Industrie + Technik

Prof.Dr.

<p>Es gibt neue Ansätze, um große Mengen natürlicher und ungiftiger Materialien bereitzustellen, die vor schweren Bränden schützen. Wie sich Holzfaserplatten mit Substrat aus Keratin imprägnieren lassen.</p>
<p>Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie sitzen im Kerzenschein bei Tisch, und in einem unachtsamen Moment geraten Ihre Haare in die Flammen. Dass dies abgesehen vom unangenehmen Geruch ohne größere Schäden bleibt, verdanken wir dem chemischen Aufbau unserer Haare. Diese Erkenntnis bildet die Grundlage der Entwicklung alternativer Flammschutzmittel aus einer weit verbreiteten Proteinfamilie namens Keratin, das etwa in Haaren, Federn, Hörnern und Hufen vorkommt und nicht brennt. Exemplarisch sind hier Flammschutzimprägnierungen aus Geflügelfedern und deren Anwendung bei der Herstellung von Holzfaserplatten gezeigt.<sup>1)</sup></p><h2>Brandgefährlich</h2><p>Praktisch jede europäische Stadt fiel im späten Mittelalter oder der beginnenden Neuzeit mindestens einem verheerenden Stadtbrand zum Opfer. Die Situation besserte sich erst, als nicht brennbare anorganische Baustoffe Holz im Stadtbild ablösten. Die Gefahr bleibt jedoch, zu sehen etwa bei Bränden im Grenfell Tower (London 2017), im brasilianischen Nationalmuseum (Rio de Janeiro 2018), in Notre Dame (Paris 2019) oder in der Bronx (New York 2022). Die Ursachen sind vielfältig, sicher trägt aber die weite Verbreitung brennbarer Materialien in Fassaden, Dämmungen und im Innenraum zu Bränden bei.</p><p>Darüber hinaus macht das Streben nach Nachhaltigkeit Holz nicht nur im Innenausbau, sondern auch als Baumaterial für mehrstöckige Gebäude wieder wichtiger. Zwar gibt es bewährte und zuverlässige Flammschutzmittel für Holz und Kunststoff, doch durch die Neubewertung toxikologischer Aspekte und ein gestiegenes Umweltbewusstsein wurden bewährte Stoffe verboten oder werden zunehmend kritisch gesehen.<sup>2)</sup> So sind nach dem Stockholmer Übereinkommen etwa die früher vielgenutzten bromierten Diphenylether (DBE) wie Tetra-, Penta-, Hexa- und Hepta-BDE seit dem Jahr 2009 als persistente organische Schadstoffe (persistent organic pollutants, POPs) eingestuft und verboten, das Deca-BDE seit dem Jahr 2017.</p><h2>Die Post-Brom-Ära</h2><p>Proteine sind aussichtsreiche Kandidaten als Material für Flammschutzmittel, da sie von Natur aus viel Stickstoff, Schwefel und eventuell Phosphor enthalten. Das sind genau die Elemente, auf die Flammschutzmittelhersteller in der Post-Brom-Ära setzen. Das Milchprotein Kasein ist mit seinem hohen Phosphorgehalt ein erfolgreiches Beispiel.<sup>3)</sup> Allerdings ist Kasein in der Nahrungskette wichtig und daher für großtechnische Anwendungen ungeeignet.</p><p>Im Institut für Baustoffforschung in Aachen wählten wir stattdessen Keratin. Davon gibt es im Allgemeinen zirka 10<sup>9</sup> Tonnen pro Jahr als Abfallstoff. Die Laborversuche geschahen zunächst mit Keratin aus Geflügelfedern, da dieses rein und gut charakterisiert ist. Es besteht aus 96 Aminosäuren einschließlich sieben Cysteineinheiten. Sechs davon befinden sich unter den ersten 26 Aminosäuren, während die siebte den C-Terminus bildet.<sup>4)</sup></p><h2>Federkeratin lösen</h2><p>Da Federkeratin über inter- und intramolekulare Disulfidbrücken vernetzt ist, musste das Protein zunächst hydrolysiert werden. Dazu diente eine alkalische Hydrolyse bei Raumtemperatur. Dabei werden nicht nur die Amidbindungen der Proteinketten, sondern auch die vernetzenden Disulfidbrücken gespalten. Dies verbessert die Löslichkeit und ermöglicht höhere Proteinkonzentrationen in der Imprägnierlösung.