Bildung & Gesellschaft

Prof.Dr.

Gaschromatographie galt noch Ende der 1950er Jahre als ungeeignet für die Bioanalytik. Marjorie G. Horning und ihr Mann Evan entwickelten sie in den 1960er Jahren weiter und etablierten sie als eine leistungsfähige Methode für die biomedizinische Forschung. Marjorie Groothuis Horning, die im August ihren 101. Geburtstag feierte, untersuchte damit Stoffwechselprodukte und Arzneimittel im menschlichen Körper.
Wein, Bier, Schnaps und Zigaretten sind für schwangere Frauen heute tabu. Das war nicht immer so. Noch bis in die 1970er Jahre galt die Plazenta als Barriere, und dass Drogen und Medikamente, die die Mutter zu sich nimmt, in den Körper des ungeborenen Kind gelangen können, war unbekannt. Heute wissen wir dies; zu verdanken ist es Majorie G. Horning, einer Pionierin der Bioanalytik.<figure><img src="https://media.graphcms.com/NgqzgcYBTha68O4DQtqf"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Marjorie G. Horning im Jahr 1987.</figcaption></figure>
Das Forschungsgebiet der US-amerikanischen Biochemikerin war die Chromatographie in der biochemischen Analytik. In den 60er und 70er Jahren entwickelte sie Methoden, mit denen Verteilung und Metabolismus von Arzneimitteln im menschlichen Körper untersucht werden konnten. Zusammen mit der Kinderärztin Reba Michels Hill wies sie um das Jahr 1973 nach, dass Medikamente und andere Wirkstoffe vom Blut einer werdenden Mutter in den Organismus des Fötus übergehen können, und in den Folgejahren klärten sie die Übertragungswege auf.Aber nicht nur das; Horning und Hill engagierten sich auch dafür, dass ihre Erkenntnisse über die Plazentagängigkeit von Substanzen den Weg in die geburtsmedizinische Praxis fanden, und sie beteiligten sich maßgeblich an Initiativen in den USA, Frauen über die Risiken der Einnahme von Medikamenten während der Schwangerschaft aufzuklären und sie vor dem Konsum von Alkohol, Drogen und Nikotin zu warnen.<h2>Lebenslange wissenschaftliche Zusammenarbeit</h2>Marjorie Janice Groothuis kam am 23. August 1917 in Detroit zur Welt. Sie studierte Biochemie, zuerst am Goucher College in Baltimore, ab dem Jahr 1938 an der University of Michigan in Ann Arbor, wo sie 1940 den Master erwarb und 1943 mit einer Arbeit zum Metabolismus der Phospholipide promovierte. Als Doktorandin lernte sie den Chemiker Evan Charles Horning (1916 – 1993) kennen, der dort unterrichtete. Die beiden heirateten im Jahr 1942, und fortan verband das Ehepaar eine enge Partnerschaft in wissenschaftlicher Arbeit, mit über 100 gemeinsamen Publikationen. Ihre unterschiedliche Ausbildung – er in organischer Chemie, sie in Biochemie – erwies sich als förderlich für ihre Zusammenarbeit.Beide blieben bis 1945 in Ann Arbor, Marjorie Horning als Forschungsassistentin in der Pädiatrie der Universitätsklinik, um anschließend an die University of Pennsylvania in Philadelphia zu gehen und von 1950 bis 1960 am National Heart Institute der National Institutes of Health (NIH) in Bethesda, Maryland, zu arbeiten. Dort begann das Forscherehepaar in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre mit seinen wegweisenden Arbeiten zur biomedizinischen Analytik.<h2>Durchbruch für die Gaschromatographie</h2>Als Chef des Laboratoriums für Chemie der Naturprodukte erkannte Evan Horning, dass die Bestimmungsmethoden für Lipide und Steroide unzulänglich waren, und so suchte er mit seiner Gruppe nach genaueren und präziseren Verfahren. Vielversprechend erschien den Forschern die noch junge Gaschromatographie (GC), weil die Kombination von Trennung und Detektion die Möglichkeit eröffnete, mehrere Inhaltsstoffe simultan zu bestimmen.Erste Gaschromatographen waren kommerziell verfügbar, und die Zahl der Anwender stieg schnell, aber die Methode steckte noch in den Kinderschuhen: Die Analytiker arbeiteten mit gepackten Säulen bei konstanter Säulentemperatur, als Detektoren dienten Gasdichtewaagen und Wärmeleitfähigkeitsmessgeräte. Kapillarsäulen, Temperaturprogrammierung, Flammenionisationsdetektoren und Mikroliter-Dosierspritzen gab es erst ab 1958, 1959.Gute Erfahrungen mit der GC beschränkten sich auf die Analytik von Gasen und Kohlenwasserstoffen. Bei höher siedenden sowie polaren Verbindungen waren die Ergebnisse nicht ermutigend: Die Retentionszeiten betrugen oft Stunden, die Signale waren unsymmetrisch, und die Stoffe zersetzten sich auf der Säule. Die Wissenschaftlergemeinde war mehr als skeptisch; manche der führenden Wissenschaftler in der organischen Chemie bezweifelten gar, dass sich die GC als eine Gasphasenmethode überhaupt dazu eignen würde, komplexere organische Verbindungen zu untersuchen.Aber der Horning-Gruppe gelang der Durchbruch: Durch Waschen der silikatischen Trägermaterialien mit