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Zementchemie in der Schwerelosigkeit

Bemannte Flüge zum Mars sind derzeit nur möglich, wenn das Raumschiff vom Mond aus startet. Nasa und Esa untersuchen daher, ob sich Behausungen für Menschen auf dem Mond bauen lassen. Vielleicht reicht herkömmlicher Zement als Baustoff? Die Europäische Weltraumbehörde Esa hat mit dem Architekturb...

Früher nur in Autoreifen, heute auch im Mund: Seit einiger Zeit sind Zahncremes mit Kohlenstoff als aktiver Substanz auf dem Markt. Was es sonst noch an ungewöhnlichen Stoffen in Zahnpasta gibt und wie nützlich sie sind.
Schwarz macht weiß – verspricht jedenfalls die Verpackung: Zahnpasta, angereichert mit Aktivkohle. Die adsorbiert unpolare Substanzen, und das soll sich positiv auf die Mundgesundheit und die Zahnfarbe auswirken. Das haben sich gleich mehrere Unternehmen gedacht: So brachte das russische Splat die Blackwood-Zahnpasta – ohne Fluorid – auf den Markt, das schweizerische Curaprox die Black-is-White-Zahnpasta mit Fluorid und Hydroxylapatit, also synthetischem Zahnschmelz, und auch das japanische Unternehmen Kobayashi verkauft eine Kohle-Zahnpasta (Foto rechts oben). Alle sind über Amazon oder Apotheken erhältlich. Und es gibt noch eine Gemeinsamkeit: Sie sind deutlich teurer als normale Zahnpasten, sie kosten nämlich zwischen 9 und 24 Euro.<figure><img src="https://media.graphcms.com/VnquJWB4TZCaxkfQXqbz"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Kohlenstoff färbt diese Zahnpasta schwarz – würden Sie damit putzen? <named-content>Quelle: fotolia/N-Photos</named-content></figcaption></figure>
Studien, ob Aktivkohle in Zahnpasta oder anderer Kosmetik nützt, gibt es noch keine. Angesichts der Eigenschaften der Substanz sei es aber unwahrscheinlich, dass die Kohle auf den Zähnen etwas bewirkt, sagt Carolina Ganß, Präsidentin der deutschen Gesellschaft für Präventivzahnmedizin: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nicht mit den vielen Inhaltsstoffen einer Zahncreme reagiert.“Dazu kommt: Nicht jede Kohle ist Aktivkohle. Aktivkohle hat eine innere Oberfläche zwischen 300 und 1500 m²·g–1, normale Kohle weniger. Die Black-is-White-Zahnpasta enthält statt Aktivkohle Carbon Black, also Industrieruß – und der hat andere Eigenschaften.1)<h2>Bakterien mit Absicht</h2>Ungewöhnliche Zusatzstoffe gibt es schon länger. Im April 2009 ging das Unternehmen BASF mit einem neuen Antikarieswirkstoff an die Öffentlichkeit,2) den es gemeinsam mit dem Berliner Forschungsunternehmen Organobalance entwickelt hatte: pro-t-action, basierend auf dem Milchsäurebakterium Lactobacillus paracasei. Dieses erkenne das Kariesbakterium Streptococcus mutans und bilde mit ihm Klumpen, die sich bequem ausspülen ließen. Das verringere die kariesverursachenden Bakterien im Mund um bis zu 40 Prozent. Klingt vielversprechend, doch nur eine kroatische Firma hat daraus eine Zahnpasta entwickelt und auf den Markt gebracht: Plidenta pro-t-action. In Deutschland war die Zahnpasta bis Mai 2016 nur über Amazon erhältlich, inzwischen taucht sie in den Suchergebnissen nicht mehr auf. Zwar enthält sie Fluorid, aber auch Methylparaben-Natriumsalz, einen Konservierungsstoff. Konservierungsstoffe sorgen in Zahnpasten dafür, dass sich auch dann keine Bakterien oder Schimmelpilze in der Tube ausbreiten, wenn diese wochenlang geöffnet ist – Beispiele sind Kaliumsorbat, das Aminfluorid Olaflur und verschiedene Polyethylenglykole. Was Methylparaben-Natriumsalz mit dem Milchsäurebakterium in der Tube macht, ist unklar. Sicher ist: Die Mundschleimhaut nimmt vieles auf – auch Konservierungsstoffe.3) Und wie gesund Parabene sind, steht zur Debatte.4)<h2>Vitamine</h2>Dass die Mundschleimhaut so durchlässig