Blickpunkt


<p>Die numerische Fluiddynamik (computational fluid dynamics, CFD) ist ein Spezialgebiet der Strömungsmechanik, mit der sich Strömungsprofile, Mischvorgänge sowie Wärme- und Stofftransportvorgänge berechnen lassen. Die zunehmende Rechenkapazität und Akzeptanz innerhalb der Industrie macht die numerische Fluiddynamik zu einem wichtigen Werkzeug, um Prozesse zu entwickeln, zu charakterisieren und zu optimieren.<sup>1</sup></p>
<p>Beispiele für CFD in der Biotechnik betreffen Mischprozesse,2-5) Fermentationen,6-9) die Chromatographie,10-14) die Filtration,14-18) die Zentrifugation,19,20) die Sedimentation,21) die Lyophilisation22) und die Sprühtrocknung.23-26)</p>


<h2>Mischverhalten in Bioreaktoren</h2>
<p>Eine Anwendung der CFD ist die Charakterisierung von gerührten Bioreaktoren, deren Strömungsfeld als äußerst komplex gilt und von Faktoren wie Behälter- und Rührergeometrie, Fluideigenschaften sowie Rührerdrehzahl abhängt.29-33) Außerdem reagieren die Produktionsorganismen wie Mikroorganismen oder tierische Zellen auf das Rühren unterschiedlich empfindlich.34) Die CFD liefert Parameter wie die Scherrate, die Turbulenzintensität und die Energieverteilung, die eng mit der mechanischen Zellbeanspruchung verknüpft sind und experimentell nur unter großem Aufwand ermittelt werden können.35,36)</p>
<p>Insbesondere bei großvolumigen Produktionsreaktoren können Inhomogenitäten auftreten, die den Metabolismus verändern und die Produktivität verringern.37) Daher besteht eine häufige Anwendung der CFD darin, das Mischverhalten in Rührreaktoren zu charakterisieren.5,38-41) Dazu wird zunächst das stationäre Strömungsfeld berechnet und anschließend die Konzentrationsverteilung eines Tracers in Abhängigkeit von der Zeit ermittelt. So lassen sich Regionen mit schlechter Durchmischung erkennen, in denen die Produktionsorganismen möglicherweise nicht genügend Nährstoffe oder Sauerstoff erhalten.</p>


<h2>Charakterisierung der Begasung</h2>
<p>Mit der CFD lassen sich nicht nur einphasige, sondern auch mehrphasige Strömungen betrachten und Strömungsgeschwindigkeiten, Gasverteilung und der Sauerstofftransfer aus der Gas- in die Flüssigphase berechnen.43-53)</p>
<p>Die Mehrphasenmodellierung unterscheidet zwischen dem Euler-Euler- und dem Euler-Lagrange-Verfahren. Letzteres ist aufgrund des höheren Rechenaufwands bisher auf geringe Gasgehalte beschränkt.54) Der Euler-Euler-Ansatz fasst die Phasen als interagierende Kontinua auf und berücksichtigt die Phasenwechselwirkungen über zusätzliche Terme in den Impulserhaltungsgleichungen (Kasten).</p>
<p>Abbildung 1 auf Seite 897 zeigt die Phasenverteilung in einem gerührten Zellkulturbioreaktor im Labormaßstab mit 2 L Arbeitsvolumen bei einer Begasungsrate von 0,1 vvm (Volumen des zugeführten Gases pro Volumen der Flüssigphase und Minute). Es ist zu erkennen, dass der verwendete Impellerrührer bei den in der Zellkulturtechnik üblichen Drehzahlen die Gasblasen nur unzureichend dispergiert.</p>
<p>Eine völlige Homogenität bei Gas-flüssig-Strömungen ist möglicherweise nie erreichbar.55) Dennoch kann die CFD Dispergierprozesse optimieren, die vor allem vom Rührertyp, dem Design des Begasungssystems, dem Leistungseintrag und von der Begasungsrate abhängen. Die berechneten Sauerstofftransferkoeffizienten k<sub>L</sub>a stimmen mit Experimentaldaten gut überein.</p>
<p>Differenzen zwischen Modell und Experiment lassen sich darauf zurückführen, dass das Modell von einer konstanten Blasengröße ausgeht. Diese Annahme kann bei Prozessen, in denen sich Blasen teilen und koaleszieren (d. h. kleine Blasen vereinigen sich zu größeren), zu Abweichungen des k<sub>L</sub>a-Wertes um mehrere Zehnerpotenzen führen.48)</p>
<p>Zudem bilden diese einfachen Modelle oft den (integralen) Gasgehalt nicht korrekt ab.56) Daher werden zunehmend Populationsbilanzen in die Simulationen integriert, mit denen sich Blasengrößenverteilungen berechnen lassen.51,52,57,58) Zur Lösung dieser Bilanzen werden Blasenzerfalls- und Koaleszenzmodelle benötigt, die auf der Turbulenztheorie oder der kinetischen Gastheorie basieren. Hierdurch werden experimentelle Beobachtungen, wie die abnehmende Blasengröße in Rührernähe, qualitativ abgebildet.</p>
<p>Darüber hinaus lassen sich quantitativ gute Übereinstimmungen bei der Ermittlung des Sauerstoffübergangs erzielen.52)</p>


