Blickpunkt

Utz Tillmann: Herr Schmidt, der aktuelle BP-Energyoutlook bezieht sich auf das Jahr 2035. Fassen Sie das Szenario für uns zusammen?
Michael Schmidt: Das ist kein Szenario, sondern eine Prognose, die wir seit mehreren Jahren regelmäßig erstellen. Demnach wird der Energieverbrauch bis zum Jahr 2035 weltweit um über 40 Prozent steigen, und zwar überwiegend getrieben durch Länder in Asien, vor allem in China und Indien. Die Anteile von Gas, Öl und Kohle am globalen Energiemix werden im Jahr 2035 bei etwa je 27 Prozent liegen. Der Gasanteil wird steigen, die Anteile von Kohle und vor allem Öl werden zurückgehen. Aber die Nachfrage nach Öl wird insgesamt weiter steigen. Der Outlook prognostiziert eine Größenordnung von 19 Millionen Barrel pro Tag; das bedeutet eine Steigerung von über 20 Prozent in 20 Jahren. Nordamerika wird zum Nettoexporteur von Energie, hauptsächlich durch die zunehmende Förderung von Schiefergas und Tight Oil, das Öl aus sehr wenig durchlässigem Gestein, auch unkonventionelles Öl genannt.


<h2>Schiefergas aus Deutschland</h2>
Tillmann: Wird es dann auch Schiefergas aus Deutschland geben?
Schmidt: Das lässt sich schwer voraussagen, aus heutiger Sicht halte ich das jedoch für unwahrscheinlich. Der Anteil Europas an der Schiefergasförderung weltweit dürfte nach unseren Prognosen auch im Jahr 2035 sehr überschaubar sein. Die Schiefergasproduktion bleibt zunächst überwiegend konzentriert auf Nordamerika. Das liegt nicht nur an der Geologie, sondern auch an dem, was oberhalb der Erdoberfläche passiert. Sprich, am politischen, gesellschaftlichen Umfeld. Die USA haben einige Jahre Vorsprung was die Entwicklung der Industrie und der Infrastruktur anbetrifft. Der Outlook prognostiziert, dass erst ab 2020 der Anteil der Regionen außerhalb der USA an der Schiefergas- und Tight-Oil-Versorgung steigt.
Tillmann: Was bereitetet Ihnen dabei Sorgen?
Schmidt: Wir sehen bedingt durch die Schiefergasrevolution weltweit einen Trend von Naphthacrackern hin zu Ethancrackern. Das findet heute schon in den USA statt, und wir sehen ähnliches auf Europa zukommen. Wenn wir aber auf Ethan als Rohmaterial wechseln, fehlen die Nebenprodukte der Cracker, und dann haben die hiesigen Wertschöpfungsketten ein echtes Problem.
Tillmann: Herr Kalkoffen, die amerikanische Gasförderung liefert ja nicht nur Methan, sondern hat auch flüssige Anteile. Theoretisch könnte man doch einen Ethancracker sehen, aber wohl eher nicht in Deutschland, oder?
Gernot Kalkoffen: Diese Überlegung ist noch ein bisschen früh. Wir müssen beim deutschen Schiefergas erst mal prüfen, welche Qualität es hat.
Harald Schwager: Ich möchte das wesentliche Element des Unterschieds von Gas in den USA und Gas in Europa einbringen: der Preis. Wir werden in Europa niemals einen Ethancracker — selbst wenn reines Ethan aus dem Boden käme — auf diese Gasquelle setzen, um daraus Ethylen und Polyethylen zu machen. Der hohe Preis, der in Europa für Gas erzielt werden kann, führt dazu, dass dieses Gas zu Heizzwecken eingesetzt wird.
Tillmann: Herr Schmidt, spielt das Thema Schiefergas aus Deutschland für Sie eine Rolle?
Schmidt: Wir bei BP sehen es hier nicht, aber ich bin trotzdem der Meinung, dass wir zumindest Probebohrungen machen sollten, damit wir die Chancen, aber auch die Risiken dieser Technologie besser und vor allem vorurteilsfrei bewerten können.


