Bildung + Gesellschaft

Ein Verein hat sich zum Ziel gesetzt, naturwissenschaftlich begabten Kindern an Internaten besondere Klassen anzubieten. Inzwischen gibt es das entsprechende Förderprogramm an fünf Schulen.
Im Sport ist es seit langem normal, dass die Jugendförderung früh beginnt: Talentierte Kinder besuchen in der Regel ab der 5. Klasse ein spezielles Internat etwa für Fußball, Eisschnelllauf oder Kanusport und werden dort besonders gefördert. Wie aber steht es um die Förderung herausragender naturwissenschaftlicher und technischer Talente? Zwar wollen Universitäten die besten Studenten fördern, aber sollten wir nicht früher ansetzen und für Kinder, die einmal diese Studenten werden sollen, ähnlich wie im Sport Talentförderzentren einrichten?<h2>Förderzentren für naturwissenschaftliche Begabung</h2>Der Ende 2015 gegründete Verein +Mint hat zum Ziel, Talentförderzentren für Schüler mit außergewöhnlicher naturwissenschaftlicher Begabung zu schaffen. Diese bundesweite Bildungsinitiative will die besten Schüler in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik zusammenbringen und bestmöglich fördern. Wir haben uns das Ziel gesetzt, solche Schüler ab der neunten Klasse für Aufgaben in Wissenschaft und Wirtschaft, Politik und Gesellschaft vorzubereiten. In Schleswig-Holstein, wo die Idee der Mint-Talentförderzentren entstand, werden die Fächer Chemie, Physik und Biologie erst ab Jahrgangsstufe 9 getrennt unterrichtet.Wir glauben, dass nur eine ganztägige Betreuung Kinder optimal fördern kann. Daher gibt es das Programm +Mint ausschließlich an Internaten.Mittlerweile bieten fünf Schulen in fünf Bundesländern das +Mint-Programm an: An der Schule Louisenlund in Schleswig-Holstein und am Landesgymnasium Sankt-Afra in Sachsen startete das Programm zum Schuljahr 2016/17. Im Schuljahr 2017/18 folgte die Schule Birkelhof in Baden-Württemberg. 2018/19 stieß die Landesschule Pforta in Sachsen-Anhalt dazu, 2020/21 wird das Lietz Internatsdorf Haubinda in Thüringen mit den ersten Schülerinnen und Schülern im +Mint-Programm folgen. Langfristiges Ziel ist der flächendeckende bundesweite Ausbau mit mindestens einem +Mint-Internat in jedem Bundesland.Durch das Internatsleben kann das Programm jedem Schüler neben akademischen Fähigkeiten weitere wichtige Kompetenzen für das Leben mitgeben. So müssen in Louisenlund beispielsweise alle Schüler an einer sozialen Arbeitsgemeinschaft wie am schulinternen Technischen Hilfswerk, der Jugendfeuerwehr der Schule, am Schülerparlament oder Ähnlichem teilnehmen. Zudem müssen sie mindestens eine Sportart betreiben. Wie in jedem Internat müssen sie selbstständiger für sich sorgen und mehr Aufgaben für die Gemeinschaft übernehmen, als es im Elternhaus üblich ist.<h2>Eignung und Neigung</h2>Um nur die besten Schüler aufzunehmen, gibt es ein Auswahlverfahren. Interessierte Talente, in der Regel Achtklässler, müssen sich zunächst bis Ende Januar bewerben. Der Bewerbungsprozess beginnt mit einem Motivationsschreiben der Schüler. Wenn es überzeugend ist, werden die Schüler aufgefordert, Zeugnisse und sonstige Nachweise einzureichen, etwa über die Teilnahme an Wettbewerben.Die Bewerber, die für einen Schulbesuch infrage kommen, werden anschließend im April des Jahres zentral zu einer mehrtägigen Auswahlveranstaltung an einer der +Mint-Schulen eingeladen. In dieser Zeit werden die Kinder mit Aufgaben zu chemischen, biologischen, physikalischen, mathematischen, informatischen und technischen Problemen konfrontiert (Abbildung S. 11). Während sie in kleinen Gruppen die Aufgaben bearbeiten, beobachten die Lehrer Fachwissen und Problemlösungsstrategien, Kreativität, Motivation und Interesse, das soziale Verhalten sowie die Leistungsbereitschaft der Kinder. Das fachliche Programm wird dabei mehrfach durch Sportprogramme oder Kennlernspiele unterbrochen. Danach können die Kinder für sich entscheiden, ob sie sich das Leben im Internat überhaupt vorstellen können.<figure><img src="https://media.graphcms.com/glq9Mr9bTCKO5h8c1dLN"><figcaption><label>Abb. 1: </label>+Mint-Auswahltage: Schüler, die am Programm teilnehmen möchten, durchlaufen ein mehrstufiges Auswahlverfahren. Die Bewerber müssen beispielsweise mit einfachen Mitteln einen Feuerlöscher bauen. Foto: Stiftung Louisenlund</figcaption></figure>
