Industrie + Technik

Die Chemieindustrie will Plastikm&uuml;ll in einen Erd&ouml;lersatz verwandeln und so Kunststoffe im Kreislauf halten. Kerstin Kuchta, Expertin f&uuml;r Abfallwirtschaft und Professorin an der Technischen Universit&auml;t Hamburg, ist skeptisch und sieht noch viele technische H&uuml;rden.
Chemieunternehmen setzen gro&szlig;e Hoffnungen in das chemische Recycling von Kunststoffabf&auml;llen. Umweltsch&uuml;tzer hingegen &auml;u&szlig;ern sich extrem kritisch. Was halten Sie von der Idee?
Kerstin Kuchta: Das ist eine spannende Diskussion, zumal zwischen den Lobpreisungen der Industrie und der Ablehnung eine technische Herausforderung liegt. Chemisches Recycling ist ja keine neue Idee. Die Solvolyse, also Kunststoffe mit bestimmten L&ouml;semitteln in ihre Monomere zu zerlegen, ist rund 25 Jahre alt. Und die andere Option, Kunststoffe &uuml;ber Vergasung oder Pyrolyse in ein &Ouml;l zu verwandeln und aus diesem Gemisch eine Art Naphtha herzustellen, war schon w&auml;hrend meiner Promotion in den 1990er-Jahren ein gro&szlig;es Thema. Mit der technischen Weiterentwicklung besch&auml;ftigen sich mittlerweile viele Gruppen, aber den Durchbruch haben wir noch nicht erreicht.
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<figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/1Ja1TjAzRSGNQK99j75u" />
<figcaption><label>Abb.1: </label>Zur Person: Seit dem Jahr 2011 ist Kerstin Kuchta Professorin an der TU Hamburg und leitet dort das Institut CREM &ndash; Circular Resource Engineering and Management. Vom Jahr 2002 bis 2010 hatte sie eine Professur f&uuml;r Energie- und Umweltmanagement an der Hochschule f&uuml;r Angewandte Wissenschaften Hamburg inne. Davor war sie in der Leitung verschiedener Ingenieurgesellschaften mit der Planung, den Genehmigungen und dem Betrieb umwelttechnischer Anlagen betraut. Kuchta hat an der TU Berlin technischen Umweltschutz studiert und wurde im Jahr 1997 an der TU Darmstadt promoviert.</figcaption>
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Welche H&uuml;rden sehen Sie?
Die meisten Verfahren gehen jetzt &uuml;ber die Pyrolyse, und die kostet viel Energie. Je stabiler die Kunststoffe sind, desto besser ist ihre chemische Struktur. Wenn wir die zerlegen wollen, m&uuml;ssen wir viel Energie hineinstecken. Hinzu kommt der Aufwand f&uuml;r die Aufbereitung des Pyrolyse&ouml;ls f&uuml;r die anschlie&szlig;enden Raffinerieprozesse. Denn dass die Monomere so sch&ouml;n wieder herauskommen, wie sie mal produziert wurden, funktioniert mit Post-Consumer-Gemischen, also mit gemischten Kunststoffabf&auml;llen aus Haushalten und von anderen Endverbrauchern, nicht. Selbst mit einer Monofraktion als Input w&auml;re es schwierig, weil es durch anhaftenden Schmutz und Feuchtigkeit w&auml;hrend des Prozesses zu Ver&auml;nderungen in der Kohlenwasserstoffstruktur kommt.
Trotz des Aufwands investieren Chemiekonzerne weltweit in chemisches Recycling. Warum?
Gro&szlig;e Kunststoffhersteller haben keine andere Option. Sie verkaufen ja kein einfaches Polyethylen oder andere schlichte Polymere, sondern hoch angepasste und additivierte Werkstoffe &ndash; die wirklich gut sind, das muss man schon sagen. Aber mit rein mechanischen Schritten wie Waschen und Mahlen lassen sich f&uuml;r diese komplexen Materialien keine Kreisl&auml;ufe aufbauen. Hinzu kommt, dass die Abfallwirtschaft eine L&ouml;sung f&uuml;r die bislang nicht recycelbaren Kunststoffe sucht. In der Chemiebranche hat die Entsorgungsindustrie einen Partner gefunden.