<h2>Einwegbioreaktoren</h2>
<p>Die CFD charakterisiert und optimiert neuartige Bioreaktoren, wie Einwegbioreaktoren (single-use, disposables). Letztere haben einen rigiden oder flexiblen (in diesem Fall als Bag bezeichneten) Kultivierungsbehälter aus Plastik anstelle konventionellen Glases oder Stahls.76) Schwierig zu modellieren sind dabei vor allem die variierenden und flexiblen Behälterformen und die unterschiedlichen Antriebssysteme.</p>
<p>Die Arbeitsgruppe Bioverfahrenstechnik und Zellkulturtechnik des Instituts für Biotechnologie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften untersuchte gerührte Einwegsysteme wie den Mobius Cellready 3L Bioreactor (Millipore; Abbildung 2 a) und den 50L S.U.B. (Thermofisher Scientifics; Abbildung 2 b) sowie wellendurchmischte Bioreaktoren wie den Biostat Cultibag RM (Sartorius Stedim Biotech; Abbildung 2 c) und oszillierende Mischsysteme wie den Saltus Vibromixer (Meissner Filtration Products; Abbildung 2 d).59)</p>
<p>Die bisherigen CFD-Modelle dienten vor allem der verfahrenstechnischen Beschreibung. In weiteren Forschungsprojekten sollen kinetische Modelle in die CFD-Simulationen integriert werden, wie dies bei Untersuchungen für mikroaerobe60) und sauerstofflimitierte8,61) Fermentationen sowie diverse Bioprozesse6,7,44,62-64) beschrieben ist. Anhand der CFD-Ergebnisse lässt sich schätzen, wie produktiv das System ist, und wie lokale Substrat- oder Produktgradienten auf das Zellwachstum wirken. Daraus ergeben sich Optimierungsvorschläge.8,61,65,66)</p>


