Wissenschaft & Forschung

Prof.Dr.

Ein bioinspirierter Haftvermittler mit Mikrostrukturen haftet leimfrei und trocken. Kombiniert mit flüssigkristallinen Elastomeren, die auf UV-Licht reagieren, lässt sich die Haftung ein- und ausschalten, sodass sich Gegenstände transportieren lassen.
Dass sich Tiere wie Käfer, Spinnen und Geckos mit ihren Füßen an Wände und Decken heften und genauso leicht wieder lösen können, fasziniert Forscher seit Jahren. Geckos halten mit ihren Füßen mehr als das 40-Fache ihres Eigengewichts.1) Diese außerordentliche Fähigkeit basiert auf geometrischen Prinzipien, zum Beispiel anisotroper Ausrichtung sowie Form und Dichte der fibrillären Strukturen an ihren Füßen.2,3)Diese Fibrillen sind auf den Tierfüßen so angeordnet, dass sie beim Anheften rasch Van-der-Waals- und Kapillarkräfte aktivieren, sich aber auch schnell wieder lösen, wenn die Tiere ihre Füße bewegen.4) Nach Vergleichsstudien korrelieren Körpergewicht und Dichte der fibrillären Strukturen: Schwerere Tiere haben kleinere und dichter gepackte Mikro- und Nanokontakte: Ein 100 Gramm schwerer Gecko hat etwa 1000 Haftborsten pro 100 µm² Oberfläche.5)<h2>Biomimetische Klebstoffe</h2>Biologische Systeme wie die Haftfähigkeit von Geckofüßen für Anwendungen biomimetisch zu adaptieren, hat in den letzten Jahren zu neuen Produkten geführt. Die leimfreie, trockene Haftvermittlung lässt sich künstlich nachahmen. Biomimetische Ansätze lieferten geometrische Parameter: Günstig sind etwa hexagonal angeordnete Strukturen und spatel- oder pilzförmige Endkontaktelemente.6,7)Ein Beispiel für eine solche biomimetische Struktur ist die pilzförmige adhäsive Mikrostruktur (mushroom-shaped adhesive microstructure, MSAMS), die inspiriert ist von den Füßen männlicher Blattkäfer (Chrysomelidae). Diese haben pilz- und spachtelförmige Hafthaare, weibliche Blattkäfer nur spachtelförmige.8) MSAMS-Oberflächen haften reversibel und besser als andere bioinspirierte Mikrostrukturen aus dem gleichen Material. 20 mal 20 Zentimeter eines Klebebands mit solchen pilzförmigen Mikrostrukturen aus Polyvinylsiloxanen halten einen erwachsenen Mann an einer Glasdecke (Abbildung 1).<figure><img src="https://media.graphcms.com/dtcEjeNlT1ime5QVn9sW"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Der bioinspirierte Haftvermittler hält einen erwachsenen Menschen an der Decke.</figcaption></figure>
<h2>Umschaltbar</h2>Treten die Blattkäfer mit dem Fuß auf, haften sie stark; bewegen sie sich vorwärts, löst sich der Fuß schnell wieder. Die Hauptrolle dabei spielt eine hierarchische Oberflächentopografie: So haben Geckozehen Hafthärchen, die sich in spatelförmige Nanostrukturen verzweigen. Diese fibrilläre hierarchische Struktur hat einen nicht-haftenden Grundzustand, der sich durch Scherkräfte während der Beinbewegung in den haftenden Zustand umschaltet.9)Durch den mechanischen Reiz ordnen sich fibrilläre Strukturen neu und stellten einen adhäsiven Kontakt zum Substrat her. Inspiriert von solchen reizabhängigen Haftsystemen in der Natur lassen sich künstliche schaltbare Haftmikro- und -nanostrukturen synthetisieren. Der Reiz, durch den die Oberfläche von einem haftenden in einen nicht haftenden Zustand übergeht oder umgekehrt, ist magnetisch oder thermisch.10,11) Auch ein Lichtreiz lässt sich über Zeit, Intensität und Wellenlänge schnell und präzise steuern. Das ermöglicht bioinspirierte photoschaltbare reversible Haftsysteme.