Wissenschaft + Forschung

FCI-Dozentenpreisträgerin Sabine Richert untersucht, wie sich Spin-Information in molekularen Materialien effizient erzeugen und übertragen lässt. Dies dient der Entwicklung und Optimierung zahlreicher Anwendungen, zum Beispiel in der Quantensensorik.Wie kann Chemie dazu beitragen, Materialien für die Spin-basierte Quanteninformationstechnologie zu entwickeln? Dies ist eine der zentralen Fragen unserer Forschung. Mögliche Anwendungen solcher Materialien sind Informationsspeicherung und -verarbeitung, etwa als Sensoren. Dabei ist der Spin als Eigenschaft ungepaarter Elektronen sowohl in organischen wie in anorganischen Materialien wichtig; er bestimmt deren magnetische Eigenschaften.Mit unserer Grundlagenforschung in der molekularen Spintronik versuchen wir, molekulare Multi-Spin-Systeme zu verstehen: Wir wollen entschlüsseln, wie der molekulare Aufbau mit den physikalischen und chemischen Eigenschaften <link href="#nadc20244139253-fig-0001">zusammenhängt.<figure xml:id="nadc20244139253-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/oD9LoicjSCWkShHoO9w7"><figcaption><label>Abb.1: </label>Untersuchte Systeme, verwendete Untersuchungsmethoden zur Aufklärung der photophysikalischen Prozesse und mögliche künftige Anwendungen. C: Chromophor, R: Radikal, IC: interne Konversion, EISC: beschleunigtes Intersystemcrossing, EET: Energietransfer, ET: Elektronentransfer.</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Licht ins Dunkle bringen</h2>Um eine Beziehung zwischen der Molekülstruktur und den Moleküleigenschaften herzustellen, arbeiten wir mit modularen und möglichst einfach aufgebauten Modellsystemen. Diese bestehen in der Regel aus einem organischen Chromophor und einem Stabilradikal – also einem Radikal, das den Kontakt mit Luft und Feuchtigkeit übersteht –, die durch eine molekulare Brücke kovalent miteinander verbunden sind. Licht überführt den Chromophor in seinen angeregten Triplettzustand. So entsteht ein Multi-Spin-System. Anschließend interagiert der Triplettzustand des Chromophors mit dem Dublettzustand des Stabilradikals. Ob dabei die Eigenschaften von Chromophor und Radikal weitgehend erhalten bleiben oder ob sich die Spins mischen, ergibt sich hauptsächlich aus der Größe der Austauschwechselwirkung JTR zwischen Triplett und Radikal.1,2)<h2 type="main">Molekulare Stickstoff- Vakanz-Zentren</h2>In der Spintronik werden Stickstoff-Vakanz(NV)-Zentren vielfältig genutzt, etwa für Quantensensorik, -mikroskopie und -informationsverarbeitung.3,4) Nachteile sind, dass sich ihre Eigenschaften kaum variieren lassen und die Lage der Stickstoff-Fehlstellen nur schwer kontrollierbar ist. NV-Systeme lassen sich so nur schwierig für bestimmte Anwendungen optimieren.Gegenüber mesoskopischen Systemen, beispielsweise NV-Zentren, haben Moleküle einen entscheidenden Vorteil: Ihre Struktur ist modular und auf atomarer Ebene reproduzierbar. Zudem lässt sie sich mit chemischer Synthese gezielt und systematisch verändern – das ermöglicht, die Moleküleigenschaften auf spezifische Anwendungen zuzuschneiden.Durch Lichtanregung erzeugte Triplett-Dublett-Systeme teilen wichtige Eigenschaften mit NV-Zentren, etwa die Möglichkeit, das Spinsystem optisch zu initialisieren und die zeitlichen Veränderungen der optischen Eigenschaften zu beobachten. Sie können daher als molekulare NV-Zentren gesehen werden.