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Richtungsweisend für die frühe Forschungsausrichtung Ernst-Gottfried Jägers auf Übergangsmetallkomplexe biologisch inspirierter makrocyclischer Liganden waren die Entwicklungen bei Metalloproteinen mit Tetrapyrrolliganden ab Mitte der 1950er Jahre. Dazu gehörten die Strukturaufklärungen von Vitamin B12,1 Myoglobin2 und Hämoglobin3 sowie die Totalsynthese von Chlorophyll.4 Im Jahr 1970 habilitierte sich Jäger in Jena mit der Schrift “Beiträge zur Chemie konjugiert-ungesättigter Sechsring-Neutralkomplexe: Reaktivität freier Koordinationsstellen in planaren Metallchelaten aliphatischer β-Ketoenamine und ‘Template"-Synthesen makrocyclischer Bis(β-iminoenamine)”.5 In Jena wurde er dann auch zum Hochschuldozenten für allgemeine Chemie und Koordinationschemie berufen.


<h2>Bioinspirierte Metallkomplexe makrocyclischer Schiff-Basen-Liganden</h2>
Häme, die prosthetischen Gruppen der Globine und Cytochrome, und Chlorophylle, die grünen Blattfarbstoffe, sowie Cobalamine mit Vitamin B12 als wichtigstem Vertreter, gehören zu den bekanntesten biologisch relevanten Metallkomplexen.6 Diese besitzen im Fall der Häme ein Porphyringrundgerüst und im Fall der Chlorophylle und Cobalamine ein Chlorin- bzw. Corringrundgerüst (Abbildung 1a—c). Anfängliche Versuche, natürliche oder synthetische Porphyrine als Katalysatoren unter abiotischen Bedingungen zu nutzen, waren nicht sehr vielversprechend.7 Entscheidende Fortschritte gab es erst durch die Einführung solcher Substituenten in der Peripherie des Porphyringerüsts, welche die Funktion der Proteinumgebung zumindest ansatzweise modellieren.8
Dagegen war bereits seit dem Jahr 1938 bekannt, dass N,N'-Bis(salicyliden)ethylendiaminocobalt(II) (Abbildung 1d) — besser bekannt als Co(salen) — Sauerstoff ohne eine Proteinumgebung reversibel binden kann.9 Durch die planare, teilweise ungesättigte Struktur und die quadratisch-planare Koordinationsumgebung des offenkettigen Chelatliganden ähnelt Co(salen) bereits strukturell den Metalloporphyrinen.
Zu den ersten artifiziellen Makrocyclen gehörten Schiff-Basen-Liganden, die Anfang der 1960er Jahre in den Arbeitsgruppen um Curtis,10 Busch11 und Jäger12 entwickelt wurden. Abbildung 2 zeigt die erste von Jäger beschriebene Templatsynthese des Nickel(II)-Komplexes eines Dibenzotetraaza[14]annulens durch die Kondensation des Nickel(II)-Komplexes eines β-Ketoenamins mit 1,2-Diaminobenzol. Die allgemeinen chemischen Strukturen von Jägers offenkettigen [N2O2]-Chelatliganden (Typ I) und den daraus abgeleiteten [N4]-Makrocyklen (Typ II) zeigt Abbildung 3. Besonders die Metallkomplexe der Liganden des Typs II teilen mit Metalloporphyrinen einige Charakteriska: redoxaktive Übergangsmetallionen als Zentralatome mit zwei freien axialen Koordinationsstellen, eine planare Struktur und eine zweifach negative Ladung des Liganden, eine quadratisch-planare [N4]-Koordinationsumgebung und eine makrocyclische Struktur mit zumindest zwei ungesättigten, konjugierten sechsgliedrigen Chelatringen.
Jäger bezeichnete diese Ligandenklasse als Bindeglied zwischen Porphyrinen und Salicylaldiminen (z. B. Salen).13 Gegenüber Porphyrinen bieten sie den Vorteil, dass sie präparativ leicht zugänglich sind und sich die biologisch relevanten Übergangsmetalle Eisen, Cobalt, Nickel und Kupfer leicht einführen lassen. Außerdem ist die Größe des Makrocyclus durch die N,N'-Brücken (R, R') beeinflussbar, und die elektronischen Eigenschaften sowie der hydrophile oder hydrophobe Charakter des Moleküls lassen sich mit den peripheren Substituenten (R1, R2, R1', R2') kontrollieren.
In den folgenden Jahrzehnten synthetisierten Jäger und Mitarbeiter viele Metallkomplexe der Liganden des Typs I und II. Sie untersuchten dabei Eigenschaften, die für Anwendungen als Katalysatoren von Bedeutung sind. Dazu zählen das Redoxpotenzial, die Reaktivität axialer Koordinationsstellen und der Spinzustand des Zentralatoms. Das Redoxpaar Nickel(I/II) und die Gleichgleichgewichtskonstanten für die Bindung axialer Liganden an planare Nickel(II)- oder pentakoordinierte Organocobalt(III)-Komplexe erwiesen sich als besonders geeignet, um den Einfluss der peripheren Substituenten auf die elektronischen Eigenschaften des Zentralatoms zu untersuchen. Dabei zeigte sich, dass Eisen(II)-Komplexe der Liganden des Typs I und II Sauerstoff aktivieren und die Oxidation von Hydrochinon zu Chinon in einer oxidaseähnlichen Reaktion katalysieren.
Eisen(II/III)-Komplexe dienten auch zur Entwicklung eines Häm-/Häminmodells mit einem verkleinerten konjugierten π-Elektronensystem. Einige der Nickel(II)-Komplexe der Liganden des Typs II erwiesen sich als gute Elektrokatalysatoren für die Reduktion von Kohlenstoffdioxid. Eine Übersicht über seine Arbeiten vom Anfang der 1960er bis zum Ende der 1990er Jahre gibt Jäger in einem Buchbeitrag aus dem Jahr 2000.13