</p><p>Während der Hydrolyse entsteht eine trübe Mischung, die sich durch Zentrifugieren in eine klare, gelbliche Lösung und ein viskoses Gel trennen lässt (<xref rid="nadc20224127269-fig-0001" ref-type="fig">Fotos</xref>). Beide Phasen enthalten Protein, und das Phasenverhältnis ist über die Reaktionsbedingungen in gewissen Grenzen einstellbar. Eine längere Verweilzeit reduziert die Menge an Gel zugunsten der Lösung, allerdings werden dabei die Proteinfragmente kürzer, was die Wirksamkeit verringert. Das Optimum war im vorliegenden Fall nach etwa 24 Stunden erreicht, wobei zirka 70 Prozent der Federn in Lösung ging. Obwohl sich auch die Gelphase zu interessanten Produkten weiterverarbeiten lässt, geht es im Folgenden nur um die Lösung.</p><figure><img src="https://media.graphassets.com/sKnRyflTSQGeesWRnJAV"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Aus geschnittenen Federn entstehen über alkalische Hydrolyse bei Raumtemperatur nach Zentrifugieren Proteinlösung und -gel.</figcaption></figure>
<h2>Thermische Beständigkeit</h2><p>Für die systematischen Untersuchungen der Wirksamkeit unter standardisierten Bedingungen wurde das Protein in Salzsäure ausgefällt. Die Imprägnierlösungen entstanden dann mit 70 mg·mL<sup>–1</sup> Hydrolysat in 0,2 M Natronlauge. Wird diese Proteinkonzentration eingehalten, lassen sich auch die abzentrifugierten Lösungen direkt verwenden.</p><p>Um zu bestimmen, wie die Federhydrolysate auf die thermische Beständigkeit und die Brandeigenschaften wirken, wurden 0,5 bis 1 mm lange Buchenholzfasern mit 1,5 mL Proteinlösung pro Gramm imprägniert. Dies entspricht etwa der Menge an Flüssigkeit, die das Holz aufnehmen kann, ohne nass zu erscheinen.</p><p>Infrarotspektren der imprägnierten Fasern zeigen die typischen Banden von Buchenholz bei etwa 1030 cm<sup>–1</sup> sowie die Amid-I- und -II-Banden des Keratins. Thermogravimetrische Analysen der imprägnierten Fasern in einer angereicherten Sauerstoffatmosphäre (zirka 35 Vol.-%) zeigen zwischen 300 und 450 °C eine Zersetzung, die langsamer verläuft als die der unbehandelten Späne (<xref rid="nadc20224127269-fig-0002" ref-type="fig">Diagramm</xref>).</p><figure><img src="https://media.graphassets.com/zgfKfcLQLRAsgQAVFkA8"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Verglichen mit unbehandelten Spänen zersetzen sich imprägnierte langsamer.<sup>1)</sup></figcaption></figure>
<p>Insgesamt folgt der temperaturabhängige Masseverlust der imprägnierten Späne bis zu 450 °C dem Verlauf des reinen Keratins und nicht dem unbehandelten Buchenholzes. Während sich dieses bei 450 °C in der angereicherten Atmosphäre rückstandslos zersetzt, wiesen die imprägnierten Späne noch eine Restmasse von 31 Prozent auf. Daraus lässt sich schließen: Keratin verlangsamt im Wesentlichen die Zersetzung der Hemicellulose.</p><p>Die imprägnierten Späne zersetzen sich erst zwischen 455 und 500 °C. Allerdings zersetzen sie sich – anders als unbehandeltes Holz – nicht plötzlich, sondern in mehreren Stufen. Dies deutet darauf hin, dass das verbleibende Protein weiter in den Zersetzungsmechanismus eingreift.</p><h2>Brandversuche</h2><p>Für die Brandversuche wurden die behandelten und unbehandelten Holzfasern zu Platten mit den Abmessungen 7×1×0,2 cm<sup>3</sup> gepresst. Die Versuche wurden in Anlehnung an den Brandklassifikationstest für Kunststoff (UL-94-Richtlinie) horizontal durchgeführt, um die Brenndistanz und die Brenngeschwindigkeit zu ermitteln. Nach dem Entzünden brannten die Platten aus unbehandeltem Holz mit einer großen, leuchtenden Flamme über die gesamte Messdistanz von 50 mm ab. Im Gegensatz dazu brannten die imprägnierten Platten mit einer weniger hellen Flamme und verloschen nach einigen Millimetern von selbst (<xref rid="nadc20224127269-fig-0003" ref-type="fig">Fotos</xref>). Zudem brannten die imprägnierten Platten nur etwa halb so schnell ab.</p><figure><img src="https://media.graphassets.com/Fodcz59SFeBrrtdBAu0A"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Imprägnierte Platten (rechts) brennen mit einer weniger hellen Flamme und verlöschen schneller als unbehandelte.<sup>1)</sup></figcaption></figure>