<h2 type="main">Mechanistischer Einblick auf verschiedenen Zeitskalen</h2>Mit komplementären spektroskopischen Methoden untersuchen wir, welche Faktoren die Spindynamik im angeregten Zustand beeinflussen. Für einen möglichst detaillierten Einblick in Mechanismen ist es ideal, optische Methoden und transiente Elektronenspinresonanzspektroskopie (EPR) zu kombinieren:Femtosekunden-transiente Absorptionsspektroskopie erfasst kinetische Prozesse im Pikosekundenbereich. EPR-Spektroskopie ermöglicht, quasi-entartete Spinzustände mit unterschiedlicher Spinmultiplizität zu identifizieren, zu charakterisieren und selektiv zu manipulieren.1) Wird klassische EPR-Spektroskopie mit Lichtanregung kombiniert, lässt sich die Spindynamik im angeregten Zustand im Nanosekunden- bis Sekundenbereich verfolgen.<h2 type="main">Spin-Information effizient erzeugen</h2>Die magnetische Wechselwirkung zwischen Chromophor und Radikal geht vom Triplettzustand des Chromophors aus. Damit der Gesamtprozess effizient wird, muss also die Triplettausbeute möglichst hoch sein.Um die Triplettausbeute zu maximieren, sollten alle Deaktivierungsprozesse des Chromophor-S1-Zustands, die nicht zur Triplettbildung führen, möglichst unterdrückt werden. Das betrifft vor allem den photoinduzierten Elektronentransfer und den Energietransfer.Energietransfer begrenzt die Triplettausbeute in der Regel stark, was sich vor allem bei Tritylradikalen zeigt.5,6) Photoinduzierter Elektronentransfer hingegen steigert die Triplettausbeute manchmal sogar: Unseren Untersuchungen zufolge kann Elektronentransfer im angeregten Zustand – gefolgt von einer schnellen Rekombination der Ionen zum Triplettzustand des Chromophors – zu Triplettausbeuten von über 50 Prozent führen.7) Dabei muss allerdings der Chromophor-Triplettzustand energetisch unter dem ladungsgetrennten Zustand liegen.<h2 type="main">Quartettzustände als Spin-Quantenbits</h2>Ist die Austauschwechselwirkung JTR zwischen Chromophor-Triplett und Radikal hinreichend stark, bilden sich molekulare Quartettzustände.1,2) Wie Studien an Chromophor-Radikal-Systemen zeigen, haben diese Quartettzustände Eigenschaften, aufgrund derer sie sich als Spin-Quantenbits (auch Spin-Qubits) eignen sollten: Die Quartettzustände entstehen durch Lichtanregung, sind langlebig – mit Lebensdauern von etwa 100 Mikrosekunden – und zeichnen sich durch Spin-Kohärenzzeiten aus, die länger sind als typische pulsmikrowellengetriebene Gatterbetriebszeiten, nämlich zwei bis drei Mikrosekunden, selbst bei moderaten Temperaturen von 80 K.6,8)<h2 type="main">Spin-Kohärenzzeiten optimieren</h2>Ob sich molekulare Spin-Systeme in der Spintronik einsetzen lassen und in welchem Gebiet, wird maßgeblich durch ihre Kohärenzzeiten bestimmt. Diese zu optimieren, verdient daher besondere Aufmerksamkeit.Unseren Experimenten zufolge bedingt die Kohärenzzeit des jeweiligen Radikals in Chromophor-Radikal-Systemen die Kohärenzzeiten des lichtinduzierten Quartettzustands.6,9) Indem wir das Radikal modifizieren, sollten sich also die Quartett-Kohärenzzeiten an spezielle Anwendungen anpassen lassen.