Ich gratuliere. Herzlichen Glückwunsch! 75 Jahre, das muss man erstmal schaffen. Und dann etwas so Wichtiges. Etwas, auf dem sich alles Tun, die Rechtssprechung, ja das ganze Leben in Deutschland gründet. … Was? Ach so? Es geht ga...
Fast ein Jubiläum
99 Jahre Element 75
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Bis in das Jahr 1925 bestand Gruppe 7 des Periodensystems nur aus dem Element Mangan. Dann wies das Ehepaar Ida und Walter Noddack ein neues Element nach: Rhenium. Für substanzielle Mengen mussten sie – mit Unterstützung der Industrie – über 600 Kilogramm des Minerals Molybdänglanz aufarbeiten. Dass Rhenium einzigartig ist, zeigen Vergleiche mit seinen Homologen.
Vor fast genau 95 Jahren erschien in der Zeitschrift für Anorganische und Allgemeine Chemie eine Publikation mit dem Titel „Die Herstellung von einem Gramm Rhenium“.1) Die Autoren der Arbeit waren Ida und Walter Noddack.
Bereits im Jahr 1925 – Ida Noddack publizierte noch unter ihrem Mädchennamen Ida Tacke – berichtete das Ehepaar zusammen mit dem Röntgenspektroskopieexperten Otto Berg über das Eka- und das Dwi-Mangan, also über die zu der Zeit noch unbekannten Gruppenhomologen des Mangans mit den Ordnungszahlen 43 und 75.2) Diese Arbeit war in der seinerzeit äußerst renommierten Zeitschrift Die Naturwissenschaften erschienen und schloss folgendermaßen: „Wir schlagen für die neu entdeckten Elemente folgende Namen vor: Für das Element 43 nach unserer Ostmark den Namen Masurium (Ma) und für das Element 75 nach dem deutschen Rhein den Namen Rhenium (Re)“. (Ida Noddack wuchs in Lackhausen am Niederrhein auf. Die Ortschaft ist heute ein Stadtteil von Wesel und man kann dort seit 2012 ein Denkmal zu ihren Ehren besuchen.)
Ob die Autoren wirklich den Nachweis für das Element 43, heute bekannt als Technetium, erbrachten, wird bis heute diskutiert.3) Die Entdeckung des Elements 75 dagegen war eindeutig, und der vorgeschlagene Name Rhenium wurde übernommen. Übrigens könnte es sich bei dem bereits im Jahr 1904 vom japanischen Chemiker Masataka Ogawa entdeckten Element, das er für Technetium hielt, möglicherweise um Rhenium gehandelt haben [Nachr. Chem. 2024, 72(3), 12].
Industrie und Molybdänglanz
Nachdem sie das neue Element Rhenium röntgenspektroskopisch nachgewiesen hatten, arbeitete das Ehepaar Noddack daran, größere Mengen des Metalls rein dazustellen. Da die untersuchten Mineralien – hauptsächlich Columbit MNb2O6 (M = Fe, Mn, Mg) und Gadolinit Ln2FeBe2Si2O10 (Ln = Ce, La, Nd, Y) – nur Spuren von Rhenium enthalten, mussten sie viel Ausgangsmaterial aufarbeiten. Hierzu schreiben die beiden: „Zur Herstellung von Rheniummengen, die ein genaues Studium seiner chemischen und physikalischen Eigenschaften gestatten, ist daher selbst bei den günstigsten Mineralien die Aufarbeitung von mehreren 100 Kilogramm nötig.“
Die Möglichkeit zur Verarbeitung solcher Mengen bot ihnen die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. Diese war nach dem Ersten Weltkrieg gegründet worden und schloss sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Deutschen Forschungsrat zur Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zusammen.
Die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft „stellte uns für mehrere Studienreisen nach Norwegen und zur Beschaffung von Mineralien einen Kredit von insgesamt 30 000 D-Mark zur Verfügung. … Mit Hilfe dieser Mittel konnten wir etwa 120 mg reines Rhenium herstellen und eine Reihe seiner Eigenschaften untersuchen.“1) Es braucht wenig Fantasie, um zu erkennen, dass die Gewinnung eines Gramms Rhenium eine Mammutaufgabe war.
Anlass für den Wunsch, eine solche Menge Rhenium zu erhalten, war nicht rein wissenschaftlicher, sondern auch geschäftlicher Natur: Die Firma Siemens & Halske interessierte sich für das neue Element, vermutlich für elektronische Bauteile. Lösbar schien die Aufgabe letztlich, weil Siemens & Halske ihnen „für diese Arbeit zwei Arbeiter und die Räume ihrer Tantalfabrik auf zwei Monate zur Verfügung“ stellte. Hilfreich war zudem die Erkenntnis, dass das Mineral Molybdänglanz, MoS2, verhältnismäßig viel Rhenium enthält: Die beiden machten norwegische Vorkommen ausfindig, „die nach der Analyse einen Rheniumgehalt von 2 bis 4 · 10−6 hatten“. Welche Dimension die angegebenen Zahlen haben, ist der Originalarbeit nicht zu entnehmen. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass Gramm Rhenium pro Kilogramm Erz gemeint sind.