<h2>Das Moratorium</h2>
Tillmann: Herr Lies, was ist aus Ihrer Sicht, der Sicht eines niedersächsischen Ministers, erforderlich, um beim Bürger wieder Vertrauen in die Gasindustrie aufzubauen?
Olaf Lies: Es ist viel Aufklärungsarbeit notwendig. Jahrzehnte lang haben Bürger und Erdgasförderer harmonisch zusammen gelebt. Der Disput ist erst in den letzten Jahren entstanden. Es gibt ein Moratorium in Niedersachsen zurzeit …
Tillmann: … über die Erdgasexploration und neue Bohrungen. Ja, aber warum, wenn es über Jahre so gut lief?
Lies: Die Erdgasförderung wieder auf die Beine zu stellen, war immer unser Anliegen, um die Industrie zu stabilisieren. Übrigens nicht nur die Industrie, die Erdgas fördert, sondern auch die dahinter.
Tillmann: Herr Kalkoffen, warum haben Sie sich für das niedersächsische Moratorium entschieden, obwohl die Erdgasförderung in den letzten Jahren rückläufig war?
Kalkoffen: Weil wir immer schon mit den Fachbehörden ein sehr konstruktives Miteinander hatten. Und wir wissen: 96 Prozent des deutschen Gases sind in Niedersachsen. Ich habe schon viele Landesregierungen gesehen, in unterschiedlichsten Farben. Aber eins war immer klar: Niedersachsen sieht sich als Energieland. Wir haben die Zeit jetzt genutzt — die Politik ja auch —, um Gutachten und Studien zu erstellen. Und alle, ob sie von uns, vom Land, vom Bundesumweltamt oder von der Bundesanstalt für Geowissenschaften initiiert wurden, kamen unisono zu dem Schluss: Die Technik ist verantwortbar, wenn man Vorsorgemaßnahmen trifft.
Tillmann: Wie beurteilt die BASF das Angebot, beim Thema Erdgasproduktion in Deutschland neu zu beginnen?
Schwager: Wir begrüßen natürlich, dass es voran geht. Wir haben vor mehr als zwei Jahren die Bohrungen niedergebracht und warten seitdem. Aber die Einigung auf das Moratorium ist bei uns sehr unterschiedlich beurteilt worden. So hatte der Deutschlandchef ein Problem damit, weil er ja Volumen verliert. Der Chef von Exploration und Produktion, der für das globale Öl- und Gas-Portfolio zuständig ist, will dagegen nur wissen: Wo ist die nächstbeste Alternative? Wenn ich das Geld für Investitionen hier nicht ausgeben kann, dann gebe ich das eben woanders aus. Von daher ist das Ende des Moratoriums, je schneller es erfolgt, desto besser für den Standort Deutschland.
Tillmann: Herr Huisman, was sagen Sie als großer Energieverbraucher dazu?
Willem Huisman: Im Moment ist die Dow schwer beschäftigt mit Investitionen in Amerika und Nahost — hauptsächlich wegen der billigen Energie dort. Die ist langfristig garantiert. Das ist in Europa nicht so, und deswegen stehen Investitionen hier nicht an. Was mir hier fehlt, ist das Bewusstsein für die Dringlichkeit — auch in der Politik —, den Wirtschaftsstandort Europa zu behaupten. Da sind wir viel zu behäbig.
Tillmann: Wenn das Moratorium aufgehoben wird und wir in Deutschland wieder konventionelles Gas produzieren, hätte das einen Effekt auf den Energiepreis?
Schwager: Das ändert am Gaspreis in Europa zunächst einmal nichts, weil die zusätzliche Menge minimal ist. Der europäische Gesamtverbrauch beträgt etwa 550 Milliarden Kubikmeter, und wir reden jetzt über ein paar hunderttausend bis Millionen Kubikmeter.
Tillmann: Und wenn Sie die Produktion nicht steigerten?
Schwager: Dann müssen wir die fehlende Menge importieren. Dafür ist ungünstigerweise die günstigste Lieferform Pipelinegas.
Tillmann: Ließe sich nicht Flüssigerdgas importieren?
Schwager: Leider funktioniert das nicht. Zum einen will die europäische Union keine langfristigen Verträge, zum zweiten keine Ölpreisbindung. Ohne feste Kontrakte werden wir aber nur dann Flüssigerdgas nach Europa bekommen, wenn die Nachfrage aus den Kontrakten asiatischer oder südamerikanischer Unternehmen so gering ist, dass es vagabundierende Mengen gibt. Darauf können wir keine Energiesicherheit aufbauen. Wir werden also weiterhin das kostengünstigere Pipelinegas nehmen, weil schlichtweg die Kosten, um Flüssigerdgas nach Europa zu bringen mit sechs bis sieben Dollar pro Barrel zu hoch sind. Deswegen stehen auch hier alle Flüssigerdgasterminals so gut wie leer.