Säure und anschließende Silanisierung konnten sie diese desaktivieren. Sie verwendeten thermisch stabile, unpolare Silikone als stationäre Phasen. Die desaktivierten Trägermaterialien belegten sie mit nur einem bis drei Prozent stationärer Phase und erhielten so sehr dünne Filme. Sie passivierten die Glassäulen durch Silanisierung und verwendeten Glaseinsätze im Injektor oder injizierten die Proben direkt auf die Säule.Mit Säulenlängen von sechs oder zwölf Fuß (1,8 beziehungsweise 3,6 Meter) und bei Temperaturen von 210 bis 230 °C trennten sie Steroide mit ein bis zwei funktionellen Gruppen innerhalb einer Stunde.2) Nicht direkt der GC zugängliche polyfunktionelle Steroide mit polaren Gruppen überführten sie in weniger polare, thermostabile Derivate. All diese Arbeiten waren bahnbrechend, sowohl für die biochemische Analytik als auch generell für die Anwendungspalette der GC, die sich dadurch beträchtlich erweiterte.<h2>Medizinische Forschung in Houston</h2>Die Arbeiten der Hornings wurden rasch bekannt und bewogen den Herzchirurgen Michael DeBakey, Evan Horning die Leitung eines neu zu gründenden Institute for Lipid Research in Houston anzubieten. Evan Horning nahm an, bestand aber darauf, dass auch Marjorie eine Stelle bekomme; DeBakey willigte ein. So zog das Paar im Jahr 1961 nach Houston; Evan wurde Direktor des Instituts und Professor für Chemie, Marjorie zunächst Associate Professor und im Jahr 1969 Professorin für Biochemie. Außerdem arbeitete sie als Gastprofessorin für Biochemie und Biophysik an der Universität von Houston.Unter DeBakey, dem Vater der Bypass-Operationen, hatte sich das vorher mittelmäßige Baylor College zu einem medizinischen Forschungszentrum von Weltruf entwickelt, und um die Herzchirurgie entstanden Institute mit biochemisch-medizinischer Ausrichtung. Die Vermutung, dass Cholesterol, Prostaglandine, Lipide und Lipoproteine im Blut bei der Bildung von atherosklerotischen Plaques und damit bei Erkrankungen wie Herzinfarkt eine Rolle spielen, stellte die wissenschaftliche Verbindung der Hornings zur medizinischen Forschung am Baylor College dar.Am Baylor College entwickelten die Hornings ihre Methoden weiter und bezogen weitere Stoffklassen ein, darunter Zucker, Zuckeralkohole, Säuren, Hormone, Arzneimittel und deren Metabolite. Sie erarbeiteten Profilanalysen, um parallel eine möglichst große Zahl an Stoffwechselprodukten in Blut, Urin oder Speichel zu erfassen und zwischen normalen und krankhaften Befunden sowie zwischen langsamen und schnellen Metabolisierern zu unterscheiden. Mit dem Metabolic Profiling legten sie die Grundsteine für die personalisierte Arzneimitteltherapie.Lange noch benutzten sie dazu gepackte Säulen, bis es Mitte der 1970er gelang, stabile Glaskapillaren mit polaren stationären Phasen herzustellen.<h2>Gaschromatographie-Massenspektrometrie und die Biomedizin</h2>Die Gruppe um die Hornings gehörte zu den ersten Anwendern der GC-MS-Kopplung. Bereits im Jahr 1966 bekam das Institut das weltweit zweite kommerzielle Gerät – ein Magnetsektorfeld-Instrument mit Elektronenstoßionisation und Düsenseparator, drei Jahre später das erste kommerzielle computergesteuerte GC-MS mit einem Quadrupol. GC-Trennungen in direkter Kopplung mit der Massenspektrometrie waren nun erstmals möglich. Die Zahl der Mitarbeiter vergrößerte sich, denn die außergewöhnlich guten Arbeitsbedingungen waren attraktiv für ambitionierte Post-Doktoranden, besonders aus Europa.Ziel und Treiber der Entwicklungen im Labor der Hornings war die medizinische Anwendung. Sie und ihre Mitarbeiter verbesserten die Probenvorbereitung, entwickelten die chemische Ionisation und die Massenfragmentographie (selected ion monitoring SIM) weiter und nutzten stabilisotopenmarkierte interne Standards (Isotopenverdünnungsanalyse) für die spurenanalytische Quantifizierung. So kamen sie bei Routinemessungen schließlich bis in den Nanogramm- bis Picogramm-Bereich, ausgehend von 0,1 bis 1 mL Plasma- oder 1 bis 5 mL Urinprobe. Hohe Empfindlichkeit und geringer Probenbedarf waren die wesentlichen Voraussetzungen für den Nachweis des plazentalen Wirkstofftransfers von der Mutter zum ungeborenen Kind.3) Ab der zweiten Hälfte der 1970er arbeitete die Horning-Gruppe auch mit der HPLC.<figure><img src="https://media.graphcms.com/s0YhQbOTHuCyIqVVJw0Y"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Chromatogramm der Urinprobe eines Neugeborenen – einer der frühen Nachweise, dass Medikamentenwirkstoffe aus dem mütterlichen Blutkreislauf auf das Ungeborene übergehen, veröffentlicht von Marjorie und Evan Horning im Jahr 1971.4)</figcaption></figure>