<h2>Schwelversuche</h2><p>Schwelbrände etwa in Wandkonstruktionen mit verdeckt eingebauten Holzfaserdämmungen sind eine noch größere Gefahr als Brände mit offener Flamme, da sie häufig lange unentdeckt bleiben. Dabei setzen sie giftige und brennbare Gase frei.</p><p>Zur Beurteilung des Schwelverhaltens wurden die Proben nach dem Verlöschen (bei den unbehandelten Platten musste mit einem CO<sub>2</sub>-Löscher nachgeholfen werden) weiter beobachtet. Die unbehandelten Proben schwelten unvermittelt bis zu fünf Minuten weiter, was den größten Teil der unverbrannten Probe verzehrte. Im Gegensatz dazu zeigten die imprägnierten Proben nach dem Selbstverlöschen nur ein minimales Schwelen, das sich nicht weiter ausbreitete und innerhalb etwa einer Minute abklang.</p><h2>Im Bau</h2><p>Für den Einsatz als Baustoff sind außer Brandeigenschaften mechanische Eigenschaften der Platten wichtig. Im Dreipunkt-Biegeversuch versagten die aus unbehandeltem Holz hergestellten Proben bei 5 N·mm<sup>–2</sup> mit einem Biegemodul von 455 ± 118 N·mm<sup>–2</sup>, wohingegen die Platten aus imprägnierten Fasern bis zu 15 N·mm<sup>–2</sup> standhielten und ein Biegemodul von 1398 ± 307 N·mm<sup>–2</sup> zeigten (<xref rid="nadc20224127269-fig-0004" ref-type="fig">Säulendiagramm</xref>).</p><figure><img src="https://media.graphassets.com/ePL9GIedS1Kt1S0OuPA2"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Im Dreipunkt-Biegeversuch liefern imprägnierte Platten bessere Werte als unbehandelte.<sup>1)</sup> MBH: mitteldichte Faserplatten.</figcaption></figure>
<p>Die Festigkeit der imprägnierten Platten entspricht der mitteldichter Faserplatten nach dem Nassverfahren (Typ MBH) gemäß DIN EN 6222-3 mit einer Dicke von unter 10 mm. Da die Platten ohne Bindemittel hergestellt wurden, lässt sich die gesteigerte Festigkeit der imprägnierten Platten auf einen maßgeblichen Beitrag des Federhydrolysats zur Faser-Faser-Haftung zurückführen. Die imprägnierten Platten sind ähnlich biegefest wie handelsübliche, mit Formaldehydharzen gebundene Faserplatten.</p><h2>Die Autoren</h2><p>Den Beitrag haben Oliver Weichold (oben) und Markus Brenner verfasst. Weichold ist seit 2014 Professor für Strukturelle Polymerkomposite am Institut für Baustoffforschung der RWTH Aachen. Seine Forschungsgebiete liegen im Bereich Polymere für Baustoffe, mit dem Schwerpunkt biobasierte Baustoffe und Polymere für Instandsetzungsmaßnahmen. Brenner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehr- und Forschungsgebiet Strukturelle Polymerkomposite und promoviert zu „Keratin als biobasierter Baustoff“. Er studierte Wirtschaftschemie an der Universität Düsseldorf und machte anschließend seinen Master in Chemie zu Katalyse, Werkstoffen und mesoskopischen Systemen an der RWTH Aachen.</p><div><img src="https://media.graphassets.com/7aQodVHGQ2GBURtg0EcD">

</div><div><img src="https://media.graphassets.com/PmDI55CcQC4VWzmg849D">

</div><p></p><h2>AUF EINEN BLICK</h2><p>Holz lässt sich mit einem Flammschutzmittel aus Keratin imprägnieren.</p><p>Das Imprägniermittel entsteht bei Raumtemperatur mit biogenen Proteinabfällen etwa aus Geflügelfedern als Rohstoff.</p><p>Die aus damit behandelten Holzfasern gepressten Platten sind selbstlöschend und brennen langsamer als unbehandelte.</p><p>Hydrolysate aus Geflügelfedern sind als Zusatz bei der Herstellung von Faserplatten gleichzeitig Flammschutz- und festigendes Bindemittel.</p>
<ul class="references"><li>
<sup>1 </sup>M. Brenner, O. Weichold, ACS Omega 2020, 5, 32227</li><li>
<sup>2 </sup>A. B. Morgan, J. W. Gilman, Fire Mater. 2013, 37, 259</li><li>
<sup>3 </sup>F. Carosio, A. Di Blasio, F. Cuttica, J. Alongi, G. Malucelli, Ind. Eng. Chem. Res. 2014, 53, 3917</li><li>
<sup>4 </sup>K. M. Arai, R. Takahashi, Y. Yokote, K. Akahane, Biochim Biophys Acta 1986, 873, 6</li></ul>


Bauchemie

Flammschutz aus Geflügelfedern

Es gibt neue Ansätze, um große Mengen natürlicher und ungiftiger Materialien bereitzustellen, die vor schweren Bränden schützen. Wie sich Holzfaserplatten mit Substrat aus Keratin imprägnieren lassen. Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie sitzen im Kerzenschein bei Tisch, und in einem unac...

