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Nachrichten aus der Chemie: Sie bieten Science-Fiction als Ideenpool für neue Produkte und Techniken. Wie kamen Sie dazu?
Le Blanc: Das hängt mit meiner Person zusammen. Ich habe Naturwissenschaften studiert, aber die meiste Zeit meines Lebens im geisteswissenschaftlichen Bereich verbracht: Ich habe als Journalist gearbeitet, als Schriftsteller, als Verlagslektor. Und habe über Science-Fiction oder Fantastik geschrieben. Damit war ich immer schon Wanderer zwischen den Welten Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft.
Nachrichten: Aber ist Literatur, die mit einer fernen Zukunft zu tun hat, nicht Spinnerei?
Le Blanc: Natürlich gibt es in der Literatur auch abstruse Weltraumimperien, aber der wesentlich größere Teil, der spannendere Teil handelt von IT, Robotik und Medizintechnik, es geht um Gentechnik, Nanotechnologie, Mobilität, das Haus der Zukunft. Literatur, die vor 20, 30, 40 Jahren geschrieben wurde, ist teilweise heute schon umsetzbar.
Nachrichten: Und was davon bieten Sie Unternehmen an?
Le Blanc: Wir geben zusätzlichen Input. Wir sitzen wie ein Drache auf einem Goldschatz, auf einem riesigen Schatz von Ideen, und diese Ideen bieten wir den Unternehmen an. Nicht, weil wir glauben, dass alle Ideen funktionieren oder wir die einzigen sind, die gute Ideen haben, sondern zusätzlich. Die Innovationszyklen sind heute so kurz. Also fragen sich die Unternehmen, wo sie neue Ideen herbekommen — die sind alle bei uns im Haus.


<h2>Fahren wir künftig noch Auto?</h2>
Nachrichten: Welche Ideen sind für Ihre Kunden interessant?
Le Blanc: Die meisten interessiert, wie die Welt in 30 Jahren aussieht. Dabei ist die Frage nicht, welche Batterie wir haben, sondern ob wir überhaupt noch Auto fahren. Und die Firmen wollen wissen, wie die Menschen mit neuen Techniken umgehen, ob sie ihre Produkte verkaufen können. Man kann eine noch so tolle Idee haben, wenn das Produkt irgendwie klebrig, eklig, stinkig ist, dann will es keiner.
Nachrichten: Wie kamen die Unternehmen zu Ihnen?
Le Blanc: Wir bekamen Kontakt zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR, und haben eine Studie zur terrestrischen Mobilität gemacht, darüber wie die Welt in Zukunft aussieht — beim Verkehr auf dem Boden, im Wasser, unter der Erde.
Nachrichten: Beim DLR denke ich sofort an Raumfahrt.
Le Blanc: Die haben auch Abteilungen für Verkehrstechnik. Für uns war wichtig, ein Referenzprojekt zu bekommen. Wir haben etwas mehr als ein Jahr an dieser Studie gearbeitet mit mehreren Treffen und Workshops. Das war eine sehr schöne Zusammenarbeit. Von deren Seite kamen die Realitätsfragen, während wir die Science-Fiction beschrieben.
Nachrichten: Damit konnten Sie weitere Kunden gewinnen?
Le Blanc: Wir gaben dem Modell den Namen “Future Life” und schrieben in der Folgezeit Unternehmen an und erklärten es.
Nachrichten: Wie war die Resonanz?
Le Blanc: Ein paar freundliche Absagen. Viele haben gar nicht geantwortet. Ein schöner Brief, über den wir uns sehr gefreut haben, kam von B. Braun Melsungen, von Ludwig Georg Braun persönlich. Der konnte unser Produkt für seine Firma zwar nicht gebrauchen, fand es aber so toll, dass er ein Sponsoring machte.
Nachrichten: Und dann?
Le Blanc: Passierte zunächst wieder nichts. Aber wir waren hartnäckig, haben unsere Werbestrategie umgestellt, die Briefe anders formuliert. Ich habe an die Innovationsabteilung geschrieben, die Verantwortlichen persönlich angesprochen. Und dann hat es irgendwann “klick” gemacht.
Nachrichten: Woran lag das?
Le Blanc: Ich weiß heute immer noch nicht so genau, womit es zusammenhängt. Vor drei Jahren stand in der “Technology Review” ein Artikel über uns, der war sicher wichtig. Aber die Industrie hätte ja gar nicht auf diesen Artikel reagiert, wenn sie sich nicht für ungewöhnliche Wege hätte öffnen müssen. Von diesem Zeitpunkt an war das ein Selbstläufer. Die Firmen haben nicht nur angerufen und mich eingeladen. Firmenvertreter waren auch hier und haben sich unsere Bibliothek angesehen.
Nachrichten: Wie haben die Unternehmen auf Ihre Bibliothek reagiert?
Le Blanc: Die Verantwortlichen haben meine Begeisterung mitbekommen. Ich wurde zu Vorträgen und Tagungen eingeladen, zum Beispiel nach Hanau zur Nanotechnologietagung des hessischen Wirtschaftsministeriums. Und jedes Mal sagten mir Firmenvertreter “Das war ja ein toller Vortrag. Hier ist meine Karte. Wann darf ich vorbeikommen?”
Nachrichten: Eine Dienstleistung wie Ihre ist sonst nicht zu haben?
Le Blanc: Aus solchen Geschichten Ideen entnehmen kann in ganz Europa keiner außer uns, weil keiner so eine große Science-Fiction-Bibliothek hat.