ist, lässt sich aber auch positiv nutzen. Die Dental Med Zahncreme Vitamin B12 von Sante enthält 1250 ppm Fluorid und ist – der Name lässt es vermuten – mit Vitamin B12 angereichert. Das ist das Vitamin, das essenziell ist für Zellteilung, Blutbildung und ein funktionierendes Nervensystem. Der menschliche Körper gewinnt es am besten aus Fleisch. Die Zahnpasta kann Vegetariern und Veganern helfen, denn zwei Mal täglich genutzt erhöhen sich die Vitamin-B12-Werte im Körper innerhalb von vier Wochen um 60 Prozent.5) Statt mit den üblicherweise verwendeten Zuckeraustauschstoffen ist die Zahnpasta mit dem Zuckeralkohol Xylit (Pentanpentol) gesüßt, den das Kariesbakterium nicht verstoffwechseln kann.<h2>Alles wieder auf Anfang</h2>Zu Beginn der Zahnreinigung vor Jahrhunderten nutzten die Menschen Zahnpulver, um ihre Zähne zu reinigen. Dessen Hauptbestandteile: Knochen, Muschelschalen oder Horn, pulverisiert und zu Asche verbrannt, sowie Natron, Bimsmehl und Myrrhe.6) Dieses Prinzip hat die deutsche Firma Denttabs nun mit ihrem gleichnamigen Produkt neu aufgelegt: Denttabs sind quasi Zahnpasta in Tablettenform, die hauptsächlich aus mikrokristalliner Cellulose bestehen. Man zerkaut eine Tablette direkt vor dem Putzen, bis die zunächst bröckelige Masse im Mund cremig wird. Viel Schaum entsteht dabei nicht, aber da die enthaltene Zitronensäure den Speichelfluss anregt, verteilt sich alles gut im Mund – auch 1450 ppm Fluorid.7)<h2>Werbeversprechen</h2>Das Unternehmen Dr. Kurt Wolff bewirbt seine Zahnpasta Biorepair mit „Draufputzen statt abnutzen“. Biorepair enthält Zink-Carbonat-Hydroxylapatit, eine „Substanz, die dem natürlichen Zahnschmelz nachgebildet ist.“ Die Idee dahinter: Der künstliche Zahnschmelz soll Mikrodefekte (Erosionen) im Zahnschmelz auffüllen. Unter dem Elektronenmikroskop zeigt sich dieser Effekt,8) aber Ulrich Schiffner, Professor an der Poliklinik für Zahnerhaltung und präventive Zahnheilkunde am Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf, sagt: „Es ist zwar etwas auf dem Zahn, aber ob es dem Kau-Akt lange standhält oder der Säure – das ist nicht nachgewiesen.“ Zudem gibt es mehr Menschen mit Karies als solche mit Erosionen, und Biorepair wirkt nur gegen letztere. Ein Manko sei deshalb, dass Biorepair kein Fluorid enthalte – klar, das würde mit dem künstlichen Zahnschmelz schon in der Tube abreagieren (Kasten). Deshalb fehlt Biorepair die entscheidende Substanz, um Karies vorzubeugen. Sowohl Schiffner als auch Stiftung Warentest9) raten von dieser Zahnpasta ab.<h2>Was macht Fluorid mit dem Zahnschmelz?</h2>Wie der Zahnschmelz auf Fluorid reagiert, hängt vom pH-Wert ab, zeigen Untersuchungen an synthetischem Zahnmaterial.13) Bei einem pH-Wert von 6,2 ersetzen die Fluoridionen die Hydroxidionen im Zahnschmelz, der vorrangig aus Calciumapatit Ca5(PO4)3OH (HAp) besteht. Es bildet sich Fluorapatit (FAp), der säureresistenter ist als HAp: HAp demineralisiert bei einem pH-Wert von 5,5, FAp dagegen erst bei 4,6.14) Allerdings ist die entstehende FAp-Schicht keine zehn Nanometer dick. Wird dagegen bei einem pH-Wert von 4,2 geputzt, finden nicht nur Substitutionsreaktionen statt, es bilden sich auch Verbindungen wie CaF2. Die Zahnoberfläche wird rauer, wodurch das Fluorid tiefer in den Zahnschmelz eindringt. Die Schicht mit hohem Calciumfluoridanteil wächst so auf fast 100 Nanometer.Schützt ein so dünner Film vor Karies? Das haben die Experimentalphysikerin Karin Jacobs und ihre Kollegen mit dem Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universität des Saarlands untersucht:15) Die fluorierte Schicht sorge in jedem Fall dafür, dass Bakterien wie Streptococcus mutans – das als Karieshauptverursacher gilt –, Streptococcus oralis und Staphylococcus carnosus schlechter am Zahn haften. Dies sei neben der Remineralisation ein wichtiger kariostatischer Faktor.