Wissenschaft & Forschung

<p>&Uuml;ber das gesamte Jahr verteilt publiziert die Redaktion der <em>Nachrichten aus der Chemie</em> Trendberichte &uuml;ber alle chemischen Disziplinen hinweg.</p>

Trendberichte

Trendbericht

Trendbericht Technische Chemie

Merkmale der technischen Chemie sind vor allem das Verknüpfen von Prozessen auf unterschiedlichen Skalen und der interdisziplinäre Charakter. Der Trendbericht zeigt, wie aktuell diese verbindenden Funktionen der technischen Chemie sind. Modellierung und SimulationDie Modellierung und Simulation b...

<p>Um zu ermitteln, wie groß Tumore sind und wie sie sich im umliegenden Gewebe ausgebreitet haben, nutzen Mediziner bisher Diagnostikverfahren, bei denen dem Patienten Kontrastmittel verabreicht wird oder er Strahlung ausgesetzt wird. Das könnte sich nun ändern.</p>
<p>Glukose ist die wichtigste Energiequelle menschlicher Zellen. Tumorzellen haben aufgrund der erhöhten Zellteilungsrate einen deutlich höheren Glukosebedarf (siehe Kasten). Wir wollten uns diesen Effekt zu nutze machen und haben daher eine Magnetresonanz(MR)-basierte Untersuchungsmethode entwickelt, die zeitlich und räumlich hochaufgelöste Bilder von Tumoren liefert und auf natürlicher, nicht radioaktiv markierter Glukose basiert.</p><h2>Kernspintomographie mit Glukose als Kontrastmittel</h2><p>Mit konventioneller Magnetresonanz-Bildgebung oder MR-Spektroskopie lässt sich Glukose wegen der geringen Sensitivität dieser Methoden und der geringen In-vivo-Glukosekonzentration nicht oder nur bedingt detektieren.</p><p>Die für chemischen Austausch empfindliche Chemical-Exchange-sensitive-Spin-Lock(CESL)-Technik ermöglicht jedoch, das schwache Signal niedrig konzentrierter Glukose indirekt zu detektieren, also bis etwa 5 mmol · L<sup>–1</sup>. Dabei ist entscheidend, dass die fünf Glukose-Hydroxylgruppen und das freie Wasser spontan Protonen austauschen (Abbildung 1). Dieser Vorgang erzeugt in der CESL-Bildgebung einen Kontrast, der sich proportional zur lokalen Glukosekonzentration verhält. Die Spin-Lock-Präparierung und die indirekte Detektion der Glukose über das Wassersignal verstärken dabei das Signal verglichen mit der konventionellen direkten Detektion.<sup>2)</sup></p><figure><img src="https://media.graphcms.com/WS4XWgyCRdKufsjbufNn"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Chemischer Protonenaustausch: Der spontane Austausch von Protonen der fünf Hydroxylgruppen der Glukose und der Protonen des freien Wassers bildet die Grundlage der glukoseverstärkten Magnetresonanzbildgebung.</figcaption></figure>
<p>Um die lokale Glukoseaufnahme im menschlichen Gehirn darzustellen, muss die Glukose intravenös verabreicht werden; anschließend wird dynamisch gemessen. Der Patient liegt dabei in einem handelsüblichen MR-Tomographen, der jedoch eine höhere Feldstärke hat als in der Klinik üblich (7 statt 1,5 oder 3 Tesla).</p><p>Eine glukoseverstärkte MR-Bildgebung hat drei Phasen:</p><p>In der ersten Phase, während der Messung der Grundlinie, wird über mehrere Minuten das Ausgangssignal bestimmt, das von der natürlich vorhandenen intrazerebralen Glukosekonzentration im Gehirn kommt (etwa 5 mmol · L<sup>–1</sup>).</p><p>In der zweiten Phase, der Injektionsphase, spritzt ein Arzt über zwei Minuten eine konventionell in der Klinik verwendete elektrolytfreie 20%ige Glukoseinfusionslösung in die Vene des Patienten. In dieser Phase werden kontinuierlich, im Abstand von wenigen Sekunden, Bilder aufgenommen. Bedingt durch die Blutzirkulation im menschlichen Körper sind erste Signalveränderungen in der Regel bereits nach weniger als 30 Sekunden festzustellen.</p><p>Die dritte Phase, die Abklingphase, ist technisch eine reine Fortführung der zweiten Phase, da hier weiterhin in 6-Sekunden-Abständen Bilder über einen Zeitraum von zirka 15 Minuten aufgenommen werden.</p><p>Der resultierende glukoseverstärkte MR-Kontrast wird aus Bildern, die vor und nach der Injektion aufgenommenen wurden, mit selbst geschriebener Software berechnet.<sup>3)</sup> Abbildung 2 zeigt die Ergebnisse einer repräsentativen Patientenmessung.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/BbA8XdTVBQG9anwOhHgE"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Glukose-MRT-Untersuchung am Beispiel eines Patienten mit Hirntumor (Glioblastom). Konventionelle native (a) und mit Gadoliniumkontrastmittel verstärkte (b) Bildgebung im Vergleich zur glukoseverstärkten MRT (c). Im Tumorgewebe steigt das Signal (d, rote Linie) gegenüber normal erscheinendem Gewebe der weißen Substanz (normal appearing white matter = NAWM, blaue Linie).<sup>3)</sup>. Die Injektionsphase ist in Abbildung 2d rot eingezeichnet; die Phase der Grundlinienmessung und die Abklingphase sind entsprechend links beziehungsweise rechts von der Injektionsphase.</figcaption></figure>