<h2>Flüssigkristalline Elastomere mit Azobenzol</h2>Zu den bekanntesten lichtabhängigen Polymeren gehören die flüssigkristallinen Elastomere (liquid crystal elastomer, LCE). Vor allem LCEs mit Azobenzolgruppen haben sich als photoschaltbare Polymere etabliert. Die Azobenzoleinheiten sind LCE-Mesogene, die mit einer schnellen Bewegung reagieren, wenn sie mit der richtigen Wellenlänge angestrahlt werden: Unter UV-Licht von Wellenlängen von typischerweise 320 bis 380 Nanometern schalten die Trans-Isomere der Azobenzolmoleküle in die Cis-Isomere. Dabei ändert sich ihre Geometrie: Die Moleküllänge von 9 Å in der Trans- wird zu 5,5 Å in der Cis-Konfiguration.12)Die Änderung ist reversibel: Das Molekül lässt sich thermisch oder durch Bestrahlen mit Licht aus dem sichtbaren Wellenlängenbereich wieder in die stabile Trans-Konfiguration schalten. Diese Umorientierung in der flüssigkristallinen Phase verformt das Material makroskopisch und löst makroskopische Bewegungen aus, etwa die Bewegung eines Roboterarms und muskelähnliche Kontraktionen.13)<h2>Bei Licht wieder loslassen</h2>Um ein lichtgesteuertes Trockenklebematerial zu entwickeln, haben wir zwei Materialien miteinander kombiniert: pilzförmige Haftmikrostrukturen und eine Azobenzol-LCE-Folie. Das Ergebnis ist ein lichtkontrolliertes mikrostrukturiertes Transportinstrument (BIPMTD, Bioinspired Photocontrollable Microstructured Transport Device).14)BIPMTD besteht aus drei Schichten (Abbildung 2):<figure><img src="https://media.graphcms.com/Z0MNmUMTVKqUzmC7RWHq"><figcaption><label>Abb. 2: </label>A) Dreischichten-Struktur von BIPMTD: (1) eine PDMS-Schicht mit herausragendem MSAMS, (2) eine poröse LCE-Folie und (3) eine versiegelnde PDMS-Schicht, welche die LCE-Schicht in das BIPMTD integriert. B) Rasterelektronenmikrokopisches Bild der MSAMS-Säulen oben auf dem BIPMTD.14)</figcaption></figure>
<list list-type="simple"><list-item></list-item></list>an der Oberfläche MSAMS, das aus einer Polydimethylsiloxan(PDMS)-Schicht ragt,<list-item>darunter eine poröse photoschaltbare Azobenzol-LCE-Folie,15)</list-item><list-item>eine PDMS-Trägerschicht, die die LCE-Folie von unten versiegelt.</list-item>Die Haftmikrostrukturen und die Stützschicht aus PDMS sind durch die poröse LCE-Folie fest miteinander verbunden. Die MSAMS-Säulen sind 70 µm hoch und an ihrer Spitze 45 µm breit, ihr Durchmesser beträgt unten 35 µm. Sie bedecken 50 Prozent der Oberfläche. Jede der drei Schichten – PDMS unter MSAMS, LCE-Folie und versiegelnde PDMS-Schicht – sind 100 µm dick.Um zu untersuchen, ob BIPMTD lichtkontrolliert haftet, wurde die pilzförmig mikrostrukturierte Oberfläche mit einer Glaskugel mit einem Millimeter Durchmesser in Kontakt gebracht. Anschließend wurde über einen Kraftsensor, der mit der Glaskugel verbunden war, die Kraft gemessen, die nötig ist, um die beiden Oberflächen zu trennen.Da die aktive Schicht im BIPMTD lichtschaltbar ist, beeinflusst die Lichtintensität die Größe der Haftkontaktfläche. Wie sich BIPMTD geometrisch verformt, ließ sich über die Bewegung eines Referenzpunkts in der Probenmitte bei verschiedenen UV-Licht-Transmissionen verfolgen. Der Anteil, zu dem das darunter liegende Glas UV-Licht durchließ, bestimmte die Größe der Haftkontaktfläche und der jeweiligen Haftkräfte. Die Haftkräfte bei 125, 250, 450 und 500 mW·cm–2 UV-Lichtbeleuchtung betrugen 93, 83, 46 und 23 Prozent der Adhäsionskraft bei 0 Prozent UV-Licht.Wie mechanische Messungen zeigen, induziert UV-Licht eine Kompressionskraft auf die Kontaktfläche und verringert damit das Haftvermögen von BIPMTD. Höhere Lichtdurchlässigkeiten bewirkten höhere Kräfte senkrecht zur Haftkontaktfläche, krümmten die Folie stärker und unterbrachen so den festen Kontakt, da sich mehr MSAMS-Säulen von der Glaskugeloberfläche lösten (Abbildung 3). Diese Eigenschaft macht BIPMTD nicht nur zu einem Schalter – es lässt sich durch die Lichtintensität auch fein einstellen.<figure><img src="https://media.graphcms.com/lZ7rBrjQwOfsoe5gERKw"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Ändert sich die Molekülform der Azobenzoleinheiten in der LCE-Schicht durch Photoisomerisierung, verändert sich auch die Haftkontaktfläche zwischen BIPMTD und einer Glaskugel. Lichtinduzierte Krümmung der LCE-Folie reduziert die Kontaktfläche und führt zu allmählicher Ablösung der Haftsäulen.14)</figcaption></figure>