<h2>Spätere Entwicklungen</h2>
Von den Auswirkungen der Dritten Hochschulreform der DDR (1969—1972) war auch Ernst-Gottfried Jäger betroffen. Eine Berufung auf eine Professur blieb ihm, der kein Mitglied der SED war, während der DDR-Zeit verwehrt. Im Jahr 1980 wurde aufgrund der “kaderpolitischen Substanz des Gesamtvorschlags der Friedrich-Schiller-Universität für Berufungen 1980” eine von der Sektion Chemie vorgeschlagene Berufung zum ordentlichen Professor zurückgestellt. Spätere Recherchen ergaben allerdings, dass von der Friedrich-Schiller-Universität im Jahr 1980 mit “71,48% SED-Anteil, 57 % Arbeiter- und Bauernanteil, 10,7 % Frauenanteil und 100 % Promotion B19 … der bisher beste Berufungsvorschlag im Fünfjahrplanzeitraum 1976 bis 1980 vorgelegt werden” konnte.20
Forschungsergebnisse wurden nahezu ausschließlich in Fachzeitschriften der DDR publiziert. Dennoch fanden Jägers Arbeiten internationale Beachtung, was sich beispielsweise in Einladungen zu Plenarvorträgen auf der 23rd International Conference on Coordination Chemistry (ICCC) 1984 in den USA oder der Third International Conference on Bioinorganic Chemistry 1987 in den Niederlanden zeigte. Wahrnehmen konnte Jäger diese Einladungen nicht, da ihm die DDR-Behörden keine Reisegenehmigungen erteilten. Abbildung 4 zeigt ein Bestätigungsschreiben der XX. ICCC in Indien — doch auch an dieser Konferenz konnte Jäger mangels einer Reisegenehmigung nicht teilnehmen.20
Erst ab Herbst 1989 verbesserte sich Jägers Situation. Im Jahr 1990 nahm er eine Gastprofessur für anorganische Chemie an der TH Darmstadt wahr, und im Jahr 1993 wurde er auf einen Lehrstuhl für anorganische Chemie in Jena berufen. Diesen hatte er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2001 inne. In den letzten Jahren seiner aktiven Laufbahn galt sein Interesse besonders den strukturellen und magnetischen Eigenschaften von Eisen(II/III)-Spin-Crossover-Komplexen mit Liganden des Typs I.21
Ernst-Gottfried Jäger starb am 1. Oktober 2006 in Jena. Zuletzt erschien posthum ein Beitrag von ihm über die Kristall- und Molekülstruktur eines Cobalt(II)-[N2O2]-Chelatkomplexes, den er und Mitarbeiter bereits über 35 Jahre zuvor beschrieben hatten.22 Templatsynthesen makrocyclischer Schiff-Basen-Liganden unterstützten nicht nur die Entwicklung von Modellkomplexen in der bioanorganischen Chemie, sondern sie brachten als artifizielle Makrocyclen neben Kronenethern auch die supramolekulare Chemie voran.23 Jüngst fanden Komplexe mit Jäger-Typ-Liganden Anwendung als Katalysatoren für die Copolymerisation von Epoxiden und Kohlenstoffdioxid.24


