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Nachrichten aus der Chemie: Herr Braungart, ist Ihr Cradle-to Cradle-Prinzip nicht im Grunde ganz normale nachhaltige Chemie? 
Michael Braungart: Nein, denn die macht in vielen Bereichen nur das Falsche perfekt — und damit ist es perfekt falsch. Schauen Sie auf das Beispiel Autoreifen. Die Autoreifen halten jetzt doppelt so lange wie vor 30 Jahren und werden als umweltfreundlich verkauft. Aber von den 650 Chemikalien, die in einen Autoreifen reingehen, sollten 500 nie in die Umwelt gelangen. Wenn ich jetzt diese Reifen länger haltbar mache, ist der Reifenabrieb nur feinteiliger. Heute atmen sie diesen Reifenstaub ein, früher blieb er auf der Straße.
Nachrichten: Effizienzsteigerung per se ist also nicht umweltfreundlich?
Braungart: Absolut nicht, denn es geht nicht um Effizienz, sondern um Effektivität. Ich frage erst mal: Was ist das Richtige? Anstatt also ein Gebäude zu versiegeln und es gasdicht zu machen und damit angeblich Energie zu sparen, frage ich erst nach der Luftqualität im Gebäude. Tatsächlich ist Gebäudeluft im Vergleich mit Außenluft bei vielen Parametern drei bis acht Mal schlechter.
Nachrichten: Und die Folge ist …
Braungart: Die Folge ist, dass wir die Chemie neu denken müssen: Dinge, die verschleißen, sich also durch ihre Anwendung chemisch-physikalisch ändern, Dinge wie Schuhsohlen, Bremsbeläge oder Autoreifen müssen so gemacht sein, dass sie der Biosphäre nutzen. Die Dinge für die Technosphäre — Waschmaschinen oder Fernseher — werden so gemacht, dass sie später Ausgangsstoff für den nächsten Produktzyklus sind. Es gibt keinen Abfall mehr, alles ist Nährstoff.


<h2>Alter Wein in neuen Schläuchen?</h2>
Nachrichten: Die Idee, eine Produktion ohne Abfall zu haben, ist ja nicht neu. Die BASF beispielsweise setzt ja darauf bei ihren Verbundstandorten wie in Ludwigshafen.
Braungart: Aber Verbund heißt immer noch, den Abfall als unausweichlich zu akzeptieren. Mir geht es darum, das alles Nährstoff wird. Ich will eine Welt in der Menschen nicht weniger schädlich, sondern nützlich sein wollen. Die Chemie muss völlig anders und neu sein; sie soll nicht versuchen, den ökologischen Fußabdruck ein bisschen zu reduzieren. Im Gegenteil: Sie soll eine großen Fußabdruck haben, der dann aber zum Biotop wird. Lasst uns eine nützliche Chemie machen. Dass wir nur weniger schädlich sein wollen, ist ein Armutszeugnis.
Nachrichten: Aber ist weniger schädlich nicht wenigstens ein Anfang?
Braungart: Nein, nein, nein! Das Phänomen, das aus diesem Denken resultiert, nenne ich Ökologismus. Wir tun so, als ob wir was für die Ökologie tun, aber tatsächlich halten wir die Menschen nur beschäftigt. Statt die eigentlichen Probleme radikal anzugehen, verlieren wir uns in Scheinlösungen.
Nachrichten: Ein Beispiel?
Braungart: Bei den Ressourcen starren alle nur auf das Öl. Aber das Öl werden wir ersetzen, die Energie werden wir von woanders her bekommen. Viel wichtiger ist es, Lösungen zu finden für Phosphor, das kritischste Element von allen. Wie sollen wir unsere Knochen aufbauen ohne Phosphor? Wie sollen wir unsere Energie speichern im Körper? Phosphormanagement ist viel kritischer und in einigen Jahren sogar überlebenswichtig. Das heißt wir brauchen jetzt die besten jungen Leute, um ein echtes biologisches und technisches Nährstoffmanagement zu schaffen.
Nachrichten: Wie sieht Cradle-to-cradle in der Praxis aus?
Braungart: Mit Heidelberg Zement haben wir ein Konzept für einen neuartigen Beton umgesetzt — ein Beton, der die Luft reinigt, und nicht einer, der nur weniger schädlich ist. Etwas Ähnliches haben wir mit einem Teppichbodenhersteller hinbekommen: einen Teppich, der die Luft reinigt, und nicht einen, der weniger stinkt. Oder eines meiner Lieblingsbeispiele: Wir machen Etiketten für Bier- und Mineralwasserflaschen, und zwar so, dass sie alle Zutaten enthalten, um nachher als Schlamm nutzbar zu sein, um Shitakepilze zu züchten. Das ist besonders faszinierend, wenn man weiß, was sonst mit Schlämmen aus der Altpapierverarbeitung passiert — die gehen nämlich als Sondermüll auf die Deponie. Also: Ich vermeide nicht den Abfall — nein, ich plane von vornherein, einen nützlichen Schlamm daraus zu machen.