<p>Bauwerke und Bauchemikalien helfen auf ihre Art, Kohlendioxidemissionen zu verringern. So geht es etwa bei Br&uuml;cken um das CO<sub>2</sub>, das w&auml;hrend des Baus frei wird, oder um die Energie, die der Bau erfordert. Und aus der Geschichte l&auml;sst sich lernen, langlebig zu bauen.</p>
<p>W&auml;rme d&auml;mmen ist nicht alles. So sieht es Andreas Gerdes, wissenschaftlicher Leiter im Bauwesen am Karlsruher Institut f&uuml;r Technologie (KIT) und sagt: &bdquo;Klimapolitik und Kohlendioxidreduktion ohne einen substanziellen Beitrag des Bauwesens werden nicht funktionieren.&ldquo; F&uuml;r den Vorsitzenden der GDCh-Fachgruppe Bauchemie konzentrierten sich die Ma&szlig;nahmen zurzeit auf Wohngeb&auml;ude und hier im Allgemeinen auf Energiesparma&szlig;nahmen, speziell auf die W&auml;rmed&auml;mmung. Diese Ma&szlig;nahmen werden w&auml;hrend der Geb&auml;udenutzung wirksam, lenken aber den Blick oft ab vom Kohlendioxid, das w&auml;hrend des Baus freigesetzt wird, und von der Energie, die dieser erforderte (embodied carbon und embodied energy).</p>
<p>Ganz in den Hintergrund geraten Bauwerke, die nicht geheizt oder mit Strom versorgt werden, darunter Autobahnbr&uuml;cken. Die Klimaziele sind wohl nicht zu erreichen, ohne solche Bauwerke einzubeziehen. Unabh&auml;ngig davon, ob es sich um eine Schule, einen Tunnel, eine Br&uuml;cke oder um Wasserbau handelt &ndash; stets ist ein dauerhaftes Bauwerk anzustreben.</p>
<h2>Zement unter 1000 &deg;C brennen</h2>
<p>Hauptbestandteil vieler Bauwerke ist Beton. Dessen Ausgangsstoff Zement (das Bindemittel) entsteht unter Energieverbrauch und CO<sub>2</sub>-Freisetzung. Nach einer Faustregel f&auml;llt je Tonne Zement in der Herstellung eine Tonne CO<sub>2</sub> an.<sup>1)</sup> Im Jahr 2020 verbrauchte die deutsche Zementindustrie etwa 2,7 Gigajoule thermische Energie pro hergestellter Tonne Zement.<sup>2)</sup> Dazu kommt nach einer weiteren Faustregel in etwa ein Zehntel an elektrischer Energie, das sind zusammen fast 3 Gigajoule Energie pro Tonne Zement.</p>
<p>Die Ausgangsmaterialien Kalkstein und Ton- oder Kalkmergel werden &uuml;blicherweise bei Temperaturen von zirka 1450 &deg;C gebrannt. Dabei ents&auml;uert der Kalkstein. Diese chemische Reaktion ist f&uuml;r fast die H&auml;lfte der CO<sub>2</sub>-Emissionen bei der Zementherstellung verantwortlich. Das Material muss anschlie&szlig;end vermahlen (Stromverbrauch) und zum Einsatzort transportiert werden (Treibstoffverbrauch).</p>
<p>Ein vielversprechender Ansatz sind Zemente, die sich unter 1000 &deg;C brennen lassen. Zu den ersten Beispielen z&auml;hlten ein hydraulisches Bindemittel und sein Herstellprozess (Celitement von KIT und Schwenk Zement, Ulm). Verglichen mit Portlandzementklinker verbraucht der Prozess weniger Kalkstein, und er l&auml;uft bei niedrigeren Prozesstemperaturen. Zudem verbessern kalzinierte Tone statt klassischer Puzzolane wie Steinkohleflugaschen als Bestandteil von Kompositzementen die Energiebilanz. Aufgrund des niedrigen Kalkgehalts im Rohton setzt das Kalzinieren wenig CO<sub>2</sub> frei. Zementklinker l&auml;sst sich dem Essener Konzern Thyssenkrupp zufolge bis zu 30 Prozent durch aktivierten Ton ersetzen. Erhitzt auf 800 &deg;C entstehen demnach statt 790 Kilogramm CO<sub>2</sub> je produzierter Tonne Zementklinker etwa 475 kg&middot;t<sup>&ndash;1</sup>, also bis zu 40 Prozent weniger.<sup>3)</sup></p>
<h2>Recyclingbeton</h2>
