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Die Frage, ob die wissenschaftliche Gemeinschaft freien Zugang zu Forschungsdaten (Open Access) braucht, ist bereits beantwortet. Alle führenden Wissenschaftsorganisationen haben sich dafür ausgesprochen, die Forschungsergebnisse den Bürgern — die mit ihren Steuern die Forschung bezahlen — frei zugänglich zu machen. Darüber hinaus werden kostenlos zugängliche Artikel öfter zitiert. Bereits jetzt sind in der Chemie fast ein Drittel und in anderen Wissenschaftsbereichen bereits über die Hälfte der Artikel frei zugänglich.
Die Kernfrage ist jedoch nicht, ob die Leser freien Zugang wollen. Vielmehr geht es darum, wie Forschungsresultate in Zukunft verbreitet werden und wie dieser Prozess finanziert wird. Vor dem Internetzeitalter war die Situation relativ einfach: Wissenschaftler reichten Manuskripte bei Fachverlagen ein, die weder Autoren noch Gutachter für ihre Tätigkeit bezahlen. Die Verlage streckten die Kosten für Editoren, logistische Aufwendungen sowie für Druck und Vertrieb der Zeitschriften vor und holten sich das Geld über die Abonnenten zurück. Daneben bezahlten die Autoren auch Publikationsgebühren und Kosten für Farbabbildungen oder Titelseiten.
Das Internet hat diese traditionelle Art der Informationsverbreitung in Frage gestellt. Viele Abläufe sind einfacher und schneller geworden — wobei die Autoren weitere Aufgaben übernehmen. Der Kunde wechselte vom Besitz der Informationen (gedruckte Zeitschrift) zur Nutzung der Informationen (pdf auf Server). Gleichzeitig wurde das Verlegen von Fachzeitschriften lukrativer. Elsevier steigerte seinen Gewinn von 510 Mio. Euro (1539 Mio. Euro Umsatz) im Jahr 2002 auf 912 Mio. Euro (2445 Mio. Euro Umsatz) im Jahr 2011. Die Gewinnspanne von 37 % ähnelt dem anderer Verlagshäuser: John Wiley &amp; Sons erzielten 42 % im gleichen Jahr.1 Die höheren Umsätze speisen sich aus neuen Märkten in Asien, neuen Zeitschriften — und deutlich gestiegenen Preisen. Bündelung von Journalen ist dabei ein besonderes Problem für viele Bibliotheken.
Die traumhaften Renditen sind die Folge eines gut funktionierenden Geschäftsmodells, das mit wenig Aufwand den Informationsproduzenten diese Informationen wieder verkauft. Sich als Akademiker über Zeitschriftenpreise und Gewinnmargen aufzuregen ist naiv: In einer Marktwirtschaft ist Gewinnmaximierung ein legitimes Ziel.
Wissenschaftler publizieren in angesehenen Journalen, weil diese größte Sichtbarkeit und Anerkennung garantieren. Damit kommt diesen Zeitschriften eine wichtige Bewertungsfunktion zu, die über die Vergabe von Forschungsgeldern sowie Anstellungen und Beförderungen von Wissenschaftlern entscheidet. Eine Metrik, die sich auf Impaktfaktoren, Zitationen und Co stützt, hat de facto die Aufgabe, über wissenschaftliche Qualität zu befinden an Editoren übertragen. Zeitschriften, die eine solche Aufgabe gewissenhaft ausführen, erfüllen eine wichtige Funktion, alle anderen sind überflüssig.
Wie werden in Zukunft Informationen verbreitet? Die Beilstein-Stiftung zeigt, dass ein qualitativ hochwertiges Produkt wie das Beilstein Journal of Organic Chemistry für Autoren und Leser kostenlos angeboten werden kann, wenn die Kosten durch den Publikationsprozess anderweitig aufgefangen werden. Auch Wissenschaftsorganisationen oder -gesellschaften können diese Aufgabe übernehmen, damit Preise niedrig bleiben und die Renditen den Fachgesellschaften zu Gute kommen — ein Modell, wie es die American Chemical Society erfolgreich praktiziert. Neben relativ wenigen qualitativ hochwertigen kommerziellen Journalen und den Fachzeitungen der Gesellschaften und Stiftungen werden alle anderen Forschungsergebnisse im Internet verbreitet.


