aromatischen Chassis und trieb dieses Fahrzeug mit Strom aus einer STM-Spitze auf einer Goldoberfläche an (Abbildung 3, S.1047).<figure><img src="https://media.graphcms.com/FBwclQgRHi61GEXSLxbq"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Nanoauto der Arbeitsgruppe Feringa. Vier molekulare Motoren sind an einem aromatischen Chassis befestigt, Strom aus einer STM-Spitze auf einer Goldoberfläche treibt das Fahrzeug an.</figcaption></figure>
<h2>Miniaturisierung</h2>Die Miniaturisierung hat in vielen Bereichen der Technik die Effizienz gesteigert. Prominentestes Beispiel ist die Mikroelektronik. Microchips werden mit steigender Integrationsdichte schneller und brauchen weniger Energie.Die molekulare Nanotechnik geht über eine reine Leistungssteigerung weit hinaus. Sie ermöglicht neue Anwendungen. Größe und Funktionsprinzip der molekularen Bauelemente sind kompatibel mit biochemischen Systemen, die ersten Hybridsysteme gibt es bereits. Autonome Systeme, die Wirkstoffe am Krankheitsherd freisetzen, werden entwickelt, und künstliche Flimmerepithele – also Oberflächen mit Flimmerhärchen, die Licht antreibt – zur aktiven Fortbewegung sind in Reichweite.6)Im Vergleich zur industriellen Revolution im neunzehnten Jahrhundert stehen wir mit der Entwicklung molekularer Maschinen noch am Anfang, und es ist schwer vorherzusagen, welche Anwendungen die Forschung liefern wird. Die Ingenieure, die Anfang des neunzehnten Jahrhunderts mit den ersten primitiven Elektromotoren experimentierten, konnten sich damals kaum vorstellen, dass diese eines Tages Autos, Waschmaschinen oder Fertigungsroboter antreiben würden.Wir stehen am Anfang einer technischen Umwälzung, die in diesem Fall von der Chemie ausgeht. Der Nobelpreis 2016 wurde an die Begründer dieser Entwicklung vergeben. Alle drei Preisträger sind Vollblutchemiker, die nicht nur visionäre Ideen haben, sondern auch geniale Synthetiker sind – denn wer die chemische Synthese nicht beherrscht, kann auch keine molekularen Maschinen bauen.Rainer Herges ist Lehrstuhlinhaber für organische Chemie an der Universität Kiel und seit dem Jahr 2007 Sprecher des SFB 677 „Funktion durch Schalten“. Seine Arbeitsgruppe entwickelt und synthetisiert molekulare Schalter und Maschinen zur Anwendung in intelligenten Materialien, Pharmakologie und Diagnostik.<figure><img src="https://media.graphcms.com/dXZmi8n1TTikN6pdYa8N"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Bernard L. Feringa. <named-content>Foto: Universität Groningen</named-content></figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/EPNrayQqQaGk6y6yafBB"><figcaption><label>Abb. 5: </label>Jean-Pierre Sauvage.</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/Dl3exHolTUymgJz4EgDe"><figcaption><label>Abb. 6: </label>James Fraser Stoddart. <named-content>Foto: Jim Prishching</named-content></figcaption></figure>
<h2>Nobelpreis für Medizin: Müllabfuhr der Zellen</h2>Was Müll ist, muss weg – etwa ein falsch gefaltetes Protein. Zellen von Menschen, Tieren, Pflanzen und Hefen nutzen dazu Autophagie oder Autophagozytose (aus dem Griechischen für „sich selbst verzehren“): Sie bauen ihre eigenen Bestandteile ab und verwerten diese wieder. Für seine Entdeckungen zur Autophagie erhält in diesem Jahr der Japaner Yoshinori Osumi den Nobelpreis für Medizin. Er klärte zunächst an Hefe-, später auch an Säugerzellen, welche Erbanlagen die Autophagie steuern. Sind diese verändert, beeinflusst