<h2>Von sauber über weiß zu kaputt</h2>Ob eine Zahnpasta die Zähne nur säubert oder sie auch weißer macht, verrät der RDA-Wert. RDA steht für Radioactive Dentin Abrasion und bezeichnet eine Untersuchungsmethode, bei der zunächst das gesamte Dentin – also das Zahnbein das unter dem Zahnschmelz liegt – einer Probe radioaktiv markiert wird. Anschließend wird zweimal geputzt: mit einer genormten Calciumdiphosphat-Aufschlämmung und der Zahnpasta. Dann wird die Aktivität des dabei jeweils abgetragenen Dentins gemessen und miteinander ins Verhältnis gesetzt. Der so abgeleitete RDA-Wert hängt von Art, Menge und Größe der Putzkörper ab; je höher er ist, desto stärker ist die Schmirgelwirkung.Für RDA-Werte gilt grob: Werte von 30 gelten als gering, solche zwischen 70 und 80 als mittel, Werte über 100 als stark abrasiv.11) Vor allem Weißmacherzahnpasten haben hohe RDA-Werte. Dadurch schädigen sie allerdings Zähne und Zahnfleisch. Ist der RDA-Wert zu niedrig, reinigt die Zahnpasta möglicherweise nicht genug. Hersteller müssen den RDA-Wert nicht auf der Packung angeben. Der maximale RDA-Wert dagegen ist festgelegt: Er liegt bei 250. Übersichten zu den RDA-Werten verschiedener Zahnpasten liefert etwa <a href="https://www.der-zahnarzt.net" target="_blank">www.der-zahnarzt.net</a>.12)Dentin ist im Normalfall vom viel härteren Zahnschmelz umhüllt, daher wäre es sinnvoll, den REA-Wert (Radioactive Enamel Abrasion) anzugeben – das geschieht noch seltener als beim RDA-Wert. Der RDA-Wert ist aber wichtiger: Die Schmirgelei ist für Dentin gefährlicher als für Zahnschmelz, insbesondere bei freiliegenden Zahnhälsen, einer zu harten Zahnbürste und der falschen Putztechnik.11)<h2>Strahlend säubern</h2>Die neuen Produkte zeigen: Längst sollen Zahnpasten mehr können als Zähne reinigen und vor Karies schützen. Schon im Jahr 1940 kam eine Zahnpasta mit besonderen Eigenschaften auf den Markt: Doramad,10) hergestellt vom Gasglühstrumpf- und Metallfadenlampenunternehmen Auergesellschaft in Berlin. Doramad sollte die „Abwehrkräfte von Zahn und Zahnfleisch stärken, die Zellen mit neuer Lebensenergie laden und Bakterien in ihrer zerstörenden Wirksamkeit hemmen“ – durch Thorium. In einem Prospekt zur Probierpackung stand, dass die „unendlich kleinen Strahlenteilchen auf das Zahnfleisch prallen und es massieren“ (Abbildung S. 428). Es gebe eine „Erhöhung der gesamten Lebenskräfte in den Geweben des Mundbereiches.“<figure><img src="https://media.graphcms.com/UszIYojkSRenabLVyzKC"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Ein lesenswerter Teil der Broschüre von Doramad, der Zahnpasta mit Thorium.10)</figcaption></figure>
Ab dem Jahr 1945 wurde die Zahnpasta nicht mehr verkauft. Da wir unsere Zahncremes aber mittlerweile mit Kohlenstoff anreichern, dauert es womöglich nicht mehr lange, bis noch nie verwendete Elemente in der Tube landen – oder schon benutzte eine Renaissance erleben.Nachrichten-Redakteurin Eliza Leusmann putzt ihre Zähne zweimal täglich mit wechselnden Zahnpasten.<h2>Was wirklich wirkt</h2>Zweimal täglich die Zähne mit der richtigen Putztechnik putzen.Eine Zahnpasta mit einem RDA-Wert von etwa 50. Sie reinigt die Zähne ausreichend, schädigt aber weder Zähne noch Zahnfleisch.Fluorid. Die deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde empfiehlt für Erwachsene eine Zahnpasta mit 1000 bis 1500 ppm Fluorid.Entgegen der gängigen Empfehlung sollte man nach dem Essen nicht 30 Minuten warten, sondern sofort putzen:16) Die Wartezeit führe dazu, dass Gesundheitsbewusste danach besonders intensiv reinigen – und so die Zähne schädigen – oder dass gar nicht geputzt wird.