<h2>Eine Datenbank für Future Life</h2>
Nachrichten: Gibt es bei Ihnen eine Datenbank mit Ideen aus der Science-Fiction-Literatur? 
Le Blanc: Klar, wir müssen ja das, was wir lesen, sortieren.
Nachrichten: Wer ist wir?
Le Blanc: Ich selber lese weniger, sondern krame mehr in meinem Gedächtnis nach dem, was ich schon gelesen habe. Aber ich habe zwei Mitarbeiterinnen: Eine Germanistin und eine Biologin. Die lesen, wenn wir grade keinen Forschungsauftrag haben, als Vorbereitung für Seminare und Vorträge. Dazu setzen wir auch wissenschaftliche Praktikanten ein.
Nachrichten: Wie gehen Sie beim Lesen vor?
Le Blanc: Wir fragen uns: Welche Technologie steckt in dieser Geschichte drin? Wie ist das benannt, wie tief ist es beschrieben? Wie detailliert? Und das Allerwichtigste dabei: Wie gehen die Menschen damit um? Akzeptieren sie eine Technik oder macht sie ihnen Angst? Oder ist sie gefährlich? Wir ordnen dann das Gelesene nach Ideen, erst nach Überbegriffen, etwa Mobilität, und dann nach Unterthemen, wie Batterie, Motor, Technik.


<h2>Von Ideen zum Szenario</h2>
Nachrichten: Wie werten Sie die Datenbank dann aus?
Le Blanc: Wir versuchen, die Daten zusammenzufassen. Es gibt noch ein paar Felder mit Querbeziehungen zu anderer Literatur, wenn in einem anderen Roman Ähnliches beschrieben ist oder genau das Gegenteil. Wenn wir einen Auftrag haben oder ich einen Vortrag halten soll, dann entwickeln wir ein Szenario. Ich schaue dann: Gibt es Dinge, die häufig vorkommen, bei denen sich alle Autoren einig sind? Kann ich Muster entdecken? Ich verlasse mich auf die Autoren: Wenn die nicht gut wären, würden die Leute die Romane nicht kaufen. Der Leser muss ja das Gefühl haben, dass das, was der Autor beschreibt, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten kann.
Nachrichten: Ein Science-Fiction-Roman für Ihre Datenbank darf also nicht komplett absurd sein? 
Le Blanc: Genau. Wir haben noch so ein paar Regeln. Magie etwa darf keine Rolle spielen. Es gibt aber eine Ausnahme: Wenn es um Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens geht, wie bei Migration. An dieser Stelle würden wir in Randbereichen Fantasyromane hinzuziehen, in denen Leute in eine Gesellschaft migrieren.
Nachrichten: In den Unternehmensprojekten greifen Sie dann auf Ihre Datenbank zurück?
Le Blanc: Da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder rufen wir “Hurra, wir haben schon etwas dazu!” Sodass ich im Erstgespräch bei der Firma spontan ein Beispiel nennen kann. Oder — so war das, als das hessische Wirtschaftsministerium wegen der Nanotechnologie auf uns zukam — ich muss erst nachdenken. Zwei Tage später habe ich einen Vortrag zugesagt. Bei der Vorbereitung merkte ich, dass ich auch eine Studie liefern konnte. Als ich mit der Studie fertig war, hätte ich noch mal 100 Seiten schreiben können.