Die Chemieindustrie ist interessiert an einem funktionierenden Kunststoffmarkt, aber warum braucht die Abfallwirtschaft einen Partner?
Unsere St&auml;dte wollen klimaneutral werden, da k&ouml;nnten M&uuml;llverbrennungsanlagen bald die letzten Emittenten von Treibhausgasen sein. Um ihre Kohlendioxidemissionen zu senken, wollen sie die fossilen Kunststoffe vor der Verbrennung weitgehend entfernen. EEW (Anmerkung: EEW Energy from Waste, eine Tochter des chinesischen Mischkonzerns Beijing Enterprises Holdings, betreibt M&uuml;llverbrennungsanlagen in Deutschland, den Niederlanden und Luxemburg) &uuml;berlegt zum Beispiel, entsprechende Anlagen in den Niederlanden und in Deutschland zu errichten. Hamburg ist auch als Standort im Gespr&auml;ch. Allerdings sind die ausgesonderten Kunststoffabf&auml;lle nicht gut genug f&uuml;r das mechanische Recycling. Eine Pyrolyse erscheint den M&uuml;llverbrennern nicht abwegig, zumal sie sich mit Energie und W&auml;rme auskennen. Aktuell gibt es aber noch keine Pyrolyseanlagen f&uuml;r diese Anwendung zu kaufen. Die Entsorgungsindustrie sieht in den Chemieunternehmen potente Partner, die solche Anlagen entwickeln.
Umweltsch&uuml;tzer, etwa Vertreter der Initiative Zero Waste Europe, behaupten, dass chemisches Recycling mehr Treibhausgase freisetzt als die Kunststoffherstellung aus fossilen Ressourcen. Au&szlig;erdem werfen sie der Industrie vor, Studien zum chemischen Recycling zu sch&ouml;nen. Halten Sie die Kritik f&uuml;r berechtigt?
Nat&uuml;rlich stellt die Industrie das chemische Recycling positiv dar. Bei den CO2-Emissionen etwa m&uuml;ssten auch Transportwege bedacht werden. Gerade bei gro&szlig;en zentralen Anlagen ist das ein erheblicher Faktor. Die Nachbehandlung des Pyrolyse&ouml;ls und die Verwertung des Kokses, der als Nebenprodukt anf&auml;llt, werden oft ebenfalls nicht ausreichend ber&uuml;cksichtigt. Zu bedenken ist auch, dass es noch keine gro&szlig;technische Anlage gibt; das sind alles Berechnungen.
In kleinerem Ma&szlig;stab produzieren einige Anlagen schon Pyrolyse&ouml;l aus Kunststoffm&uuml;ll. Es wird anschlie&szlig;end mit fossilem Rohstoff vermischt und sogar f&uuml;r die kommerzielle Herstellung neuer Polymere, anderer Chemieprodukte und Treibstoffe verwendet.
Ja, aber auch die kleineren Anlagen verarbeiten Spezialfraktionen der Kunststoffabf&auml;lle. Bei der Aufbereitung von gemischtem Plastikm&uuml;ll werden die CO2-Emissionen noch h&ouml;her liegen. Deshalb wehre ich mich auch gegen die super Meldungen zum chemischen Recycling. Die Industrie tr&auml;umt gerne laut von L&ouml;sungen, die noch keine sind. Das weckt falsche Hoffnungen und verleitet dazu, zu denken: Plastikm&uuml;ll &ndash; egal, wird ja chemisch recycelt.