Rhenium anreichern
Von diesen norwegischen Vorkommen konnten die Tackes etwa 660 kg kaufen. Das erworbene MoS2 war bemerkenswert rein, insbesondere im Hinblick auf andere Fremdmetalle als Rhenium.
Für die Anreicherung des Rheniums war hauptsächlich das Molybdän abzutrennen. Dazu wurde es als (NH4)3[PMo12O40](H2O)6 gefällt oder als Molybdänthiocyanat in Ether ausgeschüttelt.
Ab einer Anreicherung auf über 1 Prozent lässt sich Rhenium über das flüchtige Oxid Re2O7 im Sauerstoffstrom austreiben. Die Tackes verbrauchten nach eigenen Angaben für den Aufschluss von 660 kg Molybdänglanz im ersten Schritt innerhalb von 40 Tagen 4000 kg Salpetersäure. Letztlich wurde das im Ausgangsmaterial erhaltene Rhenium mit 77 Prozent Ausbeute abgetrennt. Zur Reindarstellung des Metalls wurde ausgehend von Re2O7 das Rhenium als ReS2 gefällt. Aus diesem wurde durch Reduktion im Wasserstoffstrom das Metall erhalten. Lohn der Mühen waren 1,04 g Rhenium (Foto oben). Die einzige nennenswerte Verunreinigung, die röntgenspektroskopisch nachgewiesen wurde, war Molybdän mit einem Gehalt im Promillebereich.
Heutzutage wird Rhenium immer noch hauptsächlich bei der Verarbeitung sulfidischer Molybdänerze gewonnen. Es fällt beim Abrösten dieser Erze in der Flugasche als Re2O7 an und wird üblicherweise in das Perrhenat (NH4)[ReO4] überführt, aus dem sich das Metall durch Reduktion mit Wasserstoff erhalten lässt. Zudem wird Recycling zunehmend wichtig: Insbesondere aus Rhenium-haltigen Legierungen lässt sich das Metall gut zurückgewinnen. Etwa 30 Prozent des weltweit verarbeiteten Rheniums stammen aus Recyclingprozessen.
Derzeit werden weltweit jährlich etwa 70 Tonnen Rhenium gewonnen. Am häufigsten dient das Metall zur Darstellung von Legierungen, vor allem mit Nickel und Wolfram, mit denen Turbinenblätter in Strahltriebwerken hergestellt werden. Der zweitwichtigste Anwendungsbereich für Rhenium sind Heterogenkatalysatoren.3)
Anders als die anderen
Nach der Entdeckung des Rheniums und der präzisen Dokumentation seiner Gewinnung aus Molybdänglanz hat sich schnell eine umfangreiche Chemie des Elements entwickelt. Was für ein Reiz muss es für die damaligen Chemiker gewesen sein, erstmals Verbindungen eines bisher unbekannten Elements zu synthetisieren? Da Technetium damals noch unbekannt war, gab es kein Element, dessen Chemie als ähnlich hätte erwartet werden können.
Klar dagegen war, dass Rhenium sich stark vom leichtesten Gruppenhomologen Mangan unterscheiden würde. Ein schönes Beispiel hierfür ist die Untersuchung an Rheniumtrichlorid, ReCl3. Die Verbindung wurde im Jahr 1932 von Wilhelm Biltz beschrieben, der feststellte:4) „Rheniumtrichlorid ist kein echtes Salz; sein Verhalten gegenüber Lösungsmitteln und Reagentien deutet vielmehr darauf hin, daß es aus Molekülen besteht, die nicht oder nur zu einem geringen Teile in freie Ionen zerfallen sind.“
Die Struktur von Rheniumtrichlorid wurde über 30 Jahre später in Frank Albert Cottons Arbeitsgruppe aufgeklärt.5) Demnach enthält ReCl3 dreikernige [Re3]9+-Cluster, die auch in Lösung erhalten bleiben – das entsprechende Hydrat wurde im Jahr 1987 von Gerd Meyer beschrieben.6)
Das Element Rhenium und den großen Chemiker Cotton verbindet eine weitere spektakuläre Entdeckung: der Abstand von nur 2,24 Å zwischen den zwei Rheniumatomen in [Re2Cl8]2−, der auf eine Vierfachbindung zurückzuführen ist.7) Die vierte Bindung ist eine d-Bindung, die nur zustande kommt, wenn die [ReCl4]-Fragmente des Anions ekliptisch angeordnet sind – auch wenn das die sterisch vermeintlich schlechtere Orientierung ist (Abbildung links).
