Beruf + Karriere

Nachrichten aus der Chemie: Wie kamen Sie dazu, Personalberater zu werden?
Ralf Neier: Als ich mit der Promotion fertig wurde, das war im Jahr 1995, gab es wenig Chancen für einen klassischen Berufseinstieg in der Chemie. Ich hatte allerdings früh gemerkt, dass ich mich nach Alternativen umschauen muss.
Nachrichten: Wann war das?
Neier: Schon zu Beginn der Promotion. Im Arbeitskreis hatte ich Kollegen, die ein Jahr nach ihrer Promotion noch immer auf Arbeitssuche waren.
Nachrichten: Wie haben Sie Ihre Alternative gefunden?
Neier: Wir haben im Arbeitskreis Lehramtskandidaten ausgebildet, ich habe dabei gerne Seminare gehalten und Praktikanten betreut. Dabei habe ich gemerkt, dass mir Beratung Spaß macht.
Nachrichten: Und wie kamen Sie dann an Ihre Stelle?
Neier: Durch Zufall habe ich die Ausschreibung gesehen. Eine Unternehmensberatung suchte einen Assistenten des Geschäftsführers. Ich habe mich beworben, ohne die geringste Vorstellung zu haben, was das eigentlich genau ist.


<h2>Eine Mischung</h2>
Nachrichten: Welche Qualifikationen waren denn gefragt?
Neier: Es wurde ein Akademiker gesucht, ohne spezielle Fachkenntnisse; jemand mit guter Allgemeinbildung, der in Lage ist, sich schnell in eine Thematik einzuarbeiten. Dazu kamen einige Eigenschaften, die man als Chemiker im Studium lernt: analytisches Denkvermögen, die Fähigkeit, Themen zu durchdringen und komplexe Sachverhalte zusammenzufassen. Wir machen ja keine betriebswirtschaftliche Beratung, sondern alles, was mit Personalsuche und -auswahl zu tun hat.
Nachrichten: Was ist das für eine Arbeit?
Neier: Das Spektrum unserer Leistungen beginnt mit der offenen Stellenanzeige, die wir für Kunden formulieren. Dafür bekommen wir interne Ausschreibungen mit vielen Details und machen daraus einen gut lesbaren, marktgerechten Text im Layout des Kunden. Dazu kommt die technische Abwicklung mit Internet-Stellenbörsen und Zeitungsverlagen. Wir inserieren Stellen auch verdeckt unter unserem Namen. Wir treffen auf Kundenwunsch eine Vorauswahl unter den Bewerbern, oder wir führen für Kunden erste Vorstellungsgespräche …
Nachrichten: … und auch klassisches Headhunting?
Neier: Wir suchen als Personalberatung auch aktiv für Kunden. Führungskräfte aller Funktionen, zum Beispiel Abteilungsleiter, Bereichsleiter, Geschäftsführer.
Hinzu kommt noch Outplacement und die Beratung privater Interessenten. Das sind klassischerweise Angestellte, die sich beruflich verändern wollen oder müssen, eine Zeugnisanalyse brauchen oder die vielleicht Ärger mit ihrem Vorgesetzten haben. Hier sind wir kein Stellenvermittler, sondern leisten Hilfe zur Selbsthilfe.
Nachrichten: Wie würden Sie einen typischen Arbeitstag beschreiben?
Neier: Den gibt es so nicht. Ich bin zwar fast jeden Tag im Büro. Gelegentlich fahre ich zu Stammkunden, pflege Kontakte, aber ich bin sonst weniger auf Reisen. Es ist aber jeden Tag eine andere Mischung, das macht die Arbeit so interessant.