Mechanisches Recycling ist aber auch keine L&ouml;sung. Es funktioniert zwar gut bei PET-Getr&auml;nkeflaschen, doch nach mehreren Zyklen kommt es selbst hier zum Downcycling und man braucht neues Material.
Das ist &auml;hnlich wie beim Papierrecycling, und trotzdem sprechen wir da von Kreislauff&uuml;hrung. Die R&uuml;ckholung von PET-Flaschen l&auml;uft erstklassig, die Qualit&auml;t ist gut, neue Flaschen k&ouml;nnen aus 100 Prozent Rezyklat hergestellt werden. Irgendwann kommt es zum Abbau, aber das h&auml;ngt auch davon ab, wie viel Fremdstoff das Material enth&auml;lt. Deswegen w&auml;ren zum Beispiel ungef&auml;rbte Flaschen w&uuml;nschenswert. Was den Nachschub an neuem Material betrifft: Problematischer beim Recycling von PET-Flaschen ist, dass andere Industrien, etwa die Automobil- und die Kosmetikbranche, das Rezyklat wegkaufen.
Welche Ma&szlig;nahmen schlagen Sie vor gegen die Flut an Plastikm&uuml;ll?
Es wird immer einen gewissen Bedarf an Kunststoffen geben, die hochkomplex sind, viele Additive enthalten und sich kaum recyceln lassen. Die m&uuml;ssen wir dann wahrscheinlich energetisch nutzen, also verbrennen. Alle anderen Kunststoffe sollten wir vermeiden oder so gestalten, dass wir sie getrennt erfassen und mechanisch recyceln k&ouml;nnen. Als Wissenschaftlerin finde ich chemisches Recycling zwar interessant, aber das Plastikm&uuml;ll-Problem l&auml;sst sich damit nicht aus der Welt schaffen, jedenfalls nicht in den n&auml;chsten 20 Jahren.
Das Gespr&auml;ch mit Kerstin Kuchta f&uuml;hrte Uta Neubauer online.
Kerstin Kuchta. Foto: TUHH

Interview

Chemisches Recycling ist keine neue Idee

Die Chemieindustrie will Plastikmüll in einen Erdölersatz verwandeln und so Kunststoffe im Kreislauf halten. Kerstin Kuchta, Expertin für Abfallwirtschaft und Professorin an der Technischen Universität Hamburg, ist skeptisch und sieht noch viele technische Hürden. Chemieunternehmen setzen große H...

Per- und polyfluorierte Kohlenwasserstoffe sind persistente Umweltgifte. Zurzeit werden verstärkt Routineverfahren für die chemische Analytik und das Biomonitoring entwickelt.Per- und polyfluorierte Kohlenwasserstoffe (<link href="#nadc20234134838-fig-0001">PFAS) wirken als Barriere für Fett, Wasser, Öl und Schmutz. Daher kamen sie ab den 1940er Jahren als Bestandteil von Textilien wie Outdoorjacken, Teppichen, Reinigungsmitteln, Farben und Schäumen zur Brandbekämpfung etwa in Ölraffinerien zum Einsatz. Auch in Kochgeschirr, Lebensmittelverpackungen und bei der Lebensmittelverarbeitung wurden sie verwendet, sogar in Kaffeebecherbeschichtungen.1)<figure xml:id="nadc20234134838-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/CDPZYcTS42CqzgG8e7mA"><figcaption><label>Abb.1: </label>Wildschweine als Passivsammler per- und polyfluorierter Alkylsubstanzen aus Wasser, Nahrung, Luft und Boden. Foto: Ehrensberger</figcaption></figure></figure><h2 type="main">Gesundheitsschädlich, aber nötig für operative Eingriffe</h2>PFAS sind gesundheitsschädlich. Beispielsweise mindern sie Impfwirkungen – insbesondere bei Kindern und Jugendlichen – und erhöhen Cholesterinwerte und die Neigung zu