Eine Teilnahme am +Mint-Programm soll unabhängig vom sozialen Status der Eltern sein: Die staatlichen +Mint-Internate nehmen monatlich Internatsgebühren zwischen 250 und 350 Euro. Die Schüler privater Internate können je nach Einkommen der Eltern BAföG oder Stipendien erhalten. Talent und Leistungsbereitschaft der Kinder sollen die einzigen Kriterien sein. Birkelhof, Haubinda und Louisenlund sind Privatschulen, Sankt-Afra und Pforta staatlich.<h2>Über das Curriculum hinaus</h2>Die Kultusministerien der Länder geben allen Schulen in Lehr- und Bildungsplänen vor, welche Kompetenzen und Fachinhalte in den einzelnen Fächern zu vermitteln sind. Durch die homogenen Mint-Klassen und die hohe Lernbereitschaft der Schüler ist dieses Pflichtprogramm oftmals in weniger als einem Schuljahr abgearbeitet, sodass die Klassen Themen vertiefen oder die Lehrer neue Themen unterrichten können. Dies gestalten die verschiedenen +Mint-Leistungszentren je nach Ausstattung der Schule und den individuellen Vorlieben der Lehrkräfte: Schulpforta bietet beispielsweise Astronomie in der schuleigenen Sternwarte an, Louisenlund Exkursionen zur Ökologie der Ostsee auf dem schuleigenen Forschungssegler.In der neunten Klasse steht in Schleswig-Holstein im Fach Chemie die Einführung in die anorganische Chemie auf dem Programm mit Themen wie Bindungsarten, Säuren und Basen oder Redoxchemie. Parallel dazu bieten die Lehrkräfte den Schülern zusätzlich Einblicke in Gassorption oder in Charakterisierungsmethoden wie Pulverdiffraktometrie und führen bereits Verbindungsklassen ein wie die der klassischen Komplexe, aber auch schulisch noch fast unbekannte metall-organische Gerüstverbindungen.<h2>Zeit zum Forschen</h2>Zusätzlich zum normalen Unterricht bekommen Schüler in Louisenlund Forschungszeit in einem speziellen Mint-Modul, das sie für eigene Forschungsprojekte nutzen sollen (Abbildung). In dieser Zeit arbeiten die Kinder und Jugendlichen an Wettbewerben wie der Internationalen Chemieolympiade, der Junior Science Olympiade oder auch am Wettbewerb „Chemie – die stimmt!“.<figure><img src="https://media.graphcms.com/UEFKxeeFSKCUVUNhUBsp"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Schüler experimentieren im Chemieunterricht einer +Mint-Klasse. Handlungsorientierung hat im Unterricht einen hohen Stellenwert. Foto: Rene Kube</figcaption></figure>
Während Moritz Wolff aus der 10. Klasse des +Mint-Programms die Fragen der Chemieolympiade 2019 bearbeitete, entwickelte er besonderes Interesse an der klassischen nasschemischen Trennung der Ionen von Schwermetallen. Dabei überlegte er, wie er dies mit einem Projekt kombinieren könnte. Nicht zuletzt durch die Lage des Internats Louisenlund direkt am Ufer der Schlei kam Moritz auf die Idee, den Schlamm der Schlei auf Schwermetalle zu untersuchen.Dazu hat er zunächst den Flussschlamm mit einer Kralle gesammelt und getrocknet. Anschließend hat er Fremdstoffe wie Steine oder Muscheln entfernt, den Schlamm fein gemahlen, mit konzentrierter Salzsäure gekocht und filtriert. Da er in Vorversuchen Eisen bereits mit Blutlaugensalz nachgewiesen hatte und diese Ionen andere Nachweise stören, entschied sich Moritz für die Trennung der Urotropinreihe, um die Eisenionen von den Chrom- und Aluminiumionen zu trennen. Mit dem Morin-Nachweis gelang es ihm, Aluminium im Schleischlamm zu bestätigen. An der Schule ist ein vollständiger Trennungsgang mit Schwefelwasserstoff allerdings schwer oder gar nicht umzusetzen.Neben diesen eher klassischen Methoden wurden die Proben an der Technischen Universität Clausthal mit Röntgenfluoreszenz (TXRF) analysiert, wobei Mitarbeiter der TU weitere Metalle wie Kupfer oder Titan detektiert haben. Die Ergebnisse bereitete der Schüler für einen „Jugend-forscht“-Beitrag auf und war damit bei einem Regionalwettbewerb erfolgreich (Abbildung).