Wissenschaft & Forschung

Prof.Dr.

<p>Lösen gefräßige Wachsmottenlarven unser globales Müllproblem? Oder sind die Daten löchrig?</p>
<p>Am Mittag des 25. April 2017 ereilte mich die Interview-Anfrage eines großen deutschen Fernsehsenders. Gefragt war meine Einschätzung zu einem sensationellen wissenschaftlichen Fund: Wie Forscher aus Spanien und England in der Fachzeitschrift Current Biology berichtet hatten, fressen und verdauen die Larven der Großen Wachsmotte (Galleria melonella, Abbildung 1) Polyethylen.<sup>1)</sup> Der Artikel war gerade erschienen und wollte erst einmal gefunden und gelesen werden. Die Zeit drängte, denn das Interview sollte innerhalb weniger Stunden stattfinden, um es noch in die Abendnachrichten zu schaffen.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/dsKiaTyxR7u2GCSSvvKG"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Larven der Großen Wachsmotte, Galleria melonella. <named-content>Foto: Holger/Fotolia</named-content></figcaption></figure>
<p>Die Relevanz dieser Entdeckung war offensichtlich: Das reaktionsträge Polymer wird jährlich in riesigen Mengen in die Umwelt freigesetzt und reichert sich dort an. Allein in die Ozeane gelangen jährlich zwischen fünf und dreizehn Tonnen.<sup>2)</sup></p><p>Die in der Arbeit gezeigten Daten wirkten auf den ersten Blick seltsam. Als ich den Journalisten am Telefon meine Bedenken mitteilte, bedeuteten sie mir, dass sie sich dann eventuell einen anderen Experten für diese sensationelle Story suchen würden.</p><p>Das Interview kam doch noch zustande. Der faszinierenden und potenziell hoch wichtigen Entdeckung des biologischen Abbaus eines der langlebigsten Kunststoffe stellte ich in der Diskussion mit dem Kamerateam deutlich meine Bedenken und Skepsis gegenüber. Die Kritik war wohl zu lang: Wie sich in den Abendnachrichten zeigte, hatte es für mehr als sieben unausgewogene Sendesekunden nicht gereicht.</p><p>In dem Originalartikel waren mir indes weitere Ungereimtheiten aufgefallen. Das, zusammen mit dem Ärger über den Schnitt des Interviews, motivierte mich, die Sache detaillierter anzuschauen und selbst zu experimentieren.</p><h2>Daten in der Originalpublikation</h2><p>Wie Bombelli und Coautoren beobachtet hatten, beißen sich Larven der Großen Wachsmotte durch Tüten aus Polyethylen. Dieser Umstand war zwar bekannt, aber es gab keine Daten über das Schicksal des gefressenen Polyethylens. Um dies zu ergründen, hatten die Wissenschaftler einige tiefgefrorene Larven zerstoßen und mit dem aufgetauten Larvenmus eine Polyethylenoberfläche bestrichen. Nach einiger Zeit schabten sie den Brei wieder ab und spülten die Oberfläche mit destilliertem Wasser. Diese Prozedur wiederholten sie dann noch siebenmal. Nach der finalen Trocknung untersuchten sie das Stück Kunststoff.</p><p>Ein wichtiger Hinweis war die als signifikant bezeichnete Massenabnahme von 13 Prozent, zudem hatte die mikroskopische Oberflächenrauigkeit zugenommen, wie Rasterkraftmikroskopie zeigte. In Infrarotspektren, die nach der Behandlung der Oberfläche mit Larvenmus gemessen wurden, traten neue Banden auf.</p><p>Schließlich hatten die Autoren die Oberfläche noch mit Acetonitril gewaschen und die erhaltene Lösung mit Elektrospray-Massenspektrometrie untersucht. In den ESI-Spektren der Lösung fanden die Autoren Signale, die sie als Abbauprodukte des Kunststoffs interpretierten, aber nicht näher bezeichneten. Aus eigener Erfahrung mit der Methode kam ich zu einem anderen Schluss: Die Massepeaks schienen mir lediglich auf Grundrauschen zu beruhen, das auch im Kontrollexperiment zu sehen ist.