Infekten. Zudem können sie über die Muttermilch weitergegeben werden; gestillte Kinder sind höher mit PFAS belastet als nicht gestillte Kinder. Darüber hinaus werden die Substanzen mit Leberschäden, Schilddrüsenerkrankungen und Hormonstörungen in Verbindung gebracht.PFAS werden in der Natur und im menschlichen Organismus kaum abgebaut (Ewigkeitschemikalien). So akkumulieren sie im Grundwasser, im Boden und in Organismen – auch im Menschen.Im Rahmen der Deutschen Umweltstudie zur Gesundheit hat das Umweltbundesamt bei Kindern und Jugendlichen von 3 bis 17 Jahren hauptsächlich die PFAS-Vertreter Perfluoroktansäure (PFOA) und Perfluoroktansulfonsäure (PFOS) gefunden. Dabei zeigte „mehr als jeder fünfte eine höhere Konzentration von PFOA als eine Fachkommission als in jedem Fall unbedenklich bewertet“.2)<h2 type="main">Führung deutscher Unternehmen</h2>Es gibt viel mehr PFAS als die untersuchten zwei Verbindungen, und nach wie vor gelten sie in bestimmten Anwendungen als wichtig. So zählt der Vorsitzende der Analysen-, Bio- und Labortechnik beim Branchenverband Spectaris, Mathis Kuchejda, zu den Negativfaktoren für die Wettbewerbsfähigkeit der Branche außer dem Fachkräftemangel und den allgemeinen Kostensteigerungen „das drohende PFAS-Verbot, das für alle unsere Mitglieder hochkritisch ist“. In Gebrauch waren oder sind fast 5000 verschiedene Vertreter dieser Stoffgruppe.1)Die Halbleitertechnik nutzt PFAS im Lithografiesystem: in Dichtungsmaterial, Dämpfungselementen, Isolierung und in Schmiermitteln [Nachr. Chem. 2023, 71(2), 38]. Die optische Fotolithografie ist der kritische Produktionsschritt bei der Mikrochipherstellung.In der Chromatographie liefern PFAS-Polymere gasdichte Dichtungen, insbesondere in der Gaschromatographie (GC). Darüber hinaus wirken sie bei der Detektion im Massenspektrometer (MS) mit; denn da liegt Hochvakuum an, und GC-MS-Systeme sind mit solchen Dichtungen versehen. Das betrifft die chemische Analytik etwa von Aromastoffen, Fetten und Ölen in Lebensmitteln, von Pestizidrückständen, generell in Umweltanalytik und Forensik bis hin zu Kampfstoffen oder Tumormarkern.Systeme zum minimalinvasiven, optisch kontrollierten Entfernen von Tumoren oder anderem Gewebe in der Medizin enthalten Fluorpolymere. Und zwar in Produkten und in optomechanischen Systemen wie einem Bipolar-Resektoskop, das Gewebe aus Harnblase, Prostata und Uterus entfernt.<h2 type="main">Standardisierte Verfahren</h2>Das Umweltbundesamt (UBA) forderte vor drei Jahren eine Erfolgskontrolle regulatorischer Maßnahmen, die die PFAS-Verbreitung begrenzen sollen, und empfahl ein EU-weites PFAS-Monitoring in Oberflächengewässern, Grundwasser, Meeren, Böden und Lebensmitteln. Gleichzeitig stellte das UBA fest: Für die meisten PFAS müssen standardisierte analytische Verfahren noch entwickelt werden.3)Einige gibt es schon. Beispielsweise lassen sich nach dem Verfahren der US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel von Susan Genualdi und Lowri de Jager 16 PFAS in Lebensmitteln wie Brot, Salat, Milch und Fisch bestimmen:4) Probe homogenisieren, bei harten Bestandteilen über eine Kaltvermahlung