<figure><img src="https://media.graphcms.com/aLOOpYhbQIi5tsk1is3a"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Moritz Wolff präsentiert die Ergebnisse seiner Schleischlamm-Analyse bei „Jugend forscht“. Seit dem Jahr 2017 ist der Schüler im +Mint-Programm des Internatsgymnasiums Louisenlund; in diesem Jahr macht er Abitur. Foto: Stiftung Louisenlund, Jugend forscht</figcaption></figure>
Moritz Wolff meinte dazu, in seiner alten Schule hätte er ein derartiges Projekt nie umsetzen können. Die Zeit im Mint-Modul für Experimente, die Betreuung durch die Lehrer und der Kontakt eines Lehrers zur TU Clausthal seien unabdingbar für den Erfolg des Projektes gewesen. „In meiner Klasse gibt es immer Gesprächspartner, die zur Beschäftigung mit den Naturwissenschaften anregen. Der Unterricht verläuft um einiges flüssiger als in meiner alten Schule, da sich jeder beteiligt, und daher macht dieser auch um einiges mehr Spaß.“In weiteren Forschungsprojekten arbeiten aktuell Schüler an Projekten zur Supraleitung, zu Redox-Flow-Batterien oder der Rheopexie und werden ihre Projekte im nächsten Jahr bei Jugend forscht vorstellen.Im Mint-Modul arbeiten alle Schüler gleichzeitig an Projekten aus Biologie und Chemie, Mathematik und Informatik oder Physik und Technik. Dadurch entstehen Synergien zwischen den einzelnen Projekten, und die Jüngeren profitieren von der Erfahrung und dem Wissen der älteren Talente.<h2>Kooperation und Evaluation</h2>Der Verein zur +Mint-Talentförderung und die Stiftung Louisenlund kooperieren mit dem Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) in Kiel: Die Leiterin der IPN-Abteilung „Didaktik der Chemie“, Ilka Parchmann, war von Beginn an in die Konzeption des +Mint-Programms einbezogen, der wissenschaftliche Direktor des IPN, Olaf Köller, ist Gründungsmitglied und stellvertretender Vorsitzender des Vereins. Das IPN evaluiert dabei in einer Längsschnittstudie die fachliche Entwicklung der Schüler und deren subjektive Wahrnehmungen des Talentförderprogramms. Der erste Jahrgang im +Mint-Programm legt in diesem Frühjahr das Abitur ab. Ergebnisse der Längsstudie werden voraussichtlich ab Herbst des Jahres 2022 vorliegen.<h2>Die Autoren</h2>Steve Waitschat ist Lehrer am Internatsgymnasium Louisenlund und Landesbeauftragter für Schleswig-Holstein und Hamburg der Junioren-Chemie-Olympiade „Chemie – die stimmt!“. Er hat Wirtschaftschemie studiert und an der Universität Kiel in anorganischer Chemie promoviert.<div><img src="https://media.graphcms.com/o08rkf1VQJG2Vli0WwNs">

</div>Peter Rösner ist Physiklehrer und leitet seit Januar 2014 das Internatsgymnasium Louisenlund. Er ist Gründungsmitglied des Vereins zur Mint-Talentförderung.<div><img src="https://media.graphcms.com/J1JShzSvTwSb5X5zxDxu">

</div>Dierk Suhr ist Biophysiker und hat das Talentförderprogramm +Mint als Geschäftsführer des Vereins zur Mint-Talentförderung mitaufgebaut und im Schuljahr 2018/19 in Louisenlund geleitet.<h2>AUF EINEN BLICK</h2>Internatsgymnasien mit dem +Mint-Programm nehmen Schüler ab Jahrgangsstufe 9 nach einem mehrstufigen Auswahlverfahren auf.Der Unterricht folgt grundsätzlich dem jeweiligen Lehrplan, geht aber aufgrund der homogenen Lerngruppen stärker in die Tiefe.Zusätzlich zum Regelunterricht bearbeiten die Schüler eigenständig naturwissenschaftliche Projekte.

