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„Angenommen, Sie sind nach der Bundestagswahl an der Regierung beteiligt“ – AfD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU, Die Linke, FDP und SPD beantworten Fragen der Nachrichten aus der Chemie, der GDCh und weiterer wissenschaftlicher Gesellschaften. Wie lassen sich wissenschaftliche Fakten bei politisc...

Seit 20 Jahren gilt das Chemiewaffenübereinkommen. Deutschland steht hierbei in internationaler Verantwortung.
Im Jahr 1997 trat das Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ) in Kraft. Die durch das Abkommen geschaffene und 2013 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) feiert dies – zu Recht – mit einer Sonderwebsite.1)Aber Meldungen über Einsätze chemischer Waffen in Syrien und im Irak sowie der Auftragsmord am Nordkoreaner Kim Jong-nam am Flughafen Kuala Lumpur mit dem Nervengift VX zeigen, dass Chemiewaffen zwar verboten, aber längst nicht verschwunden sind. Syriens Erklärungen zu seinem Chemiewaffenprogramm weisen auch nach jahrelangen Untersuchungen und Nachmeldungen unverändert große Lücken und Ungereimtheiten auf.Chemiewaffen muss man deklarieren und darf sie nur so lange besitzen, wie es für deren umweltgerechte Entsorgung nötig ist. Nur drei Staaten haben heute noch offiziell Chemiewaffen: Libyen, Russland und USA. Die libyschen Chemiewaffen sollen noch dieses Jahr in Deutschland vernichtet werden, Russland braucht noch bis 2018 und in den USA wird es wohl nicht vor 2023 so weit sein.Dass nach dem Zweiten Weltkrieg Chemiewaffen – als Atombombe des kleinen Mannes – nicht nur von Gamal Nasser, Muammar Gaddafi, Saddam Hussein, sondern auch von Seiten Baschar al-Assad (Chlorgas) und der Terrorgruppe Islamischer Staat eingesetzt wurden, ist für die meisten Staaten erwiesen. Die OVCW untersucht, was am 4. April 2017 bei einem Luftangriff auf den von Rebellen gehaltenen syrischen Ort Khan Scheikhun geschah. Zahlreiche Menschen starben nachweislich an Sarin oder einem sarinähnlichen Stoff. Wie schon im Jahr 2013 glaubt die Mehrheit der Staaten, Assads Regime habe das Gift eingesetzt.US-Präsident Donald Trump reagierte auf den neuerlichen Vorfall mit einem Marschflugkörperangriff auf einen syrischen Flugplatz. Das brachte in den USA innenpolitisch Zustimmung und wurde vom deutschen Außenminister „nachvollziehbar“ genannt. Russland dagegen behauptet, die Kampfstoffe hätten Rebellengruppen gehört. Dass das strikte Verbot des Chemiewaffenübereinkommens nicht durch Gleichgültigkeit bei Verstößen ausgehöhlt werden darf, ist Konsens – auch bei denen, die ablehnen, dass US-Präsidenten in Syrien rote Linien ziehen.<h2>Dual Use und Kontrolle</h2>Es liegt im Eigeninteresse besonders derjenigen Staaten, die – wie Deutschland – führende Exporteure der chemischen Industrie und Biotechnik sind, die Verbreitung von chemischen und biologischen Waffen durch Exportkontrolle zu verhindern, ohne den legitimen Handel mit chemischen Gütern einzuschränken. In der „Australischen Gruppe“ haben sich dazu informell 40 Staaten sowie die Europäische Kommission zusammengetan. Auch ein Responsible-Care-Programm der Chemieunternehmen soll verhindern, dass Chemikalien missbräuchlich verwendet werden. In diese Richtung geht auch der von der EU-Kommission erarbeitete Vorschlag einer neuen Dual-Use-Verordnung der Europäischen Union.In