<h2>Ernst-Gottfried Jäger: Werdegang</h2>
Ernst-Gottfried Jäger wurde am 5. Mai 1936 als viertes und jüngstes Kind des Pathologen Ernst Jäger in Leipzig geboren. Der Vater war dort seinerzeit Direktor des Pathologischen Instituts am Krankenhaus St. Georg. Nach dem Abitur in Leipzig studierte Jäger von 1954 bis 1959 Chemie und von 1959 bis 1961 auch einige Semester Medizin an der Universität Leipzig. Zu seinen akademischen Lehrern gehörten Leopold Wolf (1896—1974), Günter Schott (1921—1985), Wilhelm Treibs (1890—1978) und Herbert Staude (1901—1983). Das Chemiestudium beendete er im Jahr 1959 mit einer Diplomarbeit “Zur Komplexchemie der diphenylierten Aminoalkohole” bei Leopold Wolf, einem der letzten Schüler von Arthur Hantzsch (1857—1935). Bei Wolf wurde Jäger auch wissenschaftlicher Assistent am Institut für anorganische Chemie der Universität Leipzig. Bereits im Jahr 1961 folgte er Egon Uhlig (1929—2009) ans Institut für anorganische Chemie der Universität Jena. Uhlig war ebenfalls Schüler von Wolf in Leipzig gewesen und im Jahr 1960 zum Dozenten für anorganische Chemie in Jena berufen worden, nachdem er sich in Leipzig habilitiert hatte.14,15 In Jena forschte zu dieser Zeit noch Franz Hein (1892—1976), der dort seit den 1940er Jahren eine Schule der Koordinationschemie begründet hatte.16,17 Für Jägers weitere Spezialisierung in der Koordinationschemie bot dieses Umfeld wohl ideale Voraussetzungen. Promoviert wurde er im Jahr 1962 allerdings noch bei Wolf in Leipzig mit einer Arbeit über “Koordinationskonkurrenz zwischen Sauerstoff und Stickstoff in Metallchelaten mit Aminderivaten von Tricarbonylmethanverbindungen”.18


Rüdiger W. Seidel hat an der RWTH Aachen und der Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf, Chemie studiert. Nach der Promotion bei Iris M. Oppel an der Ruhr-Universität, Bochum, im Jahr 2010 absolvierte er einen Postdoktorandenaufenthalt bei Christian W. Lehmann am MPI für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr. Zu seinen Interessen zählen chemische Kristallografie und Strukturanalyse. <a href="mailto:ruediger.seidel@rub.de">ruediger.seidel@rub.de</a>



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Die Promotion zum “Doktor der Wissenschaften” (Dr. sc.) ersetzte in der DDR ab dem Jahr 1968 nach sowjetischem Vorbild die Habilitation.
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Artikel

Pionier der bioanorganischen Chemie

Richtungsweisend für die frühe Forschungsausrichtung Ernst-Gottfried Jägers auf Übergangsmetallkomplexe biologisch inspirierter makrocyclischer Liganden waren die Entwicklungen bei Metalloproteinen mit Tetrapyrrolliganden ab Mitte der 1950er Jahre. Dazu gehörten die Strukturaufklärungen von Vitam...

Blickpunkt

Prof.Dr.