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Chemie oder Physik statt Fußball

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„Die neuen LED sparen unheimlich viel Energie.“ Durch Sätze wie diesen entsteht leicht der Eindruck, Energie könne erzeugt, gespeichert, verbraucht und eingespart werden oder verloren gehen. In Leistungskursen der Sekundarstufe II bietet es sich daher an, die Vorstellungen der Schüler anhand von elektrochemischen Experimenten zu überprüfen.
Eine der zentralen Fragen heute ist, wie umweltschonende Energieversorgung bei steigendem Bedarf erreicht werden kann.1) Daher ist das Thema Teil der Schulbildung. Allerdings kommt eine Energiebildungsstudie des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften zu folgendem Schluss: Schüler, die die Schule nach der 10. Klasse verlassen, haben wesentliche konzeptionelle Grundlagen der Energie nicht verstanden.2)<h2>Die Schülerschrecken: Enthalpie und Entropie</h2>Schüler bringen aus ihren Alltagserfahrungen bereits Vorstellungen zu vielen Themen mit in den Unterricht. Diese werden auch als alternative Vorstellungen (alternative frameworks) oder als Präkonzepte bezeichnet. Weichen diese stark von wissenschaftlichen Denkansätzen ab oder bleiben sie unbeachtet, können sie das Verständnis der Wirklichkeit oder der wissenschaftlichen Modelle davon behindern.3)Chemische Thermodynamik ist für Schüler der Sekundarstufe II ein anspruchsvolles Themengebiet, in dem sie umdenken müssen, denn vermeintlich bekannte Größen wie Wärme und Arbeit werden hier neu definiert. Dieser Konzeptwechsel gelingt nicht jedem Lernenden gleichermaßen. So erkennen nur 26 Prozent der Schüler die Enthalpie als eine Energieform.4) Lernende sind durchaus in der Lage, die Reaktionsenthalpien verschiedener Reaktionen zu berechnen, ihnen ist aber häufig nicht bewusst, dass diese der ausgetauschten Wärme bei konstantem Druck entspricht.5,6) Vielmehr gehen etwa 20 Prozent der Lernenden davon aus, die Enthalpieänderung würde immer der Änderung der Inneren Energie entsprechen.7) Viele können sie zudem nicht genau von der Entropie abgrenzen.Um sie anschaulich zu machen, führen Lehrende die Entropie häufig als das Maß für die Unordnung ein. In einer Untersuchung von Carson und Watson konnten jedoch nicht einmal Studierende, die eine Thermodynamikvorlesung besucht hatten, erklären, was sie mit dem Begriff Unordnung meinen.8) Ob die Betrachtungsweise als Unordnung die Anschaulichkeit der Entropie aus Schülersicht tatsächlich erhöht, bleibt also fraglich. Denn die Entropie selbst trägt die Einheit der Energie (pro Kelvin). Unordnung hingegen wird ausgedrückt durch das statistische Gewicht, aus mathematischer Sicht hat sie keine Einheit. Melle kritisiert daher zurecht, dass es für Lernende nicht einsichtig ist, dass die Entropie als Maß der Unordnung multipliziert mit der Temperatur eine Energie ergibt.9)Ähnliche Verständnisprobleme existieren auch bei der Freien (Reaktions-)Enthalpie. So sind Chemiestudenten zwar häufig in der Lage, ∆G zu berechnen. Jedoch können sie die Bedeutung der Freien Reaktionsenthalpie im Alltag häufig nicht mit eigenen Worten wiedergeben.10) Vermutlich haben also auch Schüler Schwierigkeiten, die abstrakten Größen der Gibbs-Helmholtz-Gleichung mit Phänomenen des Alltags zu verknüpfen.