<h2>Biomedizinische Applikationen</h2>
<p>In der Gewebekulturtechnik (Tissue Engineering) simuliert die CFD das Strömungsfeld in den Bioreaktoren. Dieses Feld beeinflusst das Zellwachstum und die Qualität der sich entwickelnden Gewebe signifikant.67,68) So ist etwa in Knochengewebe Scherstress der entscheidende biophysikalische Stimulus für die aktive Matrixproduktion und Mineralisierung.69) Die CFD erlaubt Rückschlüsse auf die strukturellen und funktionellen Gewebeeigenschaften.70-74)</p>
<p>Darüber hinaus nutzt die Biomedizin CFD, um Transportvorgänge in vivo (z. B. in Arterien) und bei medizinischen Applikationen (z. B. Inhalatoren) zu untersuchen. Dabei ermöglichen In-silico-Methoden ein verbessertes Verständnis für die physikalischen Phänomene. Einen Überblick dazu geben die <i>Fluent News</i>.75)</p>
<p>Die Vielzahl der verfügbaren Publikationen zeigt, dass sich die numerische Fluiddynamik CFD zu einem leistungsfähigen Werkzeug bei der Prozessanalyse und Optimierung innerhalb der Bioverfahrenstechnik entwickelt hat. Die CFD spart Zeit und Kosten, denn die Zahl notwendiger Bioreaktorprototypen lässt sich so reduzieren. Außerdem stehen Parameter zur Verfügung, die experimentell nicht oder nur mit großem Aufwand ermittelbar sind. Dennoch haben die Methoden und Modelle Grenzen und können zu fehlerhaften Interpretationen führen. Deshalb müssen physikalische, (bio)chemische und biologische Mechanismen verstanden sein und die Modelle verifiziert und validiert werden.</p>
<p><b>Stephan C. Kaiser</b>, <b>Christian Löffelholz</b>, <b>Sören Werner</b> und <b>Dieter Eibl</b> arbeiten bei der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, Department Life Sciences und Facility Management, Institut für Biotechnologie in Wädenswil in der Schweiz. Stephan Kaiser ist wissenschaftlicher Assistent in der dortigen Arbeitsgruppe Bioverfahrenstechnik und <a href="mailto:Zellkulturtechnik.stephan.kaiser@zhaw.ch">Zellkulturtechnik.stephan.kaiser@zhaw.ch</a></p>


<h2>— — — Quergelesen</h2>
<p>Die numerische Fluiddynamik beschreibt ein- und mehrphasige Strömungen in Bioreaktoren.</p>
<p>Die numerische Fluiddynamik erleichtert die Auslegung und Optimierung konventioneller und neuartiger Bioreaktoren.</p>
<p>Die numerische Fluiddynamik kann die Zahl der für Experimente notwendigen Bioreaktorprototypen reduzieren.</p>


<h2>— — — Kurz notiert</h2>


<h2>Computerspiel: Ein Land 40 Jahre lang mit Energie versorgen</h2>
<p>Verbleibende Lebensdauer der jetzigen Kraftwerke: 28 Jahre, Gesamtverschuldung: 12 990 Mio. Euro, Atomendlager verfügbar: nein. Das ist der Startpunkt des Online-Computerspiels Energetika 2010 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Im fiktiven Land Energetika soll der Spieler die Energieversorgung bis zum Jahr 2050 sichern. Gleichzeitig gilt es, den Geldbeutel und die Umwelt zu schonen und alle Teile der Bevölkerung zufriedenzustellen — so sammelt der Spieler Punkte in den Kategorien Soziales, Ökonomie und Ökologie. Die besten Spieler prämiert das BMBF mit Reisen, etwa zum weltgrößten Fotovoltaikkraftwerk in Spanien.</p>
<p>Die Zeit läuft, und der Spieler muss sich entscheiden: Baut er ein Biomasse-, ein Wind- oder ein Kernkraftwerk? Schließt er ein Kohlekraftwerk? Und in welchen F+E-Zweig investiert er am meisten: Kernfusion, Atomendlager oder Offshore-Windparks? Die Entwicklung dauert natürlich ein paar Jährchen, aber danach kann der Spieler beispielsweise auch Fusionsreaktoren in Energetika bauen, was die CO<sub>2</sub>-Emissionen und den Atommüll reduziert — und das bringt viele Ökologiepunkte.</p>
<p>Gleichzeitig darf er nicht die Bürger von Energetika vergessen: Auf gelegentliche Proteste durch Umweltschützer oder Kraftwerksarbeiter, die ihren Job verlieren, sollte man gefasst sein. Außerdem: Hin und wieder eine Stromsparkampagne zu starten, wirkt Wunder.</p>
<p>Leider erfährt der Spieler nicht, woran genau es gehapert hat, wenn plötzlich ”Game over“ erscheint. Nur so viel: Wer zu viele Kern- und Atomkraftwerke abreißt, ohne für Energienachschub zu sorgen, hat anscheinend ziemlich schnell verloren.</p>
<p> <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.energiespiel.de" target="_blank">www.energiespiel.de</a></ext-link></p>
<p><i>Brigitte Osterath</i></p>