das auch die Autophagie – Krankheiten wie Krebs, Alzheimer oder Parkinson entstehen. Sind die molekularen Vorgänge der Autophagie verstanden, lassen sich wahrscheinlich bessere Medikamente entwickeln, meinen Wissenschaftler.Osumi wurde im Jahr 1945 in Japan geboren und promovierte 1974 in Tokio. Während des Studiums wechselte er von der Chemie zur Molekularbiologie. Heute ist er Professor am Tokyo Institute of Technology in Tokio.Illustration: schinsilord, Fotolia<h2>Nobelpreis für Physik: Topologie ist die Lösung</h2>Die Topologie ist eine Teildisziplin der Mathematik. Sie beschreibt geometrische Eigenschaften, die sich nicht kontinuierlich, zum Beispiel durch Verzerren, sondern in einem einzigen Schritt ändern.In diesem Jahr geht der Physik-Nobelpreis an drei britische Forscher: David Thouless, Duncan Haldane und Michael Kosterlitz.Indem sie mathematische Konzepte auf physikalische Phänomene anwandten, machten sie exotische Materiezustände und Quantenphänomene auf Oberflächen verständlich. Bereits in den 1970er und 1980er Jahren erklärten sie anhand topologischer Konzepte, wie und warum extrem dünne Materialschichten von einem topologischen Zustand in den anderen wechseln. Anders als bei klassischen Zustandsänderungen ändern sich bei topologischen Phasenübergängen eines zweidimensionalen Systems die Symmetrieeigenschaften nicht (auch in der Abbildung sind alle drei Gegenstände topologisch äquivalent). Solche Übergänge treten zum Beispiel in Supraleitern auf. Mit ihren Arbeiten lieferten die Physiker unter anderem eine Erklärung für den Quanten-Hall-Effekt, der im Jahr 1985 entdeckt wurde. Alle drei Physiker arbeiten in den USA.Thouless ist im Jahr 1934 in Schottland geboren und ist emeritierter Professor der University of Washington in Seattle. Der Engländer Haldane, Jahrgang 1951, forscht in theoretischer Festkörperphysik an der Universität Princeton. Der ebenfalls aus Schottland stammende Physiker Kosterlitz wurde 1942 geboren und arbeitet heute an der Brown University, Rhode Island.<figure><img src="https://media.graphcms.com/UEy7cAkTPus4PZ3aPKAC"><figcaption><label>Abb. 7: </label>Nanoauto der Gruppe Feringa. <named-content>Quelle: Universität Groningen</named-content></figcaption></figure>

<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 G. Schill, A. Lüttringhaus, Angew. Chem. 1964, 76, 567.</li><li>
2 G. Schill, Z. Zollenkopf, Nachr. Chem. Tech. 1967, 15, 149.</li><li>
3 C. O. Dietrich-Buchecker, J.-P. Sauvage, J.-P. Kintzinger, Tetrahedron Lett. 1983, 24, 5095</li><li>
4 P. R. Ashton et al., Angew. Chem. 1989, 101, 1404 – 1408</li><li>
5 N. Koumura, R. W. J. Zijlstra, R. A. van Delden, N. Harada, B. L. Feringa, Nature 1999, 401, 152–155.</li><li>
6 T. Tellkamp, J. Shen, Y. Okamoto, R. Herges, Eur. J. Chem. 2014, 5456.</li></ul>

Artikel

Molekulare Maschinen

Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr an Bernard L. Feringa, Jean-Pierre Sauvage und James Fraser Stoddart. Sie haben die Grundlagen für die Konstruktion molekularer Maschinen gelegt und die ersten Prototypen synthetisiert. Fast alle technischen Funktionen in der makroskopischen Welt, etw...

Damit sich Moleküle wie Motoren verhalten, dürfen sie sich nur in eine Richtung bewegen. Ob das funktioniert, hängt davon ab, ob in den Molekülen Asymmetrie vorliegt. Diese molekularen Motoren bewegen sich mit Frequenzen im Kilo- und Megahertzbereich; Licht gibt ihnen die Energie dafür.