<h2>Auf den Umbruch vorbereiten</h2>
Nachrichten: Welche branchenübergreifenden Themen behandeln Sie?
Le Blanc: Für Unternehmen ist es von zentraler Bedeutung, sich dem Thema Disruptionen zu stellen.
Nachrichten: Disruption ist ein starker gesellschaftlicher Umbruch?
Le Blanc: Das muss nicht gesellschaftlich sein, das kann auch technologisch sein: Es passiert etwas Unvorhergesehenes, eine Störung. Eine Disruption war, als die Bundesregierung entschied, die Atomkraftwerke auszuschalten. In dem Augenblick kippte das Geschäftsmodell von RWE und Eon. Die waren nicht darauf vorbereitet.
Nachrichten: Aber es gibt doch genügend Trendforscher, oder?
Le Blanc: Die Versuche, anhand von Trends oder Megatrends die Zukunft vorherzusagen, scheitern in den meisten Fällen, weil Unternehmen, die sich darauf verlassen, nicht das Handwerkszeug haben, um bei einer Disruption schnell zu reagieren. Eine Chemiefirma, die Gummi für Gummireifen entwickelt, habe ich mal gefragt, ob sie sich darauf vorbereitet hätte, dass es irgendwann keine Autos mehr gibt. Innovation hieß dort aber nur, ein paar Cent in der Produktion zu sparen. Kleine Firmen reagieren da übrigens viel mobiler.


<h2>Mut machen, kreativer zu sein</h2>
Nachrichten: Ist also ein Teil dessen, was sich die Unternehmen von Ihnen versprechen, dass Sie die Unternehmen darauf vorbereiten, mit Disruptionen umzugehen?
Le Blanc: Also zumindest, dass wir Mut zur Kreativität machen. Wir sind ja nicht dazu da, Unternehmen zu beraten in dem Sinn, dass wir ihnen sagen, was sie machen sollen, das wäre größenwahnsinnig.
Nachrichten: Können sich auch die kleinen und mittleren Unternehmen Ihre Beratung leisten?
Le Blanc: Ja, natürlich. Wie teuer wir sind, hängt davon ab, ob wir etwas in der Datenbank haben oder auf etwas zurückgreifen können. Deshalb ist es auch nie so, dass wir bei einem Unternehmen mit einem riesigen Forschungsauftrag anfangen. Sondern ich halte zuerst vor — sagen wir mal 20 Chemikern — einen Vortrag. Es bringt nämlich nichts, wenn ich eine Studie erarbeite, mit der sich keiner ernsthaft auseinandersetzt, weil er unsere Methode nicht als seriös ansieht.
Nachrichten: Was sind denn Themen, die Chemieunternehmen interessieren?
Le Blanc: Also im Moment ist der Schwerpunkt Nanotechnologie. Die ist ja nichts anderes als Chemie. Dann geht es um biologisch-medizinische Themen, um Pharmazie. Insgesamt geht es um Produkte, für die man bestimmte chemische Materialien oder Oberflächen braucht. Ein Beispiel ist das smart home, in dem die Tapete gleichzeitig ein Display sein soll. Aber dazu benötige ich bestimmte Materialien, und darüber muss sich die Chemie Gedanken machen.