<h2>— — — Mathematik und Fluiddynamik</h2>
<p>Erhaltungsgleichungen für Masse, Energie und Impuls bilden die Basis der numerischen Fluiddynamik. Für inkompressible Fluide mit konstanter Viskosität heißen diese Navier-Stokes-Gleichungen. Diese gekoppelten, linearen Differenzialgleichungen zweiter Ordnung sind in der Regel nur iterativ lösbar. Um die rechenintensive direkte numerische Simulation zu umgehen, werden turbulente Schwankungsgeschwindigkeiten eingeführt und die Transportgleichungen zeitlich gemittelt. Die hieraus abgeleiteten Differenzialgleichungen sind Reynolds-gemittelte Navier-Stokes-Gleichungen. Sie enthalten zusätzliche Reynolds-Spannungsterme, die separat modelliert werden müssen.<sup>1</sup> Dazu dienen Turbulenzmodelle, die auf der Wirbelviskositätshypothese beruhen, wobei das Standard-k-ϵ-Modell von Brian Edward Launder und Dudley Brian Spalding aus dem Jahr 1974 am häufigsten eingesetzt wird.27) Dieses geht von einer isotropen Turbulenz aus und stellt Bilanzgleichungen für die turbulente kinetische Energie k sowie die turbulente Dissipationsrate ϵ bereit. Daneben sind die Chen-Kim-, Renormalization-Group- und Realizable-k-ϵ-Modelle sowie das k-ω-Turbulenzmodell verbreitet.28) Bei anisotroper Turbulenz eignet sich vor allem das Reynolds-Stress-Modell, welches sechs Transportgleichungen für die Reynoldsspannungen bereitstellt.<sup>1</sup> Für die Berechnung mehrphasiger Strömungen sowie von Wärme- und Stofftransportprozessen stehen spezielle Modellansätze zur Verfügung.</p>



<ul>
<li>
<sup>1 </sup>
Die ausführlichen Literaturangaben stehen im Internet unter <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.gdch.de/taetigkeiten/nch/down/litlist.htm" target="_blank">www.gdch.de/taetigkeiten/nch/down/litlist.htm</a></ext-link>.
</li>
</ul>


Artikel

Numerische Fluiddynamik in der Biotechnologie

Die numerische Fluiddynamik (computational fluid dynamics, CFD) ist ein Spezialgebiet der Strömungsmechanik, mit der sich Strömungsprofile, Mischvorgänge sowie Wärme- und Stofftransportvorgänge berechnen lassen. Die zunehmende Rechenkapazität und Akzeptanz innerhalb der Industrie macht die numeri...


<h2>Unter Beobachtung</h2>
<p>Am 22. April sank die Ölbohrplattform Deepwater Horizon des Erdölkonzerns British Petroleum (BP) nach zwei Explosionen im Golf von Mexiko. Seit dem traten nach Angaben von BP pro Tag 35 bis 60 000 Barrel Öl aus, wovon seit Juni die Hälfte abgesaugt wurde.</p>
<p>So gewaltig die Katastrophe erscheint, die austretenden Ölmengen sind jedoch nicht einmalig: 2002 sind in Europa durch das Tankerunglück Prestige 60 000 Tonnen, 1991 durch den Tanker Haven 144 000 Tonnen Rohöl in das Meer geflossen.<sup>1</sup> Zuvor unerreicht sind aber die Wassertiefe von 1500 Metern und die öffentliche Beobachtung. Täglich publiziert BP auf seiner Webseite die ins Meer fließenden und aufgefangenen Ölmengen sowie seine Aktivitäten zur Beseitigung des Öls.<sup>2</sup> Mit schwimmenden Gummibarrieren, 100 Schiffen, Entlastungsbohrungen, Stahlglocken und Schlammkanonen hat der Ölkonzern versucht, das Ausmaß der Katastrophe zu begrenzen — doch erst Ende Juli gelang es, das Bohrloch temporär zu verschließen.</p>