Bauteile zu miniaturisieren, steigert etwa in der Halbleitertechnik die Leistung und erhöht die Kapazität. Potenziell führt Miniaturisierung fast zwangsläufig zu immer größerer Präzision, wenn es darum geht, Materie zu manipulieren. Einzelne Prozesse lassen sich schon heute atomar auflösen: So stellten Roßnagel und Kollegen in diesem Jahr eine einatomige Wärmemaschine vor, die durch ein Wärmegefälle angetrieben wird.1) Allerdings lässt sich mit Atomen komplexeres Verhalten nicht so leicht erzeugen wie mit Molekülen. Das Verhalten von Molekülen zu kontrollieren, entweder programmiert oder nachträglich durch äußere Signale, wird zum Ziel. Chemiker sind in der einzigartigen Position, Technik auf molekulare Größe zu miniaturisieren und Feynmans „plenty of room at the bottom“ sinnvoll auszufüllen.Auf makroskopischer Ebene lassen sich Werkstoffe mit höchster Präzision bearbeiten, wenn dazu Maschinen mit hochgeordneten Bewegungsabläufen genutzt werden. Analog dazu sollte sich Materie auf molekularer Ebene am präzisesten durch molekulare Maschinen manipulieren lassen, die dafür ebenfalls hochgeordnete Bewegungen ausführen müssen.2) In beiden Fällen brauchen die Maschinen Energie, um zu laufen.Moleküle bewegen sich bei Raumtemperatur rein zufällig. Um geordnete Prozesse zu erzeugen und Arbeit auf molekularer Ebene zu verrichten, müssen diese Bewegungen kontrolliert werden. Dafür muss entweder der Brownschen Molekularbewegung entgegengewirkt werden, was energieaufwendig ist; oder die unerwünschten Rückwärtsbewegungen werden durch die molekulare Organisation verhindert (Ratschenmechanismus). Nur wenn Bewegungen in eine Richtung ausgeführt werden, entkommen Moleküle dem chemischen Gleichgewicht und leisten effektiv Arbeit.<h2>Was muss eine molekulare Maschine leisten?</h2>Inspirationen für Nanomaschinen liefert die Natur, die effiziente Nichtgleichgewichtssysteme entwickelt hat.3) So finden sich beispielsweise unidirektionale Rotationsbewegungen in der ATP-Synthase oder den Motorproteinen, die den Geißelschlag ganzer Zellen antreiben.Beispiele für unidirektionale lineare Bewegungen sind die Kinesin- und Dyneinbewegungen entlang von Mikrotubuli sowie die Bewegung von Myosin entlang von Aktinfilamenten. In den meisten Fällen liegen hier Ratschenmechanismen zugrunde, welche die Reversibilität der Bewegungsrichtungen brechen. Damit zeigt die Natur, wie sich Nanomaschinen konstruieren lassen und welchen Funktionsprinzipien sie unterliegen – Erkenntnisse, die sich auf synthetische molekulare Maschinen übertragen lassen.Frühe synthetische molekulare Maschinen realisierten nur Teile der Anforderungen. Sie bewegten sich zwar ungerichtet, die spezifische Bewegung war aber durch äußere Signale induzierbar; sie fungieren als molekulare Schalter. Beispiele sind die pH- oder elektrisch gesteuerte Hin- und Herbewegung eines molekularen Rotaxanshuttles der Gruppe Stoddart4) oder, beispielhaft für lichtinduzierte Bewegungen, die Photoisomerisierung von Azobenzolphotoschaltern.5) In diesen Systemen ist die mikroskopische Reversibilität nicht gebrochen. Wird der Anfangszustand wiederhergestellt, wird daher die Hinbewegung rückgängig gemacht, also keine Arbeit erbracht. Dieses Problem löst molekulare Asymmetrie, die es erlaubt, den Anfangszustand in einem zirkulären Prozess zu erreichen, ohne die Bewegungsrichtung dabei umzukehren.