<h2>Von der Bibliothek ins Labor</h2>
Nachrichten: Wie bringen Sie die Ideen zur Chemie?
Le Blanc: Wenn ich die Laborchemiker überzeugen kann, dann machen wir als nächstes ein Seminar über einen ganzen Tag, schreiben Geschichten zusammen und lernen uns und die eigene Kreativität besser kennen, und dann entsteht eine Partnerschaft.
Oder ein Unternehmen nimmt mich in die Brainstormingrunde mit rein. Ich bin dort der Alien. Ich verstehe nichts von dem Thema, weil ich kein Chemiker bin, schon gar nicht in dem Fach, um das es da gerade geht. Ich bin dann der, der fragt: Wieso ist das so? Muss das so sein? Und muss das so bleiben? Also jemand, der richtig nervt. Ich sehe ein Problem immer von der Nutzerseite her. Und die Beziehungen, die ich so zur realen Welt herstelle, sind dann wiederum interessant für das Unternehmen.
Nachrichten: Das Produkt, das Sie anbieten, ist die Fantasie, die in der Science-Ficition-Literatur steckt, die Sie in ihrem Kopf haben, und die Verbindung dieser Fantasie mit der Welt?
Le Blanc: Wir lesen Literatur, und dann erstellen wir ein Szenario daraus. Das ist die rezeptive Seite. Aber wir haben auch die andere Seite: Wir rufen eine Gruppe von etwa 50 Schriftstellern drei Mal im Jahr auf, Geschichten zu schreiben. Es geht darum, zu einem Thema, das ich vorgebe, etwas Verrücktes zu schreiben. Und in diese völlig freien Ideen mische ich Fragen, die bei unseren Firmen auftauchen.


<h2>Lotoseffekt statt Seife?</h2>
Nachrichten: Wie setzen Sie die Geschichten ein?
Le Blanc: Vor eineinhalb Jahren wollte die Vereinigung der Seifen-, Parfüm- und Waschmittelfachleute Sepawa seine hessische Jahrestagung ein bisschen anders aufbauen. Dafür gestalteten wir einen literarischen Vorabend, und in der Haupttagung lasen wir zwischen den Vorträgen kleine Geschichten vor. Dafür bat ich die Autoren, Sauberkeit, Parfüm, Geruch in fantastische Literatur reinzubringen. Und ich hielt einen Vortrag “Wie sauber ist die Zukunft?” Ich kam darauf, dass es in einem bemannten Raumschiff ja ziemlich stinken muss. Wie wird das Raumschiff gesäubert? Oder wird es — da kommen wir auf Nanotechnologie und den Lotoseffekt — gar nicht mehr dreckig? Dann brauchen wir die Branche nicht mehr zum Säubern, sondern zum Herstellen passender Werkstoffe für die Wände und Böden.
Nachrichten: Wie muss jemand drauf sein, der Science-Fiction-Geschichten aus dem Ärmel schüttelt?
Le Blanc: Die müssen einfach sagen, “Spinnen ist was Tolles!” Nur mit Fantasie kann man diese Welt ändern, Neues erdenken. Science-Fiction ist radikal. Radikalität ist das, was in vielen Fällen den Innovations- oder Forschungsabteilungen der Firmen fehlt.
Mit Thomas Le Blanc sprachen die Nachrichten-Redakteurinnen Maren Bulmahn und Frauke Zbikowski.


