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Trendbericht Organische Chemie 2017

Molekularer Knoten mit topologischer Chiralität – Strukturaufklärung des Polyol-Makrolids Deplelid A – Totalsynthese von Crocagin A – Organokatalyse in supramolekularen Aggregaten – nachhaltige Oxidation an Oxymorphon – eisenkatalysierte enantioselektive C-H-Aktivierung- und Alkylierung – fluores...

Dynamisch kombinatorische Chemie ermöglicht es dem Targetprotein, aus einer Bibliothek kovalent, aber reversibel verknüpfter Bausteine den besten Binder auszuwählen. Mit Phagendisplay und Hefedisplay lassen sich vollständig menschliche Antikörper gewinnen, die sich als Medikamentenwirkstoffe eignen. Neuartige Wirkstoffe gegen bakterielle Infektionen greifen direkt die Virulenzfaktoren der Krankheitserreger an oder stören die regulatorischen Systeme eines Bakterienstamms. Damit Biotherapeutika an ihre Wirkorte kommen, müssen sie Zellmembranen überwinden. Dabei helfen spezielle Peptide.
<h2>Proteinvermittelte dynamische kombinatorische Chemie</h2>Targetvermittelte Synthese ist eine leistungsfähige Methode, um Hits zu identifizieren. Dabei wählt das biologische Target selbst seinen Liganden.1) Es gibt zwei unterschiedliche Ansätze: dynamisch kombinatorische Chemie (dynamic combinatorial chemistry, DCC)2,3) und kinetische targetvermittelte Synthese (kinetic target-guided synthesis, KTGS).4,5)In der KTGS beteiligt sich das Target aktiv an der Selektion des Liganden, indem es diesen aus einer Bausteinbibliothek in einer irreversiblen Reaktion zusammenbaut. In der DCC wählt das Target den besten Binder aus einer Bibliothek reversibel verknüpfter Bausteine.DCC hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten als leistungsstark herausgestellt, um Liganden für biologische Targets zu identifizieren.6–8) Mit der Methode lässt sich eine dynamische kombinatorische Bibliothek (dynamic combinatorial library, DCL) erstellen, in der die Verknüpfungen zwischen den Bausteinen reversibel und im chemischen Gleichgewicht sind. Das biologische Target kann den oder die besten Binder aus der DCL wählen, was nach Le Châteliers Prinzip zu dessen oder deren Amplifikation führt (Abbildung 1, S. 282).<figure><img src="https://media.graphcms.com/HzyiKlzqQquFUvSJJpH6"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Proteinvermittelte dynamisch kombinatorische Chemie basierend auf Acylhydrazonbildung.</figcaption></figure>
Seit ihrer Entdeckung in den 1990ern ist die DCC auf unterschiedliche biologische Targets angewendet worden. Dazu diente eine wachsende Zahl biokompatibler Reaktionen, die in bestimmten pH-Bereichen reversibel sind. In der Folge stehen dem Medizinalchemiker – je nach pH-Toleranz des biologischen Targets – einige Reaktionen zur Verfügung. Für die Analyse der DCLs eignen sich mehrere Methoden, darunter Flüssigchromatographie, Massenspektrometrie, NMR-Spektroskopie, Größenausschlusschromatographie, Fluoreszenzspektroskopie oder Kristallographie.<h2>Schwierigkeiten</h2>Ein Engpass bei der proteinvermittelten DCC ist die Analyse der DCL, weshalb die meisten Beispiele in der Literatur recht kleine Bibliotheken mit typischerweise 20 bis 40 Verbindungen betreffen. Gelänge es, die Bibliotheken zu vergrößern, sollte sich DCC zu einer effizienteren und breiter genutzten Methode in der Wirkstoffforschung entwickeln. Bisher unterscheiden sich die Strukturen der DCLs wenig, weshalb neue biokompatible Reaktionen erforderlich sind.Eine größere Auswahl an biokompatiblen reversiblen Reaktionen sollte auch Systeme ermöglichen, die mit zwei Reaktionen gleichzeitig zwei Proteintaschen adressieren können. Dazu müssen beide Reaktionen bei gleichem pH-Wert reversibel sein.Damit sich DCC als Methode durchsetzt, muss sie mit solchen Proteinen funktionieren, die schwierig zu exprimieren oder instabil sind. Zudem müssen dabei unerwartete oder komplett neue Strukturklassen als Inhibitoren eines biologischen Targets entstehen.