<p>Einen Weg hin zu klimaschonenden Baustoffen er&ouml;ffnet Recyclingbeton. Beispielsweise entsteht aus 4200 Kubikmetern eines solchen Materials (Evopactrecarb von Holcim, Z&uuml;rich) in Zug ein viergeschossiges Produktions- und Montagegeb&auml;ude (Zephyr Ost).</p>
<p>Dabei l&auml;sst sich im Beton sogar CO<sub>2</sub> aus einer Abwasserreinigungsanlage speichern. Die gesamte Einsparung an Kohlendioxidemissionen betr&auml;gt gegen&uuml;ber einer konventionellen Bauweise 71 Tonnen: 50 Tonnen durch das Material selbst, 21 Tonnen durch das CO<sub>2</sub>-Speichern.<sup>4)</sup></p>
<h2>Kleine Zugabe &ndash; gro&szlig;er Effekt</h2>
<p>Ein der Menge nach geringer Bestandteil vieler Baustoffe sind Additive &ndash; allerdings mit gro&szlig;er Wirkung. Tr&auml;gt man beispielsweise bei der Br&uuml;ckenpfeilersanierung drei Zentimeter alten Beton ab und ersetzt ihn durch neuen, so entsteht eine Grenzfl&auml;che, und diese ist gleichzeitig eine Schwachstelle. Gerdes sagt: &bdquo;Unter anderem deswegen treten bei 80 Prozent der sanierten Br&uuml;cken nach sechs Jahren wieder Sch&auml;den auf, es bleibt Flickwerk, und man findet kein Ende.&ldquo; Dabei kann eine Hydrophobierung auf Silanbasis f&uuml;r 15 Euro pro Quadratmeter diese Sch&auml;den vermeiden, und der Br&uuml;ckenpfeiler muss gar nicht erst instandgesetzt werden.</p>
<p>Vorbeugend wirken Beton-Additive auf Basis von Polycarboxylatether (PCE). Sie ben&ouml;tigen bei der Herstellung wenig Wasser und senken die Betonporosit&auml;t von zirka 14 bis 16 Prozent auf 10 Prozent. Beim Br&uuml;ckenpfeiler bedeutet dies: Das mit dem Spritzwasser von winterlichem Streusalz eingebrachte korrosiv wirkende Chlorid dringt innerhalb von f&uuml;nfzehn bis zwanzig Jahren nicht vier bis f&uuml;nf, sondern nur einen Zentimeter ein und erreicht die Bewehrung (den Stahl im Stahlbeton) nicht vor Ende der geplanten Nutzungszeit von 100 Jahren. Das erh&ouml;ht die Lebensdauer einer Br&uuml;cke um das Dreifache.</p>
<p>Selbst bei Bestandsbr&uuml;cken l&auml;sst sich der Chloridtransport ins Innere durch eine nachtr&auml;gliche Tiefenimpr&auml;gnierung (Tiefenhydrophobierung) mit siliciumorganischen Verbindungen mindern.<sup>5)</sup> W&auml;hrend Autobahnbr&uuml;cken aus den 1980er Jahren l&auml;ngst Sanierungsf&auml;lle sind, k&ouml;nnen die Additive die Nutzungsdauer auf die eigentlich vorgesehenen 100 Jahre erh&ouml;hen.</p>
<p>Mit den passenden Werkstoffen, Bauweisen und Unterhaltsma&szlig;nahmen sind sogar Jahrhunderte und Jahrtausende m&ouml;glich &ndash; wie beim Circus Maximus in Rom, beim Parthenon in Athen, bei den Zisternen auf der Insel Pantelleria oder der Proserpina-Talsperre bei Merida.</p>
<h2>Baustoffanalytik</h2>
<p>Die Chancen, lebensverl&auml;ngernde Ma&szlig;nahmen f&uuml;r Bauwerke zu finden, erh&ouml;hen sich durch eine spezialisierte Analytik. Deren Ergebnisse k&ouml;nnen Hinweise f&uuml;r die richtigen Ma&szlig;nahmen liefern (<xref rid="nadc20224123449-fig-0001" ref-type="fig">Abbildung</xref> links oben).</p>
<figure><img src="https://media.graphassets.com/WzGeMpWQ76EvomN3CUIY" />
<figcaption><label>Abb. 1: </label>Schrein des Schweizer K&uuml;nstlers Walter Kretz im Marzili-Bad in Bern, der viel mit Beton gearbeitet hat. Andreas Gerdes, Wissenschaftlicher Leiter von &bdquo;Pr&auml;vention im Bauwesen&ldquo; am Karlsruher Institut f&uuml;r Technologie (KIT) und Vorsitzender der GDCh-Fachgruppe Bauchemie betreut eine Masterarbeit, die ein Konzept entwickelt, um das Bauwerk zu erhalten. Foto: KIT</figcaption>