<h2>Glukose-MRT bei Tumorpatienten und gesunden Probanden</h2><p>Die dynamische glukoseverstärkte MR-Bildgebung (dynamic glucose-enhanced magnetic resonance imaging, DGE-MRI) ermöglicht erstmals, die Glukoseaufnahme im Gehirn hochaufgelöst zu visualisieren, ohne radioaktive Isotope zu verwenden.<sup>4)</sup> In einer klinischen Studienkohorte bei Patienten mit Glioblastomen, einer Sorte bösartiger Hirntumore, ließ sich dadurch der krankhaft erhöhte Glukosebedarf der Tumoren gegenüber gesundem Gewebe darstellen. Dadurch ließen sich Tumorareale mit signifikant gesteigerter Glukoseaufnahme identifizieren. Die Ergebnisse bestätigten eine amerikanische Pilotstudie: Dabei wurden mit einer ähnlichen MR-Methode erhöhte Glukosekonzentrationen in Hirntumoren gemessen, nachdem der Zucker intravenös verabreicht worden war.<sup>5)</sup> Untersuchungen dazu laufen. Sofern sich die Annahme bestätigt, dass es sich dabei um Areale besonders hoher Zellteilungsraten und aggressiven Wachstums handelt, könnte das Verfahren entscheidende Beiträge zu Therapieplanung und Verlaufsbeurteilung liefern.</p><p>Sowohl bei Tumorpatienten als auch bei gesunden Probranden ist mit der Messmethode zu erkennen, dass graue Hirnsubstanz mehr Glukose aufnimmt als weiße, was die Empfindlichkeit der Methode unterstreicht.<sup>3,4)</sup> Ob die gemessene Effektstärke auch reicht, um das Aktivitätsniveau lokaler Hirnregionen zu unterscheiden, sollen weitere Studien zeigen.</p><h2>Diskussion und Schlussfolgerungen</h2><p>Im Gegensatz zu gadoliniumbasierten Kontrastmitteln, die auf den das Gefäßinnere sowie auf Zellzwischenräume in menschlichen Geweben beschränkt sind, gelangt Glukose in das Zellinnere. Dadurch kann die glukoseverstärkte MR-Bildgebung prinzipiell sowohl die Glukoseanflutung über die Gefäße (Perfusion) abbilden als auch intrazelluläre Stoffwechselvorgänge. Unsere Untersuchungen gesunder Probanden und Tumorpatienten weisen darauf hin, dass alle drei Kompartimente, also Gefäße, Zellzwischenräume und Zellinneres, zum Signal beitragen. Diese Annahme basiert auf der Beobachtung, dass die Tumorregionen mit erhöhter Glukoseaufnahme zwar teilweise mit dem korrespondierenden gadoliniumverstärkten MRT-Bild übereinstimmen, sich jedoch auch deutlich von ihm unterscheiden (siehe Abbildung 2b, c, S. 497). Diese Beobachtung ließ sich zudem in der untersuchten Studienkohorte bestätigen, indem glukoseverstärkte und konventionelle gadoliniumverstärkte MRT verglichen wurden.<sup>4)</sup> Weitere Untersuchungen in größeren Studienkollektiven sind notwendig, um den Ursprung des Glukosesignals sowie den potenziellen Nutzen für die klinische Routine weiter zu evaluieren.</p><p>Die bisher gewonnenen Ergebnisse zeigen: Die glukoseverstärkte MR-Bildgebung ist eine kostengünstige und für Patienten sowie medizinisches Personal ungefährliche Alternative zu diagnostischen Verfahren, die konventionelle Kontrastmittel oder radioaktive Isotope nutzen. Darüber hinaus liefert sie ergänzende Informationen. Die Technik könnte daher in Zukunft angewendet werden, um die Entnahme von Gewebeproben aus aktiven Tumorarealen zu lotsen, um Therapien zu planen und den Verlauf von Krebserkrankungen zu kontrollieren.</p><h2>Quergelesen</h2><p>Ein neues Bildgebungsverfahren benötigt weder einen Gadoliniumkomplex wie die konventionelle Magnetresonanztomographie noch <sup>18</sup>F-markierte Glukose für die Positronenemissionstomographie: als Marker dient herkömmliche Glukose. Das funktioniert, weil Krebszellen mehr Zucker brauchen als normale Zellen.</p><p>Dabei wird genutzt, dass die Wasserstoffatome der OH-Gruppen des Zuckers mit denen des umgebenden freien Wassers austauschen.</p><p>Die Lösung wird dem Patienten injiziert. Davor, dabei und anschließend wird die Magnetresonanz gemessen. Die Spektren werden verglichen und so Lage und Größe des Tumors ermittelt.</p><h2>Energiebedarf von Krebszellen</h2><p>Dass Krebszellen mehr Glukose benötigen als normale Zellen, wird in der Literatur als Warburg-Effekt bezeichnet (Abbildung). Otto Warburg stellte fest, dass Tumorzellen, unabhängig vom verfügbaren Sauerstoff, Energie zu mehr als 85 Prozent durch Glykolyse, also den Abbau von Monosacchariden, und Laktatbildung erzeugen.<sup>1)</sup> Diese Variante der Energiegewinnung weicht von gesunden Zellen ab, da diese den wesentlichen Anteil der Energie im Rahmen der sauerstoffabhängigen Atmungskette in den Mitochondrien gewinnen. Demzufolge haben Krebszellen einen hochgradig ineffizienten Energiestoffwechsel, was im Gegensatz zum erhöhten Bedarf steht. Die Konsequenz: Tumore benötigen deutlich mehr Glukose als gesundes Gewebe.</p><p>In der klinischen Routine wird dieser Effekt seit mehreren Jahrzehnten genutzt, um Tumorerkrankungen mit <sup>18</sup>F-Fluordesoxy-Glukose-Positronenemissionstomographie (FDG-PET) zu detektieren und zu beurteilen. Die PET-Bildgebung ist jedoch durch eine relativ geringe räumliche Auflösung limitiert, zudem ist der Patient ionisierender Strahlung ausgesetzt.</p><p>Der Warburg-Effekt: Gesunde Zellen produzieren Energie in Form von Adenosintriphosphat (ATP) hauptsächlich über die sauerstoffabhängige Atmungskette in den Mitochondrien. Krebszellen hingegen gewinnen Energie unabhängig vom verfügbaren Sauerstoff zu mehr als 85 Prozent durch Glykolyse und Laktatbildung. Diese ineffiziente Energiegewinnung führt beim gleichzeitig gesteigerten Energiebedarf zu einem hohen Glukoseumsatz.</p><h2>Vitakasten</h2><p>Daniel Paech, Jahrgang 1986, studierte parallel Physik (Diplom 2011) und Medizin (Ärztliche Approbation 2015) an der Universität Heidelberg. Seine medizinische Dissertation schloss er im Juni 2015 ab. Seit Januar 2016 arbeitet er als Arzt und Wissenschaftler am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, seit Januar 2017 leitet er dort das 7-Tesla-Forschungs-MRT. <a href="mailto:d.paech@dkfz.de">d.paech@dkfz.de</a></p><div><img src="https://media.graphcms.com/i1aJCiysTq64TaSJVbBE">