unter Flüssigstickstoff. Wasser zugeben. Auf die anschließende PFAS-Extraktion mit einem Gemisch aus Acetonitril und Ameisensäure folgt eine modifizierte Quechers-Extraktion.5,6) Die Analyten stabilisiert ein Puffer-Salzgemisch, und Aussalzen trennt die organische von der wässrigen Phase. Der filtrierte Extrakt wird mit Flüssigkeitschromatographie und anschließender Tandem-Massenspektrometrie (LC-MS/MS) analysiert (<link href="#nadc20234134838-fig-0002">Foto oben). Je nach Probe sind die Extrakte vorher zu reinigen, zum Beispiel mit Festphasenextraktion (solid phase extraction, SPE, <link href="#nadc20234134838-fig-0003">Grafik).<figure xml:id="nadc20234134838-fig-0002"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/8p8siMyHQra8bpOOIp0q"><figcaption><label>Abb.2: </label>Equipment für die Analyse per- und polyfluorierter Alkylsubstanzen (PFAS): Online-Festphasenextraktion mit Hochdruckkolbenpumpen und SPE-Kartuschenwechsler; multifunktionaler Autosampler mit Injektionsventil, Waschstation und Probentrays sowie ein Triple-Quadrupol-Massenspektrometer, gekoppelt an ein Flüssigchromatographiesystem. Foto: Gerstel</figcaption></figure></figure><figure xml:id="nadc20234134838-fig-0003"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/HZFa9GLGRMqPpBXb2vyq"><figcaption><label>Abb.3: </label>Die Analyse von PFAS erfolgt im Zusammenspiel von Probenvorbereitung, Festphasenextraktion (SPE) und Detektion/Quantifizierung mit Flüssigkeitschromatographie und Massenspektrometrie (LC/MS). Ein multifunktionaler Autosampler (MPS) trägt zur Automatisierung bei. Grafik: Gerstel</figcaption></figure></figure>Die einzelnen Substanzen werden identifiziert anhand im Triple-Quadrupol-Massenspektrometer erzeugter und detektierter spezifischer m/z-Übergänge. Zur exakten Quantifizierung kommen 13C-markierte Analoga der einzelnen Analyten zum Einsatz.<h2 type="main">Probenvorbereitung</h2>Vor der Analyse fester PFAS-Proben wie Klärschlämmen, Böden oder Sedimenten ist grundsätzlich eine spezifische Probenvorbereitung notwendig, um störende Matrixbestandteile zu entfernen.Bei gasförmigen Proben wird möglicherweise eine Anreicherung nötig. Die enthaltenen Partikel lassen sich auf Glasfaserfiltern sammeln, die gasförmigen Bestandteile in Polyurethanschaum und Amberlite XAD-2, einem hydrophoben Styrol-Divinylbenzol-Copolymer. Dazu werden diese Adsorbentien jeweils in eine Säule gepackt und Luftproben hindurchgepumpt (High Volume Air Sampler, Pumpleistung: 13 bis 16 m³·h–1). Passivsammler, also über mehrere Wochen offen aufgehängte, mit Adsorbentien gefüllte Säulen, liefern die Blindwerte im Labor.7)Trennung und Nachweis gelingen bei flüchtigen PFAS statt mit LC-MS mit GC-MS. Absolute Nachweisgrenzen liegen für einzelne Analyte aus der Gruppe der flüchtigen PFAS zwischen 0,16 und 2,29 Pikogramm. Gemessen wurde im Modus Selected Ion Monitoring (SIM) mit drei Massen pro Analyt: einem Quantifier und zwei Qualifiern.Für die Nachweisgrenzen von PFAS gilt als Faustregel: Man kommt bis hinunter in den Pikogrammbereich, wobei es bei Luftproben Pikogramm pro Kubikmeter, bei Wasser- und Blutproben Pikogramm pro Liter und bei festen Proben wie Pflanzen, Fisch, Sediment und Boden Pikogramm pro Gramm sind (<link href="#nadc20234134838-tbl-0001">Tabelle).8)<tabular xml:id="nadc20234134838-tbl-0001"><label>1</label><h2group><h2 type="tabularName">Tab.