</figure>
<p>Oberfl&auml;chenstrukturen lassen sich bestimmen &uuml;ber Lichtmikroskopie, Rasterkraftmikroskopie oder Elektronenmikroskopie und innere Oberfl&auml;che und Porosit&auml;tseigenschaften &uuml;ber Quecksilberintrusionsporosimetrie oder BET-Messung. Zudem liefert R&ouml;ntgendiffraktometrie Kristallstrukturen, und Thermogravimetrie zeigt Substanzverluste &uuml;ber Temperatur und Zeit. Dar&uuml;ber hinaus lassen sich einzelne Substanzen im Material und Biofilme identifizieren: mit Ionenchromatographie und Infrarotspektroskopie beziehungsweise DNA-Sequenzierung und Massenspektrometrie.</p>
<p>Mit diesen und anderen Methoden diagnostizieren Bau-Analytiker etwa Korrosionserscheinungen, generell werkstoffaggressive Stoffe und Festigkeitsverluste. So entsteht ein Fr&uuml;hwarnsystem: &bdquo;Achtung, Bauwerk in Gefahr. Ma&szlig;nahmen ergreifen!&ldquo;</p>
<h2>Ein altes Viadukt</h2>
<p>Bei Projektbeginn sollten die Ma&szlig;nahmen spezifiziert werden. So hat der KIT-Hub &bdquo;Pr&auml;vention im Bauwesen&ldquo; mit Partnern die Rettungskosten f&uuml;r das Laufm&uuml;hlenviadukt in Welzheim bei Stuttgart &ndash; eine denkmalgesch&uuml;tzte Eisenbahnbr&uuml;cke aus Eisenbeton mit acht B&ouml;gen &ndash; von urspr&uuml;nglich veranschlagten 3,2 Millionen auf 2,2 Millionen Euro gesenkt (<xref rid="nadc20224123449-fig-0002" ref-type="fig">Abbildung</xref> links oben).</p>
<figure><img src="https://media.graphassets.com/eJd29IdLSNiNnrX2nvhZ" />
<figcaption><label>Abb. 2: </label>Oben das Laufenm&uuml;hlen-Viadukt, eine denkmalgesch&uuml;tzte Eisenbahnbr&uuml;cke aus Eisenbeton mit acht B&ouml;gen. Rechts: Messungen bis in 70 Zentimeter Tiefe (Bauradar) zeigten, dass sich das Viadukt in einem besseren Zustand befand als angenommen. Fotos: Ionys</figcaption>
</figure>
<p>Wie die Analytiker mit zerst&ouml;rungsfreien Pr&uuml;fverfahren &ndash; etwa einem Bauradar (Messung bis in 70 Zentimeter Tiefe) &ndash; feststellten, befand sich das Viadukt in einem besseren Zustand als angenommen.<sup>6)</sup> Darum gen&uuml;gte es, einen speziellen Instandsetzungsm&ouml;rtel in Risse zu injizieren, statt Verst&auml;rkungsb&ouml;gen aus Stahlbeton zu setzen.</p>
<p>Um die Langzeitbest&auml;ndigkeit sicherzustellen, erarbeiteten die Ingenieure ein Pr&auml;ventionskonzept. Es enth&auml;lt unter anderem die &Uuml;berwachung mit zerst&ouml;rungsfreien Pr&uuml;fverfahren (Radar und Potenzialfeldmessungen zum Aufsp&uuml;ren korrodierender Bewehrung) und eine Tiefenhydrophobierung (Eindringtiefe des Silans mehr als 6 mm).</p>
<h2>Kunst in Basel</h2>
<p>Bei der Betons&auml;ule &bdquo;Colonne &agrave; &eacute;l&eacute;ments interchangeables&ldquo; des K&uuml;nstlers Hans Arp in Basel war es &auml;hnlich wie beim Viadukt (<xref rid="nadc20224123449-fig-0003" ref-type="fig">Abbildung</xref> links unten). Minimalinvasive Analytik wie licht- und elektronenmikroskopische Untersuchungen an Werkstoffproben mit einer Gr&ouml;&szlig;e von 100 mm<sup>2</sup> zeigten: Infolge einer Alkali-Kiesels&auml;ure-Reaktion hatten sich Risse gebildet, war lokal Beton abgesprengt worden.</p>
<figure><img src="https://media.graphassets.com/JJh3iIBRkyMfeS5TfloV" />
<figcaption><label>Abb. 3: </label>Die Betons&auml;ule &bdquo;Colonne &agrave; &eacute;l&eacute;ments interchangeables&ldquo; des K&uuml;nstlers Hans Arp wurde hydrophobiert, um sie vor der Zerst&ouml;rung zu retten. Foto: Gewerbeschule Basel</figcaption>