<h2>Unsichtbare Tröpfchen</h2>
<p>Damit der Ölteppich nicht die Küste erreicht, sprühte BP nach eigenen Angaben bis zum 26. Juli 282 000 Liter Dispersionsmittel über den Ölteppich und setzte es unter Wasser direkt am Leck ein. Wirkstoffe der Dispergatoren sind nichtionische und ionische Tenside wie Fettsäureester, die in Glycolethern, Alkoholen oder Kohlenwasserstoffen gelöst sind. Die oberflächenaktive Substanz bildet mit hydrophilen und lipophilen Molekülteilen eine Brücke zwischen den zwei Phasen und setzt die Oberflächenspannung herab. Die Bakterien können so die 20 Mikrometer kleinen Öltröpfchen schneller abbauen. Die Bestandteile von den im Golf eingesetzten Mitteln Corexit 9500 und Corexit 9527 veröffentlichte im Mai der Produzent Nalco nach der Aufforderung der US-Umweltbehörde EPA: Die oberflächenaktiven Stoffe sind Carbon- und Sulfonsäure-, Ester-, Ether- sowie Alkoholverbindungen, und die Lösungsmittel bestehen aus Ethern und Alkoholen (Abbildung 2) — all diese Bestandteile sind auch in Kosmetika und Waschmitteln enthalten.<sup>3</sup> Corexit 9527 enthält zum Beispiel das Lösungsmittel Butylglycol, das, so sagt die Chemikerin Monika Möder vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig, ”zwar in einigen Tierversuchen in hohen Konzentrationen als karzinogen eingestuft wurde, das aber auch in der Umwelt relativ schnell abgebaut wird, und dass so kaum eine Gefahr der Akkumulation besteht.“</p>
<p>Der Produzent Nalco ist von der geringen Toxizität des Corexits überzeugt: ”Wir sind uns einig, dass zum heutigen Wissensstand die Verwendung von Dispersionsmittel und die Effekte des dispergierten Öls in der Wassersäule gemeinhin weniger schädlich für die Umwelt ist, als das Öl an der Wasseroberfläche zu empfindlichen Feucht- und Küstengebieten wandern zu lassen.“<sup>4</sup></p>
<p>Ralf Rabus, Professor und Leiter des Instituts für Chemie und Biologie des Meeres in Oldenburg äußert sich hingegen verhaltener: ”Der Einsatz von Dispersionsmittel kann hinsichtlich eines beschleunigten Abbaus durchaus zielführend sein.“ Er fügt hinzu: ”In einem Schadensfall der vorliegenden Größe fehlen jedoch Untersuchungen zur Beurteilung.“ Auch moderne Dispersionsmittel der dritten Generation, zu denen Corexit zählt, müssen in großen Mengen eingesetzt werden, um wirksam zu sein: Auf 20 bis 30 Teile des Öls kommt 1 Teil des Dispergators, ”was an Land eventuell Sinn ergibt, um verunreinigte Flächen abzuspülen, aber nicht um meterdicke, ständig zunehmende Ölschichten im Wasser zu verteilen“, sagt Monika Möder. Weiter gibt sie zu bedenken, dass für die Mikroorganismen die dispergierten Öltröpfchen zwar besser verfügbar sind, aber die Detergenzien selbst müssen zusätzlich verstoffwechselt werden und einige Arten oberflächenaktiver Verbindungen sind schwer abbaubar. Zu dem Versuch die Menge des Corexits zu reduzieren, indem die Dispergatoren direkt am Leck eingesetzt werden, sagt Dierk-Steffen Wahrendorf, Biologe an der Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz: ”Es ist die erste Anwendung von Dispergatoren unter Wasser. Ob die Effektivität der Dispersionsmittel hierdurch gesteigert werden kann, ist nicht bekannt.“</p>