<h2>Nur eine Richtung</h2>Die ersten Beispiele einer gerichteten Bewegung in synthetischen Systemen sind die molekularen Motoren der Gruppen Kelly6) und Feringa aus dem Jahr 1999,7) die durch chemische Energie beziehungsweise UV-Licht angetrieben werden (Abbildung 1).<figure><img src="https://media.graphcms.com/xZSTFeMTrOFUs9VwpeSf"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Synthetische molekulare Motoren. A) Chemisch betriebener Motor der Gruppe Kelly. B) Lichtgetriebener Motor. C) Schnellster, lichtgetriebener molekularer Motor. D) Unidirektionale Rotation in einem nicht chiralen Motor. E) Iminbasierter Motor. F) Peptidischer Viertaktschubmotor.</figcaption></figure>
Obwohl diese beiden ersten synthetischen Motoren tatsächlich direktionale Bewegungen ausführten, waren sie noch keine voll ausgereiften Systeme, die sich mit der Leistung natürlicher, molekularer Motoren messen konnten: Kellys Motor drehte sich nur um 120 ° und führte diese Drehung nicht kontinuierlich aus; Feringas Motor drehte sich kontinuierlich um 360 °, allerdings war die Drehbewegung bei Raumtemperatur äußerst langsam: Bei 20 °C dreht dieser Motor alle drei Monate einmal. Das entspricht 1,2 ·10–7 Hz.Heute erreichen die lichtgetriebenen molekularen Motoren Rotationsfrequenzen im MHz-Bereich.8) Dass diese Motorsysteme eine Drehrichtung bevorzugen, liegt allgemein an molekularer Asymmetrie und in diesem Spezialfall an der Kombination aus einem stabilen Stereozentrum und thermisch labilen Helizitäten.Die Helix ändert bei Wärmezufuhr irreversibel ihre Drehrichtung und verhindert damit ein Rückwärtslaufen des Motors. Erst kürzlich entwickelte die Gruppe Feringa ein achirales Molekül mit pseudo-asymmetrischem Kohlenstoffatom, das nur in eine Richtung rotiert.9)Neue Motorsysteme unterscheiden sich voneinander durch die Mechanismen der direktionalen Drehung, die Art der Energiezuführung und den molekularen Aufbau. Die Gruppe Haberhauer präsentierte einen Viertaktschubmotor auf Basis eines cyclopeptidischen Azobenzols. Die gerichtete Drehung erfolgt hier um eine fiktive Achse.10) Abwechselnde Belichtungs- und Komplexierungs-Dekomplexierungsschritte mit Zn2+-Ionen treiben diese Motoren an.Die Gruppe Lehn präsentierte im Jahr 2014 einen lichtgetriebenen molekularen Motor, bei dem die Rotation um eine C-N-Doppelbindung verläuft. Bei diesem System wird die Reversibilität der Bewegungsrichtung durch eine thermische Isomerisierung gebrochen, die entweder als Inversion am Stickstoff oder als Ringinversion des Statorfragments auftritt.11)Molekulare Motoren sind auch auf Oberflächen konstruiert worden. Sie lassen sich etwa mit Elektronenfluss durch eine STM-Spitze antreiben.12) Die bevorzugte Drehrichtung dieser Motoren lässt sich seit kurzem auch umkehren.13)<h2>Vorwärts oder im Kreis?</h2>Neben gerichteten Rotationen führen lineare synthetische molekulare Motoren durch zugeführte Energie eine gerichtete lineare Bewegung aus (Abbildung 2). Ein Beispiel sind die molekularen Walker der Gruppe Leigh14) sowie die DNA-Walker,15,16) die sich mittlerweile nicht nur schnell bewegen, sondern auf ihrem Weg noch weitere Aufgaben wie DNA-templierte Synthese17) übernehmen. Dabei bilden Walker und DNA gemeinsam ein Templat, und die DNA-Stränge hybridisieren auf einer Goldoberfläche mit komplementären RNA-Strängen.<figure><img src="https://media.graphcms.com/qlppGTBGWtfYo6hAgkyG"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Synthetische lineare molekulare Motoren. A) Molekularer Walker der Gruppe Leigh. B) DNA-Walker von Shin und Mitarbeitern.</figcaption></figure>
