Bildung & Gesellschaft

Katrin Sommer, Professorin für Chemiedidaktik, veranstaltet im Schülerlabor der Universität Bochum ein etwas anderes Mitmachprojekt: Kinder und ihre Eltern experimentieren hier gemeinsam, ein Dreiviertel Jahr lang einmal im Monat. Für ihr Konzept, „Kinder erleben mit ihren Eltern Chemie“, Kemie, hat Sommer in diesem Jahr den mit 50 000 Euro dotierten Preis der Polytechnischen Gesellschaft erhalten. Im Interview berichtet sie, wie sich das Projekt entwickelt hat, wie es in ihre Forschung eingeht und warum es keine Konkurrenz zur Schule sein soll.
Nachrichten aus der Chemie: Frau Sommer, im Jahr 2011 haben Sie in den Nachrichten aus der Chemie Ihr Eltern-Kind-Experimentierprojekt Kemie vorgestellt. Es läuft ja schon seit 2008. Was hat sich seitdem geändert?Katrin Sommer: Anfangs war in unserem Lernarrangement ausschließlich der Alltagsbezug der rote Faden. Seit fünf Jahren steht das Methodische stärker im Vordergrund. Es geht zum Beispiel ums Messen. Die Eltern-Kind-Paare lernen für die gleiche Frage verschiedene Messmethoden kennen und vergleichen die Ergebnisse – alles umgesetzt an Alltagsfragen.<figure><img src="https://media.graphcms.com/uWtmxB6dQqxOgnBPuY2g"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Katrin Sommer, Chemiedidaktikerin der Uni Bochum, lässt Eltern und Kinder gemeinsam experimentieren. <named-content>Foto: Katja Marquardt, Ruhr-Universität Bochum</named-content></figcaption></figure>
Nachrichten: Warum betonen Sie jetzt das Methodische?Sommer: Um Kindern und Eltern einen Einblick in naturwissenschaftliche Arbeits- und Denkweisen zu geben. Es geht darum zu zeigen, wie Naturwissenschaftler wirklich arbeiten.Nachrichten: Wie kam es dazu?Sommer: Wir haben uns gefragt, was Kinder und Eltern über die Naturwissenschaft Chemie wissen sollten. Und kamen dazu, dass sie erfahren sollten, was eine gezielte Beobachtung ist, was es heißt, eine wissenschaftliche Frage zu stellen und sie mit Experimenten zu beantworten, was es bedeutet, eine Hypothese zu formulieren. Wir wollen den Blick für die Naturwissenschaft öffnen.Nachrichten: Ist das nicht Schulstoff?Sommer: Nein, zumindest nicht in dieser Geschlossenheit. Wir haben für das Methodische ein eigenes Curriculum entwickelt und umgesetzt, das dem Chemieunterricht nichts wegnimmt. Schließlich bleiben wir meist auf phänomenologisch-qualitativer Ebene und kommen ohne Formeln aus.Nachrichten: Warum?Sommer: Wenn die Kinder in der 7. Klasse Chemieunterricht bekommen, sollen sie nicht das Gefühl haben „Das kann ich alles schon“. Denn dann langweilen sie sich, und das wäre kontraproduktiv.Nachrichten: Wie alt sind die Kinder, die an Ihren Experimentierprogrammen teilnehmen?Sommer: Es können Kinder von der von dritten bis zur sechsten Klasse teilnehmen. Zwei Drittel kommen aus der Grundschule. Die meisten, etwa 35 Prozent, sind in der vierten Klasse. Diese Kinder haben ein gutes Alter: Sie sind schon sicher in der Schule, haben aber noch nicht so viel Stress wie in der weiterführenden Schule. Trotzdem kommt ein Drittel der Kinder aus höheren Klassen, also aus der fünften und sechsten. 60 Prozent sind Jungen, 40 Prozent Mädchen.<h2>Lerneffekt für die Erwachsenen</h2>Nachrichten: Was sind das für Eltern, die mit ihren Kindern bei Ihnen experimentieren?Sommer: Erwartungsgemäß sind zahlreiche Akademiker dabei, es sind 58 Prozent. Aber – und das ist überraschend – 26 Prozent der Eltern geben an, dass sie nicht studiert haben, und weitere 16 Prozent machen keine Angaben.Nachrichten: Ich nehme an, dass vor allem solche Eltern zu Ihnen kommen, die Chemie toll finden, sich vielleicht sogar damit auskennen.Sommer: Nicht unbedingt. Wir haben beides, den Chemielaboranten und die Akademische Rätin aus der Romanistik. Mehr als die Hälfte der Eltern hat keinen naturwissenschaftlichen Hintergrund. Das wollte ich am Anfang auch nicht glauben, aber die Zahlen sind über die Jahre stabil.Nachrichten: Kemie ist also auch ein Stück Erwachsenenbildung.Sommer: Ja. Im Labor sind die Eltern in erste Linie Lernpartner für ihre Kinder. Aber auch die Eltern profitieren: Sie nehmen bewusster wahr, wie der Alltag durch Chemie geprägt ist.