Wird das UV-Licht abgeschaltet, dehnt sich das LCE nicht weiter aus; das BIPMTD geht in seine ursprüngliche Form – auch ohne sichtbares Licht. Dass BIPMTD von selbst seine Form zurückgewinnt, kommt durch zwei Dinge zustande:Die elastische Energie wird gespeichert, wenn sich das LCE im umgebenden PDMS in der Ebene verlängert und in der Dicke zusammenzieht. Und die absorbierte Lichtenergie in der Azobenzol-LCE-Schicht wandelt sich in Wärme um, welche die Cis-Trans-Isomerisierung thermisch initiiert.<h2>Aufheben und wieder ablegen</h2>Mit seiner lichtkontrollierbaren Haftfähigkeit kann BIPMTD Objekte von einem Ort zum anderen transportieren (Abbildung 4). Dafür wurde BIPMTD auf einem Glasobjektträger fixiert und auf der Spitze einer UV-Lichtquelle angebracht. Eine ringförmige Glasscheibe und ein Eppendorf-Reaktionsgefäß wurden mit BIPMTD in Kontakt gebracht und aufgehoben. Beim Einschalten der UV-Lichtquelle verlängert sich das BIPMTD, und die Kontaktfläche verringert sich. Dadurch löst sich MSAMS teilweise von der Glasobjektträgeroberfläche. Ohne komplizierte Aufbauten und ohne dass eine Quelle für sichtbares Licht nötig ist, transportiert BIPMTD dreidimensionale Objekte – etwa 0,9 kg pro Quadratzentimeter Kontaktfläche.<figure><img src="https://media.graphcms.com/D6KorxvcSE1JO8awuBzg"><figcaption><label>Abb. 4: </label>BIPMTD als Pick-und-Drop-Instrument für eine ringförmige Glasscheibe (i bis iv) und ein Eppendorf-Reaktionsgefäß (v bis viii): in Kontakt bringen (i und v), aufnehmen (ii und vi), das UV-Licht einschalten (iii und vii). Nach Ausschalten des UV-Lichts fällt das Objekt auf den Boden.14)</figcaption></figure>
Übersetzung aus dem Englischen: Brigitte Osterath<h2>Quergelesen</h2>Dass sich Geckos an Decken und Wände heften und wieder ablösen können, liegt an der Oberfläche ihrer Füße: Diese sind mit Hafthärchen besetzt, deren nicht haftender Grundzustand sich während der Bewegung durch Scherkräfte in einen haftenden umwandelt.Dieses Verhalten lässt sich nachahmen, wenn Materialien miteinander kombiniert werden: pilzförmige Haftmikrostrukturen und eine Folie aus Azobenzol und liquid crystal elastomer (LCE).LCEs mit Azobenzolgruppen sind photoschaltbar, diese Eigenschaft findet sich auch im biomimetischen Adhäsiv. Die Lichtintensität beeinflusst die Größe der Haftkontaktfläche.<h2>Vitakasten</h2>Emre Kizilkan promoviert in der Arbeitsgruppe Funktionelle Morphologie und Biomechanik von Stanislav Gorb am Zoologischen Institut in Kiel. Seine Forschungsinteressen sind bioinspirierte Mikrostrukturen und lichtschaltbare Polymere.<div><img src="https://media.graphcms.com/qOqZ88xNRWiHfh0bqF8m">

</div>Anne Staubitz ist Professorin für organische Funktionsmaterialien an der Universität Bremen und nebenberuflich an der Universität Kiel. Sie forscht unter anderem an licht- und mechanisch schaltbaren Molekülen und Polymeren.<div><img src="https://media.graphcms.com/xGX8wkLmQ5u45FmPjcjX">

</div>Stanislav N. Gorb studierte Zoologie an der Nationalen Taras-Schewtschenko-Universität in Kiew, Ukraine. Er promovierte im Jahr 1991 am Schmalhausen Institut für Zoologie der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften in Kiew. Nach mehreren Forschungsaufenthalten in Wien, Kiew, Tübingen und Jena habilitierte er am Zoologischen Institut der Universität Freiburg. Danach verbrachte er sieben Jahre am Max-Planck-Institut für Metallforschung in Stuttgart, bevor er im Jahr 2008 eine Professur für Funktionelle Morphologie und Biomechanik am Zoologischen Institut der Universität Kiel antrat. Er forscht an biologischen und bionischen Oberflächen mit spezifischen Haft- und Reibeeigenschaften.<div><img src="https://media.graphcms.com/noL8nksTS6XBDUl5Fibb">