<h2 type="main">Moleküle als Quantensensoren</h2>Die bisher gewonnenen Erkenntnisse sind wichtige Grundlage, um Bauelemente für die molekulare Spintronik zu entwickeln. Dies umfasst Anwendungen in der Optoelektronik wie in der Quanteninformationsverarbeitung.Die Vorteile molekularer Systeme kommen besonders bei Quantensensoren zum Tragen. Wie wir vor kurzem gezeigt haben, lässt sich in lichtangeregten Chromophor-Radikalsystemen der Spin auch bei Raumtemperatur kohärent manipulieren.9) Die gemessenen Raumtemperatur-Kohärenzzeiten im Mikrosekundenbereich lassen eine künftige Anwendung dieser Systeme in der Quantensensorik realistisch erscheinen.<h2 type="main">Drei Fragen an die Preisträgerin: Sabine Richert</h2>Was hat Sie bewogen, sich mit Quanteninformationstechnologie zu beschäftigen?Mein Hauptinteresse ist es, die Kommunikation oder Interaktion zwischen Spinzentren besser zu verstehen. Die Quanteninformationstechnologie ist hierbei nur eine der möglichen Anwendungen, die ich vom Konzept her spannend finde.Was würden Sie gerne entdecken oder herausfinden?Wir wollen die grundlegenden Mechanismen der Spin-Kommunikation aufklären; ein konkretes Ziel habe ich dabei nicht. Meistens entstehen die interessanten Fragen, wenn Experimente (mal wieder) nicht die erwarteten Ergebnisse liefern – und davon lassen wir uns stückweise leiten.Welchen Stellenwert wird Quanteninformationstechnologie in zehn Jahren einnehmen?Das ist schwierig abzuschätzen, da es ein sehr junges, breit aufgestelltes und aktives Forschungsfeld ist. Klar ist: Es wird viel Geld investiert, daher sind große Fortschritte zu erwarten. Wissenschaftlich gesehen gibt es aber Hürden, die vielleicht schwierig zu überwinden sind. Sicherlich ist es aber eine Technologie, die vielversprechend ist und uns in Zukunft begleiten wird.Sabine Richert ist seit Dezember 2019 Emmy-Noether-Gruppenleiterin an der Universität Freiburg. Sie studierte Chemie in Österreich und promovierte im Jahr 2017 in Oxford. Außer dem FCI-Dozentenpreis erhielt sie im Jahr 2023 den Heinz-Maier-Leibnitz-Preis der DFG.<img alt="image" src="https://media.graphassets.com/fZQmZ0R4QBqJC18DcNIV"><ul class="references" xml:id="nadc20244139253-bibl-0001" cited="no" style="numbered"><li xml:id="nadc20244139253-bib-0001">1 T. Quintes, M. Mayländer, S. Richert, Nat. Rev. Chem. 2023, 7, 75−90</li><li xml:id="nadc20244139253-bib-0002">2 M. Franz, F. Neese, S. Richert, Chem. Sci. 2022, 13, 12358−12366</li><li xml:id="nadc20244139253-bib-0003">3 D. D. Awschalom, R. Hanson, J. Wrachtrup, B. B. Zhou, Nat. Photonics 2018, 12, 516−527</li><li xml:id="nadc20244139253-bib-0004">4 M. W. Doherty, N. B. Manson, P. Delaney, F. Jelezko, J. Wrachtrup, L. C. L. Hollenberg, Phys. Rep. 2013, 528, 1−45</li><li xml:id="nadc20244139253-bib-0005">5 O. Nolden, N. Fleck, E. R. Lorenzo et al., Chem. Eur. J. 2021, 27, 2683−2691</li><li xml:id="nadc20244139253-bib-0006">6 M. Mayländer, K. Kopp, O. Nolden et al., PDI–trityl dyads as photogenerated molecular spin qubit candidates. Chem. Sci. 2023, 14, 10727–10735</li><li xml:id="nadc20244139253-bib-0007">7 M. Mayländer, O. Nolden, M. Franz et al., Chem. Sci. 2022, 13, 6732−6743</li><li xml:id="nadc20244139253-bib-0008">8 M. Mayländer, S. Chen, E. R. Lorenzo, M. R. Wasielewski, S. Richert, J. Am. Chem. Soc. 2021, 143, 7050−7058</li><li xml:id="nadc20244139253-bib-0009">9 M. Mayländer, P. Thielert, T. Quintes, A. Vargas Jentzsch, S. Richert, J. Am. Chem. Soc. 2023, 145, 14064–14069</li></ul>

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Chemie für die Quanteninformationstechnologie