</p><h2>Eine Frage der Interpretation</h2><p>Das Infrarotspektrum zeigte ein breites Signal bei 3300 cm<sup>–1</sup>, eine Frequenz, bei der Verbindungen mit O-H- oder N-H-Bindungen absorbieren (Abbildung 2). Aus Sicht der Autoren war diese kaum spezifische Bande jedoch ein untrügliches Zeichen, dass das Polyethylen zu Ethylenglykol (1,2-Ethandiol, HO-CH<sub>2</sub>-CH<sub>2</sub>-OH) abgebaut worden war. Dies erscheint aus mehreren Gründen ungewöhnlich: Erstens ist Ethylenglykol hoch polar und bestens wasserlöslich, wäre durch die Waschprozedur also von der Oberfläche gespült worden. Zweitens ist Ethylenglykol zwar theoretisch ein Oxidationsprodukt von Polyethylen – da es sich aber leichter oxidieren lässt als dieses, würde man eher eine weitere Metabolisierung erwarten. Drittens müssten in den Infrarotspektren neben der Bande bei 3300 cm<sup>–1</sup> weitere charakteristische Banden des Ethylenglykols zu sehen sein. Ein Vergleichsspektrum dieser leicht verfügbaren Chemikalie fehlte aber im Artikel.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/fwCzx5nKQIOkIxlnxSQS"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Infrarotspektren von unbehandeltem und behandeltem Poylethylen. Oben: vor (schwarz) und nach (rot) Behandlung mit Eigelb nach Weber und Kollegen. Kästen unten: vor (schwarz) und nach (rot) Behandlung mit Larvenmus nach Bombelli und Kollegen. Blau: Regionen, die angeblich Abbauprodukte des Polymers zeigen. <named-content>Abbildung 2 mit freundlicher Genehmigung von Elsevier</named-content></figcaption></figure>
<h2>Kontrollexperimente</h2><p>Für die durch die Raupenbehandlung neu hinzugekommenen IR-Banden gibt es eine einfachere Erklärung: Sie passen nämlich zur spektralen Signatur von Fett und Proteinen. Zwei meiner Doktoranden führten Kontrollexperimente durch (Abbildung 3). Zunächst maßen sie IR-Spektren von Polyethylen mit und ohne Ethylenglykol, um die Signale dieses vermuteten Abbauprodukts genau zu lokalisieren. Dann brachten sie Eigelb und Hackfleisch als leicht verfügbare Fett-Protein-Mischungen auf Polyethylen auf und registrierten ebenfalls Infrarotspektren. Die Resultate dieser Kontrollexperimente bestätigten den Verdacht: Ethylenglykol zeigt zwar eine breite Bande um 3300 cm<sup>–1</sup>, aber auch vier weitere scharfe Banden, die in den veröffentlichten Spektren fehlen. Stattdessen ähnelten diese den IR-Spektren des mit Hackfleisch und insbesondere mit Eigelb behandelten Polyethylens. Die neuen Banden traten nicht nur bei der gleichen Frequenz auf, sie hatten sogar die gleiche relative Intensität.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/oETpDOiaQfu0D1ALcstz"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Carina Weber und Stefan Pusch, die Autoren der Vergleichsstudie, führen die Kontrollmessungen durch. <named-content>Foto: Till Opatz</named-content></figcaption></figure>
<p>Es gibt durchaus Grund zu der Annahme, dass Mikroorganismen oder Enzyme aus den Larven der Wachsmotte Polyethylen abbauen könnten. Dieser Kunststoff ist dem Bienenwachs, durch das sich die Motten in der Natur beißen, chemisch ähnlich. Zudem hatten andere Forscher zuvor den Abbau weniger stabiler Polymere durch Insekten und Bakterien mit aussagekräftigeren Methoden untersucht und zum Teil auch belegen können. Allerdings war die Abbaugeschwindigkeit dort teils extrem niedrig, es wurden 0,5 Prozent Polyethylen in zwei Jahren abgebaut.<sup>3)</sup> Bombelli und Kollegen beschreiben einen Massenverlust von 13 Prozent innerhalb von vierzehn Stunden, also mehr als 30 000-mal schneller.