</h2><h2 type="main">Nachweisgrenzen für PFAS in unterschiedlichen Probenarten.8)</h2><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/nGKbbIEgRGWOao4No0EB"></h2group></tabular>Ein Hinweis zum Massenspektrometer: Hier gilt, dass sich mit Elektrosprayionisation (electron spray ionization, ESI) große und kleine polare Moleküle erfassen lassen, mit Koronaentladung (atmospheric pressure chemical ionization, APCI) kleinere unpolare. Alle kleinen Moleküle auf einen Schlag schafft ein alternatives Bestimmungsverfahren mit Kaltplasma. Die PFAS werden dazu nach gaschromatographischer Trennung mit einem weichen Plasma ionisiert (dielektrisch behinderte Entladung, dielectric barrier discharge, DBD). Dabei entstehen vor allem negativ geladene sauerstoffhaltige Ionen, die das Massenspektrometer detektiert. Dieses Verfahren spielt in der analytischen Praxis gegenüber der klassischen LC-MS/MS oder GC-MS/MS zurzeit eine geringe Rolle.<h2 type="main">Unbekannte PFAS entdecken</h2>Neu auftretende PFAS zu identifizieren gelingt etwa mit der Ionisierungstechnik fast atom bombardement (FAB) und Quadrupol-Flugzeit-Massenspektrometrie (Q-TOF-MS).9) Ein Review zu Non-target-PFAS-Analytik, also für unbekannte Substanzen, zeigte: Mit hochauflösender Massenspektrometrie lassen sich in unterschiedlichen Proben über 750 einzelne PFAS entdecken und identifizieren.10)Reichhaltigere Informationen versprechen mehrdimensionale Trennverfahren (GC×GC, LC×LC), unter anderem für die Analyse von Staubproben. Solche Verfahren haben sich in der Umweltanalytik bewährt.11) Zur Probenvorbereitung lässt sich statt einer Festphasenextraktion eine unterstützte Flüssigextraktion (supported liquid-extraction, SLE) oder eine SLE mit anschließender Reinigung durch Aktivkohle verwenden.Alternativ zur Target-Analytik (über Vergleichssubstanzen oder -spektren) und zur Non-target-Analytik (meist über Massenspektrometrie) bieten sich – besonders bei fehlenden Standardverfahren – für eine grobe Abschätzung Summenparameter an. Bestimmt wird dabei das bei einem Verbrennungsaufschluss freigesetzte Fluor. Dazu werden bei wässrigen Proben die PFAS auf einem Sammler adsorbiert, Feststoffproben werden extrahiert. Es ergeben sich das adsorbierbare organisch gebundene Fluor (AOF) beziehungsweise das extrahierbare organisch gebundene Fluor (EOF).12,13)<h2 type="main">Von der instrumentellen Analytik zum tierischen PFAS-Bioindikator</h2>Als Bioindikator für PFAS haben Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), Leipzig, Wildschwein-Leber vorgeschlagen. Denn Wildschweine fressen alles, wühlen in der Erde und durchstreifen dabei ein großes Revier. So bekommen sie einen Querschnitt der in ihrer Umwelt vorhandenen PFAS mit. Diese reichern sich in der Leber an. Die Organe geschossener Tiere lassen sich auf PFAS untersuchen.Das UFZ hat hierfür unterschiedliche Verfahren verwendet, unter