Supramolekulare Strukturen mit definierten selbstassemblierten Hohlräumen werden seit langem intensiv untersucht. Während zunächst die selektive Wechselwirkung zwischen diesen Kavitäten und kleineren organischen Molekülen oder Ionen im Vordergrund stand, wurden in den letzten Jahren immer mehr katalytische Anwendungen dieser Nanoreaktoren gefunden. Als Kavitäten in der Katalyse haben sich im Wesentlichen zwei Selbstassemblate durchgesetzt: ein tetraedrischer Cluster (K1a) auf Biscatechol-Basis und eine ausschließlich auf Wasserstoffbrückenbindungen basierende Kavität (K2a).
Der tetraedrische Cluster (K1a) — erstmals im Jahr 1998 von Raymond und Mitarbeitern beschrieben — lässt sich leicht durch Umsetzung des C2-symmetrischen Biscatechols (1a) mit einem Gallium(III)-Salz herstellen (Abbildung 1a).1 Durch die Dreifachkoordination des Catechols an das Galllium(III)-Zentrum ist diese Kavität chiral, wird in der Regel allerdings als Racemat eingesetzt. Erste katalytische Anwendungen demonstrierten ein Jahrzehnt später Bergman und Mitarbeiter anhand einer Aza-Cope-Umlagerung von Enammoniumionen2,3 und der Hydrolyse von Acetalen und Orthoformiaten in basischen Reaktionsmedien.4,5
Die auf Wasserstoffbrückenbindungen basierende Kavität (K2a) beschrieben Atwood und Mitarbeiter im Jahr 1997. Mit kleinen Mengen Wasser bildet das Resorcin[4]aren (2a) in organischen Lösungsmitteln ein Hexamer aus sechs Molekülen des Resorcin[4]arens und acht Molekülen Wasser. Insgesamt sind 60 Wasserstoffbrückenbindungen an der Bildung dieser Struktur beteiligt; der entstehende Oktaeder hat ein Kapselvolumen von 1400 Å3 (Abbildung 1b).6 Tiefenbacher und Mitarbeiter zeigten, dass diese Kavität eine relativ starke Brønsted-Säure mit einem pKa von 5,5 bis 6 ist, die in Acetalspaltungsreaktionen einsetzbar ist.7
Die Wände beider Kavitäten werden durch mehrere kovalent verknüpfte Aromaten aufgespannt. Aufgrund der resultierenden hohen π-Elektronendichte im Inneren der Kavität sind diese affin zu positiv geladenen Substraten. Sie stabilisieren solche Reaktionen besonders gut, bei denen kationische Intermediate auftreten. Neben der bloßen Beschleunigung einer carbokationendurchlaufenden Reaktion, führt dieser Aktivierungsmechanismus zu interessanten Substrat- und Chemoselektivitäten.