<figure><img src="https://media.graphcms.com/kXgqAfVSo250oYeWxkWh"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Mutter und Sohn bestimmen mit einem selbstgebauten Aräometer, wie viel Zucker der Kinderpunsch enthält. <named-content>Foto: Tanja Langen, Ruhr-Universität Bochum</named-content></figcaption></figure>
Nachrichten: Was unterscheidet Kinder, die an Kemie teilgenommen haben, von anderen?Sommer: Sie sind sehr versiert im Umgang mit Geräten und beim Experimentieren; fachwissenschaftlich sind sie nicht unbedingt besser.<h2>Eine Freizeitaktivität</h2>Nachrichten: Konkurriert das Experimentieren nicht mit allen möglichen anderen Freizeitangeboten und -aktivitäten der Kinder?Sommer: Über die Konkurrenzsituation können wir nur spekulieren. Konkurrenz sind natürlich vor allem die Sportarten, bei denen es am Wochenende Wettkämpfe gibt. Hier im Ruhrgebiet ist das vor allem Fußball. Auch Familien, die ein umfangreiches Freizeitprogramm absolvieren, finden Möglichkeiten teilzunehmen.Nachrichten: Ihre Teilnehmer klagen also nicht über einen übervollen Terminkalender.Sommer: Das Gute an unserem Angebot ist auch, dass sich die Teilnehmer die monatlichen Termine flexibel aussuchen können und nicht in der ersten Stunde die Termine für die neun Monate festklopfen. Die Laborbesuche sind so mit der Freizeit kompatibel.Nachrichten: Bekommen Sie Rückmeldungen zu Ihrem Projekt aus den Schulen?Sommer: Nein, keine direkten. Aus Sicht der Schulen ist Experimentieren am Nachmittag Familiensache. Es gibt eine eher indirekte Rückmeldung: Ich bilde Chemielehrer aus, die während ihres Studiums bei Kemie als Betreuer arbeiten. Und die treffen dann in ihrem Unterricht schon mal auf Kinder, die teilgenommen haben und immer noch begeistert sind.Nachrichten: Wenn Sie aus der Schule keine Rückmeldung bekommen, woher erfahren Sie, wie Ihr Konzept wirkt?Sommer: 70 Prozent der Eltern-Kind-Paare kommen zu mindestens sieben der neun Termine. Das Konzept kommt offensichtlich an. Wir begleiten das Projekt auch wissenschaftlich.Nachrichten: Wie?Sommer: Annette Kakoschke beispielsweise hat in ihrer Doktorarbeit untersucht, welche Lernziele die Eltern und welche Lernziele die Kinder in den einzelnen Einheiten wahrnehmen. Es hat sich gezeigt, dass Eltern häufiger als ihre Kinder das Methodische erkennen. Die Eltern können also tatsächlich Lernpartner ihrer Kinder sein.<h2>Wie Eltern und Kinder zusammenarbeiten</h2>Nachrichten: Was ist Ihr nächstes Forschungsprojekt?Sommer: Wir werden die Interaktion und Kommunikation der Eltern-Kind-Paare genauer anschauen. Bisher war das Projekt ja eine Black Box für uns. Bei den letzten beiden Jahrgängen durften wir bei den Eltern-Kind-Paaren Aufnahmegeräte mitlaufen lassen. Wir wollen nun die Audiodateien auswerten und so die Kommunikation über neun Monate verfolgen. Wir erhoffen uns Informationen darüber, ob die Paare über die strategische Vorgehensweise miteinander reden oder über Inhaltliches und wie sich die Gespräche im Laufe des Projekts entwickeln.Nachrichten: Wird Kemie weiterlaufen?Sommer: Ja. Das Projekt wird in der Form weitergehen und weiterentwickelt werden.Nachrichten: Trägt dazu auch der Polytechnikpreis bei?Sommer: Auf jeden Fall. Der Polytechnikpreis ist für das gesamte Team eine tolle Auszeichnung und würdigt die Arbeit aller.Mit Katrin Sommer sprach Nachrichten-Redakteurin Frauke Zbikowski.