Für synthetische molekulare Motoren gibt es mittlerweile also etliche Systeme, die durch zugeführte Energie gerichtete Bewegungen ausüben. Die generelle Leistungsfähigkeit molekularer Motoren wird aber weiterhin erforscht. Die wichtigsten Kriterien der Leistungsfähigkeit sind die Geschwindigkeit der Bewegung, die Effizienz der Energieumwandlung, die Robustheit gegenüber unterschiedlichen Umweltbedingungen und die Kompatibilität der Energiezufuhr mit der mikro- und makroskopischen Umgebung des Motors.Unsere Gruppe entwickelte im letzten Jahr auf Grundlage eines Hemithioindigo(HTI)-Photoschalters18,19) einen neuartigen molekularen Motor. Dieser nutzt kein UV-Licht als Energiequelle, sondern sichtbares Licht bis zu 500 nm Wellenlänge (Abbildung 3).20) Der HTI-basierte Motor hat im Grundzustand vier energetisch und geometrisch unterschiedliche diastereomere Minima. Diese werden durch ein stabiles Sulfoxid-Stereozentrum und zwei weitere, labile Stereoinformationen definiert. Bei letzteren handelt es sich um die Z- oder E-Konfiguration der zentralen Doppelbindung und die helikale Verzerrung des Moleküls, die durch sterische Überfrachtung entsteht.<figure><img src="https://media.graphcms.com/kfaq9eSWi9mekqW9s4gQ"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Hemithioindigobasierter molekularer Motor. Angetrieben durch sichtbares Licht erreicht er bei Raumtemperatur Rotationsfrequenzen im Kilohertzbereich. A) Kristallstruktur des thermodynamisch stabilen Z-(S)-(P) Isomers. B) Energieschema zur Funktionsweise des Motors.</figcaption></figure>
Wie der HTI-Motor funktioniert, zeigt Abbildung 3B für das (S)-konfigurierte Derivat. Ausgehend vom thermodynamisch stabilsten Z-(S)-(P)-Isomer wandelt sichtbares Licht das Molekül zunächst in den metastabilen E-(S)-(M)-isomeren Zustand um, der durch Wärme vollständig in das stabilere E-(S)-(P)-Isomer übergeht. Bestrahlen des E-(S)-(P)-Isomers führt wieder zur Photoisomerisierung der Doppelbindung, und es bildet sich das instabile Z-(S)-(M)-Isomer. Dieses geht durch einen zweiten thermischen Schritt in den Z-(S)-(P)-isomeren Anfangszustand über. Die Lichtreaktionen führen also jeweils zur Isomerisierung der Doppelbindung, wobei gleichzeitig die Helizität des Moleküls invertiert wird. Die thermischen Schritte kehren nur die Helizität um und blockieren damit die Rückwärtsbewegungen. Das stabile Stereozentrum am Schwefel gibt die Drehrichtung vor.<h2>Energiequelle Licht</h2>Obwohl es bereits einige Motoren gibt, die mit sichtbarem Licht arbeiten, sind die bisher erreichten Rotationsgeschwindigkeiten nicht sehr hoch: Hier erfolgen bei 20 °C 2,5 Drehungen pro Sekunde, die Frequenz beträgt also 2,5 Hz. In unserem HTI-System erzeugt sichtbares Licht bei Raumtemperatur erstmals eine Rotation im Kilohertzbereich, also 1000 Umdrehungen pro Sekunde. Das ermöglicht mehr Anwendungen für lichtgetriebene molekulare Motoren, da nun schnelle Rotationen erstmals durch eine