anderem die Umkehrphasen-Flüssigkeitschromatographie, gefolgt von Tandem-Massenspektrometrie (RP-LC-MS/MS). Für kurzkettige PFAS (zwei bis fünf Kohlenstoffatome) verwendete das UFZ-Labor eine zusätzliche Analyse mit Ionenchromatographie, gefolgt von Flugzeit-Massenspektrometrie (IC-Q-TOF-MS). Für die Gruppe der Fluortelomerphosphatester unter den PFAS wurden das Extraktionsmittel (Probenvorbereitung) und die mobile Phase (Chromatographie) modifiziert.14) Zudem wurde mit dem neuen Verfahren TOP-Assay (total oxidizable precursors) ein Summenparameter für PFAS im Wildschwein bestimmt. Damit lässt sich die Menge an Vorläuferverbindungen schätzen, die zu besonders langlebigen Abbauprodukten – den Perfluoralkylsäuren (PFAA) – reagieren können.Diese Verfahren ergaben lokale Unterschiede zwischen drei Standorten. So sollte sich der Bioindikator Wildschweinleber dazu eignen, PFAS-Hotspots aufzuspüren.Lokale Unterschiede stellten auch Wissenschaftler:innen der Universität Florida fest, als sie PFAS aus Toilettenpapieren untersuchten. Sowohl Papiere als auch Klärschlammextrakte haben sie mit Ultrahochdruck-Flüssigkeitschromatographie, gefolgt von Tandem-Massenspektrometrie, analysiert. Dabei nutzten sie ein Triple-Quadrupol-Massenspektrometer mit Elektrosprayionisation.15) Das Toilettenpapier zeigte sich an einigen Orten als PFAS-Hauptquelle in Abwasserbehandlungssystemen.<h2 type="main">Belastung hochrechnen</h2>Die Untersuchung der lokalen Belastung mit klassischer instrumenteller Analytik ließe grundsätzlich eine Kartierung der Belastung von Regionen mit PFAS zu. Untersuchungen an Tieren (Wildschweinleber) gehen weiter zum Biomonitoring. Unabhängig vom Verfahren werden jedoch fast immer nur einzelne Vertreter der Stoffgruppe PFAS herausgegriffen, ohne daraus eine Gesamtbelastung herzuleiten.Diese Lücke schließt ein neuartiges Kalkulationsverfahren. Dieses zieht zum ersten Mal typische Muster für die Belastung von Menschen mit PFAS in Betracht.16) Wissenschaftler:innen haben das Verfahren an einem Beispiel vorgeführt: Sie bestimmten bei Probanden acht PFAS im Blutserum (Kern-Biomarkerkonzentration).Daraus berechneten sie die Gesamtbelastung inklusive anderer PFAS (kumulative Gesamtbelastung).17) Dieses Verfahren sollte helfen können, Gesundheitsrisiken abzuschätzen, und zwar epidemiologisch und individuell.Der PFAS-Kalkulator könnte außerdem heterogene Daten aus Studien, bei denen zum Beispiel in menschlichen Blutproben unterschiedliche Substanzen bestimmt wurden, auf der Ebene der PFAS-Gesamtbelastung miteinander vergleichbar machen. Interessenten testen jetzt den PFAS-Kalkulator. Er ist kostenlos und online verfügbar: <a href="https://pfasburden.shinyapps.io/app_pfas_burden" target="_blank">pfasburden.shinyapps.io/app_pfas_burden</a>.<h2 type="main">Der Autor</h2>Der promovierte Chemiker Christian Ehrensberger ist freier Mitarbeiter der Nachrichten aus der Chemie.