<h2>Synergistische Kombinationen</h2>Durch den dynamischen Aspekt der DCC bietet es sich an, sie mit anderen, etablierten Methoden zur Identifizierung von Hits zu kombinieren, sodass sich Synergien ergeben.Wir haben in den letzten Jahren vor allem drei Kombinationsansätze verfolgt: DCC in Kombination mit de novo strukturbasiertem Design (SBD),9) mit Fragmentwachstum10) sowie mit Fragmentverknüpfung und -optimierung.11) In allen Fällen diente die Aspartylprotease Endothiapepsin als Modellenzym, da es leicht in großen Mengen verfügbar, robust und einfach zu kristallisieren ist. Zudem behält es in Lösung bei Raumtemperatur mehr als 20 Tage seine Aktivität.<h2>Strukturbasiertes Design</h2>SBD ist eine etablierte Methode, Hemmstoffe für biologische Targes zu entwerfen und zu optimieren. Die meisten Berichte über SBD befassen sich mit der Optimierung eines anfänglichen Hits. Es gibt nur wenige Berichte über De-novo-SBD, da dies als risikoreich gilt. Mit Sättigungstransferdifferenz(STD)-NMR-Spektroskopie und DCC haben wir aus einer Bibliothek möglicher Hemmstoffe (Acylhydrazone) die besten Binder für die Aspartylprotease Endothiapepsin identifiziert. Den vorhergesagten Bindungsmodus der beiden stärksten Hemmstoffe (1) und (2) haben Cokristallstrukturen bestätigt. Demnach ist die Kombination von De-novo-SBD und DCC effizient und synergistisch (Abbildung 2a). Folglich sollte die Identifizierung von Hits in unterschiedlichen medizinalchemischen Projekten schneller werden, da das System so flexibler ist und sich so Designhypothesen testen und Taschen des Targets erkunden lassen.9)<figure><img src="https://media.graphcms.com/Lu08qNPT7KFOmtiF3NN3"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Mit dynamisch kombinatorischer Chemie gefundene Acylhydrazone: a) als Binder von Endothiapepsin in Kombination mit de novo strukturbasiertem Design, b) mit Fragmentverknüpfung und -optimierung, c) mit dem Transmembranprotein ThiT zum Füllen flexibler Proteintaschen, d) Inhibitor der UDP-Galactopyranosemutase.</figcaption></figure>
<h2>Fragmentverknüpfung</h2>Fragmentbasiertes Wirkstoffdesign (FBWD)12) liefert pharmakologisch aktive Substanzen für unterschiedliche Targets. Die Verknüpfung zweier Fragmente wird nur selten verwendet, da sie als anspruchsvoll gilt. Dennoch ist diese Strategie attraktiv, da man bei geeigneter Fragmentverknüpfung auf Superadditivität hoffen darf. Für die Anwendung der Fragmentoptimierung und des Fragmentwachstums hingegen gibt es Beispiele:Nachdem uns Fragmentwachstum gelungen war,10) haben wir uns an die Fragmentverknüpfung gewagt. Anhand von Röntgenkristallstrukturen zweier durch Klebe und Mitarbeiter identifizierter, Endothiapepsin bindender Fragmente13) sind wir mit DCC zu einem Hemmstoff (3) mit einem IC50-Wert von 54 nM gelangt. Das entspricht einer 240-fachen Verbesserung der Aktivität gegenüber den Ausgangsfragmenten (1) und (2). Nach dem ersten Bericht von Greaney und Mitarbeitern ist dies das zweite Beispiel von Bisacylhydrazonen in Protein-vermittelter DCC.14) Eine Röntgenkristallstruktur des stärksten Hemmstoffs im Komplex mit Endothiapepsin hat den vorhergesagten Bindungsmodus bestätigt.11)<h2>Anspruchsvolle Targets</h2>Neben den Kombinationsansätzen mit De-novo-SBD und Fragmentverknüpfung gibt es eine Reihe bisher ungenutzter Anwendungen. Dazu gehört das Füllen flexibler Proteintaschen und die Anwendung auf ein Transmembranprotein, die uns kürzlich gelungen ist.15) DCC ist demnach auch mit Transmembranproteinen kompatibel, und Herausforderungen