</p><p>Wir schrieben einen Leserbrief an Current Biology, den wir vorab auch den Autoren der Originalarbeit zusandten. Leider erhielten wir von den Autoren keine Antwort. Unser Leserbrief erschien, begleitet von einer ausweichenden Replik der Autoren des Originalartikels, in derselben Ausgabe der Zeitschrift.<sup>4,5)</sup></p><p>Mit unseren bescheidenen Daten können wir nicht ausschließen, dass Wachsmottenlarven Polyethylen verdauen. Aber belegen die Daten von Bombelli und Coautoren diese Hypothese? Bis auf den Masseverlust, für den vielleicht mechanischer Abrieb verantwortlich ist, lassen sich die Messungen einfacher erklären. So blieben möglicherweise Überreste der Raupenbiomasse auf dem Plastikfilm haften und wurden detektiert. Um den Sachverhalt eindeutig zu klären, könnte man isotopenmarkiertes Polyethylen verfüttern und untersuchen, ob und in welchem Maß ein Abbau zu CO<sub>2</sub> oder ein Einbau in die Larven stattfindet.</p><h2>Was gut klingt, wird mehr beachtet</h2><p>Der Originalartikel in Current Biology löste weltweit ein enormes Medienecho aus. Er erschien in Hunderten von Zeitungsmeldungen, Radiobeiträgen und Fernsehnachrichten und war Gegenstand tausender Meldungen in sozialen Medien. Die Diskussion über die Stichhaltigkeit der Daten erzeugte nur einen Bruchteil der Resonanz.</p><p>Natürlich kann man nicht erwarten, dass eine methodisch einfache Studie ebenso verbreitet wird, besonders, wenn sie keine klare Aussage wie „Wachsmotten fressen doch kein Plastik“ im Titel führt. Dennoch weist diese Diskrepanz unabhängig vom konkreten Fall auf ein Problem hin, das nicht nur die Populärwissenschaft betrifft: Spektakuläre Nachrichten sind beliebter und besser verkäuflich als eine differenzierte Betrachtung.</p><p>Neben den Unzulänglichkeiten des Peer-review-Verfahrens zur Begutachtung wissenschaftlicher Veröffentlichungen birgt auch die Bevorzugung attraktiver Ergebnisse durch Öffentlichkeit und Fachwelt Risiken. Wohl jeder Wissenschaftler kennt Studien, die sich nicht wiederholen lassen. Allzu oft wird darüber nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen. Vielleicht liegt es ja am eigenen experimentellen Ungeschick, wenn die publizierten Experimente nicht reproduzierbar sind. Zudem hat offene Kritik an Fachkollegen den Ruch der Nestbeschmutzung. Wissenschaftler kämpfen mit Politik und Verwaltung um Finanzmittel, wissenschaftsinterne Konflikte könnten die eigene Position oder das gemeinsam beforschte Gebiet in Frage stellen.</p><h2>Die Sichtbarkeit von Kritik</h2><p>Das Erfolgsrezept der Wissenschaft – und nach Karl Popper auch der entscheidende Unterschied zur Pseudowissenschaft – ist die experimentelle Überprüfbarkeit oder eigentlich die fehlende Falsifizierbarkeit der von ihr aufgestellten Hypothesen. Immer raffiniertere Experimente sollten zu einer sukzessiven Annäherung an das Konzept der Wahrheit führen.</p><p>Da die Wissenschaft ihre Kraft aus der Transparenz der Resultate bezieht, ist es kritisch, dass Fachzeitschriften positive Befunde bevorzugen. Wissenschaftsverlage sollten moralisch verpflichtet sein, ausreichend dokumentierte Kritik an gleicher Stelle zu veröffentlichen. Leider geschieht das nicht immer: Fundierte Kritik scheitert an einer Nutzen-Risiko-Abwägung von Verlagen oder Herausgebern, die vielleicht den bekannten Originalautor nicht einer vermeintlichen Demontage aussetzen wollten. Eine mildere und oft genutzte Variante ist, Kritik an weniger prominenter Stelle zu veröffentlichen oder sogar nur als Fußnote in einer thematisch anders ausgerichteten Arbeit.