einer Catch-all-Klausel soll der Rechtsgedanke des für Geldwäsche eingeführten Prinzips der Due-Diligence-Prüfung über bestimmte Güterkontrolllisten hinausweisen und potenziell alle Waren erfassen, die in falschen Händen großen Schaden anrichten würden. Ähnlich wie im Sanktionsrecht wird die plausible Endverwendung (know your customer) zum Prüfbestandteil. Auch immaterielle Technologietransfers (intangible technology transfer, ITT) unterliegen künftig der Risikoanalyse.2)<h2>Ein Blick zurück</h2>Vor 100 Jahren setzten deutsche Truppen, erstmals am 12. Juli 1917, auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs Senfgas ein (auch als Lost oder Gelbkreuz bezeichnet), ein geruchloses und kaum flüchtiges Kontaktgift, das durch explodierende Granaten wirksam auszubringen ist. Es drang durch alle porösen Gewebe und verätzte erst recht jeden unbedeckten Flecken Haut, einschließlich Augen, Lippen, Mund und Luftröhre. Entstandene Blasen platzten später auf und hinterließen offene Wunden, die im Feldspital nicht zu therapieren waren. 128 Tonnen Schwefel-Lost wurden an zwei Tagen bei Ypern gegen Briten und Franzosen verschossen; die taktische und moralische Wirkung dieser Art von Chemiewaffen war verheerend, weniger durch Todesfälle als durch die (Kräfte bindende) große Zahl Verletzter. Erst ein Jahr später, gegen Ende des Ersten Weltkriegs, waren auch die französische und britische Armee in der Lage, mit den gleichen Mitteln zurückschlagen.Als humanitäre Lehre dieser traumatischen Menschheitserfahrungen verbot das Genfer Protokoll vom 17. Juni 1925 die „Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege“. Einseitige Erklärungen zahlreicher Staaten ließen jedoch den Zweitschlag zu: Die eigene Zurückhaltung würde enden, wenn die gegnerische Konfliktpartei selbst gegen die Verbote verstieße. Japan setzte im Jahr 1937 auf breiter Basis Giftgas bei seinen kolonialen Eroberungszügen in der Mandschurei ein. Deutschland entwickelte die neuen Kampfstoffe Tabun und Sarin, nutzte sie aber für die Kriegführung nicht mehr. Zunächst nicht, weil das den Vormarsch der eigenen – konventionell überlegenen – Truppen gefährdet hätte und später nicht, weil die Alliierten die Lufthoheit hatten und Gegenschläge auf deutsche Städte drohten.Das Gleichgewicht des Schreckens bei den Massenvernichtungswaffen und die geringe militärische Nutzbarkeit biologischer Waffen machte noch in Zeiten des Kalten Kriegs die Biowaffenkonvention von 1972 möglich: Ein absolutes Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung biologischer Waffen. Nicht nur der Einsatz, eine ganze Kategorie von Waffen wurde mit einem völkerrechtlichen Tabu belegt. Nach dem Fall der Mauer gelang es am 3. September 1992 der Genfer Abrüstungskonferenz, eine weitere Waffenkategorie völkerrechtlich zu ächten: mit der Chemiewaffenkonvention. Sie trat zum 29. April 1997 in Kraft und wuchs rasch an Mitgliedern – auf nun 192 Staaten; nur Nordkorea, Südsudan, Ägypten und Israel fehlen. Anders als bei den Biowaffen gilt: Vertrauen ist gut, Kontrolle besser. Dafür wurde eine selbstständige Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) in Den Haag geschaffen, handelnd durch Vertragsstaatenkonferenz, Exekutivrat (41 Staaten) und Technisches Sekretariat.Ein Verifikationsanhang zum Übereinkommen erläutert die Vertragspflichten. Die nationale chemische