<h2>Bloß nicht visionär!</h2>
Nachrichten: Wie überzeugen Sie die Menschen von Ihrer Vision?
Braungart: Ich habe keine Vision. Wenn Sie Cradle-to-cradle als Vision bezeichnen, dann schieben Sie es noch 50 Jahre hinaus. Nein, Cradle-to-cradle ist eine Innovationsstrategie. Die Erasmus-Universität in Rotterdam ist die angesehenste Business School der Niederlande, und dort habe ich einen Lehrstuhl, eben weil Cradle-to-cradle ein Wirtschafts- und kein Ökokonzept ist. Ich frage: Wie können wir viel bessere Produkte machen? Ein Produkt, das Abfall wird, hat ein Qualitätsproblem — sonst gar nichts. Hier geht es um Innovation, um Qualität. In Deutschland denkt man immer, Umwelt wäre ein Moralthema.
Nachrichten: Hat Cradle-to-cradle es deshalb in Deutschland schwerer als anderswo?
Braungart: Was in Deutschland auffällt, ist die Romantisierung der Natur. Aber die Natur stellt immer noch die giftigsten und am stärksten krebserzeugenden Stoffe her. Doch sie ist nicht blöde: Die Natur macht keine Chemikalien, die sich in Lebewesen anreichern. Eine Cradle-to-cradle-Chemie müsste also als erstes sagen: Wir machen Chemikalien, die für die Biosphäre geeignet sind. Und ein Ziel wie “Im Jahr 2020 werden in Deutschland keine Chemikalien mehr hergestellt, die sich in Muttermilch wiederfinden” wäre wirklich ein tragfähiges Innovationskonzept.
NCh: Worauf ist das Cradle-to-cradle-Konzept nicht anwendbar?
Braungart: Das einzige Problem ist die Zeit. Wir im Westen verlieren in einigen Bereichen so schnell die industrielle Basis, dass wir unser Know-how bald nicht mehr umsetzen können. Und wir können nicht warten, bis China analog zu uns 40 Jahre lang Weltuntergangsdiskussionen geführt hat: mit giftig, mit blame und shame und “ihr seid so böse” — und dann erst erkennt, dass nur Cradle-to-cradle die Lösung sein kann. Wir müssen jetzt vorangehen.
Nachrichten: Und geht es tatsächlich voran?
Braungart: Es gibt leider ein ziemlich verkrustetes mittleres Management. Das Topmanagement versteht sofort, worüber ich rede. Der Vorstandsvorsitzende von DSM, Feike Sijbesma, ist unser größter Unterstützer überhaupt in der Chemieindustrie. Auch die sonstigen Topmanager erkennen den Unterschied zwischen Effizienz und Effektivität. Das mittlere Management macht aber die falsche Dinge perfekt. Die nutzen etwa für PET-Flaschen einen Katalysator, und ich finde in Cola bis zu 80-mal mehr Antimon als zulässig ist in Trinkwasser.
Nachrichten: Und was sagt der Cola-Hersteller dann?
Braungart: Ganz einfach: “Wir verkaufen doch kein Trinkwasser!” Die müssen sich also nicht an die Trinkwassergrenzwerte halten, und der Antimonkatalysator hat eine offizielle Zulassung. Die wollen nichts ändern, denn das Bestehende ist legal und hochoptimiert — nur leider grundlegend falsch. Wir müssen uns also durchsetzen gegen hochoptimierte falsche Systeme.
Nachrichten: Und wie geht das?
Braungart: Jeder, der schlau und gut ist und mithelfen will, die Situation nicht nur weniger schlecht, sondern gut zu machen, muss jetzt einfach Chemie studieren!


Der Chemiker Michael Braungart, Jahrgang 1958, ist Professor an der Erasmus-Universität Rotterdam, Geschäftsführer des Beratungsinstituts EPEA Internationale Umweltforschung in Hamburg und wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Umweltinstituts.
Zusammen mit dem US-Amerikaner William McDonough entwickelte Braungart im Jahr 2002 das Cradle-to-cradle-Konzept.