— — — Peter H. Seeberger ist Direktor am MPI für Kolloid-und Grenzflächenforschung in Potsdam sowie Professor an der FU Berlin und der Universität Potsdam. Er ist Herausgeber des Beilstein Journals for Organic Chemistry, einer komplett freien Open-access-Zeitschrift. <a href="mailto:Peter.Seeberger@mpikg.mpg.de">Peter.Seeberger@mpikg.mpg.de</a>



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1 

The Economist, May 26th 2011 “Of goats and headaches: One of the best media businesses is also one of the most resented”.
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Artikel

“Open Access ist nur ein erster Schritt”

Die Frage, ob die wissenschaftliche Gemeinschaft freien Zugang zu Forschungsdaten (Open Access) braucht, ist bereits beantwortet. Alle führenden Wissenschaftsorganisationen haben sich dafür ausgesprochen, die Forschungsergebnisse den Bürgern — die mit ihren Steuern die Forschung bezahlen — frei z...

Nachrichten aus der Chemie: Muss ein guter Wissenschaftsjournalisten selbst Wissenschaftler gewesen sein?
Michael Groß: Für mich persönlich war es nützlich, dass ich aus der Wissenschaft komme und so von dieser Seite her meine Brücken baue. Allerdings kann es auch hilfreich sein, wenig über Wissenschaft zu wissen, um dann wirklich die Fragen stellen zu können, die sich der Normalbürger und die Leute auf der Straße auch stellen, also die nur scheinbar dummen Fragen.
Nachrichten: Und was macht einen guten Wissenschaftsjournalisten heute aus?
Groß: Er muss schnell agieren und belastbar sein, weil vieles im 24-Stunden-Nachrichtenrhythmus abläuft, selbst in den Printmedien, die ja meistens auch Online-Redaktionen haben. Radio und Fernsehen stellen mittlerweile unrealistische Forderungen, nach dem Motto: Wir brauchen ein Interview in den nächsten fünf Minuten.
Nachrichten: Was bedeutet das für die journalistische Arbeit?
Groß: Das bedeutet leider, dass der wissenschaftliche Tiefgang verloren geht. Es ist unrealistisch einen Wissenschaftler als Interviewpartner zu finden, der sofort aus dem Stegreif über ein neu erschienenes Paper einen Kommentar abgibt, das er natürlich noch nicht gelesen hat und auch nicht mal schnell innerhalb von fünf Minuten lesen kann.
Nachrichten: Welche Konsequenzen hat das?
Groß: Weil die Rahmenbedingungen so schwierig geworden sind, landen heute viele, die Wissenschaftsjournalisten werden wollten, irgendwann in einer PR-Abteilung.