milde und nichtzerstörerische Energiezufuhr ablaufen. Dies ist für viele Anwendungen, etwa in Biologie, supramolekularer Chemie oder Materialforschung interessant, bei denen die Umgebung hitze- oder UV-empfindlich ist. Zudem sorgt der verschobene Absorptionsbereich dafür, dass molekulare Motoren selektiv adressierbar werden, egal ob in einem komplexen molekularen oder einem supramolekularen Kontext.Letztlich sollen molekulare Motoren Multikomponentenmaschinen antreiben. Wichtig ist dafür, wie sich einzelne molekulare Maschinen in einen komplexeren Verband integrieren lassen und wie molekulare Bewegungen auf die makroskopische Ebene übertragen werden. Zwei grundlegende Arbeiten demonstrieren, wie sich eine solche Übertragung umsetzen lässt (Abbildung 4):<figure><img src="https://media.graphcms.com/qpIWtSOQ3SadXlYc88ze"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Erste Beispiele für die Übertragung gerichteter Motorbewegungen von der molekularen Größenskala auf mikro- und makroskopische Größenskalen. A) Gerichtete Rotation eines mikrometergroßen Glasstabs auf der Oberfläche eines Flüssigkristalls, der mit molekularen Motoren dotiert ist. B) Die lichtgetriebene Motorbewegung innerhalb eines vernetzten Gels führt zum Aufwickeln der Polymerketten und schließlich zum makroskopischen Kollaps der Gelstruktur.</figcaption></figure>
Ein Beispiel stellten im Jahr 2006 Feringa und Mitarbeiter vor.21) Sie brachten lichtgetriebene molekulare Motoren in einen Flüssigkristall ein, die durch ihre Rotationsbewegung die makroskopische Bewegung des gesamten Systems beeinflussen. Dies belegte die Rotation eines 28 µm langen Glasstabs auf der Oberfläche des Flüssigkristalls. Die Rotation entstand durch die mikroskopischen Bewegungen der Motormoleküle, nachdem sie mit UV-Licht bestrahlt wurden.Im letzten Jahr berichtete die Gruppe von Giuseppone von der makroskopischen Kontraktion eines Gels, die durch die direktionale Rotation eines lichtgetriebenen molekularen Motors entsteht.22) Dabei führt die direktionale Rotation zu einem mechanischen Aufwickeln kovalent angeknüpfter Polymerketten und damit letztlich zum Kollabieren des Gelnetzwerks. Das Konzept dieser Arbeit generalisierten Kulic und Mitarbeiter. Sie entwickelten damit ein allgemeines Prinzip, wie sich molekulare Motoren in komplexere mechanische Systeme – etwa Polymere – integrieren lassen.23)<h2>Perspektive</h2>In Zukunft wird sich die Forschung an synthetischen molekularen Motoren wahrscheinlich in zwei Richtungen entwickeln: Zum einen wird es neue Systeme und Mechanismen geben, wobei die spezifischen Bewegungen immer genauer und effizienter kontrollierbar werden. Zum anderen sollten sich molekulare Motoren besser in andere Systeme integrieren lassen. Es müssen robuste, nützliche Anwendungen entwickelt und komplexe Funktionen bereitgestellt werden, die nur durch den einzigartigen Charakter ihrer molekularen Komponenten und deren Wechselwirkungen erreichbar sind. Gelingt dies, wird man der ultimativen Miniaturisierung ein großes Stück näher gekommen sein.