Artikel

“Nur weniger schädlich sein zu wollen, ist ein Armutszeugnis”

Nachrichten aus der Chemie: Herr Braungart, ist Ihr Cradle-to Cradle-Prinzip nicht im Grunde ganz normale nachhaltige Chemie? Michael Braungart: Nein, denn die macht in vielen Bereichen nur das Falsche perfekt — und damit ist es perfekt falsch. Schauen Sie auf das Beispiel Autoreifen. Die Autore...

Blickpunkt Prozess

Prof.Dr.

Seit Beginn des Jahrtausends hat sich die Fluorchemie rasant entwickelt:1 Es entstanden zahlreiche Konzepte zur gezielten Fluorierung organischer Moleküle,2 die erste Fluorinase wurde isoliert3 und erste Arbeiten zur organokatalytischen, asymmetrischen Fluorierung4 veröffentlicht.
Fluorhaltige Verbindungen nehmen heute in der Agrochemie, der Pharmaindustrie, bei nichtinvasiven Diagnosetechniken und in der Materialforschung eine Schlüsselposition ein. Schon ein einziges Fluoratom in einem Molekül ändert dessen chemische und physikalische Eigenschaften dramatisch — indem es etwa Metabolismus oder Bioverfügbarkeit von Wirkstoffen verändert. So überrascht es nicht, dass fast ein Viertel der heute am häufigsten verschriebenen Medikamente fluorhaltige Arzneistoffe sind. Beispiele sind der Cholesterinsenker Lipitor (1), das Antibiotikum Ciproflocaxin (2) sowie der PET-Tracer FDG (3) (Abbildung 1).
In den letzten Jahren entstanden zwar mehrere neue Strategien, um Fluor in organische Substrate einzuführen, im Allgemeinen bleibt dies aber nach wie vor schwierig. Erste katalytische Methoden sind ein Durchbruch bei der asymmetrischen Organofluorierung. Solche Umsetzungen beruhen jedoch hauptsächlich auf der In-situ-Erzeugung eines nukleophilen, chiralen Enolat-Äquivalents. Dieses überträgt dann die chirale Information auf das prochirale Substrat.