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<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 Y. A. Liang et al. in Technical Digest of the 2000 Solid-State Sensor and Actuator Workshop. 33–38.</li><li>
2 K. Autumn, A. Dittmore, D. Santos, M. Spenko, J. M. Cutkosky, J. Exp. Biol. 2006, 209, 3569–3579.</li><li>
3 K. Autumn, A. M. Peattie, Integr. Comp. Biol. 2002, 42, 1081–1090.</li><li>
4 K. Autumn et al. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 2002, 99, 12252–12256.</li><li>
5 E. Arzt, S. Gorb, R. Spolenak, Proc. Natl. Acad. Sci. USA 2003, 100, 10603–10606.</li><li>
6 L. F. Boesel, C. Greiner, E. Arzt, A. Del Campo, Adv. Mater. 2010, 22, 2125–2137.</li><li>
7 D. Sameoto, C. Menon, Smart Mater. Struct. 2010, 19, 103001.</li><li>
8 S. Gorb, M. Varenberg, A. Peressadko, J. Tuma, J. R. Soc. Interface 2007, 4, 271–275.</li><li>
9 K. Autumn, Am. Sci. 2006, 94, 124–132.</li><li>
10 A. G. Gillies, J. Kwak, R. S. Fearing, Adv. Funct. Mater. 2013, 23, 3256–3261.</li><li>
11 H. Shahsavan, S. M. Salili, A. Jákli, B. Zhao, Adv. Mater. 2015, 27, 6828–6833.</li><li>
12 D. Iqbal, M. H. Samiullah, Materials 2013, 6, 116–142.</li><li>
13 T. Ikeda, J. I. Mamiya, Y. Yu, Angew. Chem. Int. Ed. 2007, 46, 506–528.</li><li>
14 E. Kizilkan, J. Strueben, A. Staubitz, S. N. Gorb, Robot. 2017, 2, eaak9454.</li><li>
15 E. Kizilkan, et al., Roy. Soc. Open Sci. 2016, 3, 150700.</li></ul>

Artikel

Wie Licht Klebrigkeit steuert

Ein bioinspirierter Haftvermittler mit Mikrostrukturen haftet leimfrei und trocken. Kombiniert mit flüssigkristallinen Elastomeren, die auf UV-Licht reagieren, lässt sich die Haftung ein- und ausschalten, sodass sich Gegenstände transportieren lassen. Dass sich Tiere wie Käfer, Spinnen und Geckos...

Säure- und hitzebeständige Baustoffe entstehen, wenn bestimmte pulverförmige Feststoffe mit alkalischen Aktivatorlösungen kombiniert werden. Diese Baustoffe härten nicht nur schneller als zementbasierte, sondern bei ihrer Produktion wird auch weniger Kohlendioxid frei.
<h2>Geopolymere</h2>Den Begriff Geopolymer prägte in den 1970er Jahren der französische Chemiker Joseph Davidovits.1) Geopolymere sind anorganische Polymere, die sich aus zwei Komponenten zusammensetzen: einem reaktiven pulverförmigen Feststoff, der im Idealfall hauptsächlich aus amorphem SiO2 und Al2O3 besteht, und einer alkalischen Aktivatorlösung. Die chemische Reaktion der beiden Komponenten heißt Geopolymerisation. In ihrem Verlauf härtet das Stoffgemisch, und es bildet sich ein wasserbeständiges Alumosilikatnetzwerk. Dieses Bindemittelsystem lässt sich ähnlich verarbeiten wie herkömmlicher Zement.Der Begriff Geopolymer wird in der einschlägigen Literatur mitunter widersprüchlich verwendet. Davidovits‘ Untersuchungen in den 1970er Jahren basierten auf Metakaolin und Alkalisilikat (Wasserglas), also Rohstoffen ohne Calciumoxid.1) Da es derzeit kein Regelwerk gibt und die chemisch-mineralogische Zusammensetzung der Rohstoffe nicht genormt ist, wird der Begriff Geopolymer mitunter auch für alkalisch aktivierte Hüttensande, die granulierte Hochofenschlacke verwendet. Da Hüttensand Calciumoxid enthält, reagiert er nicht zu einem reinen Alumosilikatnetzwerk. Stattdessen bilden sich ähnlich wie im Zementstein Hydratphasen.2) In diesem Artikel gilt die Bezeichnung Geopolymer ausschließlich für calciumoxidfreie Rohstoffkompositionen.<h2>Rohstoffe</h2>Für Geopolymere eignet sich am besten das amorphe Metakaolin (Al2Si2O7) als pulverförmiger reaktiver Feststoff, da seine Vorläufer SiO2 und Al2O3 gut verfügbar sind. Wie fein die Pulver sind, hängt von weiteren Bestandteilen des Metakaolins wie Quarz ab. Auch mit Flugasche, die bei der Energiegewinnung in Kohlekraftwerken als Nebenprodukt über Elektrofilteranlagen abgeschieden wird, lassen sich Geopolymere synthetisieren. Sie ist jedoch meist weniger reaktiv als Metakaolin. Ein Vorteil der Flugaschepartikel ist deren Kugelform, da sie die Konsistenz von Bindemittelleim, der aus den reaktiven Feststoffen und der alkalischen Lösung besteht, verbessert und deshalb weniger Aktivatorlösung benötigt wird (Abbildung 1).