<h2>Enthalpie statt chemische Energie</h2>Auf Grundlage der genannten Schülervorstellungen wurde ein Unterrichtsgang entwickelt, der in der Sekundarstufe I auf den Begriff „chemische Energie“ verzichtet. Stattdessen nutzt schon der Chemieanfangsunterricht den Begriff Enthalpie. Diese wird so definiert: Enthalpie ist die Energie, die in den Stoffen enthalten ist.11) Entgegen dem klassischen Gang durch die Thermodynamik in der Sekundarstufe II wird nun vorgeschlagen, auf die Innere Energie im Schulunterricht zu verzichten. Stattdessen soll der Unterricht direkt an die Kenntnisse zur Reaktionsenthalpie anschließen und die Reaktionsentropie sowie die Freie Reaktionsenthalpie als neue thermodynamische Größen etablieren. Ziel ist es, die Gibbs-Helmholtz-Gleichung herzuleiten, deren thermodynamische Interpretation einen Beitrag zur Allgemeinbildung leisten kann.Um die Gibbs-Helmholtz-Gleichung herzuleiten, wird die Entropie als Größe eingeführt, die das bisherige Energieumwandlungsverständnis erweitert. Die Entropie ist dabei als Teil der bekannten Enthalpie zu verstehen. Dies wird dann möglich, wenn man eben nicht der Frage nach der Triebkraft endothermer Reaktionen nachgeht. Stattdessen wird die Reaktion von Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser untersucht. Der Literaturwert der Verbrennungsenthalpie ∆VHm der Reaktion beträgt −285,8 kJ·mol−1. Für diese Reaktion können die Schüler ein Enthalpiediagramm aufstellen und die Verbrennungsenthalpie in Form von Reaktionswärme eintragen (Abbildung 1 links).<figure><img src="https://media.graphcms.com/TBTNBlU7TnSdbmaCIjsm"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Links: Enthalpiediagramm der Verbrennung von Wasserstoff. Mitte: mögliches Enthalpiediagramm einer Brennstoffzelle; betrachtet man nur die elektrische Arbeit, sieht es so aus, als würde weniger Energie frei als bei der Verbrennung von Wasserstoff. Rechts: vollständiges Enthalpiediagramm einer Brennstoffzelle.</figcaption></figure>
<h2>Beispiel aus der Anwendung: die Brennstoffzelle</h2>Die Umsetzung von Wasserstoff und Sauerstoff in Brennstoffzellen gilt als eine Möglichkeit auf dem Weg zu nachhaltiger Energieversorgung.12) Die Reaktion ist den Lernenden zu diesem Zeitpunkt in der Regel bereits aus der Elektrochemie bekannt. Anhand der Redoxpotenziale von Wasserstoff und Sauerstoff können sie den Wert für die elektrische Arbeit berechnen, die eine Brennstoffzelle zur Verfügung stellt.Mit −237,354 kJ mol−1 ist die von einer Brennstoffzelle umgesetzte Energie in Form elektrischer Arbeit um 17 Prozent geringer als die durch die direkte Verbrennung umgesetzte Reaktionswärme. In einer Brennstoffzelle wird also scheinbar weniger Energie frei als bei Verbrennung. Trägt man den Betrag der elektrischen Arbeit in das Enthalpiediagramm der Reaktion ein, ergibt sich das mittlere Diagramm in Abbildung 1 (S. 15).Da sich Ausgangsstoffe und Reaktionsprodukte nicht unterscheiden, müssen auch die Niveaus der Stoffe auf gleichen Höhen gezeichnet werden. Das können die Schüler aus dem Satz von Heß ableiten.Da die freigesetzte elektrische Arbeit nicht die genaue Differenz zwischen Ausgangsstoffen und Reaktionsprodukten liefert, scheint ein Teil der Energie zu fehlen, der in eine andere Energieform umgewandelt worden sein muss. Ob das die Energieform Wärme ist, lässt sich mit einem Versuch überprüfen.13) Dazu eignet sich eine zerlegbare Brennstoffzelle, wie sie im Lehrmittelhandel erhältlich ist (Abbildung 2).14)<figure><img src="https://media.graphcms.com/z0nroFbrTinuBdgAsNPD"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Brennstoffzelle aus dem Lehrmittelhandel, die sich leicht zerlegen lässt.</figcaption></figure>