<h2>DIE PHANTASTISCHE BIBLIOTHEK</h2>
Die Phantastische Bibliothek in Wetzlar ist eine Sammlung von Science-Fiction- und Fantasy-Literatur mit einem Buchbestand von über 260 000 Titeln.
Die Bibliothek versteht sich als Kultur-, Wissenschafts- und Bildungsinstitution und ist öffentlich zugänglich.
Thomas Le Blanc, ursprünglich Gymnasiallehrer für Mathematik und Physik, gründete die Bibliothek im Jahr 1987, zwei Jahre später wurde sie eröffnet. Heute ist er Vorstand der Bibliothek.
Die Methode, mit Science-Fiction-Literatur Ideen für die Lösung technischer und naturwissenschaftlicher Probleme zu finden, wendet Le Blanc seit dem Jahr 2003 an. Pilotprojekt war eine Studie über Verkehrssysteme der Zukunft für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt.
<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.phantastik.eu" target="_blank">www.phantastik.eu</a></ext-link>

“Wir sitzen wie ein Drache auf einem Goldschatz”

Nachrichten aus der Chemie: Sie bieten Science-Fiction als Ideenpool für neue Produkte und Techniken. Wie kamen Sie dazu? Le Blanc: Das hängt mit meiner Person zusammen. Ich habe Naturwissenschaften studiert, aber die meiste Zeit meines Lebens im geisteswissenschaftlichen Bereich verbracht: Ich h...

Prof.Dr.

Ein Weg, Sonnenenergie direkt in chemischen Verbindungen zu speichern, ist die heterogene photokatalytische Wasserspaltung. Dabei werden in Wasser suspendierte Halbleiter mit Sonnenlicht bestrahlt (Abbildung 1, S. 632). Die Absorption des Lichts generiert Ladungsträger, die dann an der Oberfläche des Halbleiters Wasser oxidieren und Protonen zu Wasserstoff reduzieren.
Dieser solare Wasserstoff ließe sich nicht nur speichern und etwa in Brennstoffzellen zur Umwandlung in elektrische Energie nutzen, sondern wäre auch eine Option für eine solare Raffinerie: Dabei entstehen mit Methan, Ammoniak oder Methanol solare Brennstoffe und Basischemikalien.1


<h2>Halbleiteroxide für die Wasserspaltung</h2>
Halbleiteroxide wie Titandioxid oder Zinkoxid sind in vielen Alltagsprodukten präsent, sei es in Farben, in Sonnencremes oder in Zahnpasta. Beide Materialien absorbieren UV-Licht und erscheinen somit weiß. Ihre Bandlücken betragen etwa 3,2 eV (ZnO und Anatas-Modifikation des TiO2). Das auf der Erdoberfläche ankommende Sonnenlicht enthält aber nur 4 Prozent UV-Licht (Abbildung 2, S. 632); 96 % des Sonnenlichts bleibt an diesen Materialien für Photokatalyse ungenutzt. Der sichtbare Anteil des Sonnenlichts beträgt etwa 43 Prozent.4 Halbleiter mit einer Bandlücke von 1,65 eV könnten so zirka 47 Prozent des Sonnenlichts absorbieren.
Aber nicht nur eine geringe Bandlücke, um das Sonnenlicht effektiv zu nutzen, sondern auch die richtige Position der Bänder des Halbleiters sind für die Wasserspaltung wichtig. Das Leitungsbandminimum muss dabei ein negativeres Potenzial als das elektrochemische Potenzial der Protonenreduktion haben: H+/H2 = 0 V gegenüber der Normalwasserstoff-Elektrode (NHE) bei pH = 0. Gleichzeitig muss das Valenzbandmaximum ein positiveres Potenzial als die Wasseroxidation besitzen: O2/H2O = 1,23 V gegenüber NHE bei pH = 0. Für die photokatalytische Wasserspaltung muss die Bandlücke eines Halbleiters also mindestens 1,23 eV betragen. Durch ohmsche und kinetische Verluste, die durch Überspannungen bei der Wasserstoff- und Sauerstofferzeugung auftreten, liegt das praktische Limit bei zirka 2 eV, was einer Bandlücke von 610 nm für ein optimales Material entspricht.5