<figure><img src="https://media.graphcms.com/caWa3zXWTcyAFWsD2zqu"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Ergebnisse der Röntgendiffraktometrie (XRD) zweier Metakaoline. Die amorphen Phasen sind nicht gleich, und die kristallinen Bestandteile haben unterschiedliche mineralogische Zusammensetzungen. Metakaolin 1, quarzhaltig: amorpher Anteil 46 %, weitere Hauptbestandteile: Quarz (39,6 %), Muskovit (10 %) und Calcit (2 %). Metakaolin 2, hochrein: amorpher Anteil 81 %, Quarzgehalt 10 %. Die amorphen Bestandteile der Metakaoline beeinflussen die Eigenschaften des frischen und des erhärteten Geopolymers.</figcaption></figure>
Typische Aktivatoren sind alkalische Lösungen auf Basis von Kalium und Natrium. Alkalisilikatlösungen, die Wassergläser, eignen sich besser als Hydroxidlösungen, da sie bereits gelöstes Silicium für das Alumosilikatnetzwerk enthalten. So entstehen festere Netzwerke, das frische Geopolymer bleibt flüssig, und bei richtiger Dosierung ergibt sich ein gleichmäßiges, kompaktes und porenarmes Gefüge.3)Das molare Verhältnis von SiO2 und K2O oder SiO2 und Na2O entscheidet darüber, ob sich das Wasserglas für die Synthese des Geopolymers eignet. Günstige molare Verhältnisse liegen zwischen 1,3 und 1,7. Die Konsistenz des frischen Geopolymers und dessen endgültige Festigkeit, wenn es ausgehärtet ist, wird ebenfalls dadurch beeinflusst, ob Na+ oder K+ vorliegt.Die effektive Reaktivität wird maßgeblich durch die eigentliche Reaktivität des pulverförmigen Feststoffs bestimmt. Dessen Potenzial lässt sich jedoch erst durch alkalische Aktivatorlösungen vollständig nutzen. Um die effektive Reaktivität zu erfassen, die sich aus der Kombination des reaktiven Feststoffs und der alkalischen Aktivatorlösung ergibt, eignen sich isotherme kalorimetrische Analyseverfahren (Abbildung 2). So lässt sich neben der eigentlichen Reaktivität des pulverförmigen Feststoffs das Reaktionspotenzial der alkalischen Aktivatorlösung beurteilen. Die Ionenlöslichkeit der reaktiven Feststoffe gibt ebenfalls Hinweise auf das Reaktionspotenzial der Rohstoffe. Damit lässt sich zudem eine Aussage über das (reaktive) Verhältnis von Silicium zu Aluminium des Feststoffs treffen – denn das ist entscheidend für die Qualität des Alumosilikatnetzwerks.<figure><img src="https://media.graphcms.com/0qakAdjSO2qb34iEmwAT"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Ergebnisse der isothermen Kalorimetrie verschiedener Geopolymerrezepturen.</figcaption></figure>
<h2>Geopolymerisation versus Zementhydratation</h2>Die Reaktion von Zement und Wasser heißt Hydratation. Während dieser Reaktion bilden sich die Hydratationsprodukte Calciumsilikathydrat (C-S-H-Phasen), Calciumaluminathydrat (C-A-H-Phasen) und Calciumhydroxid (Ca(OH)2). Die Geopolymerisation unterscheidet sich grundlegend von der Hydratation des Zements und lässt sich vereinfacht wie folgt erklären (Abbildung 3): Die OH–-Ionen der Aktivatorlösung lösen zunächst die amorphen Bestandteile des reaktiven Feststoffs. Dadurch brechen die Bindungen von SiO2 und Al2O3, und es entstehen unter anderem Monomere wie Si(OH)4 und Al(OH)4– sowie weitere komplexe Verbindungen in Lösung. Dies zeigt in isothermen Kalorimeteranalysen der ausgeprägte exotherme Peak zu Beginn der Reaktionszeit (Abbildung 2). In der anschließenden Polykondensation, zu erkennen am zweiten exothermen Peak der Wärmeleistung, ballen sich die kolloiden Teilchen. Das führt im weiteren Verlauf der Kondensationsreaktion dazu, dass sich die Polymerketten