<h2>Cyclisierungsreaktionen</h2>
Viele Cyclisierungsreaktionen starten mit der Erzeugung eines Carbokations oder eines Oniumions. Ein typisches Beispiel ist die Nazarov-artige Cyclisierung von Divinylkationen zum Aufbau von Cyclopentenen und Cyclopentenonen. Um die kationische Spezies zu erzeugen, sind normalerweise starke Lewis- oder Brønsted-Säuren notwendig. Bergman und Raymond fanden im Jahr 2011, dass unter säurefreien Bedingungen die Kavität (K1a) die 4π-Elektrocyclisierungsreaktion des 1,4-Pentandien-3-ols (3) katalysiert (Abbildung 2a).8
Die Beschleunigung dieser Reaktion beruht darauf, dass Kationen-π-Wechselwirkungen das entstehende Cyclopentenyl-Kation stabilisieren und den Komplex A bilden. Abhängig vom eingesetzten Stereoisomer von Verbindung (3) entsteht entweder das Dihydrofulven (4) (bei den E/E- und Z/Z-konfigurierten Isomeren) oder das Cyclopentadien (5) (beim E/Z-Isomer). Eine Erklärung dafür sind die unterschiedlichen Orientierungen der entstehenden Cyclopentenylkationen innerhalb der Kavität. Die Protonen Ha und Hb erfahren so im finalen Eliminierungsschritt eine ungleiche sterische Abschirmung.
Eine weitere wichtige kationeninduzierte Cyclisierungsreaktion ist die Prins-Cyclisierung (Carbonyl-En-Reaktion) zum Aufbau sauerstoffhaltiger Sechs- und Siebenringe.9 Der initiale Schritt dieser Reaktion ist die Umsetzung einer Carbonylverbindung oder eines Acetals mit einer sehr starken Lewis- oder Brønsted-Säure; dabei entsteht ein Oxocarbeniumion. Auch hier gelang es Bergman und Raymond, diese Reaktion säurefrei durchzuführen (Abbildung 2b). Als Ausgangsmaterial diente das Monoterpen Citronellal (6). Die säurevermittelte Cyclisierung von (6) führte zu einem Produktgemisch aus verschiedenen Isopulegolen (7) und Menthan-3,8-Diolen (8).
Ob die Reaktion mit oder ohne die Kavität (K1a) durchgeführt wird, ist an der Produktverteilung zu beobachten.10 Mit der Kavität bilden sich fast ausschließlich Isopulegole (7) (97 %), und zwar hauptsächlich die entsprechenden trans-Isomere. Ohne Kavität und mit einem Phosphatpuffer bei pH 3,2 entstehen lediglich sehr kleine Mengen (9 %) dieser Verbindungen. Stattdessen bildet sich nun das Diol (8) in 91 % Ausbeute mit einer Präferenz für die cis-konfigurierten Produkte.
Die Bindung der Kapsel an (6) war durch Hochfeldverschiebungen der aliphatischen Signale um 1 bis 3 ppm nachweisbar. Wurde ferner PEt4+ der kavitätenthaltenden Reaktionsmischung zugefügt, trat keine Reaktion mehr auf. Dies ist ein weiterer Hinweis auf einen an der Reaktion beteiligten Einkapselungsprozess in Form des Komplexes B. Durch die Kapsel scheint ein wasserfreier Reaktionsraum zu entstehen, der die Addition von Wasser an das entstehende Carbokation unterbindet. Zudem wird das eingekapselte Oxocarbeniumion in Komplex B in eine Konformation gezwungen, welche die Bildung der trans-konfigurierten Isopulegole begünstigt.
Kurze Zeit später stellten die gleichen Arbeitsgruppen durch Modifikation des Catechols mit einem chiralen Amid die chirale Kavität (K1b) dar.11 Mit diesem optisch aktiven Nanoreaktor gelingt die Prins-artige Carbonyl-En-Reaktion der prochiralen Verbindung (9) zu den optisch aktiven Cyclohexenolen trans- und cis-(10) in guten Ausbeuten und vielversprechenden Selektivitäten von bis zu 65 % ee. Die Katalysatorbeladung ließ sich ohne signifikanten Verlust der Enantioselektivität auf bis zu 0,3 Mol-% senken. Bei den beobachteten Reaktionsumsätzen entspricht dies einer Turnover Number (TON) von 99. Weitere Modifikationen der Kavität, insbesondere weitere Vergrößerung des aromatischen Spacers, erhöhten die TON auf 840,12 einen sehr hohen Wert für Katalysatoren einer Prins-Cyclisierung.
Obwohl bei der von Bergman und Raymond untersuchten Reaktion Terpene als Reaktionsprodukte entstehen, hat der Prins-artige Zugang zu diesen Strukturen nichts mit der in der Natur stattfindenden Biosynthese dieser Strukturen gemeinsam. Eine echte biomimetische Schwanz-Kopf-Terpencyclisierung entwickelten kürzlich Tiefenbacher und Mitarbeiter mit der auf Resorcin[4]aren basierenden Kapsel (K2a) (Abbildung 3).13 Abhängig vom verwendeten Monoterpenallylalkohol und dessen Schutzgruppe lieferten katalytische Mengen der Kavität unterschiedliche terpenoide Cyclisierungsprodukte.
Die kavitätenvermittelte Cyclisierung von Geraniol (11) lieferte das cyclische Monoterpen α-Terpinen (12) als Hauptprodukt, das durch Gaschromatographie nach 70 h identifiziert wurde; die Ausbeute betrug zirka 15 %. Wurde dagegen das Z-Isomer, das Nerol (13), unter denselben Bedingungen umgesetzt, entstand zunächst α-Terpineol (14) als Hauptprodukt mit etwa 40 % Umsatz nach 10 h, das sich bei längerer Reaktionsdauer zum Eucalyptol (15) umsetzte. Dies ist das erste Beispiel für die direkte Bildung dieses Naturstoffs aus einem acyclischen Vorläufer.
Die Cyclisierung von Linalool (16) führte zu einer nahezu 1:1-Mischung aus Eucalyptol und α-Terpinen. Werden die entsprechenden Acetate eingesetzt, so endet die Reaktion in allen Fällen bei einer Mischung aus α-Terpinen (12) und Terpinolen (18) in unterschiedlichen Verhältnissen mit ersterem als Hauptprodukt. Während Umsetzung des Geraniolacetats trans-(17) fast ausschließlich zur Bildung von (12) führt, beobachtet man bei Umsetzung des Linaloolacetats (19) eine 1,5:1-Mischung. Der Unterschied in der Produktverteilung deutet darauf hin dass die Bildung des α-Terpinens über eine direkte cisoid-transoid-Isomerisierung des carbokationischen Intermediats abläuft. Dieser Mechanismus wurde in enzymkatalyiserten Reaktionen bisher nicht gefunden und könnte zu einem neuen mechanistischen Verständnis dieser Reaktion führen.
Eine kavitätenvermittelte Hydroalkoxylierung von unaktivierten Hydroxyolefinen (20) zu cyclischen Ethern (21) wurde kürzlich von Tiefenbacher und Mitarbeitern entwickelt (Abbildung 4).14 Auch hier geben Hochfeldverschiebungen der aliphatischen Signale der eingesetzten Hydroxyolefine um mehr als 1 ppm starke Hinweise auf eine Kavitäten-Substrat-Wechselwirkung. Mit 10 Mol-% der Kavität (K2a) verläuft diese Reaktion effizient. Die NMR-Ausbeuten der entstandenen cyclischen Ether (21) waren zufriedenstellend. Ein Überschuss an Startmaterial behinderte die Reaktion, vermutlich aufgrund konkurrierender Wechselwirkungen des freien Alkohols mit dem Monomer der Kavität. Dies verhindert die Bildung des katalytisch aktiven Hexamers.
Ferner verliefen alle Hydroalkoxylierungen unter einer hohen Markownikow-Selektivität. Dies ist auf die Bildung des höher substituierten kationischen Intermediats zurückzuführen. Außerdem zeigte ein Verdrängungsexperiment, dass sterisch sehr anspruchsvolle tertiäre Alkohole deutlich schlechter reagieren als deren kleinere Homologen (Abbildung 4b). Eine 1:1-Mischung der tertiären Alkohole (20a) und (20b) mit Trifluormethansulfonsäure liefert ein nahezu ausgeglichenes Produktverhältnis zwischen dem methylsubstitutierten Tetrahydropyran (21a) und dem dodecylsubstituierten Derivat (21b). In Gegenwart der Kavität (K2a) verschiebt sich die Selektivität zugunsten des deutlich kleineren Tetrahydropyrans (21a), das Produktverhältnis beträgt 92:8. Über eine ähnliche Selektivität in Abhängigkeit von der Substratgröße wurde kürzlich bei einer kavitätenvermittelten Peptidkupplungsreaktion berichtet.15