<h2>Quergelesen</h2>Damit sich molekulare Maschinen nur in eine Richtung bewegen und arbeiten, muss die molekulare Organisation Rückwärtsbewegungen verhindern.Unidirektionale Rotationen gibt es auch in der Natur, etwa bei der ATP-Synthase, und lineare Bewegungen in eine Richtung sind etwa von Myosin bekannt, das sich entlang von Aktinfilamenten bewegt.Die ersten synthetischen molekularen Maschinen bewegten sich zwar ungerichtet, die Bewegung ließ sich aber durch äußere Signale induzieren. Viele der derzeitigen synthetischen molekularen Maschinen bewegen sich gerichtet und lassen sich von außen beeinflussen.<h2>Vitakasten</h2>Monika Schildhauer promoviert seit dem Jahr 2014 in der Arbeitsgruppe von Henry Dube am Department Chemie der LMU München. Sie studierte von 2005 bis 2013 Chemie an der LMU München und erhielt ihren Masterabschluss 2013. Ihre Forschungsschwerpunkte sind lichtinduzierte molekulare Bewegungen im Kontext von molekularen Maschinen.<div><img src="https://media.graphcms.com/USD3wUqWTsqvTWNI2aWn">

</div>Henry Dube ist seit Ende 2011 Nachwuchsgruppenleiter am Department Chemie der LMU München. Er studierte von 1998 bis 2004 Chemie in Marburg und München und promovierte im Jahr 2008 an der ETH Zürich. Anschließend absolvierte er seinen Postdoc am Scripps Research Institute in La Jolla, USA. Seine Forschungsinteressen umfassen Photochemie, supramolekulare Chemie, molekulare Maschinen und biologische Chemie.<div><img src="https://media.graphcms.com/j1ybTa6dTE6RhLjmRdcK">

</div>
<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 J. Roßnagel, S. T. Dawkins, K. N. Tolazzi et al., Science 2016, 352, 325.</li><li>
2 S. Erbas-Cakmak, D. A: Leigh, C. T. McTernan, A. L. Nussbaumer, Chem. Rev. 2015, 115, 10081.</li><li>
3 M. Guix, C. C. Mayorga-Martinez, A. Merkoci, Chem. Rev. 2014, 114, 6285.</li><li>
4 P. L. Anelli, N. Spencer, J. F. Stoddart, J. Am. Chem. Soc. 1991, 113, 5131.</li><li>
5 A. Teitel, Naturwissenschaften 1957, 44, 370.</li><li>
6 T. R. Kelly, H. De Silva, R. A. Silva, Nature 1999, 401, 150.</li><li>
7 N. Koumura, R. W. J. Zijlstra, R. A. van Delden, B. L. Feringa, Nature 1999, 401, 152.</li><li>
8 J. Vachon, G. T. Carroll, M. M. Pollard et al., Photochem. Photobiol. Sci. 2014, 13, 241.</li><li>
9 H. A. Kistemaker, P. Stacko, J. Visser, B. L. Feringa, Nature Chem. 2015, 7, 890.</li><li>
10 G. Haberhauer, Angew. Chem. 2011, 123, 6539.</li><li>
11 L. Greb, J. M. Lehn, J. Am. Chem. Soc. 2014, 136, 13114.</li><li>
12 J. Michl, E. C. H. Sykes, ACS Nano 2009, 3, 1042.</li><li>
13 U. G. E. Perera, F. Ample, H. Kersell et al., Nat. Nanotechnol. 2013, 8, 46.</li><li>
14 M. J. Barrell, A. G. Campana, M. von Delius, E. M. Geertsema, D. A. Leigh, Angew. Chem. Int. Ed. 2011, 50, 285.</li><li>
15 J.-S. Shin, N. A. Pierce, J. Am. Chem. Soc. 2004, 126, 10834.</li><li>
16 J. Bath, S. J. Green, A. J. Turberfield, Angew. Chem. Int. Ed. 2005, 44, 4358.</li><li>
17 Y. He, D. R. Liu, Nat. Nanotechnol. 2010, 5, 778.</li><li>
18 S. Wiedbrauk, H. Dube, Tetrahedron Lett. 2015, 56, 4266.</li><li>
19 B. Maerz, S. Wiedbrauk, S. Oesterling et al., Chem. Eur. J. 2014, 20, 13984.</li><li>
20 M. Guentner, M. Schildhauer, S. Thumser et al., Nature Communications 2015, 6, 8406.</li><li>
21 R. Eelkema, M. M. Pollard, J. Vicario et al., Nature 2006, 440, 163.</li><li>
22 Q. Li, G. Fuks, E. Moulin et al., Nat. Nanotechnol. 2015, 10, 161.</li><li>
23 F. Weysser, O. Benzerara, A. Johner, I. M. Kulic, Soft Matter 2015, 11, 732.</li></ul>

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