<h2>Dotierung mit Stickstoff</h2>
Ein Material mit einer nahezu idealen Bandlücke von 2,4 eV6 ist Cadmiumsulfid. Photokorrosion, also Zersetzung bei der Lichtbestrahlung, macht es aber instabil. TiO2 und ZnO sind als Oxide relativ zersetzungsstabil, haben aber große Bandlücken. Dies führt zur Frage: Wie lässt sich die Bandlücke stabiler Oxide so weit reduzieren, dass auch sie sichtbares Licht absorbieren?
Eine Möglichkeit ist die Dotierung oxidischer Halbleiter durch den Einbau von Stickstoffanionen. Bereits seit dem Jahr 2001 wird diese Strategie intensiv erforscht; sie wurde erstmals an TiO2 praktisch umgesetzt.7 Dabei ersetzt Stickstoff den Gittersauerstoff, O-2p- und N-2p-Orbitale vermischen sich und bilden ein neues Valenzband mit einem Maximum bei niedrigerem Potenzial. Das dotierte Oxid hat somit eine kleinere Bandlücke, weil sich das Valenzbandmaximum verschoben hat. Das Leitungsband bleibt unverändert. Im Labor lässt sich Stickstoff zum Beispiel durch Erhitzen des Oxids in einem Strom aus Ammoniakgas einbauen. Dies verschiebt die Bandlücke des TiO2—xNx ins sichtbare Licht, und Photokatalyse ist bei einer Wellenlänge von über 420 nm durchführbar.
Bis heute ist allerdings umstritten, wie Stickstoff das Valenzband beeinflusst. Wieso der Stickstoffeinbau die Bandlücke von TiO2 verringert, dafür es gibt verschiedene Theorien.8 Die weithin anerkannte ist, dass neue elektronische Zustände innerhalb der Bandlücke des Oxids oberhalb des Valenzbands entstehen. Elektronen lassen sich leicht dorthin anregen, und von dort regt sie sichtbares Licht weiter in das Leitungsband an.
Die Kristallstruktur und die Partikelgröße des zu dotierenden Oxids beeinflussen stark die Homogenität und die Effizienz der Dotierung des Stickstoffs, und damit auch die Absorption des Materials und die Stabilität der Dotierung. Bei der nachträglichen Dotierung mit Ammoniak verteilt sich der Stickstoff inhomogen. Dies ist erkennbar an einer Absorptionsschulter.7 Wird Stickstoff dagegen homogen in TiO2-Partikel eingebaut — zum Beispiel über eine Sol-Gel-Synthese —, verschiebt sich die komplette Absorptionskante ins sichtbare Licht.9 Eine postsynthetische Behandlung mit Ammoniak führt erst dann zu einer homogenen Dotierung, wenn die Oxidpartikel mit etwa 10 nm sehr klein sind oder wenn die Kristallstruktur des Oxids zugänglich für das Ammoniakgas ist. Dies wurde beispielsweise für das schichtförmige Titanat Cs0,68Ti1,83O4xNx gezeigt.10
Abbildung 3a verdeutlicht den Einfluss der Kristallstruktur auf die Dotierung. Bei großen und dichten Partikeln kommt es in Ammoniak lediglich zu einer Oberflächendotierung. Eine homogene Dotierung kommt dagegen zustande, wenn das Material aus Nanopartikeln besteht, also wenn aus der Oberflächendotierung aufgrund des kleinen Partikeldurchmessers eine räumliche Dotierung wird. Alternativ lässt sich eine homogene Dotierung über eine offene Kristallstruktur des Oxids erreichen. Beispiele wie das schichtförmige Ba5Ta4O1511 (Abbildung 3b) und das tunnelförmige CsTaWO612 (Abbildung 3c) belegen den Einfluss der offenen Kristallstruktur auf die Dotierhomogenität und die Verschiebung der Absorptionskante.
An der Absorptionskante ist zudem der Einfluss der Dotiermenge zu erkennen. Die optimale Menge beträgt für CsTaWO6 0,34 Gew.-Prozent für eine maximale Absorption des sichtbaren Lichts. Ba5Ta4O15 und CsTaWO6 erzeugen beide nach der Dotierung in simuliertem Sonnenlicht mehr Wasserstoff als in reinem UV-Licht. Die erhöhte Absorption von Photonen im sichtbaren Licht führt zu mehr erzeugten Ladungsträgern und damit zu höherer Aktivität in der Photokatalyse.