<h2>Wissenschaftsjournalismus versus Wissenschaftskommunikation</h2>
Nachrichten: PR-Leute nennen sich ja heute Wissenschaftskommunikatoren. Haben diese Wissenschaftskommunikatoren den klassischen Wissenschaftsjournalisten ersetzt?
Groß: Zum Teil, und das ist natürlich problematisch. Anfang der 1990er Jahre, als ich häufiger für die Süddeutsche Zeitung gearbeitet habe, gab es dort drei feste Stellen für die Seiten Umwelt, Wissenschaft, Technik. Dazu gab es jede Menge Freie, die, wie ich auch, einzelne Artikel mit einem Umfang von etwa 150 Zeilen beisteuerten. Die Süddeutsche bringt heute zumindest noch eine Seite Wissenschaft täglich. Der Guardian hatte das bei der Abschaffung der Wissenschaftsbeilage auch versprochen — tatsächlich besteht dessen Wissenschaftsseite aber zur Hälfte aus Werbung und zur anderen Hälfte aus Inhalten, die nur mit gutem Willen als Wissenschaft gelten können. Allgemein haben die Zeitungen zu wenig Fachwissen — sie sind also darauf angewiesen, PR-Material ungeprüft oder mit zu wenig Prüfung nachzudrucken.
Nachrichten: Aber ist das Material aus Pressestellen denn notwendigerweise schlechter?
Groß: Nein, aber wenn Wissenschaftskommunikatoren für eine Universität oder ein Unternehmen Presseinfos oder populärwissenschaftliche Werke herausgeben, stellen sie natürlich in den Vordergrund, was die eigene Institution geleistet hat. Das ist vollkommen in Ordnung und auch deren Pflicht als Angestellte. Ich als Journalist muss mir aber solche Fragen stellen wie: Gibt es dazu noch andere Meinungen und was haben andere auf diesem Gebiet geleistet? Das gehört zur journalistischen Sorgfaltspflicht. Ich selbst arbeite selbstverständlich auch gerne mit Pressemeldungen, für mich sind sie aber nur ein Ausgangspunkt, um dann genauer nachzuprüfen.
Nachrichten: Kritisches Hinterfragen gilt in der demokratischen Medienlandschaft als Hauptaufgabe des Journalisten. Hat der Wissenschaftsjournalist da eine Ausnahmestellung?
Groß: Der Wissenschaftsjournalist hat insofern ein Ausnahmestellung, als die meisten von uns davon ausgehen, dass Wissenschaft eine gute Sache ist und wir den Wissenschaftlern Respekt entgegenbringen und vielleicht sogar Bewunderung zollen sollten. Das ist grundsätzlich schon mal ein positiver Ton. Manche Wissenschaftsjournalisten haben sich aber auch eine prinzipiell kritische Grundeinstellung bewahrt.
Nachrichten: Da gibt es sicher auch kulturelle Unterschiede zwischen England und Deutschland?
Groß: Ganz klar. In deutschen Zeitschriften ist immer noch der gute, alte Expertenartikel verbreitet, bei dem der Experte quasi in eigener Sache seine Forschung darstellt. England hat eine eher journalistische Tradition. Ein ehemaliger Chefredakteur von Chemistry World hatte sich zum Prinzip gemacht, alles erst mal anzuzweifeln. Er sieht den interviewten Wissenschaftler praktisch als Feind, dem man nichts glauben sollte. Ich habe ihm gegenüber mal erwähnt, dass ich für einen Beitrag einem zitierten Wissenschaftler sein Zitat zum Gegenlesen vorgelegt hatte. Der Kollege hat fast einen Herzinfarkt gekriegt. So ginge das nicht, es zähle das gesprochene Wort und gesagt sei nun mal gesagt.
Nachrichten: Aber wie kritisch kann ein Wissenschaftsjournalist überhaupt sein? In der Regel hat ja der Wissenschafter, den Sie interviewen oder über den Sie berichten, einen gewaltigen Wissensvorsprung.
Groß: Ja, und gerade deshalb muss man mehrere Leute konsultieren, andere Experten befragen Wenn sich aus den Gesprächen mit den anderen ein Kritikpunkt ergibt, dann muss ich den natürlich erwähnen.
Nachrichten: Die Frage der Ausgewogenheit ist natürlich heikel.
Groß: Ja, denn die Gefahr besteht immer, dass im Namen der Ausgewogenheit eine von einer kleinen Minderheit vertretene Gegenmeinung in einem Beitrag überrepräsentiert ist.


<h2>Was heißt Nachrichtenwert?</h2>
Nachrichten: Ist das Verständnis bei den Wissenschaftlern für den Wert des Wissenschaftsjournalismus gestiegen?
Groß: Auf jeden Fall, auch aus Eigeninteresse. Ich habe das Gefühl, dass den Wissenschaftlern zunehmend bewusst wird, dass sie eine Verantwortung der Gesellschaft gegenüber haben, und dass es wichtig ist, dieser Gesellschaft zu erklären, was sie so treiben.
Nachrichten: Ich habe aber manchmal den Eindruck, dass oftmals selbst einfache journalistische Kriterien nicht bekannt sind?
Groß: Das ist richtig. Nehmen wir den Klassiker, den Nachrichtenwert. Viele verstehen allen Ernstes nicht, warum sie mit der 117. Fußnote zur Chemie von XYZ nicht in die Presse kommen.
Nachrichten: Bei der Preisverleihung haben Sie in Ihrem Vortrag das Thema “Nachrichtenwert” schön am Beispiel des PSA-Tests, also des Antigen-Tests auf Prostatakrebs erklärt.
Groß: Zwei durchaus seriöse und ernst zu nehmende Studien hatten entgegengesetzte Ergebnisse gebracht: Die eine zeigte, dass der PSA-Test Leben rettet, die andere, dass er nutzlos ist. In Großbritannien, wo die offizielle Gesundheitspolitik davon ausgeht, dass der Test nutzlos ist, war die erste Studie die überraschende Neuigkeit — die andere, die nur die herrschende Meinung bestätigte, wurde bestenfalls am Ende der Medienberichte kurz erwähnt. Andere europäische Länder wie Deutschland und Irland sehen den PSA-Test hingegen positiver. In diesen Ländern berichteten die Medien vor allem über die zweite Studie, welche die Nutzlosigkeit des Tests zu beweisen schien, und schenkten der ersten etwas weniger Aufmerksamkeit.
Nachrichten: Ben Goldacre, ein britischer Mediziner und Buchautor, nahm diesen Gegensatz in der Berichterstattung als Beleg dafür, dass Wissenschaftsjournalisten sich willkürlich die Ergebnisse aussuchen, die ihnen in den Kram passen.
Groß: Ja, aber in Wirklichkeit belegt er nur, dass dieselben Fakten in verschiedenem Kontext verschiedenen Neuigkeitswert haben. Dementsprechend müssen die Medien gewichten.