verlängern und vernetzen.4,5) Das so entstehende erhärtete Alumosilikatnetzwerk setzt sich aus [SiO4]4–- und [AlO4]5–-Tetraedern zusammen, die über Sauerstoffatome miteinander verknüpft sind. Die Kationen K+ oder Na+ gleichen die negative Ladung des [AlO4]5–-Tetraeders aus und werden daher ins Netzwerk eingebunden.6) Verglichen mit der Hydratation von Zement wird bei der Geopolymerisation nur ein geringer Teil des Wassers aus der Aktivatorlösung chemisch in das Netzwerk eingebunden.7)<figure><img src="https://media.graphcms.com/3rXFg9SgQP60HRAXOq0S"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Reaktionsmechanismus der Geopolymerisation.</figcaption></figure>
<h2>Eigenschaften</h2>Zu den besonderen Materialeigenschaften des erhärteten Geopolymers gehören der hohe chemische Widerstand – insbesondere gegenüber Säuren –,6) die stark ausgeprägte Hitze- und Brandbeständigkeit8) sowie die schnelle Festigkeitsentwicklung.6)Wie Versuche zur chemischen Beständigkeit von Mörtelproben ergaben, hat Geopolymermörtel einen wesentlich höheren Widerstand gegenüber Säuren als Zementmörtel. Nach vierwöchiger Lagerung in 2,5-prozentiger Schwefelsäure war bei den zementgebundenen Prüfkörpern die Druckfestigkeit um zirka 35 Prozent gesunken. Beim Geopolymer waren es 5 Prozent. Die Hydratphasen des Zementsteins reagieren mit der Schwefelsäure (Abbildung 4). In einem zementbasierten Werkstoff löst sich bei einem Säureangriff die Zementsteinmatrix, da das Material decalciniert. Decalcination ist der Zerfall oder die Verschlechterung des hydratisierten Zements durch das Lösen und Auslaugen der Calciumionen aus Ca(OH)2 und den Calciumsilikathydratphasen. Der hohe Säurewiderstand des Geopolymers lässt sich in chemischer Hinsicht also in erster Näherung durch das Fehlen von Calcium erklären.9)<figure><img src="https://media.graphcms.com/nXisRLJJRs6h2kyH9nJ0"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Probekörper nach Säurelagerung und Druckfestigkeitsermittlung.</figcaption></figure>
<h2>Netzwerk, Durchlässigkeit und Porengrößen</h2>Für die Materialeigenschaften des Geopolymers sind aber nicht nur die Feststoffeigenschaften des Alumosilikatnetzwerks entscheidend, sondern auch dessen Permeabilität und Porengrößenverteilung. Wird der alkalische Aktivator korrekt dosiert, ergibt sich ein Feststoffgefüge mit fein verteilten Mikroporen (Abbildung 5). Dies schränkt die Permeabilität der Matrix ein, da nur wenige Kapillarporen vorhanden sind.<figure><img src="https://media.graphcms.com/iSZJ6PU8RUqvoKxN8H2U"><figcaption><label>Abb. 5: </label>Porengrößenverteilung von Geopolymer- und Zementmörteln.</figcaption></figure>
Die Besonderheit der Geopolymer- gegenüber der Zementsteinmatrix ergibt sich ebenfalls durch das im Zementstein chemisch in die Hydratationsprodukte gebundene Wasser. Brennt es, geht dieses Wasser in die Dampfphase über. Kann der Wasserdampf über das Porensystem der Matrix nicht schnell genug entweichen, entsteht ein starker Druck innerhalb des Gefüges. Dies kann dazu führen, dass Teile der Oberfläche abplatzen und dass ganze Bauteile zerstört werden. Die wenigen im Geopolymer gelösten Wassermoleküle dagegen sind um die ladungsausgleichenden Alkalien angeordnet oder als Hydroxylgruppen (-OH-) stark ins Netzwerk eingebunden (Abbildung 3, S. 1199). Da nur so wenige Wassermoleküle eingebunden sind, besteht im Brandfall keine Gefahr, dass die Matrix zerstört werden könnte. Die Masse an chemisch gebundenem Wasser in einem erhärteten Bindemittelleim lässt sich analytisch durch thermogravimetrische Verfahren bestimmen (Abbildung 6).<figure><img src="https://media.graphcms.com/VTid8caTQP2F8TU7RwWP"><figcaption><label>Abb. 6: </label>Thermogravimetrische Analyse von Kaolin, Geopolymer und Zementstein. Im Geopolymer entweicht der Großteil des adsorptiv und chemisch gebundenen Wassers bei Temperaturen unter 400 °C, höhere Temperaturen führen nicht zu einem nennenswerten Masseverlust. Der gesamte Masseverlust (TG, %) beträgt je nach Qualität des Alumosilikatnetzwerks etwa 10 bis 15 %. Der Zementstein hat einen höheren Anteil an adsorptiv und chemisch gebundenem Wasser. Der Sprung im Kurvenverlauf bei zirka 450 °C ist in diesem Fall durch die Entwässerung des Ca(OH)2 zu erklären.</figcaption></figure>