<h2>Dotieren oder nicht dotieren?</h2>
Der Vorteil des Dotierens mit Stickstoff liegt darin, dass die Position des Leitungsbands nicht verändert wird. Das Reduktionspotenzial für die Wasserstofferzeugung bleibt also konstant. Außerdem ändert sich die Kristallstruktur bei der Behandlung mit Ammoniak nicht, wenn die Temperatur und der Fluss an Ammoniakgas korrekt gewählt sind. Das macht die photokatalytischen Aktivitäten vor und nach der Dotierung direkt vergleichbar. Minimale Veränderungen in den Gitterparametern sind zurückzuführen auf die unterschiedlichen Größen von Sauerstoff und Stickstoff.
Allerdings hat das Dotieren mit Stickstoff auch Nachteile. Zum einen verringert die Anhebung des Valenzbandminimums das Oxidationspotenzial des Oxids. Bei Ba5Ta4O15 ist dadurch keine Wasseroxidation mehr möglich.11 Zum anderen erzeugt die Dotierung mit Stickstoff zusätzliche Defekte im Sauerstoffgitter des Oxids, sowohl im Inneren als auch an der Oberfläche. Solche Defekte können dann als Rekombinationszentren für Elektronen und Löcher agieren, und die photokatalytische Aktivität sinkt. Obwohl also mehr Photonen absorbiert werden, fällt die Aktivitätssteigerung deutlich geringer aus als erwartet.