wie das Füllen einer flexiblen Tasche, die mit klassischen Methoden wie SBD schwierig sind, lassen sich so meistern.Um den Anwendungsbereich der biologischen Zielmoleküle zu erweitern, haben wir das Protein ThiT als Target verwendet. ThiT ist die substratbindende Komponente des Energie-Kopplungsfaktortransporters für Thiamin. Wegen der pH-Toleranz haben wir eine voräquilibrierte DCL verwendet und diese mit STD-NMR-Spektroskopie bei pH 7,0 analysiert, um neue Binder für ThiT zu finden (Verbindung 4, Abbildung 2). So haben wir die Technik auf ein weiteres integrales Membranprotein angewendet und dabei zum ersten Mal eine möglicherweise flexible leere Tasche gefüllt. Unsere Arbeit ist auch eines der ersten Beispiele für die Analyse eines Transmembranproteins mit STD-NMR-Spektroskopie und das erste, in dem ein Detergens anstelle von Liposomen das Protein stabilisiert haben.<h2>Vielversprechende ungenutzte Anwendungen</h2>Vincent und Mitarbeiter haben DCC mit hocheffizientem In-situ-Screening kombiniert, um Inhibitoren der UDP-Galactopyranosemutase zu identifizieren. Damit haben sie eine völlig neue Strukturklasse für solch ein wichtiges therapeutisches Target entdeckt. Dieses Target ist essenziell für die Zellwandbiosynthese des Tuberkuloseerregers Mycobacterium tuberculosis. Die beste Verbindung (5) ist nicht nur hochaffin für das Target, sondern auch in zellbasierten Tests gegen das Bakterium aktiv.<h2>Vitakasten</h2>Anna K. H. Hirsch, Jahrgang 1982, studierte an der Universität Cambridge Naturwissenschaften. Sie promovierte an der ETH Zürich bei François Diederich. Nach einem Postdocaufenthalt bei Jean-Marie Lehn in Straßburg wurde sie im Jahr 2010 an der Universität Groningen Assistant und 2015 Associate Professor. Seit 2017 leitet sie am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland die Abteilung Wirkstoffdesign und Optimierung und ist Professorin an der Universität des Saarlandes. Sie entwickelt Strategien, um Leitstrukturen zu identifizieren und zu optimieren, das Ziel sind neue Antiinfektiva.<div><img src="https://media.graphcms.com/Cw1NwG6HS92OpSMDrpgw">

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<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 M. Jaegle, E. L. Wong, C. Tauber, E. Nawrotzky, C. Arkona, J. Rademann, Angew. Chemie Int. Ed. 2017, 56, 7358.</li><li>
2 J.-M. Lehn, Chem. Soc. Rev. 2007, 36, 151.</li><li>
3 J. Li, P. Nowak, S. Otto, J. Am. Chem. Soc. 2013, 135, 9222.</li><li>
4 D. Bosc, J. Jakhlal, B. Deprez, R. Deprez-Poulain, Future Med. Chem. 2016, 8, 381.</li><li>
5 E. Oueis, C. Sabot, P.-Y. Renard, Chem. Commun. 2015, 51, 12158.</li><li>
6 A. Herrmann, Chem. Soc. Rev. 2014, 43, 1791.</li><li>
7 M. Mondal, A. K. H. Hirsch, Chem. Soc. Rev. 2015, 44, 2455.</li><li>
8 R. van der Vlag, A. K. H. Hirsch, Concepts in Supramolecular Chemistry II, Elsevier, 2017, 5, 487.</li><li>
9 M. Mondal, N. Radeva, H. Köster et al. Angew. Chem. Int. Ed. 2014, 12, 3259.</li><li>
10 M. Mondal, D. E. Groothuis, A. K. H. Hirsch, MedChemComm 2015, 6, 1267.</li><li>
11 M. Mondal, N. Radeva, H. Fanlo-Virgós, S. Otto, G. Klebe, A. K. H. Hirsch, Angew. Chem. Int. Ed. 2016, 55, 9422.</li><li>
12 H. Köster, T. Craan, S. Brass et al. J. Med. Chem. 2011, 54, 7784.</li><li>
13 A. J. Clipson, V. T. Bhat, I. McNae, A. M. Caniard, D. J. Campopiano, M. F. Greaney, Chem. Eur. J. 2012, 18, 10562.</li><li>
14 D. A. Erlanson, S. W. Fesik, R. E. Hubbard, W. Jahnke, H. Jhoti, Nature Rev. Drug Discov. 2016, 15, 605.</li><li>
15 L. Monjas, L. J. Y. M. Swier, I. Setyawati, D. J. Slotboom, A. K. H. Hirsch, ChemMedChem 2017, 12, 1693.</li><li>
16 J. Fu, H. Fu, M. Dieu et al., Chem. Commun. 2017, 53, 10632.</li></ul>

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