</p><p>Dass Manuskripte anonym begutachtet werden, kann ebenfalls eine Hürde sein, etwa wenn Nachwuchswissenschaftler Resultate allseits bekannter, etablierter Forschungsgruppen anzweifeln. Solche Asymmetrien können dazu führen, dass Leser Befunde falsch einschätzen. An Korrekturen durch Dritte werden zudem in der Regel strengere Maßstäbe gelegt als an Originalarbeiten.</p><h2>Konsequenzen falscher Daten</h2><p>Welche negativen Konsequenzen können fehlerhafte Daten und Aussagen in der Chemie haben? Die Verschwendung von Ressourcen für vergebliche Reproduktionsversuche ist offensichtlich. Was jedoch manchmal übersehen wird: Vermeintliche Lösungen eines Forschungsproblems verhindern, dass an tatsächlichen Lösungen gearbeitet wird. Fördermittel werden nur für Projekte bewilligt, die über den Stand der Forschung hinausgehen. Ist der Stand der Forschung aber falsch definiert, sind gute Argumente und umfangreiche Vorarbeiten nötig, um den Gutachtern die Projekte schmackhaft zu machen. Will man später die eigenen Ergebnisse veröffentlichen, tritt man wiederum gegen die Literatur an. Ist eine tragfähige Problemlösung mühsamer als eine bereits veröffentlichte vermeintliche Lösung, hat sie ohnehin einen schweren Stand. Unwidersprochene Fehler wirken somit nicht nur negativ auf die Leistungsfähigkeit des Wissenschaftsbetriebs, sie setzen zudem seine gesamte Glaubwürdigkeit aufs Spiel.</p><h2>Der Sensationseffekt</h2><p>Soll die Wissenschaft möglichst spektakuläre Erkenntnisse bringen, leiden deren Qualität und Richtigkeit darunter. Dennoch belohnen Fachjournale wie Massenmedien vor allem aufsehenerregende Studien mit Aufmerksamkeit. In einigen Ländern bestimmen herausragende Publikationen das Gehalt der Forscher, andernorts zumindest ihr Forschungsbudget.</p><p>Der Druck, spektakuläre Ergebnisse und Lösungen für tagesaktuelle Probleme zu entwickeln, führt oft genug zum gewünschten Ergebnis. Und es muss nicht einmal Betrug im Spiel sein: Bereits der Bestätigungsfehler – also die Neigung, Informationen so zu interpretieren, dass sie die eigenen Erwartungen erfüllen – kann Ähnliches bewirken.</p><p>Die Rettung der Erde durch gefräßige Wachsmottenlarven muss also möglicherweise ausfallen. Die Geschichte war spektakulär und leicht verständlich – man hätte sie also besser hinterfragt.</p><h2>Was zu tun bleibt</h2><p>Wie lässt sich die Richtigkeit von Forschungsergebnissen steigern und die Wissenschaft dem Popper‘schen Ideal annähern? Ein wichtiger Beitrag wäre die Etablierung einer offenen Publikationskultur, in der das Einräumen eines Irrtums nicht als Gesichtsverlust verstanden wird, aber fundierte Kritik als üblicher Beitrag zur Sicherung und Steigerung der Qualität. Hier stehen Forscher und Verlage gleichermaßen in der Verantwortung. Leider werden viel zu selten Publikationen zurückgezogen oder auch nur korrigiert, berechtigte Kritik bleibt zu oft im Verborgenen und damit unwirksam.</p><p>Ein weiteres Problem: Die Öffentlichkeit hat oft ein falsches Bild davon, welche Art Aussagen die Wissenschaft überhaupt treffen kann, wie die wissenschaftliche Argumentationsweise funktioniert. Die Lösung ist banal: Wissenschaftler, Journalisten und Redakteure müssen die Menschen immer wieder darauf hinweisen, warum Wissenschaft dem Zweifel näher ist als der Gewissheit.</p><h2>Quergelesen</h2><p>Wachsmottenlarven fressen und verdauen Polyethylen, wie spanische Forscher meldeten. Das Medienecho war enorm.</p><p>Aber auch andere Protein-Fett-Gemische verursachen solche Signale, wie die Spanier sie gemessen hatten.</p><p>Diese andere Interpretation der Daten ging im wissenschaftlichen Diskurs wie in den Medien unter. Denn: Spektakuläres erhält mehr Aufmerksamkeit.</p><h2>Vitakasten</h2><p>Till Opatz, Jahrgang 1973, ist W3-Professor für Organische Chemie an der Universität Mainz und leitet das Naturstoffzentrum Rheinland-Pfalz.</p><div><img src="https://media.graphcms.com/1r3wHzcISDayQ0gGxq7A">