<h2>Hinab zum Meeresgrund</h2>
<p>Rohöl wird im warmen Meer im Golf von Mexiko und unter weiteren günstigen Bedingungen, wie genügend Sauerstoff, bakteriell im Verlauf einiger Jahre abgebaut, während es an der Küste oft Jahrzehnte dauert. So sind noch immer Ölrückstände des Exxon-Valdez-Unfalls an der Küste Südalaskas vor 21 Jahren messbar. Um derartige Schäden zu vermeiden, muss das Öl von der Küste fern gehalten werden. ”Besondere Brutgebiete können mit chemischen Bekämpfungsmitteln gerettet werden“, sagte der Biologe Carlo van Bernem aus dem Institut für Küstenforschung am GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht.<sup>5</sup> Anstatt das Öl zu dispergieren, kann es auch polymerisiert werden: Mit Verfestigungsmitteln entsteht eine dichte, gummiartige Masse, die zum Meeresgrund absinkt. Die dafür notwendigen Polymerisationsprozesse können durch Radikale aus der Sonnenstrahlung oder Katalysatoren wie Übergangsmetallionen initiiert werden. ”Auf dem Meeresgrund jedoch bildet das abgesunkene Erdöl für sehr lange Zeit ein Reservoir für toxische Substanzen, denn der anaerobe Abbau läuft noch viel langsamer ab“, sagt Möder.</p>


<h2>Chocolat Mousse</h2>
<p>Verdunsten die flüchtigen Komponenten des Öls nach einigen Tagen und bildet sich die Wasser-in-Öl-Emulsion, entsteht die schwarze, schäumende Masse, aufgrund ihrer Konsistenz Chocolat Mousse genannt, welche, so sagt van Bernem, ”chemisch nicht mehr bekämpfbar“ ist.<sup>5</sup> Dismulgatoren sollen jedoch in der Lage sein diese Emulsionen aufzubrechen. Theoretisch wären hierfür organosiliciummodifizierte Polydiene geeignet, welche die Wechselwirkung mit der Ölphase erhöhen.<sup>6</sup> Um das Wasser nach dem Abpumpen des Öls besser abzutrennen, hält Möder Dismulgatoren für eingeschränkt sinnvoll, da ”damit noch weitere, kostenintensive Schritte nötig werden, um das Öl schließlich noch nutzbringend aufzuarbeiten.“</p>


<h2>Der Natur überlassen</h2>
<p>Rohöl besteht überwiegend aus vielen unterschiedlichen Kohlenwasserstoffverbindungen, Schwermetallen und Schwefelverbindungen. Da die Kohlenwasserstoffe keine funktionellen Gruppen tragen, sind sie reaktionsträge und erschweren die Initiation von Reaktionen. Monika Möder erklärt deshalb, dass ”das Rohöl im Wasser chemisch eigentlich nicht abzubauen“ ist. Mikroorganismen wie <i>Aromatoleum aromaticum</i> ernähren sich jedoch von Rohöl, dabei bauen sie langkettige Kohlenwasserstoffe besser ab als aromatische, verzweigte und gesättigte cyclische Kohlenwasserstoffe. Diese werden zu Alkoholen, Aldehyden, Säuren, Phenolen und weiteren Verbindungen oxidiert. Benzol kann zu Phenol, Brenzcatechin und Hydrochinon reagieren — ”alles gut wasserlösliche Verbindungen mit toxischen Eigenschaften“, fügt Monika Möder hinzu. Benzol ist zwar ein leicht flüchtiger Stoff, doch mit einer Wasserlöslichkeit von 0,07 Gramm pro 100 Gramm Wasser, löst es sich zum Teil und wird von Organismen aufgenommen. Bakterien auf den Ölteppich zu sprühen ist für Ralf Rabus nicht zielführend: ”All jene Organismen, die besonders gut auf Öl ansprechen, haben sich sowieso schon stark vermehrt. Der künstliche Zusatz von Mikroben bringt da gar nichts mehr. Die Natur und ihre Biowaffen brauchen vor allem Zeit.“</p>