</div><p></p><p>Patrick Schünke, Jahrgang 1986, studierte Physik an der Universität Heidelberg und schloss seine Promotion im Juni 2017 ab. Seitdem arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, wo er sich hauptsächlich mit der Entwicklung und Erprobung neuer MR-Kontraste beschäftigt.</p><div><img src="https://media.graphcms.com/QDhIvt29SbKik4bCyaHc">

</div><p></p>
<ul><h2>Literatur</h2><li>
<sup>1 </sup>O. Warburg, Naturwissenschaften 1924, 12(50), 1131–1137.</li><li>
<sup>2 </sup>P. Schuenke, C. Koehler, A. Korzowski et al., Magnetic Resonance in Medicine 2017, 1, 215–225.</li><li>
<sup>3 </sup>P. Schuenke, D. Paech, C. Koehler et al., Scientific Reports 2017, 7, 42093.</li><li>
<sup>4 </sup>D. Paech, P. Schuenke, C. Koehler et al., Radiology 2017, 1–9.</li><li>
<sup>5 </sup>X. Xu, N. N. Yadav, L. Knutsson et al., Tomography: a journal for imaging research 2015, 1, 105.</li></ul>


Trendbericht

Trendbericht Technische Chemie

Modellierung und Simulation

Überprüfung Ihres Anmeldestatus ...