Industrie wird Kontrollen unterworfen, soweit sie relevante Chemikalien herstellt oder damit umgeht. Jeder Vertragsstaat muss Werke, die mit bestimmten Chemikalien umgehen, der OVCW melden und dort Inspektionen zulassen. Chemikalien werden abhängig von ihrer Gefährlichkeit in den Listen 1, 2 und 3 aufgeführt: Liste 1 betrifft chemische Kampfstoffe wie Loste, auf Liste 2 stehen Vorprodukte wie Thiodiglykol (S-Lost) mit geringer Nutzung für zivile Zwecke und auf Liste 3 Massenchemikalien wie das hochtoxische Phosgen oder Vorprodukte wie Triethanolamin.<h2>Deutschland und die OVCW</h2>Seiner historischen Verantwortung bewusst sieht sich Deutschland in besonderem Maße dem Gedanken der Abrüstung verpflichtet. Instrumente der internationalen Kooperation müssen zur Bewältigung der heutigen sicherheitspolitischen Herausforderungen fortentwickelt und eine Erosion der (europäischen) Rüstungskontrollarchitektur verhindert werden. Das deutsche Sicherheitsverständnis zielt nicht auf militärische Überlegenheit, sondern bevorzugt eine ganzheitliche Betrachtung. Dazu gehören die humanitären Anlässe für Migration und Flucht, „hybride Bedrohungen“3) und unsere Fremdwahrnehmung.Ein seltener Erfolg gemeinsamer Diplomatie im Nahen Osten war, dass der Iran dazu bewegt werden konnte, sein Nuklearprogramm auf das in der Wiener Vereinbarung (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPoA) geforderte Maß zurückzubauen. Ein multilaterales Vertragswerk spielte dabei eine Schlüsselrolle: der Nichtverbreitungsvertrag – Eckpfeiler und normative Grundlage für das nukleare Nichtverbreitungsregime.Auch ein anderes Vertragswerk gilt es zu unterstützen: das Chemiewaffenübereinkommen und sein Tabu, das durch jeden Einsatz chemischer Waffen verletzt wird. Auch Chlor ist als Mittel der Kriegführung verboten: Jede Chemikalie, die „ungeachtet ihrer Herkunft oder der Art ihrer Produktion, durch ihre chemische Wirkung auf die Lebensvorgänge den Tod, eine vorübergehende Handlungsunfähigkeit oder einen Dauerschaden bei Mensch oder Tier herbeiführen können“.4) Auf Tabuverletzungen muss reagiert werden, unabhängig von der Zahl der Opfer im Vergleich zu den sonstigen Kampfhandlungen im Mittleren Osten.Deutschland ist mit seinen Partnern in der OVCW entschlossen, das auch praktisch durchzusetzen. Der gemeinsame Untersuchungsmechanismus der OVCW und der Vereinten Nationen (Joint Investigative Mechanism, JIM) kam zu dem Schluss, dass das syrische Regime 2014 und 2015 in drei Fällen toxische Chemikalien einsetzte. Die Bundesregierung tut alles dafür, dass derartige Verstöße enden. Deutschland warb aktiv für eine entsprechende Entscheidung des OVCW-Exekutivrats, die am 11. November 2016 kam. Der Nachweis des JIM, dass der Islamische Staat (IS) für einen Senfgas-Einsatz in Syrien verantwortlich ist, sowie wiederholte Berichte zum Einsatz chemischer Waffen durch den IS im Irak führten der internationalen Staatengemeinschaft vor Augen, welche Gefahren vom Zugriff nichtstaatlicher und terroristischer Akteure auf Massenvernichtungswaffen ausgehen.<figure><img src="https://media.graphcms.com/UST0J9LJRZqLImj6tULP"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Ausrüstung eines Chemiewaffenkontrolleurs. <named-content>Foto: OVCW</named-content></figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/OXncZnSQxeY1zCRT8QEj"><figcaption><label>Abb. 2: </label>„Non-Violence“ – Bronzeskulptur von Carl Fredrik Reuterswärd vor dem UN-Hauptquartier in New York. <named-content>Foto: UN</named-content></figcaption></figure>