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„Wie Naturwissenschaftler wirklich arbeiten“

Katrin Sommer, Professorin für Chemiedidaktik, veranstaltet im Schülerlabor der Universität Bochum ein etwas anderes Mitmachprojekt: Kinder und ihre Eltern experimentieren hier gemeinsam, ein Dreiviertel Jahr lang einmal im Monat. Für ihr Konzept, „Kinder erleben mit ihren Eltern Chemie“, Kemie,...

Vor 125 Jahren wurde Walter Maximilian Fuchs geboren. Zweimal war er Leiter des chemisch-technologischen Instituts der RWTH Aachen – vor seiner Entlassung aus dem Staatsdienst im Jahr 1933 und der Emigration in die USA sowie nach seiner Wiederberufung 1949.
Heribert OffermannsDer gebürtige Wiener Walter M. Fuchs war ein „Weltbürger im Reich der Chemie“1) – einerseits ein Visionär, andererseits ein Forscher mit viel Gespür für machbare chemische Prozesse. Er wirkte in Österreich, Deutschland und den USA als Wissenschaftler, akademischer Lehrer, Unternehmer, Berater und Buchautor. Er gehörte zu den 1600 Wissenschaftlern, die von den Nationalsozialisten aus Deutschland vertrieben wurden, um jüdische und politisch missliebige Beamte aus dem Dienst zu entfernen. Der Lebensweg von Fuchs steht exemplarisch für das, was jüdischstämmige Chemiker in der Nazizeit ertragen und erleiden mussten, und für die Bedeutung dieser Wissenschaftler für Forschung und Industrie in Deutschland.<figure><img src="https://media.graphcms.com/bxAdi42vR3CSI6GxtkJZ"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Walter M. Fuchs im Jahr 1956. Porträt von Wolf Ritz. Ritz (1920 – 2008) schuf unter anderem Portraits von Albert Einstein, Albert Schweitzer und Thomas Mann sowie Büsten von Ernst Jünger und Ludwig Ehrhard. Ritz war verheiratet mit einer Fuchs-Schülerin, der promovierten Chemikerin Gertrud Ritz, geb. Baumsteiger. Das Fuchs-Portrait hängt im Asinger-Zentrum des heutigen Instituts für Technische und Makromolekulare Chemie der RWTH Aachen.</figcaption></figure>
Fuchs ist weitgehend in Vergessenheit geraten: In Standardwerken über deutsche Chemiker und über Gedenktage und Meilensteine der Chemie sucht man seinen Namen vergeblich.2–4) Selbst Bücher über das Schicksal von Chemikern unter dem Naziregime gehen auf Fuchs nur kurz ein.5,6) Vor längerer Zeit sind Kurzbiografien veröffentlicht worden, die schwer oder kaum auffindbar sind.1,7,8) Weitere biografische Skizzen wurden auch anlässlich seines 65. Geburtstags und zum Gedenken publiziert.9)Dabei sind viele Gedanken, die Fuchs vor 70 Jahren äußerte, immer noch aktuell. Im Exil in den USA schrieb er das Buch „When the Oil Wells Run Dry“.10) Er stellt die Endlichkeit der fossilen Rohstoffe in den Mittelpunkt, beschreibt die Erdölindustrie, den Stand der Petrochemie in den Kriegsjahren und formuliert Ideen für die Zeit ohne fossile Rohstoffe [s. Nachr. Chem. 2016, 64, 440]. Die Tatsache, dass auf dieses Buch in allen biografischen Skizzen nicht näher eingegangen wurde, zeigt, dass die Zeit für seine Gedanken noch nicht reif war und er somit im Wortsinn ein Vordenker dessen war, was wir heute als „erneuerbare“ Energien bezeichnen.<figure><img src="https://media.graphcms.com/8onTrBGCRCSy25dDzP2R"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Cover des Buches „When the Oil Wells Run Dry“.10) Fuchs erweist sich darin als Visionär, der seiner Zeit weit voraus ist. Er beschreibt ausführlich die Energiequellen, die heute als „erneuerbare“ bekannt sind [s. Nachr. Chem. 2016, 64, 440].</figcaption></figure>