Um das Jahr 1973 wurde am Institut das erste Massenspektrometer mit Atmosphärendruck-Ionisation (API) gebaut und in Betrieb genommen. Der Nachweis von Nikotin im Blut von Nichtrauchern5)– damals eine Sensation – demonstrierte die hohe Empfindlichkeit des Geräts und war gleichzeitig ein wichtiger Beitrag zur öffentlichen Diskussion um die Risiken des Passivrauchens, die zu der Zeit einsetzte.<h2>Anziehungspunkt für Forscher</h2>Das Institute for Lipid Research wurde zu einem führenden Zentrum für die Entwicklung biomedizinisch-analytischer Methoden und zu einem Treffpunkt für Wissenschaftler aus aller Welt. Beide Hornings verstanden es, eine stimulierende Atmosphäre für ebenso freie wie ernsthafte Forschungsarbeit und internationalen Wissenschaftsaustausch zu schaffen, die soziale und kulturelle Aspekte einbezog. Marjorie und Evan ergänzten sich beruflich-fachlich und persönlich: Evan war persönlich zurückhaltend, dabei freundlich und verbindlich, klar und diszipliniert im Verfolgen wissenschaftlicher Ziele. Marjorie war temperamentvoller und mitteilsam, etwa wenn sie von einem der zahlreichen Kongresse zurückkam, die Mitarbeiter über wissenschaftliche Neuigkeiten unterrichtete, sie aber auch an ihrer Begeisterung für Museen und gute Restaurants teilhaben ließ.Marjorie Horning war Mitglied im Editorial Board renommierter Zeitschriften sowie in wissenschaftlichen Gesellschaften und Gremien der USA aktiv. So gehörte sie jahrelang der Society of Toxicology (SOT) an und beteiligte sich am National Toxicology Program in den USA, das im Jahr 1978 startete. In der American Society for Pharmacology and Experimental Therapeutics war sie von 1980 bis 83 Schatzmeister und von 1984 bis 86 deren erste Präsidentin.Marjorie Horning erhielt zahlreiche Preise und Ehrungen,6) darunter die Garvan-Oil-Medal der American Chemical Society (1977), eine Auszeichnung für besondere Leistungen von Wissenschaftlerinnen. Im Jahr 1985 wurde sie Ehrenmitglied der „Iota Sigma Pi“ (National Honor Society for Women in Chemistry), 1987 erhielt sie die Tswett Chromatography Medal und 1990 gemeinsam mit ihrem Mann drei Jahre vor seinem Tod den Frank H. Field and Joe L. Franklin Award in Mass Spectrometry der American Chemical Society.<h2>Zeit für Kunst</h2>Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit interessierten sich die Hornings für Kunst und Kultur anderer Länder; von ihren Kongressreisen nach Europa brachten sie Holzschnitte und Kupferstiche alter Meister wie Rembrandt und Dürer mit. Ab 1974 engagierten sie sich zunehmend als Kunstsammler und Mäzene, verstärkt, nachdem Marjorie im Jahr 1987 in den Ruhestand gegangen war. Mit Spenden von über 230 Blättern legten sie den Grundstock der Abteilung für Drucke und Zeichnungen des Museums of Fine Arts in Houston. Einige davon kann man in einer Online-Ausstellung des Museums sehen und Kommentare von Marjorie Horning dazu hören.8)Werner Engewald war von 1962 bis 2002 an der Leipziger Universität tätig, ab dem Jahr 1995 als Professor für analytische Chemie, und begann 1968 mit der Gaschromatographie, später kamen HPLC sowie Anreicherungs- und Kopplungstechniken dazu. Zu seinen Aktivitäten zählen Weiterbildungskurse über GC und Kapillar-GC, er gab 2014 mit Katja Dettmer-Wilde das Buch „Practical Gas Chromatography“ heraus und war Vorstandsmitglied und Vorsitzender der GDCh-Arbeitsgemeinschaft Chromatographie, die seit dem Jahr 2001 Separation Science heißt. . Hartmut Frank war von 1974 bis 1976 Fulbright-Stipendiat und Visiting Assistant Professor am Baylor College, Institute for Lipid Research. Seine anschließenden Arbeiten zur Synthese von funktionalisierten Polysiloxanen als stationäre GC-Phasen und das Interesse an GC-MS-Anwendungen in der toxikologischen Forschung sowie viele seiner internationalen Kontakte wurden durch den Forschungsaufenthalt bedingt.
<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 H. Remane, Nachr. Chem. 2017, 65, 59</li><li>
2 W. J. A. Van den Heuvel et al., J. Am. Chem. Soc. 1960, 82, 3481</li><li>
3 M. G. Horning et al., Life Sciences 1974, 16, 651</li><li>
4 E. C. Horning et al., Life Sciences 1973, 13, 1331</li><li>
5 E. C. Horning, M.G. Horning, J. Chrom. Sci. 1971, 9, 129</li><li>
6 L. S. Ettre, A. Zlatkis, 75 Years of Chromatography – A Historical Dialogue, Elsevier, Amsterdam, 1979, 143</li><li>
7 1987 Tswett Chromatography Medals Awarded to Horning, Ishii and Sjövall, Chromatographia 1987, 23, 686</li><li>
8 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.mfah.org/art/departments/prints-and-drawings" target="_blank">www.mfah.org/art/departments/prints-and-drawings</a></ext-link><ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://artsandculture.google.com/exhibit/lQJSACh9MqxILA" target="_blank">https://artsandculture.google.com/exhibit/lQJSACh9MqxILA</a></ext-link></li></ul>