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Teleskop entdeckt CH3+ | Das James-Webb-Weltraumteleskop (JWST) hat das primäre Carbeniumion CH3+ in einem 1500 Lichtjahre entfernten entstehenden Sonnen- und Planetensystem entdeckt. Anhand der Infrarotstrahlung von CH3+ hat ein Team mit Kölner Forscher:innen das Teilchen identifiziert. Da das Molekül symmetrisch ist, sendet es keine Radiostrahlung und war deshalb zuvor schwer zu identifizieren gewesen. Das im Sommer 2022 in Betrieb genommene JWST misst jedoch Infrarotstrahlung. Das Kation entsteht im Orionnebel durch die UV-Strahlung benachbarter Sonnen.Ein Teil der Kölner Forschenden hatte im Jahr 2018 das IR-Spektrum von CH3+ in einer Ionenfalle gemessen, und dieses diente nun als Referenz.Nature, doi: <accessionid ref="info:doi/10.1038/s41586-023-06307-x">10.1038/s41586-023-06307-x</accessionid>Kernspintomograph aus Diamant |Forschende aus München und Freiburg haben einen Diamant-Quantensensor entwickelt. Dieser wandelt ein magnetisches Feld in ein optisches Signal um und eignet sich so als hochauflösender Kernspintomograph. Die Wissenschaftler:innen haben dazu einen synthetischen Diamanten beim Wachsen mit N-Atomen angereichert. Bestrahlung mit Elektronen löst C-Atome heraus, und die entstandenen Lücken ordnen sich neben den N-Atomen an. Diese Stickstofffehlstellenzentren interagieren mit einem Magnetfeld. In der Studie hat der Diamant sichtbar gemacht, wie Wasser in Kanäle eines Mikrochips diffundiert. Diese sollen als Modell für Zellen dienen.Sci. Adv., doi: <accessionid ref="info:doi/10.1126/sciadv.adh3484">10.1126/sciadv.adh3484</accessionid>Kristallstruktur von ζ-Stickstoff | Forschende der Uni Bayreuth haben mit britischen und schwedischen Kolleg:innen die Kristallstruktur der Zeta-Phase festen Stickstoffs gelöst. Die Elementarzelle enthält 16 N2-Moleküle, und die Elektronen sind leicht zwischen den N2-Molekülen delokalisiert, wie dichtefunktionaltheoretische Rechnungen (DFT-Rechnungen) ergaben. Demnach haben die Moleküle leichten Polymercharakter.Um ζ-Stickstoff herzustellen, haben die Forschenden N2 in Diamant-Ambosszellen auf über 600 000-fachen Atmosphärendruck komprimiert. Durch Lasererwärmung auf bis zu 2000 °C kristallisierten submikrometergroße ζ-N2-Körner. Synchrotron-Einzelkristall-Röntgenbeugung lieferte schließlich die Kristallstruktur.Nat. Commun., doi: <accessionid ref="info:doi/10.1038/s41467-023-41968-2">10.1038/s41467-023-41968-2</accessionid>NMR-Lernprogramm | Das Open-Source-Programm Insensitive von Klaus Boldt, Universität Rostock, simuliert und visualisiert NMR-Experimente in Lösung. Nutzer:innen können ein Spinsystem erstellen, Spinzustände verändern und mehrere Schritte in Pulssequenzen zusammenfassen. Danach lässt sich das Spektrum in einer oder zwei Dimensionen aufnehmen und bearbeiten. Das Programm veranschaulicht die Spinzustände mit drei Modellen: als Vektoren in einer Bloch-Kugel, als Produktoperatoren und als Dichtematrix aus der statistischen Quantenmechanik. Insensitive enthält eine Anleitung und ist für Windows, Mac und Linux verfügbar.Appl. Magn. Reson. doi: <accessionid ref="info:doi/10.1007/s00723-023-01552-9">10.1007/s00723-023-01552-9</accessionid>Download: <a href="https://github.com/klausboldt/insensitive" target="_blank">github.com/klausboldt/insensitive</a>Luca Blicker

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