Die thermogravimetrische Analyse von Kaolin eignet sich wie die röntgendiffraktometrische Analyse dazu, das Reaktionspotenzial der Geopolymerrohstoffe zu beurteilen: Durch den Masseverlust bei 550 °C in Kombination mit stöchiometrischen Berechnungen lässt sich der tatsächliche Gehalt an Kaolinit ermitteln. Da sich beim Calcinieren von Kaolin nur das Tonmineral Kaolinit in amorphe Strukturen umwandelt, lässt sich so eine Aussage über das Reaktionspotenzial treffen.<h2>Aushärteprozesse</h2>Je nach Rohstoffen erreicht das Geopolymer bereits nach einigen Stunden seine endgültige Festigkeit (Druckfestigkeit größer 60 N·mm–2). Entscheidend für die Festigkeitsentwicklung ist der Mischvorgang, da langes intensives Mischen die Reaktionsabläufe beschleunigt. Das lässt sich so erklären: Abhängig von der Reaktivität der Rohstoffe lösen sich die Oxide des pulverförmigen Feststoffs insgesamt relativ schnell und verbinden sich anschließend zu räumlich vernetzten Polymerketten. Dadurch ergibt sich im Gegensatz zur Hydratation von Zement kein verzögernder Effekt. Hier beginnt die Hydratation an der Oberfläche des Zementkorns, es bildet sich bei Reaktionsbeginn eine äußere Hydratationsschicht, die den weiteren Hydratationsfortschritt verzögert. Daher entwickelt der Zementstein seine endgültige Festigkeit erst nach einiger Zeit, da das für die fortschreitende Hydratation erforderliche Wasser durch die äußere Hydratationsschicht diffundieren muss. Selbst nach mehreren Jahren kann sich die Festigkeit in Betonbauteilen noch steigern, wenn ausreichend Festigkeit vorhanden ist. Angegeben wird daher für die Festigkeit von Beton nie ein endgültiger Wert, sondern der Wert, der nach 28 Tagen erreicht ist.Je nach Zusammensetzung des Geopolymers beträgt die Druckfestigkeit bereits nach einem Tag bis zu 80 N·mm–². Geopolymere erreichen diese hohe Festigkeit durch ein einfaches Zweikomponentensystem; Zement erreicht einen solchen Wert selbst dann nicht nach einem Tag, wenn seine Bestandteile perfekt und die Verarbeitung abgestimmt sind (extrem niedriger Zement-Wasser-Koeffizient, äußerst wirksame Fließmittel, optimale Packungsdichte der Feststoffpartikel, hochreaktive Betonzusatzstoffe wie Flugasche oder Microsilica).Um Geopolymere mit speziellen Materialeigenschaften zu realisieren, sind mathematische Modelle zukünftig unverzichtbar. Damit lassen sich individuelle Rohstoffkompositionen generieren, die stets chemisch-physikalische Stoffeigenschaften des reaktiven Feststoffs und die der alkalischen Aktivatorlösung berücksichtigen. Zudem liefern entsprechende Modelle Aussagen über das Langzeitverhalten und die Dauerhaftigkeit des jeweiligen Geopolymers.10)<h2>Ökologische Vorteile und Potenzial</h2>Das Brennen der Zementrohstoffe Kalkstein, Ton und Mergel bei Temperaturen von 1450 °C benötigt pro Tonne Zement etwa 110 Kilowattstunden Energie.11) Die Zementproduktion wird für zirka 5 bis 7 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich gemacht,5,6,12) da neben dem hohen Energieaufwand durch die Umwandlung von Calciumcarbonat zu Calciumoxid zusätzlich Kohlenstoffdioxid frei wird.Die pulverförmigen reaktiven Feststoffe des Geopolymers haben eine andere Energiebilanz: Metakaolin wird in der Regel bei Temperaturen zwischen 650 °C und 700 °C gebrannt und hat keinen reaktionsbedingten CO2-Ausstoß zur Folge.13) Diese Bilanz fällt beim industriellen