<ul><h2>Literatur</h2><li>
1 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.carbon-black.org/index.php/what-is-carbon-black" target="_blank">www.carbon-black.org/index.php/what-is-carbon-black</a></ext-link></li><li>
2 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://organobalance.de/Berichte/P190-d_BASF_bekaempft_Karieserreger_mit_Milchs_01.pdf" target="_blank">organobalance.de/Berichte/P190-d_BASF_bekaempft_Karieserreger_mit_Milchs_01.pdf</a></ext-link></li><li>
3 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.medizinfo.de/arzneimittel/resorption/sublinguale_verabreichung.shtml" target="_blank">www.medizinfo.de/arzneimittel/resorption/sublinguale_verabreichung.shtml</a></ext-link></li><li>
4 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.swr.de/marktcheck/parabene-in-kosmetika/-/id=100834/did=" target="_blank">www.swr.de/marktcheck/parabene-in-kosmetika/-/id=100834/did=</a> 16964846/nid=100834/18zqkov/</ext-link></li><li>
5 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.sante.de/de/produkte/zahnpflege/dental-med-zahncreme-vitamin-b12/" target="_blank">www.sante.de/de/produkte/zahnpflege/dental-med-zahncreme-vitamin-b12/</a></ext-link></li><li>
6 Gaius Plinius Secundus, Historia naturalis, 28.49, 31.21+26, 31.46, 36.42.</li><li>
7 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.denttabs.de" target="_blank">www.denttabs.de</a></ext-link></li><li>
8 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.bio-repair.com/de" target="_blank">www.bio-repair.com/de</a></ext-link></li><li>
9 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.test.de/Zahncreme-Biorepair-Kein-Fluorid-1800896–0/" target="_blank">www.test.de/Zahncreme-Biorepair-Kein-Fluorid-1800896–0/</a></ext-link></li><li>
10 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.orau.org/ptp/collection/quackcures/toothpaste.htm" target="_blank">www.orau.org/ptp/collection/quackcures/toothpaste.htm</a></ext-link></li><li>
11 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.zahnwissen.de/frameset_lexi.htm?lexikon_fa-fm.htm" target="_blank">www.zahnwissen.de/frameset_lexi.htm?lexikon_fa-fm.htm</a></ext-link></li><li>
12 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.der-zahnarzt.net/rda-werte-von-zahnpasta/" target="_blank">www.der-zahnarzt.net/rda-werte-von-zahnpasta/</a> und <a href="https://www.drloose.de/fileadmin/user_upload/PDF/Abrasionswerte_Zahnpasten.pdf" target="_blank">www.drloose.de/fileadmin/user_upload/PDF/Abrasionswerte_Zahnpasten.pdf</a></ext-link></li><li>
13 F. Müller, C. Zeitz, H. Mantz et al., Langmuir 2010, 26, 18750–18759.</li><li>
14 J. D. B. Featherstone, J. M. Ten Cate, Physicochemical aspects of fluorideenamel interactions. in Fluoride in Dentistry [Hrsg. J. Ekstrand, O. Fejerskov, L. M. Silverstone]; Munskgaard International Publishers: Copenhagen, 1988; 125–149.</li><li>
15 P. Loskill, C. Zeitz, S. Grandthyll et al., Langmuir 2013, 29, 5528–5533.</li><li>
16 <ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.zm-online.de/hefte/30-Minuten-Karenz-sind-unnoetig_307665.html/alles.html#1" target="_blank">www.zm-online.de/hefte/30-Minuten-Karenz-sind-unnoetig_307665.html/alles.html#1</a></ext-link></li></ul>

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