<h2>Preispolitik</h2>
Tillmann: Herr Schmidt, woran orientieren Sie sich bei Ihren Preisen?
Schmidt: Ich bin Kaufmann, Preise werden vom Markt gemacht, die können Sie als Unternehmer nicht alleine setzen. Die Frage ist, wie sieht es mit der Wettbewerbsfähigkeit insgesamt aus? Da spielt der Gaspreis eine Rolle, aber nicht allein. Dazu gehört auch, wie sich sich die Weltmärkte insgesamt entwickeln. Der Schiefergas-Boom hat in den USA bewirkt, dass mittlerweile wieder Cracker reaktiviert werden und ans Netz gehen, die eigentlich schon für die Stilllegung vorgesehen waren. Es werden auch Cracker aus Südamerika in die USA verschifft und dort wieder aufgebaut.
Tillmann: Wie lange würde es dauern, bis wir hier für die Preispolitik relevante Mengen Erdgas produzieren könnten, Herr Kalkoffen?
Kalkoffen: Wenn wir heute anfangen könnten, wäre in fünf bis zehn Jahren eine substanzielle Produktion möglich. In Deutschland brauchen wir aber zurzeit noch sehr lange, um überhaupt Genehmigungen zu bekommen. Das ist nicht negativ gemeint, wir leben in einem Land, wo wir sorgfältig sind. Aber jetzt ist es auch an der Zeit voranzugehen, damit heimisches Erdgas wieder mehr zur Versorgung beitragen kann.
Lies: Also die Energiewende ist ja kein Prozess, der in zehn Jahren abgeschlossen ist. Der wird deutlich länger dauern. Ich bin überzeugt davon, dass Erdgas ein wesentlicher Bestandteil der Energiewende ist. Wir leben außerdem in einem internationalen Netz.
Tillmann: Wie kann der Industriestandort Deutschland international zukunftsfähig werden?
Lies: Es hilft nicht, der Wirtschaft zu sagen: Investiert mal heute, in zehn Jahren sorgen wir dafür, dass ihr stabile Preise habt. Darauf würde ich mich auch nicht einlassen, denn dazwischen liegen einige Wahlen. Im Kern — das ist die nüchterne Erkenntnis der letzten Jahre — im Kern heißt das: Wir müssen heute handeln. Ob wir beim Thema Erdgasförderung aus unkonventionellen Lagerstätten morgen beginnen oder in drei Jahren, ist nicht die Frage. Die Frage ist: Wie lassen sich Energiepreise langfristig stabil halten? Die Investitionssicherheit der großen Unternehmen entscheidet sich in den nächsten vier, fünf Jahren oder schon morgen oder vielleicht schon gestern. Und deswegen ist für mich nicht die Frage entscheidend, wie wir den Strom erzeugen und was er kostet, sondern, wie sich der Strompreis in Deutschland zusammensetzt. Dabei sind Abgaben ein großes Thema. Eigentlich hat die Energiewende, zumindest was die Strompreisbörse angeht, einen positiven Effekt. Und eigentlich könnten wir relativ wettbewerbsnah in Deutschland für unter vier Cent Strom haben. Aber es kommen die Abgaben dazu.
Tillmann: Die Erdgasförderung in Niedersachsen bringt uns also gar nicht weiter?
Lies: Über die Diskussion “Wie kriegen wir die Erdgasförderung stabilisiert? Wie kriegen wir Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten auf den Weg gebracht?” können wir kurzfristig keinen Beitrag zur Stabilisierung des Industriestandorts Deutschland leisten. Diese Themen tragen zur mittel- oder langfristigen Stabilisierung bei. Wir brauchen aber zügig eine Lösung für kurzfristige Investitionen.
Huisman: Ein Teil der Lösung liegt darin, dass man nicht nur Deutschland, sondern auch Europa anschaut und einigt. Aber dazu tickt Europa zu langsam. Und wir brauchen keine Gesetze, damit wir so effizient möglich mit Energie umgehen. Das machen wir selbst am besten.
Redaktion: Maren Bulmahn


<h2>DIE DISKUSSIONSTEILNEHMER</h2>
Über Potenzial und Akzeptanz der heimischen Schiefergasförderung diskutierten während der Handelsblatt Jahrestagung Chemie in Köln Willem Huisman, Präsident Dow Deutschland, Gernot Kalkoffen, Vorstandsvorsitzender Exxon Mobil Europa Olaf Lies, Niedersächsischer Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Michael Schmidt, Vorstandsvorsitzender BP Europa und Harald Schwager, Vorstand BASF.
Es moderierte Utz Tillmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie.