<h2>Learning by Doing</h2>
Nachrichten: Wie haben Sie sich das Handwerk des Personalberaters angeeignet?
Neier: Zuerst habe ich Heiko Mell, er war damals Alleingeschäftsführer, einfach begleitet, habe Kunden kennen gelernt, war bei Vorstellungsgesprächen dabei. Nach und nach übernahm ich eigene Projekte und leitete die Agentur für Stellenanzeigen. Ich bekam eigene Unternehmenskunden, eigene Beratungskunden. Ich habe angefangen, Bewerbungsworkshops an Hochschulen zu leiten. Gelegentlich halte ich Vorträge an Hochschulen oder auf Karrieremessen. Inzwischen bin ich Geschäftsführer und Mitgesellschafter.
Nachrichten: Es war also kein Hinderungsgrund, dass sie keine Berufserfahrung in der Industrie hatten.
Neier: Nein. Die Einarbeitung wäre vielleicht einfacher gewesen, aber jemand mit Industrieerfahrung wäre auch teurer und schwieriger zu halten gewesen. Ich war ein Kandidat aus einer Branche, die schwächelte, ohne große Alternativen. Es war klar, dass ich das Beratungsunternehmen nicht schnell wieder verlassen würde. Hier bekam ich eine langfristige berufliche Perspektive.
Nachrichten: Wer sind Ihre Kunden?
Neier: Vom Ingenieurbüro bis zur Konzerngesellschaft. Schwerpunkt ist die mittelständische Industrie. Viele kleine Familienunternehmen sind unter unseren Kunden, aber auch namhafte Markenartikler.
Nachrichten: Auch aus der Chemiebranche?
Neier: Wenig. Die meisten Kunden haben einen technischen Schwerpunkt.
Nachrichten: Ihre Ausbildung als Chemiker nutzt Ihnen also nichts mehr.
Neier: Bei Kunden kommt schon mal das Gespräch darauf, was ich studiert habe. Und die Reaktion geht dann in die Richtung “Aha, der versteht etwas von der Technik”. So gesehen schadet das Chemiestudium nicht. Es fördert die Akzeptanz beim Kunden.


<h2>Strukturen und Netzwerke</h2>
Nachrichten: Was mussten Sie bei Ihrem Berufseinstieg noch dazulernen?
Neier: Das Kommunizieren auf den unterschiedlichsten Ebenen — mit dem Pförtner und dem Geschäftsführer. Auf der einen Seite verhandele ich mit hochrangigen Entscheidungsträgern, auf der anderen Seite telefoniere ich mit Bewerbern, die für eine Position nicht geeignet oder vielleicht nervig sind, und auch bei denen muss ich freundlich bleiben. Aber das ist “Learning by Doing”, das kommt mit der Praxis.
Nachrichten: Gibt es etwas, das Ihnen am Anfang Ihrer Laufbahn schwer gefallen ist?
Neier: Viele Naturwissenschaftler begreifen zunächst nicht, dass der Berufsalltag und die internen Prozesse eines Unternehmens keine exakte Wissenschaft sind, sondern dass es in den Unternehmen wichtige Netzwerke gibt, die für einen Neuling nicht direkt erkennbar sind. Letzten Endes liegt es fast nie am Fachlichen, wenn jemand im Beruf scheitert. Die Ursache liegt meistens im Persönlichen.
Nachrichten: Durchschauen Sie die Netzwerke bei Ihren Kunden?
Neier: Wenn wir als Personalberater eine hochrangige Führungspersönlichkeit suchen, reden wir mit der Unternehmensleitung. Da erfahren wir viele Details. Natürlich nicht alles. Manches sehen wir erst im Verlauf des Falls. Manchmal auch erst durch die Rückmeldung eines Bewerbers. Bei Stammkunden, das sind die meisten unserer Kunden, kennen wir allerdings die Zusammenhänge genau.
Nachrichten: Wie kommen Sie eigentlich an Ihre Kunden?
Neier: Die meisten Kunden kommen durch Empfehlung zu uns. Oder jemand hat schon als Personalreferent mit uns zusammengearbeitet und ist jetzt Personalleiter bei einem anderen Unternehmen. Wir haben allerdings auch schon Kunden dadurch verloren, dass ein Unternehmen aufgekauft wurde und der neue Eigentümer mit einer anderen Personalberatung zusammenarbeitet. Das ist dann Pech. Hier ist ein persönliches Netzwerk viel wichtiger als die fachliche Arbeit.


