Bildung & Gesellschaft

Der Chemiker Dominic Franck wollte wissen, woraus sich die Windeln seiner Töchter zusammensetzen, begann Fragen zu stellen und zu forschen. Nun bringt er mit Fairwindel eine Alternative aus nachwachsenden Rohstoffen auf den Markt. Wie er zum Unternehmer wurde, schildert er im Nachrichten-Interview.
Nachrichten aus der Chemie: Sie haben eine Babywindel ohne Superabsorber entwickelt. Was stört Sie an Superabsorbern?Dominic Franck: Chemisch und physikalisch gesehen sind Superabsorber eine tolle Sache. In einem Wegwerfprodukt wie Windeln sind sie aber nicht so gut für die Umwelt. Sie sind erdölbasiert und nicht biologisch abbaubar.<figure><img src="https://media.graphcms.com/RfrUYiWQxG3KJ0jZuGR9"><figcaption><label>Abb. 1: </label>„Durch das Chemiestudium wurde ich eher zum Angestellten erzogen.“ Dominic Franck gab trotzdem seine Laborleiterstelle auf und gründete sein eigenes Unternehmen. <named-content>Fotos: Franck</named-content></figcaption></figure>
Nachrichten: Dazu gibt es eine Vorgeschichte ...Franck: Ja, meine Frau und ich sind von einer Wohnung in Berlin in ein Haus in Brandenburg gezogen und hatten zum ersten Mal statt eines riesigen Müllcontainers eine eigene Mülltonne. Und die war zu zwei Dritteln voll mit den Windeln unserer Tochter. Da habe ich angefangen, mich für Windeln zu interessieren und wollte wissen, was da eigentlich drinsteckt. So kam ich dazu, mich mit dem Superabsorber zu beschäftigen. Der macht ja den größten Teil der Windel aus, etwa 30 Prozent.Nachrichten: Auch bei den Windeln aus dem Bioladen?Franck: Ökowindeln enthalten im gleichen Maß Superabsorber wie konventionelle Windeln. Öko ist daran lediglich die Hülle aus Maisstärke. Das steht aber so direkt nicht drauf, und das hat uns überrascht. Die sind also auch nicht kompostierbar. Ich fragte mich, ob man das Saugmaterial nicht aus nachwachsenden Rohstoffen herstellen könnte. Im Studium hatte ich mal ein Projekt zu nachwachsenden Rohstoffen, daran erinnerte ich mich, als ich mich mit Superabsorbern befasste.Nachrichten: Gibt es denn eine Alternative zum Superabsorber?Franck: Ich habe danach gesucht und bin auf Kartoffelstärke gestoßen.Nachrichten: Und das funktioniert?Franck: Ja, aber das haben wir vor zwei Jahren, als wir anfingen, uns damit zu beschäftigen, nicht gewusst. Erst mit der Recherche wurde uns klar, dass ein Absorber auf Kartoffelstärkebasis funktionieren kann.<h2>Keine Angst vor dem Wettbewerb</h2>Nachrichten: Mit Ihrem Produkt Babywindel befinden Sie sich in einer Konkurrenzsituation zu Procter und Gamble, einem Unternehmen mit riesiger Markt- und Markenmacht.<figure><img src="https://media.graphcms.com/WPCa0EVQL205LbNSxIBg"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Ohne Bärchenaufdruck, ohne Superabsorber: Babywindel des Brandenburger Start-ups Fairwindel; die Idee dazu hatte der Chemiker Dominic Franck.</figcaption></figure>