<h2>Substitutionsreaktionen</h2>
Eine ungewöhnliche Reaktivität von Kavitäten wurde in nukleophilen Substitutionsreaktionen von aktivierten sekundären Benzylalkoholen beschrieben.16 Substitutionsreaktionen sekundärer Alkohole verlaufen entweder über einen SN1-artigen Mechanismus, bei dem die chirale Information am stereogenen Zentrum verloren geht, oder sie reagieren SN2-artig unter Inversion des stereogenen Zentrums.
Bergmann und Raymond untersuchten den Einfluss der Kavitäten (K1a) und (K1b) auf den stereochemischen Verlauf der Solvolyse des Trichloracetimidats (S)-(22) mit Methanol-d4 (Abbildung 5). Mit der Kavität als racemischem Gemisch aus (K1a) und ent-(K1a) erhielten sie den Methylether (S)-(23) in 77 % Ausbeute und einem Enantiomerenüberschuss von 80 % ee. Die enantiomerenreinen Kavitäten (K1b) und ent-(K1b) lieferten interessanterweise dasselbe Stereoisomer von (23) in ebenfalls guten Ausbeuten und ähnlichen Selektivitäten. Auch ist es irrelevant, welches der beiden Enantiomere des Startmaterials (22) für die Reaktion eingesetzt wird. Lediglich mit dem Racemat von (22) sinkt der Enantiomerenüberschuss bei gleichbleibendem Umsatz auf 15 % ee.
Diese experimentellen Befunde deuten darauf hin, dass der inhärente stereochemische Verlauf dieser nukleophilen Substitution die stereoinduktiven Effekte der chiralen Kavität auf ein eventuell entstehendes achirales Benzylkation überwiegen. So mutmaßen die Autoren über die Bildung eines aktivierten Komplexes A, bei dem eine Kationen-π-Wechselwirkung zwischen einer Naphthyleinheit der Kavität und dem entstehenden Benzylkation im Übergangszustand für die Selektivität dieser Reaktion verantwortlich ist. Die Sterik innerhalb der Kavität verhindert dabei eine vollständige Planarisierung des Benzylkations, wodurch Stereoinformation vom Substrat auf das Produkt übertragen werden kann. Weitere Untersuchungen zum besseren Verständnis dieser Reaktion sind allerdings notwendig.