<h2>Werdegang</h2>Walter Maximilian Fuchs wurde am 8. Juni 1891 in Wien als Sohn jüdischstämmiger Eltern geboren. Der Vater, den Fuchs als Österreicher deutscher Nation bezeichnete, war Eisenbahnangestellter. Fuchs war Schüler von Gymnasien in Triest, in Graz und zum Schluss in Wien, wo er die Matura mit Auszeichnung bestand. An der Universität Wien studierte er zunächst Mathematik, Physik und Chemie; auf letztere konzentrierte er sich zum Schluss ganz. Promoviert wurde er mit 24 Jahren unter Guido Goldschmiedt, einem Meister der Strukturaufklärung von Naturstoffen.Im 1. Weltkrieg einberufen, war Fuchs gegen Ende des Krieges Offizier und wurde schwer verwundet. Nach Ende des Krieges bekam er eine Assistentenstelle bei Max Hönig an der „Lehrkanzel für organische Agricultur- und Nahrungsmittelchemie“ der Deutschen Technischen Hochschule Brünn und wurde tschechoslowakischer Staatsbürger. Seine Interessen galten der präparativen organischen Chemie und physikalischen Chemie, speziell den Phenolen. Er begann mit Arbeiten zur Genese, Struktur und Verwertung von Inkohlungsprodukten wie Torf und Kohle. Diese blieben ein Schwerpunktthema in seinem weiteren Berufsleben, ebenso wie die Holzbausteine Lignin und Zellulose. Nebenher betätigte er sich als Industriechemiker bei „Fa. Zentra – Fett- und Seifenindustrie“ in Wien. Zudem war er Firmengründer und Unternehmer der „Aurora GmbH für Affination und Legierung von Edelmetallen“.In seiner Zeit als Privatdozent von 1919 bis 1926 begann er seine grundlegenden Arbeiten zur Chemie des Lignins und der Phenole. 1927 wurde er als Abteilungsvorsteher an das von Hans Fischer geleitete Kaiser-Wilhelm-Institut für Kohleforschung in Mülheim an der Ruhr berufen. Diese Tätigkeit endete abrupt – die Gründe sind bis heute ungeklärt – und die Abteilung mit dem Forschungsschwerpunkt Kohle wurde geschlossen. Zeitweilig betrieb Fuchs auch ein Unternehmen für Produkte der Nahrungsmittelindustrie in Berlin.Im Jahr 1932 wurde er auf den Lehrstuhl für chemische Technologie an das chemisch-technologische Institut der RWTH Aachen berufen. Mit dieser Berufung erhielt er nach der österreichischen und tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft auch die deutsche.Schon bald nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 wurde er bedroht, verleumdet, denunziert und dann im September 1933 ohne Angabe von Gründen vom preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Bernhard Rust entlassen. Auf das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ – ein Diskriminierungsgesetz, das dazu diente, den Beamtenapparat im nationalsozialistischen Sinne zu säubern – wurde nicht konkret Bezug genommen. Für Fuchs, der im 1. Weltkrieg Soldat für die mit Deutschland verbündete Donaumonarchie gewesen war, hätte eigentlich das Frontkämpferprivileg des Berufsbeamtengesetzes gelten müssen. Am 1. März 1933 schrieb Fuchs an den Rektor der RWTH: „Ich bin während meiner ganzen Kriegsleistung nicht nach der Rasse meiner Großeltern gefragt worden.“<h2>Emigration und Rückkehr</h2>Nach Zwischenstationen in Mährisch-Ostrau in der Tschechoslowakei und London gelangte Fuchs in die USA und wurde auf Vermittlung des Streptomycin-Entdeckers Selman A. Waksman Professor an der Rutgers University. Von 1935 bis 1942 war er Professor für „Fuel Technology“ an der Pennsylvania State University. Anschließend betätigte er sich als Industrieberater. Im Alter von 58 Jahren berief ihn, den Sozialdemokraten, die CDU-Kultusministerin von Nordrhein-Westfalen Christine Teusch erneut an die RWTH Aachen auf seinen alten Lehrstuhl.Obwohl gesundheitlich angeschlagen und teilweise verbittert, setzte er sich tatkräftig für das Institut ein und kämpfte für einen Neubau. In Aachen blieben ihm nur wenige Jahre als Forscher und Lehrer. Über seine alten