<h2>Fluorcyclisierungen mit chiralen Fluorreagenzien</h2>
Enantioselektive Fluorcyclisierungen zu entwickeln, dauerte im Gegensatz zur asymmetrischen α-Fluorierung viel länger. Trotz der großen Fortschritte der Fluorchemie und der Nützlichkeit fluorierter (Hetero)cyclen sind Methoden für diese Umsetzung bis heute rar. Dies liegt vor allem an der stark abgeschwächten Reaktivität etablierter elektrophiler Fluorierungsreagenzien gegenüber Olefinen im Vergleich zu Chlor-, Brom- und Iodelektrophilen. Deshalb haben elektrophile Fluorierungen meist eine kleine Substratbreite; sie beschränken sich auf Edukte mit besonders elektronenreichen und damit aktivierten C,C-Doppelbindungen wie Enolether und Allylsilane. Des Weiteren erwies sich die katalytische Erzeugung chiraler Fluorelektrophile als äußerst schwierig. Das chirale Hilfsmittel ist oft in stöchiometrischen Mengen notwendig, um die unselektive Fluorierung als Hintergrundreaktion zu unterdrücken.
Diese fundamentalen Probleme bei Reaktivität und Selektivität in Fluorcyclisierungen waren der Grund dafür, dass die erste enantioselektive, reagenzkontrollierte Transformation erst im Jahr 2009 und an nur einem einzigen Beispiel beschrieben wurde.5 Die Gruppe um Gouverneur überführte dabei das Allylsilan (4) mit stöchiometrischen Mengen (DHQ)2PHAL (5) und Selectfluor (6) in 70 % Ausbeute in das fluorierte Tetrahydrofuran (7) unter moderater Stereokontrolle (45 % ee) (Abbildung 2). Das in situ aus (5) und (6) erzeugte chirale N,F-Reagenz überträgt in dieser kinetisch kontrollierten syn-Addition regio- und stereoselektiv ein Fluoratom auf die Doppelbindung. Mit Z-konfiguriertem (4) bildet sich dabei nur ein Diastereomer (7), in dem der Fluor- und der Silylsubstituent trans angeordnet sind. Die Silylgruppe erfüllt in dieser Reaktion zwei Aufgaben: Sie aktiviert die C,C-Doppelbindung für die elektrophile Addition und kontrolliert den regioselektiven Verlauf der Fluorierung, indem sie das intermediär gebildete β-Silylcarbokation stabilisiert.
Cinchona-basierte N,F-Reagenzien erwiesen sich dagegen bei der Verwendung von C-Nukleophilen als unwirksam. Deshalb entwickelte Gouverneur für fluorinduzierte Kationen-Olefin-Kaskaden ein chirales, elekrophiles Fluorreagenz (9), das auf dem Grundgerüst von Selectfluor mit stereogenen Zentren am DABCO-Bicyclus beruht (Abbildung 3).6 Die elektronenziehenden CF3-Gruppen in (9) sind essenziell für gute Reaktivitäten und Selektivitäten. (9) überführt unterschiedliche Inden-Derivate wie (8) in die Fluorchinoline in 71 bis 99 % Ausbeute und bis zu 73 % ee, wobei ausschließlich die syn-Diastereomere isoliert werden. Allerdings zeigt sich auch hier die Empfindlichkeit der Fluorcyclisierungsmethode gegenüber strukturellen Veränderungen: Das entsprechende Phenanthridin (14) ließ sich zwar in 83 % Ausbeute aber nur mit 19 % ee isolieren.
Im Jahr 2013 entwickelten Nevado et al. eine erste Methode zur regio- und enantioselektiven Aminofluorcyclisierung von Alkenen.7 Mit dem chiralen Iod(III)-difluorid (16) entsteht ausgehend von Tosylamin (15) β-Fluorpiperidin (17) in 79 % Ausbeute und mit guten 81 % ee (Abbildung 4). Die Methode toleriert unterschiedliche Schutzgruppen am Stickstoff (18). Die Substrate müssen jedoch an ihre C-2-Position einen aromatischen Substituenten tragen. Es bilden sich die Produkte (19). Einzige Ausnahme war das an C-1 dimethylierte Ausgangsmaterial, das in 70 % Ausbeute und mit 66 % ee in (20) überführt wurde. Essenziell ist es zudem, terminale Alkene zu nutzen. Das Verfahren liefert nicht nur Piperidine sondern auch Azepane ausgehend von Hexenaminen. Hierzu nötig sind jedoch katalytische Mengen einer goldhaltigen Lewissäure und deutlich längere Reaktionszeiten. Das Azepan (22) entsteht so aus dem Amin (21) in 62 % Ausbeute und mit 73 % ee. Auch hier lässt sich sowohl die Schutzgruppe am Stickstoff des Fluorierungsmittels (23), als auch das Substitutionsmuster an C-2 der Substrate (24) geringfügig verändern.