<h2>Geschäftsmodell Wissenschaftsjournalist</h2>
Nachrichten: Wie finanziert sich ein Wissenschaftsjournalist? Nehmen wir mal Sie als Beispiel.
Groß: Die Einnahmen aus meinen Büchern machen wenig aus, unter zehn Prozent, eher fünf. Meine Haupteinnahmequelle im Moment sind die zwei Features pro Monat für Current Biology. Die sind schön lang, etwa 2000 Wörter. Das trägt zu mehr als der Hälfte meines Monatseinkommens bei. Der Rest sind überwiegend Artikel für Zeitschriften, zum Beispiel ja auch für die Nachrichten aus der Chemie. Eine Zeit lang habe ich auch für eine Enzyklopädie gearbeitet und Artikel durchgesehen. Das war einigermaßen lukrativ, aber leider ist das ein aussterbender Zweig.
Nachrichten: PR machen Sie nicht?
Groß: Ich habe mal für BTG, eine Technologie-Transfer-Firma, Pressemitteilungen geschrieben. Das war sehr gut bezahlt, aber mir wurde schnell klar, dass ich nur über solche Dinge schreiben möchte, die mich selbst interessieren. Die freie Arbeit ist da sehr viel attraktiver. Aber ich kenne einige, die sich als Wissenschaftsjournalistinnen verstehen, jedoch die Hälfte ihrer Zeit für Firmen Pressemitteilungen machen. Die verdienen übrigens viel, viel besser als ich!
Nachrichten: Wie ist es mit online?
Groß: Online bringt kein direktes Einkommen, ist für mich aber dennoch ein wichtiges Medium. Ich habe da so eine Theorie, die ich Aufmerksamkeitstrichter nenne. Also: Es gibt die schnellen und kurzfristigen Kommunikationswege wie Twitter, Tumblr und andere Social-Media-Angebote, welche die Aufmerksamkeit auf längere Texte — sei es meinen Online-Blog oder meinen neuen Zeitschriftenartikel — richten; im Endeffekt auch auf die langsamen Medien wie Bücher.
Nachrichten: Und das funktioniert?
Groß: Zumindest für meine bescheidenen Erwartungen. Tumblr zum Beispiel ist im Moment ganz cool bei den jüngeren Leuten. Wenn ich dort etwas publiziere, kriege ich jede Menge Reaktion.
Nachrichten: Gleichwohl beklagen Sie den Zustand der Wissenschaftsberichterstattung.
Groß: Ja, denn mein Eindruck ist, dass sich die Entwicklung der Wissenschaftsberichterstattung in den letzten 20 Jahren unter der Devise “schneller, bunter, flacher” zusammenfassen lässt. Der Verflachung sollten wir uns unter anderem auch deshalb entgegenstemmen, weil die Probleme, die es zu berichten und erklären gilt, in derselben Zeit eher größer und komplexer geworden sind. ≪


Michael Groß promovierte im Jahr 1993 in Regensburg in physikalischer Biochemie und forschte anschließend mehrere Jahre als Postdoktorand am Oxford Centre for Molecular Sciences.
Der Journalismus war für ihn zuerst ein Hobby — er schrieb bereits seit Anfang 1993 unter anderem für die Süddeutsche Zeitung und Spektrum der Wissenschaft. Seit dem Jahr 2000 ist er hauptberuflich Wissenschaftsjournalist und Buchautor.
Groß lebt in Oxford und schreibt regelmäßig für deutsch- und englischsprachige Fach- und populärwissenschaftliche Zeitschriften.
In seinem Blog Prose and Passion schreibt er über “science, culture, and everything in between”. <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.michaelgross.info" target="_blank">www.michaelgross.info</a></ext-link>

Artikel

“Open Access ist nur ein erster Schritt”

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