“Wir sind viel zu behäbig”

Utz Tillmann: Herr Schmidt, der aktuelle BP-Energyoutlook bezieht sich auf das Jahr 2035. Fassen Sie das Szenario für uns zusammen? Michael Schmidt: Das ist kein Szenario, sondern eine Prognose, die wir seit mehreren Jahren regelmäßig erstellen. Demnach wird der Energieverbrauch bis zum Jahr 2035...

Mehr als 1000 Mal wurde das Poster “Top 200 Drugs 2011” von der GDCh-Homepage heruntergeladen [Nachr. Chem. 2013, 61, 528]. Jetzt gibt es die 2013er-Version.1,2) Viel hat sich verändert: Atorvastatin — einer der wohl bekanntesten Wirkstoffe — war im Jahr 2011 noch die unangefochtene Nummer 1. Durch den Verlust des Patentschutzes rutschte es im Jahr 2013 auf Platz 32 ab. Auch der ehemaligen Nummer 2 Plavix erging es nicht besser — es steht jetzt auf Platz 38.
Verglichen mit dem Jahr 2011 sind Biopharmazeutika mit 48 statt 44 Substanzen etwas stärker vertreten. Biopharmazeutika sind Proteinpräparate, etwa Humaninsuline und monoklonale Antikörper, die biotechnisch hergestellt wurden. Mit Humira liegt im Jahr 2013 ein monoklonaler Antikörper sogar auf Platz 1. Die Hälfte der Top 20 sind Biopharmazeutika (2011: 8 von 20) und immerhin 18 der Top 40. Dass es so viele sind, mag am Preis liegen: Über 1000 US-Dollar pro Dosis monoklonaler Antikörper sind nicht selten. So erzeugen wenige Verschreibungen viel Umsatz.
Die meistverkauften Biopharmazeutika sind Insuline. Deren Umsatz im Jahr 2011 betrug 15 Mrd. US-Dollar und im Jahr 2013 etwa 19 Mrd. US-Dollar. Zum Vergleich: der Markt für Biopharmazeutika betrug ungefähr 134 Mrd. US-Dollar. Insgesamt ist ein Vormarsch von Produkten, die direkt mit Diabetes im Zusammenhang stehen, zu beobachten: Im Jahr 2011 erbrachten 14 Produkte 29 Mrd. US-Dollar, jetzt sind es bei 16 Produkten 34 Mrd. US-Dollar. Erfreulich für Synthetiker ist, dass es sich bei den prominentesten Neuzugängen um Saxagliptin, Vildagliptin und Linagliptin handelt; das sind synthetisch hergestellte Small Molecules.
Fabian Weber, Jahrgang 1987, studierte Chemie an der Universität Freiburg und promoviert dort im Arbeitskreis von Reinhard Brückner zu Naturstoffsynthesen. <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.fabian-weber.eu" target="_blank">www.fabian-weber.eu</a></ext-link> Gottfried Sedelmeier, Jahrgang 1948, studierte Chemie an der Universität Freiburg. Nach seiner Promotion im Jahr 1979 begann er bei Ciba-Geigy (heute Novartis). Seit dem Jahr 1991 liest er an der Universität Freiburg über industrielle pharmazeutische Chemie und ist dort seit dem Jahr 2003 Honorarprofessor. <a href="mailto:gottfried.sedelmeier@novartis.com">gottfried.sedelmeier@novartis.com</a>



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IMS Health stellt die Zahlen ausschließlich für akademische Zwecke zur Verfügung (purely for academic purposes). Die Poster sind ausschließlich für akademische Zwecke nach Einloggen als GDCh-Mitglied herunterladbar.
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Die Strukturen der Wirkstoffe wurden mit Scifinder recherchiert. Sofern es sich um Small Molecules handelt, wurden die Strukturen von dort übernommen. Die Proteinstrukturen stammen aus der Internationalen Proteindatenbank und wurden mit dem Open-source-Programm Jmol (<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.jmol.org" target="_blank">www.jmol.org</a></ext-link>) abgebildet, sofern es Kristall- oder Lösungsstrukturen gibt. Anderenfalls wurde das Protein oder Peptid abgebildet, von dem sich der Wirkstoff ableitet.
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“Wir sind viel zu behäbig”

Schiefergas aus Deutschland

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