<h2>Katalytische, asymmetrische Fluorcyclisierungen</h2>
Das erste Beispiel für eine stereoselektive, katalytische Fluorcyclisierung publizierten Gouverneur et al. im Jahr 2011.8 Dabei dienen NSFI (26) als elektrophile Fluorquelle und (DHQ)2PHAL ((5), 20 Mol-%) als Katalysator (Abbildung 5). Sie überführen mit N- oder O-Nukleophilen an C-3 ausgestattete Indole in die tricyclischen Produkte (27) — (34). Die Enantioselektivitäten waren mit 52 bis 84 % moderat bis gut; nur das jeweilige syn-Diastereomer der fluorierten Tetrahydrofurane und Pyrrolidine war isolierbar.
Allgemein liefert diese Methode eine Bandbreite von Produkten, die sich sowohl durch den Indol-Stickstoff als auch durch die C-5- und C-6-Funktionalisierung unterscheiden. Eine asymmetrische Dihalocyclisierung war ebenfalls mit moderaten 60 % ee unter leicht modifizierten Reaktionsbedingungen möglich. Dabei kam das Edukt (35) mit dem Nukleophil am Stickstoff zum Einsatz.
Erste Untersuchungen zum Ursprung der Stereokontrolle zeigten, dass sich unter den Versuchsbedingungen ein chirales N,F-Reagenz (vgl. Abbildung 2) nur in Spuren bildet. Es kann somit nicht für die Einführung der Stereoinformation verantwortlich sein. Vielmehr werden nichtkovalente Wechselwirkungen wie Wasserstoffbrücken zwischen dem Alkaloid und dem Nukleophil als Ursache für die Stereokontrolle bei der Bildung des quartären C,F-Zentrums vermutet.
Toste und Mitarbeiter stellten im Jahr 2011 eine asymmetrische Fluorcyclisierung vor, bei der sie das noch neue Konzept anionischer chiraler Phasentransferkatalyse nutzten; in ihrem Fall auf Basis hydrophob funktionalisierter Binaphthol-Phosphate wie (37).9 So war es möglich, Selectfluor (6) in apolaren Lösungsmitteln zu verwenden. Dass freies (6) unter diesen Reaktionsbedingungen unlöslich ist, unterbindet elegant die unselektive Fluorierung als Hintergrundreaktion und führt unter katalytischen Bedingungen zu hohen Enantio- und Diastereoselektivtäten. Neben der Fluorcyclisierung aktivierter Enolether des Typs (38) zu Dihydrooxazolen (39) in sehr guten chemischen und optischen Ausbeuten, gelang so auch die Umsetzung weniger stark aktivierter Dihydronaphthalene (40a) zu (41a) sowie eines Chromens (40b) zu (41b) (Abbildung 6). Bei den letzteren Reaktionen war allerdings die doppelte Menge des Katalysators und eine höhere Reaktionstemperatur nötig. Im Fall der Enolether (38) genügte der Protonenschwamm 1,8-bis(dimethylamino)naphthalin als Base zur Deprotonierung von (37a) und zur Neutralisierung von intermediär gebildeter Säure. Bei den weniger aktivierten Substraten musste dagegen auf die anorganische Base Na2CO3 zurückgegriffen werden. Mit einem leicht abgewandelten Katalysator (37b) ließ sich sogar das Alken (42) umsetzen, wenn auch unter höherer Reaktionstemperatur und mit leicht reduzierter Enantioselektivität (75 %, 70 % ee).
Basierend auf Studien zur Kationen-π-Kaskade mit elektrophilen PtII-Komplexen entwickelte Gagne ein Protokoll zur Übergangsmetall-katalysierten Fluor-Polyencyclisierung.10 Für gute Enantioselektivitäten bei gleichzeitiger Unterdrückung der β-Eliminierung war ein fein abgestimmtes Katalysatorensystem nötig. Die besten Resultate lieferte der in situ erzeugte kationische [(S)-Xylyl-Phanphos)Pt(NCC6F5)2][(BF4)2]-Komplex mit Ausbeuten von 49 bis 80 % und Enantiomerenüberschüssen bis zu 86 % (Abbildung 7). XeF2 erwies sich als elektrophiles Fluorierungsreagenz der Wahl. Allerdings muss während der Reaktion entstandenes HF durch zugesetztes TMSOMe abgefangen werden, um unerwünschte Nebenreaktionen zu unterbinden. Unter diesen Bedingungen reagieren verschiedene Di- und Trienyl-Alkohole und -Phenole wie (38). Auch hier wirken sich kleine strukturelle Veränderungen negativ auf die optischen Reinheiten wie in (44) und (45) aus.
Der Mechanismus unterscheidet sich grundlegend von den anderen hier vorgestellten Fluorierungen. In dieser Pt-katalysierten Reaktion erfolgt die Einführung des Fluoratoms unter Stereoretention durch reduktive Eliminierung aus dem kationischen Platin-Alkylintermediat, das sich nach Ausbildung des tricyclischen Systems formt.


<h2>Fazit</h2>
Trotz der Fortschritte der asymmetrischen Fluorcyclisierungen in den letzten Jahren sind generell anwendbare Strategien noch in weiter Ferne. Dies ist eine doppelte Herausforderung: Die erste ist die Entwicklung neuer Reaktionen, um C,F-Bindungen zu generieren. Dafür muss das Problem der geringen Reaktivität und Selektivität gelöst werden. Die zweite Herausforderung liegt darin, möglichst milde, nachhaltige, atomökonomische und kostengünstige Methoden zu etablieren. Fluorid wäre als Reagenz wünschenswert. Aufgrund seiner hohen Basizität, des großen Oxidationspotenzials und der geringen Nukleophilie scheint dies jedoch schwer realisierbar.
Blickpunkt Synthese will zur Beschäftigung mit neuen synthetischen Verfahren oder eleganten und wichtigen organischen Synthesen anregen. Die Rubrik betreuen in diesem Jahr Tanja Gulder, Emmy-Noether-Arbeitsgruppenleiterin an der RWTH Aachen, und Tobias A. M. Gulder, Emmy-Noether-Arbeitsgruppenleiter an der Universität Bonn. Tanja Gulder beschäftigt sich in ihrer Gruppe mit der Entwicklung neuer Methoden zur Generierung von Kohlenstoff-Halogen-Bindungen und der Naturstoffsynthese. Tobias Gulder arbeitet an der Strukturaufklärung und (Bio-)Synthese bakterieller Sekundärstoffe.



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“Nur weniger schädlich sein zu wollen, ist ein Armutszeugnis”

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