<h2>Versuch zur Energieumwandlung: elektrische Arbeit und Wärme</h2>Für den Versuch wird die Brennstoffzelle leicht aufgeschraubt, um einen dünnen Temperaturfühler zwischen die beiden Membranen zu schieben (Abbildung 3). So lässt sich die Temperaturentwicklung während des Betriebs messen. Die Temperatur steigt im Beispielversuch nach dem Start der Brennstoffzelle von 22,2 °C auf 24,5 °C.<figure><img src="https://media.graphcms.com/dWoTYSc2ASsrOkAZ9yQZ"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Mit diesem Versuchsaufbau lässt sich die Freie Enthalpie aus einer Brennstoffzelle bestimmen.</figcaption></figure>
Bei Start der Brennstoffzelle zeigt das Voltmeter eine maximale Spannung von 0,960 V, die allerdings schnell abfällt und schwankt, sodass als mittlere Spannung ein Wert von 0,860 V (mittlere Ruheklemmspannung) angenommen wird. Aus der mittleren Ruheklemmspannung der Brennstoffzelle lässt sich die elektrische Arbeit berechnen, es ergibt sich ein Wert von –165,955 kJ·mol–1Die chemische Reaktion in der Brennstoffzelle entspricht formal der Verbrennungsreaktion von Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser. Vergleicht man die Werte der elektrischen Arbeit mit der molaren Verbrennungsenthalpie von Wasserstoff, dann wird schnell klar: Es ist offenbar nicht möglich, die gesamte Reaktionsenthalpie in elektrische Arbeit umzuwandeln. Stattdessen wird ein Teil der Reaktionsenthalpie zu Wärme, was sich im Temperaturanstieg der Brennstoffzelle zeigt.Das Enthalpiediagramm für die Reaktion von Wasserstoff mit Sauerstoff in einer Brennstoffzelle lässt sich damit um die Reaktionswärme erweitern (Abbildung 1 rechts, S. 15).<h2>Von der Messung zur allgemeinen Formel</h2>Der Energieumsatz chemischer Reaktionen ist nicht ausschließlich in die elektrische Arbeit gebunden. Ganz allgemein werden daher die Energieformen Wärme, Licht und elektrische Arbeit unter dem Oberbegriff Freie Reaktionsenthalpie ∆G zusammengefasst, die wie folgt definiert werden kann: Die Freie Reaktionsenthalpie ΔG entspricht der Energie, die in Form von mechanischer Arbeit, elektrischem Strom und/oder Licht geleistet werden kann: ΔH = ΔG + Q. Möchte man nun direkt berechnen, welche Freie Reaktionsenthalpie ein System leistet, stellt man die Gleichung entsprechend um.Die Gibbs-Helmholtz-Gleichung lässt sich nun einfach herleiten, indem Q durch T∆S ersetzt wird. Dazu gibt es ebenfalls einen Versuch: die Temperaturabhängigkeit der Freien Reaktionsenthalpie eines Silber-Kupfer-Elements.13) Hierbei ist die Ruheklemmspannung umso geringer, je höher die Temperatur des Silber-Kupfer-Elements ist.Berechnet man die elektrische Arbeit des Elements, erhält man durch eine Auftragung dieser Werte gegen die absolute Temperatur eine Gerade der Form ∆G = n – mT. Der Schnittpunkt der Regressionsgeraden ist damit gleich der Reaktionsenthalpie ∆H bei 0 K. Der letzte Schritt ist dann die Deutung der Steigung m der Regressionsgeraden. Diese trägt zwangsläufig die Einheit kJ·mol–1 K–1. Ersetzt man m durch ∆S, erhält man die Gibbs-Helmholtz-Gleichung in ihrer allgemeinen Form: ∆G = ∆H – ∆S·T.