Ein Blick auf den Nachbarn
Ein weiterer Unterschied zwischen Rhenium und Mangan ist die zunehmende Stabilität hoher Oxidationsstufen. Während Mn2O7 ein explosives Öl mit molekularem Aufbau ist, zeigt Re2O7 unter Normalbedingungen eine typische Festkörperstruktur: Die Rheniumatome sind tetraedrisch und oktaedrisch von Sauerstoffatomen umgeben.8) Die Struktur der entsprechenden Technetiumverbindung Tc2O7, die im Jahr 1971 Bernt Krebs beschrieb,9) ähnelt eher Mn2O7 als Re2O7, denn sie ist wie die Manganverbindung molekular aufgebaut. Anders als Mn2O7 ist Tc2O7 allerdings ein Feststoff, und anders als in dem Manganoxid weisen die Tc2O7-Moleküle eine lineare Tc-O-Tc-Brücke auf. Diese Besonderheit ist im Jahr 2019 noch einmal intensiv studiert worden.10)
Wir, die Autoren dieses Beitrags, haben dieses Beispiel, das Unterschiede zwischen Technetium und Rhenium hervorhebt, bewusst gewählt: Aufgrund der vermeintlichen Ähnlichkeit der Metalle Technetium und Rhenium wird letztgenanntes nämlich häufig als Surrogat eingesetzt, um chemische Synthesen und Prozesse zu optimieren, bevor man sie auf das radioaktive Technetium überträgt. Tatsächlich verhalten sich die beiden Elemente aber häufig unterschiedlicher als angenommen, wie wir im Zuge unserer Forschung zum Verhalten der beiden Metalle in konzentrierten Mineralsäuren gelernt haben. Während für Rhenium ausschließlich Verbindungen mit der Oxidationsstufe +VII gefunden wurden, tritt bei Technetium vor allem die Oxidationsstufe +V auf. Beispiele für Rhenium sind die Verbindungen Re2O4Cl2(S2O7)2 und Re2O4Cl4(SO4) (Foto rechts), die in der Reaktion von ReCl5 und Oleum entstehen.11,12) Bei der Reaktion von (NH4)[TcO4] und CF3SO3H bildet sich dagegen eine TcV-Verbindung, nämlich (NH4)2[TcO(CF3SO3)5].13)
Rhenium ist das letztentdeckte aller nichtradioaktiven Elemente. Mit dem Nachweis von Technetium im Jahr 1937 war Gruppe 7 des Periodensystems schließlich komplett.14) Da Technetium in konventionellen Kernkraftwerken als Spaltprodukt anfällt, ist es gut verfügbar. Als radioaktives Element ist der Umgang damit an bestimmte Auflagen und Sicherheitsvorkehrungen gebunden. Die Optimierung chemischer Synthesen und Prozesse erfolgt daher häufig am schwereren Gruppenhomologen Rhenium, auch wenn sich beide Metalle unterscheiden. Das chemische Verhalten beider sollte daher weiter untersucht werden.
Die Autoren
David van Gerven (oben) ist seit 2020 permanenter wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Anorganische Chemie in der Arbeitsgruppe von Mathias S. Wickleder. Er forscht zur Reaktivität von Supersäuren und deren Derivaten und engagiert sich in kooperativen Forschungsprojekten. Mathias S. Wickleder leitet seit 2017 den Lehrstuhl für Festkörper- und Koordinationschemie am Institut für Anorganische Chemie an der Universität Köln. Dort entwickelt er Synthesemethoden unter ungewöhnlichen Bedingungen. Ziel der Synthesen sind vor allem Verbindungen der Edelmetalle, der f-Elemente und der Metalle Technetium und Rhenium.
- 1 I. Noddack, W. Noddack, Z. Anorg. Allg. Chem. 1929, 183, 353
- 2 W. Noddack, I. Tacke, O. Berg, Naturwissenschaften 1925, 13, 567
- 3 H.‑J. Lunk, D. V. Drobot, H. Hartl, ChemTexts 2021, 7, 6
- 4 W. Geilmann, F. W. Wrigge, W. Biltz, Nachr. Ges. Wiss. Göttingen 1932, 579
- 5 F. A. Cotton, J. T. Mague, Inorg. Chem. 1964, 10, 1402
- 6 M. Irmler, G. Meyer, Z. Anorg. Allg. Chem. 1987, 552, 81
- 7 F. A. Cotton, C. B. Harris, Inorg. Chem. 1964, 4, 330
- 8 B. Krebs, A. Mueller, H. A. Beyer, Inorg. Chem. 1969, 8, 436
- 9 B. Krebs, Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 1969, 8, 381
- 10 D. S. Mast, K. V. Lawler, B. C. Childs et al., Inorg. Chem. 2019, 58, 5468
- 11 U. Betke, W. Dononelli, T. Klüner, M. S. Wickleder, Angew. Chem. Int. Ed. 2011, 50, 12361
- 12 U. Betke, M. S. Wickleder, Z. Anorg. Allg. Chem. 2012, 638, 45
- 13 M. Zegke, D. Grödler, M. Roca Jungfer et al., Angew. Chem. 2022, 134, e202113777
- 14 C. Perrier, E. Segrè, J. Chem. Phys. 1937, 5, 712
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