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<ul><h2>Literatur</h2><li>
<sup>1 </sup>P. Bombelli, C. J. Howe, F. Bertocchini, Curr. Biol. 2017, 27, R292–R293.</li><li>
<sup>2 </sup>J. R. Jambeck, R. Geyer, C. Wilcox et al., Science 2015, 347, 768–771.</li><li>
<sup>3 </sup>A.-C. Albertsson, J. Appl. Polym. Sci. 1978, 22, 3419–3433.</li><li>
<sup>4 </sup>C. Weber, S. Pusch, T. Opatz, Curr. Biol. 2017, 27, R744–R745.</li><li>
<sup>5 </sup>P. Bombelli, C. J. Howe, F. Bertocchini, Curr. Biol. 2017, 27, R745.</li></ul>


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Von Larven und Enten

Lösen gefräßige Wachsmottenlarven unser globales Müllproblem? Oder sind die Daten löchrig? Am Mittag des 25. April 2017 ereilte mich die Interview-Anfrage eines großen deutschen Fernsehsenders. Gefragt war meine Einschätzung zu einem sensationellen wissenschaftlichen Fund: Wie Forscher aus Spanie...

Industrie & Technik

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<p>Im Jahr 2017 gab es im Transaktionenmarkt einige Megadeals, also solche im Wert von mehr als 1 Mrd. Euro, und Analysten bewerteten Unternehmen höher als im Jahr zuvor. Das Transaktionsvolumen nahm zu, während die -anzahl sank, was eine höhere durchschnittliche Transaktionsgröße ergab. Gründe sind die Liquidität im Markt sowie nach wie vor günstige Finanzierungskonditionen. Diese Faktoren tragen zudem dazu bei, dass sich etablierte Strukturen ändern.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/rkESumlfRGScDC308akV"><figcaption><label>Abb. 1: </label><named-content>Grafik: frinx, Fotolia</named-content></figcaption></figure>
<h2>Update zu Megadeals</h2><p>Akzonobel – Axalta: Während im Herbst 2017 die Fusionsgespräche zwischen dem niederländischen Farbenhersteller Akzonobel und dem amerikanischen Konkurrenten Axalta Coating Systems gescheitert waren, signalisierten beide Unternehmen im Dezember 2017 Offenheit, die Gespräche wiederaufzunehmen. Akzonobel ist zudem gerade dabei, sich vom Bereich Specialty Chemicals zu trennen und sich dadurch noch stärker auf Farben und Lacke zu konzentrieren.</p><p>Linde – Praxair: Weiter fortgeschritten sind die Fusionsgespräche zwischen dem deutschen Industriegasehersteller Linde und Praxair, dessen amerikanischem Konkurrenten. Sie einigten sich im August 2017. Das fusionierte Unternehmen würde vor Desinvestitionen einen Umsatz von zirka 27 Milliarden Euro erreichen. Seit Februar arbeiten beide Unternehmen daran, Teile zu verkaufen, damit die Kartellbehörden die Fusion freigeben. Der Vollzug ist für Oktober zu erwarten.</p><p>Dow Chemical – Dupont: Bereits abgeschlossen ist der Zusammenschluss der US-amerikanischen Konzerne Dupont und Dow Chemical. Daraus ist der Chemieriese Dowdupont entstanden. Es ist die bisher größte Fusion, die es jemals in der Chemiebranche gegeben hat. Dieses Großunternehmen wird jedoch nicht dauerhaft bestehen. Es soll sich bis zum Jahr 2019 planmäßig in drei Konzerne teilen.</p><p>Clariant – Huntsman: Weniger erfolgreich waren die Fusionsversuche zwischen dem Schweizer Spezialchemieunternehmen Clariant und dem US-Rivalen Huntsman. Sie haben im Oktober 2017 die Gespräche abgebrochen. Verantwortlich für das Scheitern war die fehlende Unterstützung und notwendige Zweidrittelmehrheit der Clariant-Aktionäre.