<h2>Auf der Suche nach Spezialisten</h2>
Nachrichten: Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit?
Neier: Ich mag es, wenn ich wirklich beraten kann, mit dem Kunden eine Lösung erarbeite, und er dann die Position besetzten kann.
Nachrichten: Wie funktioniert das?
Neier: Im letzten Jahr hatten wir den Fall, dass ein amerikanischer Konzern für ein Werk in Deutschland einen erfahrenen Fachmann für das Lean-Management suchte. Da hatte ich zunächst wenig Hoffnung. Die Personalleiterin war aber sehr offen, sehr konstruktiv. Wir durften relativ frei die Anzeige gestalten. Wir haben zusätzlich gezielt in sozialen Netzwerken recherchiert. Dazu kam, dass der Standort eine positive Ausstrahlung hatte und das Produkt interessant war. So fanden wir einige hochinteressante Kandidaten. Das Unternehmen stellte schließlich einen davon ein, und alle waren sehr zufrieden. So ein Erfolg macht Spaß.
Nachrichten: Wann wird es schwierig für Sie?
Neier: Es wird immer dann schwierig, wenn die Kommunikation nicht stimmt. Manchmal gibt es aber auch unternehmensinterne Zwänge, Vorgaben einer Muttergesellschaft im Ausland, an die sich unser Kunde und dann auch wir halten müssen, auch wenn wir etwas anderes empfehlen.
Nachrichten: Ist Fachkräftemangel ein Thema für Sie?
Neier: Nach unseren Beobachtungen haben sich nach der letzten Wirtschaftskrise im Jahr 2009 viele Unternehmen verschlankt. Fachabteilungen wie Entwicklung oder Fertigung sind oft knapp besetzt. Wenn Unternehmen Fachkräfte suchen, brauchen sie meistens Ersatz, also einen Spezialisten, der mindestens fünf Jahre auf dem Gebiet gearbeitet hat, der alles schon kann, denn oft kann niemand die Einarbeitung übernehmen.
Nachrichten: Am derartigen Fachkräften herrscht Mangel.
Neier: Das ist auch logisch. Solche Spezialisten, die dann in der neuen Position für das gleiche Geld dasselbe machen sollen wie bisher, haben selten einen Grund, das Unternehmen zu wechseln und dafür vielleicht noch umzuziehen.
Nachrichten: Machen Sie als Personalberater mit Chemikern oder Ingenieuren andere Erfahrungen als mit Kaufleuten?
Neier: Gerade weniger berufserfahrene Ingenieure und Naturwissenschaftler können sich bei Bewerbungen oft nicht interessant genug darstellen. Für uns wird es dann zum Beispiel schwierig, wenn wir Ingenieure oder Physiker für den Vertrieb suchen. Vor einiger Zeit sollten wir einen Trainee im Vertrieb suchen — eine Position mit tollen Perspektiven, super Aufstiegsmöglichkeiten. Es kamen zwar Bewerbungen von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern, aber die klangen so, als würden sie sich als Entwicklungsingenieure oder Laborleiter bewerben. Sie listeten nur Fakten aus dem Studium auf, ganz nüchtern. Aber die fachlichen Details interessieren in dem Fall weniger, wichtiger ist die Persönlichkeit.
Nachrichten: Was also sollten sie in ihre Bewerbungen schreiben?
Neier: Erste Kontakte zu Kunden aus Praktika oder Nebentätigkeiten wären in dem Fall viel interessanter, werden aber häufig gar nicht erwähnt. Kaufleuten fällt es in der Regel wesentlich leichter, sich positiv zu präsentieren. ≪
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<h2>Europaweit einheitliche Einstufung von Bildungsabschlüssen</h2>
Bund und Länder unterzeichneten im Mai den Beschluss zum Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR). Ab Sommer 2013 erworbene Hochschul- und Ausbildungsabschlüsse stuft der DQR in Niveaus ein. So entspricht eine dreijährige Berufsausbildung dem Niveau 4, ein Bachelorabschluss dem Niveau 6. Ziel ist es, Jobwechsel von Deutschland in andere Länder der EU zu erleichtern. Über den bisherigen Beschluss hinaus setzen sich die DGB-Gewerkschaften dafür ein, auch informelle Qualifikationen, zum Beispiel Fortbildungen, im DQR zu berücksichtigen. Dies soll in einem nächsten Schritt geschehen. 
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<h2>Forschungsinstitutionen als beste Arbeitgeber</h2>
Zwei Forschungseinrichtungen haben im Arbeitgeber-Ranking des Magazins “Focus” sehr gut abgeschnitten: In der Sektion “Forschung, Beratung” belegt die Max-Planck-Gesellschaft den ersten Platz, die Fraunhofer-Gesellschaft steht an zweiter Stelle. Für die Studie bewerteten Arbeitnehmer ihre Unternehmen in Kategorien wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Gehalt und die Loyalität gegenüber den Beschäftigten. Die beiden Forschungseinrichtungen sind an die Tarife des öffentlichen Dienstes gebunden und zahlen an ihre Mitarbeiter niedrigere Gehälter als die chemische Industrie. Dennoch erhielten sie von ihren Arbeitnehmern sehr gute Noten.


<h2>Studie zur Personalentwicklung in der Chemie</h2>
Die Bonner Wirtschafts Akademie (BWA) hat die Umfrage “Personalmanagement in der Chemischen Industrie” gestartet. Sie richtet sich an Personalmanager aus der chemischen Industrie. Fachkräftemangel, Weiterbildungsmöglichkeiten, Initiativen der Unternehmen gegen Burnout und demographische Entwicklung sind Thema der Studie. Ende Juli veröffentlicht die BWA die Ergebnisse auf ihrer Homepage.
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Kirsten Reuter, Frankfurt am Main

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“Wichtiger ist die Persönlichkeit”

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