Artikel

Nikotin geht ins Blut

Gaschromatographie galt noch Ende der 1950er Jahre als ungeeignet für die Bioanalytik. Marjorie G. Horning und ihr Mann Evan entwickelten sie in den 1960er Jahren weiter und etablierten sie als eine leistungsfähige Methode für die biomedizinische Forschung. Marjorie Groothuis Horning, die im Augu...

Die meisten Chemienobelpreisträger kommen aus den USA. Deutschland liegt an zweiter Stelle.
Die 180 Wissenschaftler, die jemals einen Chemienobelpreis erhielten, stammen aus 37 Ländern. 76 der Laureaten, das sind die meisten, arbeiteten in den USA, als sie die Nachricht des Nobelpreiskomitees erreichte. 54 von ihnen sind auch in den USA geboren.Dann folgt Deutschland: 31 arbeiteten hier zur Zeit der Auszeichnung, allein 11 an einem Max-Planck-Institut. 25 Nobelpreisträger sind in Deutschland geboren, allerdings verließen einige bereits in frühen Stadien ihrer Karriere ihre Heimat; jüngstes Beispiel ist der Biophysiker Joachim Frank, der im letzten Jahr ausgezeichnet wurde: Er begann im Jahr 1972 als Postdoc am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München, ging 1973 nach Cambridge, UK, und forschte ab 1975 in den USA.Das Vereinigte Königreich steht mit 26 Nobelpreisträgern, die dort geboren sind, und 30, die dort arbeiteten oder noch arbeiten, an dritter Stelle.Aus Südamerika stammt kein einziger Chemienobelpreisträger. Nur drei wurden in Afrika geboren: der Ägypter Achmed Zewail, Nobelpreisträger des Jahres 1999, die ebenfalls in Ägypten geborene Dorothy Crowfood Hodgkin, Nobelpreisträgerin des Jahres 1964, die in Oxford arbeitete, sowie Michael Levitt, der den Preis 2013 erhielt und aus Südafrika stammt. Aus Asien kommen 15 der Ausgezeichneten. FZ

Artikel

Nikotin geht ins Blut

Überprüfung Ihres Anmeldestatus ...