<h2>Regeneration der Kapsel</h2>
Weil die Molekülmasse so hoch ist und auch die Katalysatorbeladung höher als bei vielen übergangsmetallkatalysierten Reaktionen, wäre ein effizientes Recycling der Kapsel für eine spätere Anwendbarkeit essenziell. Erste Untersuchungen hierzu haben Shimizu und Mitarbeiter durchgeführt.17 Diese Arbeitsgruppe synthetisierte die perfluorierte Resorcin[4]aren-Kapsel (K2b). In einer Zweiphasenmischung mit Perfluorohexan als perfluorierte Komponente und den beiden flüssigen Substraten als zweite Phase, realisierten sie Diels-Alder-Reaktionen zwischen verschiedenen 1,3-Dienen (24) und α,β-ungesättigten Carbonylverbindungen (25) zu unterschiedlichen Cyclohexenonen (26) (Abbildung 6). Die perfluorierte Kapsel bleibt stets in der fluorierten Phase und ist nach der Reaktion durch Abdekantieren wiederzugewinnen. Auch nach insgesamt fünf Recyclevorgängen sinkt die Aktivität der Kapsel nicht signifikant.


<h2>Fazit und Ausblick</h2>
Auf Selbstassemblierung basierende Kavitäten dienten in den letzten Jahren vermehrt als Katalysatoren in carbokationendurchlaufenden Reaktionen. Während sich frühe Entwicklungen auf Modellreaktionen mit wenig synthetischem Wert beschränkt hatten, zeigen jüngste Beispiele aus der biomimetischen Terpencyclisierungschemie, dass so auch komplexe Strukturen darstellbar sind. Das Design komplexerer Kavitäten mit zusätzlichen an der Katalyse beteiligten funktionellen Gruppen wird nötig sein, um die volle Bandbreite enzymkatalysierter Reaktionen biomimetisch zu erschließen.


Blickpunkt Synthese will zur Beschäftigung mit neuen synthetischen Verfahren oder eleganten und wichtigen organischen Synthesen anregen. Die Rubrik betreut in diesem Jahr Boris Nachtsheim, Juniorprofessor an der Universität Tübingen. Er interessiert sich für Iodan-vermittelte oxidative Kupplungsreaktionen und minimalistische selbstaggregierende Systeme.
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R. G. Bergman, 
K. N. Raymond, 
<source>Science 
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<source>Eur. J. Org. Chem. 
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C. Zhao, 
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W. M. Hart-Cooper, 
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W. M. Hart-Cooper, 
C. Zhao, 
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C. Zhao, 
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S. Shimizu, 
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</ul>

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