∆S kann dann so definiert werden: Die Reaktionsentropie entspricht der Energie, die bei einer chemischen Reaktion bei einer bestimmten Temperatur in Form von Wärme umgesetzt wird.Die vorgestellten Unterrichtsvorschläge wurden auf Tagungen des Verbands der Chemielehrer Österreichs, VCÖ, und der GDCh präsentiert. Lehrkräfte können sich das Unterrichtsmaterial zu Energie im Chemieunterricht kostenfrei auf der Website der Abteilung Didaktik der Chemie der Universität Rostock herunterladen: <a href="https://www.didaktik.chemie.uni-rostock.de/forschung/chemie-fuers-leben-sek-ii/energie-ii/" target="_blank">www.didaktik.chemie.uni-rostock.de/forschung/chemie-fuers-leben-sek-ii/energie-ii/</a>. Darüber hinaus bietet das Lehrerfortbildungszentrum Rostock Fortbildungen zu diesem Thema an.<h2>Der Autor</h2>Tom Wagner hat Chemie und Biologie für das Lehramt an Gymnasien studiert und im Jahr 2018 im Arbeitskreis von Alfred Flint in Rostock promoviert. Derzeit absolviert er das Referendariat am Humboldt-Gymnasium Potsdam und hat das beschriebene Unterrichtskonzept in mehreren Kursen genutzt.<div><img src="https://media.graphcms.com/7mtax5ZIRECKAucspQMW">

</div><h2>AUF EINEN BLICK</h2>Die Alltagssprache über Energie unterscheidet sich stark vom wissenschaftlichen Energiekonzept, was zu Lernschwierigkeiten bei Schülern führt.Gerade die Zustandsgrößen Enthalpie, Entropie und Freie Enthalpie bereiten Lernenden Verständnisprobleme.Mit Versuchen an einer zerlegbaren Brennstoffzelle und an einem Kupfer-Silber- Element lässt sich die Gibbs-Helmholtz-Gleichung hergeleiten.
<ul><li>
1 M. Oetken, „Chemie und Energie – Die Sicht der Hochschuldidaktik“, Chemie und Energie in Schülerlaboren. Was gibt es? Was ist zu tun? Braunschweig 2015</li><li>
2 RWE, Energiebildung in Deutschland. Eine Studie des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik im Auftrag der RWE Stiftung, Kiel 2013</li><li>
3 H.-D. Barke, Chemiedidaktik. Diagnose und Korrektur von Schülervorstellungen. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, 2006.</li><li>
4 T. Nilsson, H. Niedderer, Chem. Educ. Res. Pract., 2014, 15, 336–353</li><li>
5 M. Sözbilir, „A Study of Undergraduates’ Understandings of Key Chemical Ideas in Thermodynamics“, Ph.D. Thesis, The University of York, York, UK, 2001</li><li>
6 T. J. Greenbowe, D. E. Meltzer, Int. J. Sci. Educ. 2003, 25, 779–800</li><li>
7 P. L. Thomas, R. W. Schwenz, J. Res. Sci. Teach. 1998, 35, 1151–1160</li><li>
8 E. M. Carson, J. R. Watson, Univ. Chem. Educ., 2002, 6, 4–12</li><li>
9 I. Melle, „Chemische Energetik im Chemieunterricht der gymnasialen Oberstufe. Ein neues experimentelles Konzept“, Dissertation, Universität Oldenburg, Oldenburg, 1993</li><li>
10 M. Gabriela, T. C. Ribeiro, R. Maskill, Int. J. Sci. Educ. 1990, 391–401</li><li>
11 T. Wagner, A. Flint, CHEMKON 2018, 25, 98–103</li><li>
12 R. D. Schmid, Nachr. Chem. 2019, 67(10), 24–27</li><li>
13 T. Wagner, A. Flint, „Energie im Chemieunterricht. Eine neue experimentelle Unterrichtskonzeption für die Sekundarstufe I und II“. Rostock 2018</li><li>
14 <a href="https://www.winlab.de/schule/demonstrationsgeraete-anschauungsmaterialien/brennstoffzellentechnologie/zerlegbare-brennstoffzelle" target="_blank">www.winlab.de/schule/demonstrationsgeraete-anschauungsmaterialien/brennstoffzellentechnologie/zerlegbare-brennstoffzelle</a> (Stand: 11.02.2019)</li></ul>

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