<h2>An der Küste angekommen</h2>
<p>Zeit ist das, was die mit Öl kontaminierten Vögel nicht haben. Das aus dem Tanker Exxon Valdez ausgelaufene Öl tötete 30 000 Vögel. Wie damals werden auch jetzt im Golf von Mexiko die Vögel mit Detergenzien und warmem Wasser behandelt. An der australischen Viktoria-Universität forscht der Chemieprofessor John D. Orbell an einer Alternative: Statt der konventionellen Methode soll Eisenpulver die Vögel vom Öl befreien. Fein zerteiltes elementares Eisen hat eine hohe Adsorptionsaffinität für organische Substanzen und adsorbiert vollständig verschiedene Rohölzusammensetzungen sowie Wasser-Öl-Emulsionen. Das ölbeladene Eisen wird dann zu über 99 Prozent magnetisch abgesammelt. Die Prozedur dauert dabei nur einige Minuten. Allerdings wurden noch keine Tests an lebenden Vögeln durchgeführt.</p>
<p>An der Küste wird wie auf offener See mit oberflächenaktiven Substanzen gearbeitet, jedoch unterscheiden sich die Shoreline Cleaner von den Dispergatoren: Sie haben eine geringere Tendenz, Öl zu dispergieren, lösen es aber von der festen Oberfläche. Hierfür stehen eine Vielzahl von Mitteln zur Verfügung. Von der kanadischen Behörde Environment Canada wird Corexit 9580 als das effektivste und am wenigsten schädliche Mittel eingeschätzt. Während des Tankerunglücks von Morris J. Berman in der Küste von Puerto Rico im Jahr 1994, als 3000 Tonnen Rohöl ins Meer geflossen sind, hatte Corexit 9580 aus Tensiden und dearomatisiertem Kerosin weniger schädliche Auswirkungen als PES-51 von Tesoro Oil.<sup>7</sup>, <sup>8</sup> Dieses enthält bakterielle Abbauprodukte gelöst in dem toxischen monocyclischen Monoterpen Limonen. In New Orleans stehen 20 000 Liter des pflanzlichen Biolösungsmittels Cytosol vom Biotechnologieunternehmen Cytoculture International zum sofortigen Einsatz bereit.<sup>9</sup> Aliphatische Methylester, extrahiert aus Pflanzenölen (insbesondere aus Soja), sind in 28 Tagen von den Bakterien zu Kohlenstoffoxiden und Wasser abgebaut. Zugesetzte Nährstoffe beschleunigen die Biodegradation zusätzlich. Der Hersteller verspricht, dass Cytosol die Adhäsion zu festen Oberflächen und die Dichte des Öls reduziert, dass es die Emulsion sowie das Moussee aufbricht und mit dem Öl als Brennstoff wieder verwendet werden kann.</p>


<h2>Zurück zur Plattform</h2>
<p>Das Öl im Golf von Mexiko fließt weiter, dieses Jahr mehr als die Jahre zuvor irgendwo auf der Welt und es wird nicht das letzte Mal sein, dass Mensch, Tier und Pflanzen mit dem schwarzen Gold kämpfen. Trotzdem gibt es nur wenige Untersuchungen zur Beseitigung von Öl aus dem Wasser, von den Küsten oder aus den Federn der Vögel. Chemische Mittel eignen sich nicht, um große Mengen Öl zu dispergieren oder aufzulösen, da Toxizität bekanntermaßen eine Frage der Konzentration ist. In geringen Mengen allerdings ist die Chemie in der Lage, natürliche Abbauprozesse zu unterstützen, ohne zusätzlichen Schaden anzurichten, wenn die Forschung ausgeweitet würde.</p>
<p><b>Julia Sachs</b> ist freie Mitarbeiterin der Redaktion der <i>Nachrichten aus der Chemie</i>.</p>