</figure>
<p>Alkalimetallionen (Na, K) aus dem Zement hatten mit bestimmten Gesteinsk&ouml;rnungen zu einem volumin&ouml;sen wasserreichen Gel reagiert. Dieses hatte durch seinen schieren Druck das Betongef&uuml;ge mechanisch zerst&ouml;rt, wobei auch gelgef&uuml;llte Craquel&eacute;e-Risse entstanden waren. Normalerweise w&auml;re die Arp-S&auml;ule verloren gewesen. Es bew&auml;hrte sich wieder die Hydrophobierung, um das Kunstwerk zu retten &ndash; zumindest f&uuml;r viele Jahre.</p>
<h2>Von antiken Vorbildern lernen</h2>
<p>Offenbar f&uuml;r die Ewigkeit haben Wasserbauer die Versorgungssysteme auf der italienischen Insel Pantelleria geschaffen. Den KIT-Hub-Forschern gab dies Anlass zu einem Technologietransfer von der Antike in die Neuzeit. Mit modernen analytischen Verfahren wie R&ouml;ntgendiffraktometrie, Thermogravimetrie und Rasterelektronenmikroskopie stellten sie fest: Die Ingenieure machten damals viele Dinge besser als wir heute (<xref rid="nadc20224123449-fig-0004" ref-type="fig">Abbildung</xref> S. 38, unten rechts).</p>
<figure><img src="https://media.graphassets.com/xEDFjL1FTOK3LNIhqys3" />
<figcaption><label>Abb. 4: </label>Die antiken Zisternen auf Pantelleria werden untersucht, um zu erfahren, warum sie so langlebig sind. Foto: KIT</figcaption>
</figure>
<p>Ein wesentlicher Punkt betrifft die Mehrfachschichtung der damaligen Zeit mit einer von innen nach au&szlig;en abnehmenden Porosit&auml;t. Anders ist das bei modernen Beschichtungen auf Zementbasis: Sie bestehen aus nur einer einzigen Schicht und werden von innen nach au&szlig;en por&ouml;ser. Darum treten in modernen Trinkwasserbeh&auml;ltern oft nach wenigen Monaten Sch&auml;den infolge von Auslaugung auf, w&auml;hrend man auf Pantelleria die antiken Wasserspeicher heute noch nutzt.</p>
<h2>Nanotechnik</h2>
<p>Unsere Zeit bringt neue Materialien hervor, die auf ihre Weise zum klimafreundlichen Bauen beitragen &ndash; zum Beispiel mit kleinsten Strukturen. So lassen nanoskalige Kristallkeime (X-Seed, BASF, Ludwigshafen) Beton schneller h&auml;rten und machen so zugef&uuml;hrte W&auml;rme &uuml;berfl&uuml;ssig. Gleichzeitig wird der Werkstoff besonders fest, und die Bauwerke halten l&auml;nger (<xref rid="nadc20224123449-fig-0005" ref-type="fig">Abbildung</xref> oben).</p>
<figure><img src="https://media.graphassets.com/gauJpp3jRlWjK3WJJGRy" />
<figcaption><label>Abb. 5: </label>Mechanisch stabile Polyurethanaerogele f&uuml;r D&auml;mmplatten (links) und nanoskalige Kristallkeime f&uuml;r schnell h&auml;rtenden Beton. Fotos: BASF</figcaption>
</figure>
<p>Ein mechanisch stabiles Polyurethanaerogel eignet sich mit Nanoporen zwischen 50 und 100 Nanometern und einer entsprechend niedrigen W&auml;rmeleitf&auml;higkeit dazu, noch d&uuml;nnere D&auml;mmplatten herzustellen (Slentite, BASF). Das senkt die Energiekosten und verschafft Architekten gestalterische Freir&auml;ume.</p>
<h2>Bauchemieforschung f&ouml;rdern</h2>
<p>Der Transfer von Techniken der Antike und aktuellen Innovationen in die Breite ist nicht einfach. Denn die deutschen Bauunternehmen sind eher klein- und mittelst&auml;ndisch gepr&auml;gt, zum Beispiel besch&auml;ftigen zirka 80 Prozent der etwa 75 000 Bauunternehmen in Deutschland jeweils weniger als 20 Mitarbeiter.</p>