Forschungsschwerpunkte setzte er neue Akzente: Herstellung der Blausäure nach dem Fuchs-Verbeek-Verfahren, Nitrilsynthesen, organische Elektrochemie etc. In über 200 Publikationen sind seine Forschungsergebnisse beschrieben. Er etablierte die technische Chemie als eigenständiges Fach mit den zwei Säulen „unit processes“, also den chemisch-technischen Grundreaktionen, und „unit operations“, also den verfahrenstechnischen Grundoperationen.Sein Schüler Bernhard Fell, der bis 1993 viele Jahre als Professor für technische Chemie am Aachener Institut wirkte, schreibt: „Nur acht Jahre hat Walter Fuchs nach seiner Rückkehr aus den USA in Aachen noch lehren und forschen können. Gleichwohl erzielte er in dieser kurzen Zeit mit seinen Mitarbeitern, denen er sich in ganz ungewöhnlicher Weise verantwortlich fühlte, viele, zum Teil auch zukunftsweisende Forschungsergebnisse und konnte daneben auch wichtige Eckpunkte für eine reformierte Lehre im Fach Technische Chemie setzen.“<h2>Bilanz</h2>Im Jahr 1956 wurde das neue Institutsgebäude an der Alten Maastrichter Straße eingeweiht – wenn es auch nicht den Vorstellungen und Forderungen des Hausherrn entsprach und nach seiner Ansicht zudem viel zu spät gebaut worden war. In einem Artikel anlässlich der Einweihung in der Chemiker-Zeitung formuliert Fuchs seinen Dank dementsprechend nur sehr verhalten.11) Er erinnert vielmehr an seine Prognosen vor seiner Emigration („Deutschland wird sich erst in einen Kasernenhof und dann in einen Friedhof verwandeln“), äußert sich – ohne Namen zu nennen – sehr kritisch, ja sarkastisch zur Situation und Atmosphäre an der Hochschule und zur Aufarbeitung der Vergangenheit und beschreibt seine Wunschvorstellungen für seinen Nachfolger: „Er möge die fachlichen Fähigkeiten mit sittlichem Verantwortungsgefühl vereinigen, der Wahrheit verpflichtet sein und in allen Handlungen opportunistischen Versuchen widerstehen.“Fuchs selbst war ein Doktovater im edelsten Sinn des Wortes, den seine Schülerinnen – die Frauenquote in seinem Arbeitskreis war beachtlich hoch – und Schüler (insgesamt etwa 75) sehr schätzten, ja verehrten. Einer seiner ersten Mitarbeiter nach Fuchs‘ Rückkehr nach Aachen, Karl-August Hamacher, schrieb später im Jahr 1996:1) „Sein Charakterbild war von lauterster Gesinnung, enormem Fleiß, feinem Humor und großer Herzensgüte!“Fuchs zweite Ehefrau Frieda Fuchs, geb. Weinstock, eine zweifach promovierte Psychologin, Medizinerin und Chemikerin, die Fuchs in der Emigration geheiratet hatte, unterstützte den gesundheitlich geschwächten Ehemann in der Leitung des Instituts. Hamacher charakterisierte sie als „eine Seele von Mensch, hochgebildet, freundlich.“1)Walter Maximilian Fuchs starb plötzlich am 30. August 1957 an den Folgen eines Herzinfarkts. Seine Witwe war noch viele Jahre Stadträtin für die SPD und engagierte sich im kulturellen und sozialen Bereich.Walter M. Fuchs ist in die Geschichte der Chemie als bedeutender Forscher auf den Gebieten Lignin, Huminsäuren und Kohlechemie eingegangen. Große Beachtung fand sein Buch „Die Chemie der Kohle“.12) Als nach dem zweiten Weltkrieg die Petrolchemie neben die Kohlechemie trat, war er auch für die Nutzung von Erdöl in Deutschland ein Wegbereiter.Heribert Offermanns, Jahrgang 1937, Chemiker und Mitglied des Vorstands der Degussa bis zum Jahr 2000. Wie gut der Visionär Walter Maximilian Fuchs an die RWTH Aachen passte, beschrieb Offermanns im Beitrag „Ein Institut und eine Vision“ in Nachr. Chem. 2016, 64, 440.Der Autor dankt Valentin Wehefritz, Dortmund, sowie Wilhelm Keim, Aachen, und Bernhard Fell, Prerow, für Informationen, Anregungen und Durchsicht des Manuskripts.