<h2>— — — Kurz notiert</h2>


<h2>Verschärfte Höchstgehalte für Pestizidrückstände</h2>
<p>Die Europäische Kommission reduzierte die Rückstandshöchstgehalte in Lebensmitteln von elf Pestiziden. Nachdem das Pestizid-Aktions-Netzwerk PAN vor dem Europäischen Gerichtshof forderte, die minimalen Risikowerte zu prüfen, bestätigte die europäische Lebensmittelbehörde die Berechnungen von PAN und Greenpeace. Die derzeitigen Höchstgehalte überschritten die annehmbare Tagesdosis und die akute Referenzdosis von häufig verwendeten Pestiziden in Obst und Gemüsen wie Äpfel, Trauben, Paprika, Kopfsalat und Zuckerrüben. So sind für Procymidon statt 5 noch 0,02 mg·kg<sup>−1</sup> Rückstand im Obst erlaubt.</p>
<p>Weitere betroffene Pestizide sind: Dimethoat, Ethephon, Fenamiphos, Fenarimol, Methamidophos, Methomyl, Omethoat, Oxydemeton-methyl, Thiodicarb und Vinclozolin.</p>


<h2>Vom Strom zum Erdgas</h2>
<p>Ein deutsch-österreichisches Kooperationsprojekt erzeugt aus überschüssigem elektrischem Strom Methan: Elektrolytisch entsteht Wasserstoff, der mit Kohlendioxid über Zwischenschritte zu Methan reagiert. In ihm stecken 60 Prozent der im Strom enthaltenen Energie. Die Infrastrukturen zur Erdgasspeicherung bieten dem Verfahren mit Methan eine Grundlage, um den überschüssigen Ökostrom aus den Windkraftanlagen zu verwenden. Pumpspeicherkraftwerke haben dagegen einen Wirkungsgrad zwischen 75 und 80 Prozent. Eine weitere Möglichkeit, Strom großtechnisch zu speichern, sind Druckluftspeicher.</p>
<p><i>Julia Sachs, Frankfurt</i></p>



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<li>
<sup>1 </sup>

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="http://nadine.helmholtz-eos.de/risks/oilspill/info/oilspill_catalogue_de.html" target="_blank">http://nadine.helmholtz-eos.de/risks/oilspill/info/oilspill_catalogue_de.html</a></ext-link>
</li>
<li>
<sup>2 </sup>

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.bp.com/extendedsection" target="_blank">www.bp.com/extendedsection</a> <a href="https://genericarticle.do" target="_blank">genericarticle.do</a>?categoryId=40&amp;contentId=7061813</ext-link>
</li>
<li>
<sup>3 </sup>

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.nalco.com/news-and-events/4297.htm" target="_blank">www.nalco.com/news-and-events/4297.htm</a></ext-link>
</li>
<li>
<sup>4 </sup>

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.nalco.com/news-and-events/4293.htm" target="_blank">www.nalco.com/news-and-events/4293.htm</a></ext-link>
</li>
<li>
<sup>5 </sup>

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.gkss.de/public_relations/news/009676/index_0009676.html.de" target="_blank">www.gkss.de/public_relations/news/009676/index_0009676.html.de</a></ext-link>
</li>
<li>
<sup>6 </sup>

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.patent-de.com/19870226/DE3325529C2.html" target="_blank">www.patent-de.com/19870226/DE3325529C2.html</a></ext-link>
</li>
<li>
<sup>7 </sup>

Observations of PES-51 Application in Prince William Sound, 1993, Seite 8
</li>
<li>
<sup>8 </sup>

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.gc.noaa.gov/gc-rp/bermandraftrpea.pdf" target="_blank">www.gc.noaa.gov/gc-rp/bermandraftrpea.pdf</a></ext-link>
</li>
<li>
<sup>9 </sup>

<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.cytoculture.com/About_CytoSol.html" target="_blank">www.cytoculture.com/About_CytoSol.html</a></ext-link>
</li>
</ul>


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