Franck: Das war auch unser erster Gedanke und wichtigstes Argument, unsere Idee gar nicht erst weiter zu verfolgen. Aber während der Auseinandersetzung mit dem Businessplan sind wir darauf gekommen, dass wir den Großkonzern gar nicht angreifen. Wir haben ein Nischenprodukt.Nachrichten: Wie groß ist denn Ihr Markt?Franck: Der Windelmarkt hat in Deutschland ein Volumen von etwa 700 Millionen Euro jährlich. Selbst der Bruchteil von einem Prozent Marktanteil wäre wunderschön, aber davon sind wir momentan weit entfernt. Daher interessieren sich die großen Hersteller nicht besonders für uns. Außerdem sind die auf Gewinnmaximierung aus, also möglichst billig produzieren und möglichst teuer verkaufen. Superabsorber sind gerade sehr billig, weil das Erdöl so billig ist. Die Preisvorteile für Pampers und Co sind einfach zu groß.Nachrichten: Wenn Gewinnmaximierung nicht das Ziel Ihres Unternehmens ist, was ist es dann?Franck: Wir wollen ein Produkt schaffen, das unseren Werten wie Müllvermeidung und Umweltbewusstsein entspricht, eine Alternative zu den konventionellen Windeln. Als unsere älteste Tochter klein war, hat uns diese Alternative gefehlt. Wir produzieren in Deutschland mit Rohstoffen von hier, dadurch ist unser Produkt drei Mal so teuer wie eine herkömmliche Windel. Wir könnten in China produzieren lassen, aber das passt nicht zu unserem Konzept.Nachrichten: Wer kauft Ihre teure Windel?Franck: Leute, die sich für einen nachhaltigen Lebensstil entscheiden und in der Regel gut verdienen. Und auch Mütter, die mit Stoffwindeln wickeln, denen das aber unterwegs oder bei der Tagesmutter zu umständlich ist. Wir versuchen Menschen, die für ihr Fleisch im Bioladen drei Mal so viel ausgeben wie im Supermarkt, davon zu überzeugen, auch für Windeln mehr auszugeben. Dieser Markt wächst, ungefähr zehn Prozent pro Jahr.Nachrichten: Sie haben nicht die Marketingmaschinerie eines Großkonzerns. Wie gewinnen Sie Ihre Kunden?Franck: Über Mund-zu-Mund-Propaganda. Wir sind sehr früh mit unserer Idee an die Öffentlichkeit gegangen, das ist anders als in der Chemie, wo man Entwicklungen und neue Moleküle so lange wie möglich geheim hält. Wir haben unsere Fans mitgenommen auf die Reise, haben über soziale Netzwerke, Facebook und über einen Newsletter die ganze Entwicklung dokumentiert. Den Preisvorteil durch das günstige Marketing geben wir gerne an die Kunden weiter.<h2>Vom Wissenschaftler zum Unternehmer</h2>Nachrichten: Wie haben Sie Partner für die Produktion gefunden?Franck: Ich habe viel telefoniert. Das hat bestimmt ein Jahr gedauert. Am Anfang haben uns viele belächelt, aber als die ersten Produkte fertig waren, waren sie überzeugt. Vertrauen aufbauen braucht Zeit.Nachrichten: Sie haben neben der Entwicklungsarbeit an der Windel und der Unternehmensgründung noch in der Industrie gearbeitet. Wie geht das?Franck: Ideen finden geht neben dem Job. Es kommt aber ein Zeitpunkt, an dem das nicht mehr klappt, etwa wenn man mit Lohnfertigern verhandeln muss, aber der Urlaub aufgebraucht ist. Und irgendwann kommt der Punkt, an dem man sich entscheiden muss.Nachrichten: Wann hatten Sie diesen Punkt erreicht?Franck: Als ich endgültig von unserer Idee überzeugt war. Im letzten Jahr haben wir am Businessplanwettbewerb Berlin-Brandenburg teilgenommen und den dritten Platz erzielt. Im Juni war die Siegerehrung, am 1. November war ich dann Unternehmer.Nachrichten: Für Chemiker ist es immer noch ungewöhnlich, sich selbstständig zu machen, ein Unternehmen zu gründen.Franck: Ja. Als Chemiker habe ich gelernt, Dingen auf den Grund zu gehen, und dieses analytische Denken hat mir sehr geholfen. Aber ich bin nicht mit dem Unternehmertum groß geworden. In der Laborantenausbildung und durch Chemiestudium und Promotion wurde ich eher zum Angestellten erzogen.Nachrichten: Was hat Sie dann dazu bewogen, trotzdem die Sicherheit einer