<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 V. Wehefritz, Weltbürger im Reich der Chemie. Prof. Dr. Walter Fuchs (1891–1957). Ein deutsches Gelehrtenschicksal im 20. Jahrhundert, Universitätsbibliothek, Dortmund, 1996.</li><li>
2 W. Pötsch et al., Lexikon bedeutender Chemiker, Verlag Harry Deutsch, Thun und Frankfurt am Main, 1989.</li><li>
3 S. Neufeld, Chronologie der Chemie, Wiley-VCH, Weinheim, 2003.</li><li>
4 H. Remane, W. Girnus, Nachr. Chem. 2007, 55, 11.</li><li>
5 U. Deichmann, Flüchten, Mitmachen, Vergessen – Chemiker und Biochemiker in der NS – Zeit, Wiley-VCH, Weinheim, 2001.</li><li>
6 H. Maier, Chemiker in „Dritten Reich“, Wiley-VCH, Weinheim, 2015.</li><li>
7 B. Fell, „Walter Maximilian Fuchs 1891 –1957“ in: Die Rheinisch – Westfälische Technische Hochschule Aachen – Wissenschaft zwischen Technischer und Gesellschaftlicher Herausforderung 1970 – 1995, Einhard-Verlag, Aachen, 1995, S. 196 – 202.</li><li>
8 H.-G. Schäfer, „Walter Maximian Fuchs“, in: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 5, Duncker &amp; Humblot, Berlin, 1961.</li><li>
9 „Artikel zum 65. Geburtstag und zum Gedenken: a) Prof.Dr. phil. Walter Fuchs“, Chemiker-Zeitung 1956, 80, 387; b) „Professor Dr. Walter Fuchs 65 Jahre“, Erdöl und Kohle 1956, 9, 428; c) H. P. Kaufmann, „Prof. Dr. W. Fuchs 65 Jahre alt“ Fette, Seifen, Anstrichmittel 1956, 58, 487; d) H.-G. Schäfer, „Prof. Dr. phil. habil. Walter Fuchs, 1891–1957“, Bergakademie 1957, 578–579; e) E. Terres, „Walter Fuchs zum Gedächtnis“, Brennstoff-Chemie 1957, 38, 352; f) W. Brötz, „Zur Entwicklung der chemischen Technologie in Deutschland. Prof. Dr. Walter Fuchs zum Gedächtnis.“ Chemie-lngenieur-Technik 1957, 29, 765–767; g) F. Glaser, „Professor Dr. Waller Fuchs zum Gedenken. Erdöl und Kohle 1957, 10, 804; h) „Prof. Dr. W. Fuchs“, Fette, Seifen, Anstrichmittel 1957, 59, 910; i) H.-G. Schäfer, „Professor Walter Fuchs, 1891 –1957“, Chemische Technik 1958, 10, 64.</li><li>
10 Walter M. Fuchs, When The Oil Wells Run Dry, Industrial Research Service, Dover NH, USA, 1946; als Taschenbuch: Literary Licensing, LLC, 2013.</li><li>
11 W. Fuchs, Chemiker-Zeitung 1956, 80, 602.</li><li>
12 W. Fuchs, Die Chemie der Kohle, Verlag von Julius Springer, Berlin. 1931.</li></ul>

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