<ul class="references" style="numbered" cited="no" xml:id="nadc20234134838-bibl-0001"><li xml:id="nadc20234134838-bib-0001">1 Stellungnahme FDA, Stand 30.4.2023 Kurzlink: <a href="https://t1p.de/yvfv3" target="_blank">t1p.de/yvfv3</a></li><li xml:id="nadc20234134838-bib-0002">2 Umweltbundesamt, Stand 15.5.2023 Kurzlink: <a href="https://t1p.de/73r47" target="_blank">t1p.de/73r47</a></li><li xml:id="nadc20234134838-bib-0003">3 <a href="https://umweltbundesamt.de/publikationen/schwerpunkt-1–2020-PFAS" target="_blank">umweltbundesamt.de/publikationen/schwerpunkt-1–2020-PFAS</a>, Stand 30.4.2023</li><li xml:id="nadc20234134838-bib-0004">4 <a href="https://fda.gov/media/131510/download" target="_blank">fda.gov/media/131510/download</a>, Stand 30.4.2023</li><li xml:id="nadc20234134838-bib-0005">5 M. Anastassiades, S. J. Lehotay, D. Stajnbaher, F. J. Schenck, ,J. AOAC Int. 2003, 86, 412</li><li xml:id="nadc20234134838-bib-0006">6 <a href="https://cvuas.xn--untersuchungsmter-bw-nzb.de/pdf/vortrag_anastassiades_varian.pdf" target="_blank">cvuas.xn--untersuchungsmter-bw-nzb.de/pdf/vortrag_anastassiades_varian.pdf</a>, Stand 1.5.2023</li><li xml:id="nadc20234134838-bib-0007">7 <a href="https://hereon.de/imperia/md/content/hzg/zentrale_einrichtungen/bibliothek/berichte/gkss_berichte_2006/gkss_2006_9.pdf" target="_blank">hereon.de/imperia/md/content/hzg/zentrale_einrichtungen/bibliothek/berichte/gkss_berichte_2006/gkss_2006_9.pdf</a>, Stand 2.5.2023</li><li xml:id="nadc20234134838-bib-0008">8 <a href="https://umweltbundesamt.de/chemische-analytik-von-per-polyfluorierten" target="_blank">umweltbundesamt.de/chemische-analytik-von-per-polyfluorierten</a>, Stand 2.5.2023</li><li xml:id="nadc20234134838-bib-0009">9 B. J. Place, J. A. Field, Environ. Sci. Technol. 2012, 46, 7120</li><li xml:id="nadc20234134838-bib-0010">10 Y. Liu, L. A. D‘Agostino, G. Qu, G. Jiang, J. W. Martin, TrAC 2019, 121, 115420</li><li xml:id="nadc20234134838-bib-0011">11 X. Ouyang, J. M. Weiss, J. de Boer, M. H. Lamoree, P. E. G. Leonards, Chemosphere 2017, 166, 431</li><li xml:id="nadc20234134838-bib-0012">12 <a href="https://umweltbundesamt.de/chemische-analytik-von-per-polyfluorierten" target="_blank">umweltbundesamt.de/chemische-analytik-von-per-polyfluorierten</a>, Stand 2.5.2023</li><li xml:id="nadc20234134838-bib-0013">13 <a href="https://eurofins.de/pfas?gclid=EAIaIQobChMIstzNpNrX_gIVzfV3Ch0GcAmXEAAYASAAEgICZPD_BwE" target="_blank">eurofins.de/pfas?gclid=EAIaIQobChMIstzNpNrX_gIVzfV3Ch0GcAmXEAAYASAAEgICZPD_BwE</a></li><li xml:id="nadc20234134838-bib-0014">14 J. Rupp, M. Guckert, U. Berger et al., Sci. Total Environ. 2023, 871, 162028</li><li xml:id="nadc20234134838-bib-0015">15 J. T. Thompson, B. Chen, J. A. Bowden, T. G. Townsend, Environ. Sci. Technol. Lett. 2023, 10(3), 234</li><li xml:id="nadc20234134838-bib-0016">16 <a href="https://mountsinai.org" target="_blank">mountsinai.org</a>, Kurzlink: <a href="https://t1p.de/s0ihg" target="_blank">t1p.de/s0ihg</a>, Stand 15.5.2023</li><li xml:id="nadc20234134838-bib-0017">17 <a href="https://ehp.niehs.nih.gov" target="_blank">ehp.niehs.nih.gov</a>, doi:<accessionid ref="info:doi/10.1289/EHP10125">10.1289/EHP10125</accessionid></li></ul>

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Chemisches Recycling ist keine neue Idee

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