<h2>Wie Deutschland die OVCW unterstützt</h2><list list-type="simple"><list-item></list-item></list>Mitgliedsbeitrag Deutschlands: 4,2 Mio. Euro pro Haushaltsjahr (viertgrößter Beitrag der Mitgliedsstaaten, 6,4 % des Gesamtetats).<list-item>Eigene Auslandsvertretung für die OVCW.</list-item><list-item>Zwei designierte Referenzlabore der Bundeswehr: Wehrwissenschaftliches Institut für Schutztechnologien/ABC-Schutz (WIS) in Munster und das Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr (InstPharmToxBw) in München.</list-item><list-item>Sicherheitstrainings für die OVCW („Safe and Secure Approaches in Field Environments (SSAFE)“) in Hammelburg.</list-item><list-item>Engagement in Syrien: Beitrag zum VN-OVCW Joint Investigative Mechanism (JIM) (1,1 Mio. Euro); Einzahlung in OVCW-Trustfunds for Syria Missions (600 000 Euro); Zerstörung von Reststoffen syrischer Chemiewaffen (Senfgas-Hydrolysat) durch die GEKA; Trustfund zur Zerstörung der syrischen Chemiewaffen (5 Mio. Euro).</list-item><list-item>Lieferung eines mobilen Labors in den Irak (2 Mio.).</list-item><list-item>Unterstützung bei Verifizierung und Vernichtung libyscher Chemiewaffen bei der GEKA (etwa 6 Mio. Euro).</list-item><list-item>Fast 367 Mio. Euro an Russland für Vernichtung von über 20 000 Tonnen chemischer Kampfstoffe.</list-item><list-item>Jährliche Kurse mit 24 Teilnehmern „Loss Prevention and Safety Promotion in Chemical Industry“ an der Universität Wuppertal (jährlicher Aufwand über 250 000 Euro).</list-item><list-item>Initiative „Richtlinie für Chemiker“, ähnlich dem „Eid des Hippokrates“, von Vertragsstaatenkonferenz Ende 2015 gebilligt und weltweit übernommen.</list-item><list-item>Finanzierung der Teilnahme von NGOs an der Vertragsstaatenkonferenz 2016 (15 000 Euro).</list-item><h2>Vitakasten</h2>Thomas Pfanne studierte an der FU Berlin Physik und Jura und trat nach kurzer Tätigkeit als Rechtsanwalt 1986 in den Auswärtigen Dienst. Er durchlief mehrere Posten im In- und Ausland, etwa in Ecuador, Frankreich, Russland, USA, Spanien und Bulgarien. Als Vertreter des Auswärtigen Amts nimmt er jährlich an den Treffen der OVCW-Mitgliedstaaten teil.<div><img src="https://media.graphcms.com/726GMn9THqyBmO7iLAgm">

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<ul><h2>Quellen und Anmerkungen</h2><li>
1 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://20years.opcw.org" target="_blank">https://20years.opcw.org</a></ext-link></li><li>
2 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.bafa.de/DE/Aussenwirtschaft/Chemiewaffenuebereinkommen/chemiewaffenuebereinkommen_node.html" target="_blank">www.bafa.de/DE/Aussenwirtschaft/Chemiewaffenuebereinkommen/chemiewaffenuebereinkommen_node.html</a></ext-link></li><li>
3 Hybride Bedrohungen: Flexible Mischformen offen oder verdeckt angewandter Konfliktmittel, welche die Schwelle zwischen den völkerrechtlich binären Zuständen Krieg und Frieden verwischen.</li><li>
4 Artikel II, Nr. 2, CWÜ</li><li>
5 Mehr zum Thema in den Nachrichten aus der Chemie: Nachr. Chem. 2014, 62, 1183 ; Nachr. Chem. 2015, 63, 1073; Nachr. Chem. 2015, 63, 1200.</li></ul>

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