</p><p>Bayer – Monsanto: Bayer und der US-amerikanische Saatguthersteller Monsanto warten weiter auf die Einschätzung der Wettbewerbsregulatoren aus Indien, der Europäischen Union und den USA. Bayer möchte Monsanto für 66 Milliarden US-Dollar übernehmen.</p><p>Nach wie vor profitieren die Akteure von günstigen Finanzierungsbedingungen. Nicht nur dieses Umfeld, sondern auch die Megadeals selbst können Treiber für Folgetransaktionen sein. Verantwortlich hierfür sind etwa kartellrechtliche Anforderungen, die das Abstoßen von Unternehmenssparten erfordern. Ein weiterer Grund kann eine Neuausrichtung eines Unternehmens sein, die regelmäßig mit Investitionen oder Desinvestitionen einhergeht.</p><h2>China aktiver</h2><p>Sowohl asiatische Finanzinvestoren als auch strategische Investoren – vor allem aus China – investieren vermehrt in Europa und den USA. Strategische Investoren sind Chemieunternehmen, die andere kaufen, um etwa ihre geografische Reichweite zu vergrößern. Durch Übernahmen in Europa oder den USA erhalten chinesische Unternehmen unter anderem Zugang zu europäischen Techniken und Kunden.</p><p>Auch wenn die Interessenten relativ unbekannte chinesische Chemieunternehmen mit Jahresumsätzen von weniger als 300 Millionen Euro sind, akquirieren sie Unternehmen, deren Umsätze die eigenen übersteigen. Um das Kapital für diese Akquisitionen aufzubringen, bedienen sich kleinere Unternehmen am Kapitalmarkt oder erhalten Unterstützung von staatlichen Investmentfonds. Eine weitere Möglichkeit ist, mit Finanzinvestoren zu kooperieren, die auf Akquisitionen in Europa und den USA spezialisiert sind und lokale Mitarbeiter in westlichen Regionen haben.</p><p>Ein Beispiel ist Agic Capital, ein europäisch-asiatischer Finanzinvestor, spezialisiert auf mittelständische europäische Unternehmen und Hersteller von Medizinitechnik. Im Jahr 2016 akquirierte Agic zusammen mit Chemchina, dem chinesischen Spezialchemikalienhersteller, und Guoxin, einem Finanzinvestor mit Sitz in Hongkong, den Münchner Spezialmaschinenbauer Krauss-Maffei für 925 Millionen Euro.</p><p>Oft fungieren diese spezialisierten Finanzinvestoren als Zwischeninstanz und (oder) Kapitalgeber für kleinere chinesische Unternehmen, die beim Kaufprozess selbst kaum (oder gar nicht) erscheinen. Der Finanzinvestor erwirbt eine Mehrheitsbeteiligung und verkauft das Unternehmen meist nach wenigen Jahren an den ursprünglichen Interessenten – das chinesische mittelständische Chemieunternehmen.</p><h2>Ausblick</h2><p>Ob sich das Fusionskarussell weiter dreht, hängt auch davon ab, ob das makroökonomische und politische Umfeld stabil bleiben. Derzeit ist jedoch davon auszugehen, dass auch das Jahr 2018 im Hinblick auf Zahl und Volumen an Chemietransaktionen ein dynamisches werden wird. Die noch immer stark fragmentierte Chemieindustrie befindet sich in einem vor allem in der westlichen Hemisphäre eher moderat wachsenden wirtschaftlichen Umfeld. Es erfordert Zukäufe, damit die Unternehmen konkurrenzfähig bleiben.</p><p>Bernd Schneider ist Kaufmann sowie promovierter Chemiker und verantwortet global den Bereich Chemie der Investmentbank Alantra Group. <a href="mailto:bernd.schneider@alantra.com">bernd.schneider@alantra.com</a> Florian Kofler ist Mitarbeiter der Alantra Group. Diese ist auf Finanzprodukte und Dienstleistungen für den Mittelstand fokussiert und berät insbesondere bei grenzüberschreitenden Transaktionen.</p>

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