<h2>Komposite und Nanostrukturierung</h2>
 Wie lässt sich die Rekombination erzeugter Ladungsträger verringern?
Da die heterogene Photokatalyse ein Prozess an der Oberfläche von Partikeln ist, kann man sie mit Cokatalysatoren beeinflussen. Cokatalysatoren für die photokatalytische Wasserstoffproduktion sind zum Beispiel Edelmetallnanopartikel von Platin, Gold, Silber und Rhodium auf der Halbleiteroberfläche, die über einen Schottky-Kontakt dem Halbleiter die photogenerierten Elektronen entziehen.13 Dadurch agieren diese Nanopartikel als aktive Zentren der Wasserstoffproduktion.
Wie lässt sich nicht nur bei N-dotierten Oxiden, sondern auch allgemein die Rekombination der erzeugten Ladungsträger im Innern der Partikel verhindern, damit sie in ausreichendem Maße die Oberfläche erreichen? Eine Möglichkeit ist es, den Partikeldurchmesser zu verkleinern. Photogenerierte Ladungsträger müssen nach Erzeugung zur Oberfläche gelangen, um dort die elektrochemischen Reaktionen durchzuführen. Verkürzt man die Zeit, die sie für diesen Weg brauchen, durch eine Reduzierung des Partikeldurchmessers, sinkt die Rekombinationswahrscheinlichkeit. Dies ist zum Beispiel über Sol-Gel-Synthesen möglich, die Oxid-Nanopartikel ergeben.14 Dabei ist auf eine hohe Kristallinität zu achten. Zu niedrige Synthesetemperaturen führten beispielsweise zu zusätzlichen Kristallfehlern, an denen dann wiederum vermehrt Rekombination stattfindet.
Eine weitere Strategie, um die Ladungsträgertrennung zu verbessern, sind Komposite.6 Dies können sowohl Multiphasen- als auch Multikomponentenkomposite sein. Letztere sind Komposite aus verschiedenen Halbleitermaterialien, zum Beispiel eine Kombination aus CdS und TiO2. Multiphasenkomposite bestehen aus mehreren Kristallphasen eines Materials, zum Beispiel aus den beiden TiO2-Phasen Anatas und Rutil. Für eine optimale Ladungsträgertrennung sollten die Bänder beider Halbleiter so angeordnet sein, dass sowohl Valenz- als auch Leitungsband eines Halbleiters höher liegen als die jeweiligen Bänder des zweiten Halbleiters. Eine solche Anordnung heißt Typ-II-Komposit (Abbildung 4). Bei Lichteinstrahlung entstehen in beiden Halbleitern Elektron-Loch-Paare. Bei einer Typ-II-Anordnung der Bänder werden nun die Elektronen, da sie zu Potenzialen niedrigerer Energie tendieren, auf den Halbleiter mit dem tiefer angeordneten Leitungsband übertragen, die Löcher dagegen zum höher liegenden Valenzband. Diese räumliche Trennung der Ladungsträger verringert ihre Rekombinationswahrscheinlichkeit und erhöht damit deren mittlere Lebenszeit und damit auch die photokatalytische Aktivität. Besonders wichtig ist die Herstellungsart des Komposits, denn ein intensiver Kontakt beider Halbleiter ist nötig.
Ein solches Komposit muss aber nicht nur aus zwei Komponenten oder Phasen bestehen. Erst kürzlich wurde über die In-situ-Bildung von Kompositen aus bis zu drei Bariumtantalaten berichtet, die durch citratbasierte wässrige Synthese hergestellt wurden.15 Bei dieser Art der Synthese stehen alle drei Phasen in intensivem Kontakt.
Mit einer optimierten Zusammensetzung des Drei-Komponenten-Systems aus Ba3Ta5O15, Ba5Ta4O15 und BaTa2O6 steigt die photokatalytische Produktion von Wasserstoff im UV-Licht um das Dreifache gegenüber einer reinen Ba5Ta4O15-Komponente. Dieses optimale System ist sogar ohne Cokatalysator deutlich aktiver in der Wasserstoffproduktion als das reine Ba5Ta4O15 mit Rhodium als Oberflächenmodifikation. Maßgeschneiderte Komposite können also zu einer besseren Ladungstrennung führen als reine Materialien mit Edelmetallen als Cokatalysatoren. Nach einer Modifikation mit Rhodium-Chromoxid als Cokatalysator (Abbildung 5) zeigte sich das Dreikomponentensystem auch als das aktivste in reiner Wasserspaltung.


<h2>Ausblick</h2>
Die beschriebenen Ansätze müssen nun kombiniert werden, erste Forschungsarbeiten laufen bereits. Mit Stickstoff dotierte oxidische Komposite wären ein Weg, viele Photonen des Sonnenlichts zu absorbieren und die resultierenden Elektron-Loch-Paare effizient zu trennen. Dadurch stünden viele Ladungsträger für die Wasserspaltung zur Verfügung und die Rekombinationswahrscheinlichkeit wäre gering.


<h2>QUERGELESEN</h2>
Viele Oxide für die photokatalytische Wasserspaltung haben zu große Bandlücken. Dotierung mit Stickstoff verringert diese, und mehr Sonnenlicht wird absorbiert.
Bei der Dotierung mit Stickstoff ist die Kristallstruktur der Ausgangsverbindung entscheidend.
Der Rekombination von photogenerierten Ladungsträgern lässt sich durch die Bildung von Kompositen entgegentreten. Dies steigert die Aktivitäten in der Wasserspaltung.


Roland Marschall, geboren 1980, ist seit Juli 2013 Emmy-Noether-Nachwuchsgruppenleiter im Physikalisch-Chemischen Institut der Universität Gießen. Dort erforscht er neue Materialien für solare Energieumwandlung. <a href="mailto:Roland.Marschall@phys.Chemie.uni-giessen.de">Roland.Marschall@phys.Chemie.uni-giessen.de</a>



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“Wir sitzen wie ein Drache auf einem Goldschatz”

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