Nebenprodukt Flugasche noch günstiger aus, da sich der Energieaufwand lediglich durch die Aufbereitung und Verfeinerung des Stoffes ergibt. Werden der Energieaufwand und der CO2-Ausstoß summiert, ergibt sich, dass die CO2-Emission bei der Produktion der Geopolymerrohstoffe Metakaolin, Wasserglas und alkalische Aktivatorlösung nur etwa 70 Prozent des CO2-Ausstoßes der Zementproduktion beträgt.12)Aufgrund der besonderen Materialeigenschaften des Geopolymers eignet es sich als Leim, Mörtel oder Beton für verschiedene Anwendungen. Die Lebensdauer von Abwasserrohren oder Spezialbehältern, die durch aggressive Medien wie biogen entstehende Schwefelsäure einem erhöhten Korrosionsrisiko ausgesetzt sind, lässt sich durch Geopolymerbaustoffe steigern. Schnellreparaturmörtel auf Basis von Geopolymeren können den Arbeitsfortschritt durch das schnelle Erhärten beschleunigen und die Beständigkeit des beschädigten Bauteils langfristig erhöhen. Da das Geopolymer hitze- und brandfest ist, eignet es sich auch für feuerfeste Beschichtungen und Spezialbauteile.<h2>Quergelesen</h2>Pulverförmige Feststoffe auf Basis von SiO2 und Al2O3 bilden mit Alkalisilikat- oder Hydroxidlösungen wasserbeständige Alumosilikatnetzwerke. Das Si-Al-Verhältnis ist entscheidend für deren Qualität.Der Typ des Alkalimetalls in der Aktivatorlösung beeinflusst die Konsistenz des frischen Geopolymers und die endgültige Festigkeit.Verglichen mit der Hydratation von Zement wird bei der Geopolymerisation nur wenig Wasser eingelagert, was die Hitze- und Brandbeständigkeit des Geopolymers erklärt.Über dessen Eigenschaften entscheiden auch Durchlässigkeit und Porengröße des Netzwerks.<h2>Vitakasten</h2>Oliver Vogt, Jahrgang 1983, promoviert am Institut für Werkstoffe im Bauwesen. Er forscht an Geopolymertechnik und der Entwicklung alternativer Bindemittel. <email><a href="mailto:vogt@wib.tu-darmstadt.de">vogt@wib.tu-darmstadt.de</a></email><div><img src="https://media.graphcms.com/XCjGusApR52XZ9sngUNA">

</div>Neven Ukrainczyk, Jahrgang 1979, ist Habilitand am Institut für Werkstoffe im Bauwesen. Er interessiert sich für Reaktivität und Haltbarkeit von Baustoffen.<div><img src="https://media.graphcms.com/IWJ9z5e0TEm5m2YP4z7r">

</div>Eddie Koenders, Jahrgang 1967, ist Universitätsprofessor am Institut für Werkstoffe im Bauwesen der Technischen Universität Darmstadt. Er beschäftigt sich mit Geopolymeren, Wärmespeichern und Biowerkstoffen.<div><img src="https://media.graphcms.com/fOSD7igGRhC9Tp71RX82">

</div>
<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 J. Davidovits, Geopolymer Chemistry &amp; Applications, Institut Géopolymère, Saint-Quentin, 2008.</li><li>
2 J. L. Provis, A. Palomo, C. Shi, Cem. Concr. Res. 2015, 78, 110–125.</li><li>
3 I. Garcia-Lodeiro, A. Palomo, A. Fernández-Jiménez, Crucial insights on the mix design of alkali-activated cement-based binders, in: Handbook of Alkali-activated Cements, Mortars and Concretes [Hrsg.: F. Pacheco-Torgal, et al.], Woodhead Publishing Series in Civil and Structural Engineering, Oxford, 2015.</li><li>
4 V. D. Glukhovsky, Ancient, modern and future concretes, in: Proceedings of the First International Conference on Alkaline Cements and Concretes [Hrsg.: P. V. Krivenko], VIPOL Stock Company, Kiew, 1994.</li><li>
5 I. Garcia-Lodeiro, A. Palomo, A. Fernández-Jiménez, An overview of the chemistry of alkali-activated cement-based binders, in: Handbook of Alkali-activated Cements, Mortars and Concretes [Hrsg.: F. Pacheco-Torgal, et al.], Woodhead Publishing Series in Civil and Structural Engineering, Oxford, 2015.</li><li>
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7 C. Kuenzel, L. J. Vandeperre, S. Donatello, A. R. Boccaccini, C. Cheeseman, J. Am. Ceram. Soc. 2012, 95, 3270–3277.</li><li>
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