Festanstellung aufzugeben?Franck: Das wichtigste ist für mich das selbstbestimmte Arbeiten. Ich möchte ja auch meine Kinder aufwachsen sehen und so viel Zeit wie möglich mit der Familie verbringen. Und mit der Sicherheit ist es so: Im Grunde ist es am sichersten, selbst der Unternehmer zu sein, denn wenn es schlecht läuft, ist der Unternehmer der letzte, der in einem Unternehmen bleibt.Nachrichten: Wenn Sie sagen, das Chemiestudium erzieht zum Angestellten, was fehlt denn?Franck: Mir hat das Fach Ökonomie gefehlt. Ich musste mir erst beibringen, wie die Wirtschaft funktioniert. Dieses Wissen braucht aber ein Unternehmer. Ich muss wissen, wo unser Unternehmen Schwächen hat.Nachrichten: Wo liegen die?Franck: Wenn im nächsten Jahr die Wirtschaft crasht, überlegen sich die Leute dreimal, ob sie den hohen Preis für unsere Windeln zahlen. Bei Autos ist es übrigens dasselbe, wenn die Leute kein Geld haben, kaufen sie eher einen Gebraucht- als einen Neuwagen.Nachrichten: Gab es Leute, die Sie für verrückt erklärt haben?Franck: Die gibt es immer. Meistens waren das diejenigen, die keine Kinder haben.Mit Dominic Franck sprach Nachrichten-Redakteurin Frauke Zbikowski.

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Selbstständigkeit: „Der Punkt, an dem man sich entscheiden muss“

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Wie der EU-Austritt Großbritanniens die britische Forschung beeinflusst.
Das Referendum für den EU-Austritt bringt große Unsicherheiten, sagt die chemische Gesellschaft Großbritanniens (Royal Society of Chemistry, RSC): etwa für den Zugang zu EU-Mitteln, die Freiheit britischer Forscher in der EU zu arbeiten und, ob EU-Vorschriften in Wissenschaft und Technik weiter gelten werden.1)Mike Galsworthy von der Organisation „Scientists for EU“ erwartet, dass nach dem Austritt Forschungsmittel fehlen. Zudem sei es für eine länderübergreifende Zusammenarbeit unabdingbar, bei europäischen Open-Access- und Open-Data-Modellen sowie an Regularien wie der europäischen Chemikalienverordnung Reach mitzuwirken.2) Für Chris Leigh von „Scientists for Britain“ dagegen erfordert internationale Zusammenarbeit keine politische Union. So legt etwa das Rahmenprogramm für europäische Forschungsförderung Horizon 2020 fest, dass assoziierte Mitglieder, etwa die Schweiz, unter denselben Bedingungen dabei sind wie EU-Mitglieder.2) Dies gilt auch für die Euchems, den Zusammenschluss von 40 europäischen Organisationen aus Chemie und Molekularwissenschaften. Dies bekräftigte ein Briefwechsel zwischen dem Euchems-Präsidium, zu dem auch GDCh-Geschäftsführer Wolfram Koch gehört, und der RSC direkt nach dem EU-Referendum.1) Allerdings soll es bereits Fälle gegeben haben, in denen britischen Wissenschaftlern nahegelegt wurde, europäische Projekte zu verlassen. Die weitere Zusammenarbeit sei wegen des Referendums zu unsicher.2)Ein Cartoon in der RSC-Zeitschrift Chemistry World fasst die Situation zusammen: „Chemiker wissen, wie sich Dinge vermischen lassen; sie aber wieder zu trennen ist eine Höllenarbeit.“ MB
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1 <a href="https://www.rsc.org" target="_blank">www.rsc.org</a></li><li>
2 <a href="https://www.euchems.eu/euchems-rsc-outcome-british-referendum/" target="_blank">www.euchems.eu/euchems-rsc-outcome-british-referendum/</a></li></ul>

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