<p>In einer solchen mittelst&auml;ndisch gepr&auml;gten Unternehmenslandschaft sind Regelwerke das Tech-Transfer-Tool der Wahl. Daf&uuml;r sind allerdings die Baustoff-Gro&szlig;chemie wie BASF, Bayer, Wacker oder Evonik mit den kleineren Bauunternehmen vor Ort und mit den Auftraggebern (auch &ouml;ffentlichen wie Kommunen) unter einen Hut zu bringen. Eine Anlauf- und Koordinationsstelle daf&uuml;r ist der KIT-Hub, gef&ouml;rdert von Helmholtz-Gemeinschaft und KIT. Er soll zu Innovation und Wissenstransfer in die Wirtschaft beitragen. Weil Bauen heute global zu denken ist, engagiert sich der Hub weltweit. Ein Schwerpunkt liegt im Nahen Osten, etwa die Arabischen Emirate; S&uuml;damerika und China sind im Blick.</p>
<p>&bdquo;Was es in Deutschland nicht so recht gibt, ist eine spezielle &ouml;ffentliche Forschungslinie f&uuml;r Bauchemie&ldquo;, sagt Gerdes. &bdquo;Sie k&ouml;nnte langfristig sinnvolle Projekte voranbringen, wie im Textilbeton Polymerfasern durch nat&uuml;rliche Fasern ersetzen. Auch das verspricht einen positiven Klimaeffekt.&ldquo;</p>
<p>Der promovierte Chemiker Christian Ehrensberger ist freier Mitarbeiter der Nachrichten aus der Chemie.</p>
<h2>AUF EINEN BLICK</h2>
<p>Es gilt, nicht nur w&auml;hrend der Nutzung, sondern auch bei der Erstellung eines Bauwerks Kohlendioxidemissionen zu vermeiden und m&ouml;glichst wenig Energie zu verbrauchen.</p>
<p>Dabei helfen Betonprodukte, die sich bei niedrigen Temperaturen brennen lassen, Additive wie Hydrophobiermittel und Nanotechnik.</p>
<p>Um zu erfahren, wie Bauwerke lange bestehen, nutzen Wissenschaftler diverse analytische Methoden.</p>
<ul class="references">
<li><sup>1 </sup><a href="https://chemietechnik.de/energie-utilities/klimabilanz-der-zementindustrie-372.html" target="_blank" rel="noopener">chemietechnik.de/energie-utilities/klimabilanz-der-zementindustrie-372.html</a> (Stand 24.5.2022)</li>
<li><sup>2 </sup><a href="https://de.statista.com/statistik/daten/studie/260747/umfrage/spezifischer-waermeeinsatz-der-zementindustrie-in-deutschland" target="_blank" rel="noopener">de.statista.com/statistik/daten/studie/260747/umfrage/spezifischer-waermeeinsatz-der-zementindustrie-in-deutschland</a> (Stand 24.5.2022)</li>
<li><sup>3 </sup><a href="https://thyssenkrupp.com/de/newsroom/pressemeldungen/co2-arme-zementproduktion-mit-aktiviertem-ton--thyssenkrupp-baut-erste-industrielle-anlage-in-kamerun-20160.html" target="_blank" rel="noopener">thyssenkrupp.com/de/newsroom/pressemeldungen/co2-arme-zementproduktion-mit-aktiviertem-ton--thyssenkrupp-baut-erste-industrielle-anlage-in-kamerun-20160.html</a> (Stand 30.5.2022)</li>
<li><sup>4 </sup><a href="https://holcim.ch/de/baustart-zephyr-ost-das-bislang-groesste-bauprojekt-mit-klimafreundlichem-beton" target="_blank" rel="noopener">holcim.ch/de/baustart-zephyr-ost-das-bislang-groesste-bauprojekt-mit-klimafreundlichem-beton</a> (Stand 15.4.2022)</li>
<li><sup>5 </sup><a href="https://baunetzwissen.de/beton/fachwissen/oberflaechen/hydrophobierung-151208" target="_blank" rel="noopener">baunetzwissen.de/beton/fachwissen/oberflaechen/hydrophobierung-151208</a> (Stand 21.4.2022)</li>
<li><sup>6 </sup><a href="https://helmholtz.de/newsroom/artikel/sanierung-nach-mass" target="_blank" rel="noopener">helmholtz.de/newsroom/artikel/sanierung-nach-mass</a> (Stand 15.4.2022)</li>
</ul>

Bauchemie

Flammschutz aus Geflügelfedern

Brandgefährlich

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