Gesellschaft Deutscher Chemiker

Meinungsbeitrag

Contra Patentfreigabe

Nachrichten aus der Chemie, April 2022, Seite 11, DOI, PDF. Login für Volltextzugriff.

Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt

Den Patentschutz aufzuheben, bringt mehr Probleme als Nutzen.

Eigentum verpflichtet, so steht es in unserem Grundgesetz. Das bedeutet, dass es Schranken des Eigentumsrechtes zum Wohle der Allgemeinheit gibt. Patentrechte sind Eigentumsrechte spezieller Art, nämlich bezogen auf Erfindungen. Das deutsche Patentrecht kennt deshalb Regeln, die die Ausübung von Rechten in bestimmten Fällen einschränken, etwa durch eine Zwangslizenz (§ 24 PatG). Entsprechendes regelt das Trips-Abkommen der Welthandelsorganisation über geistiges Eigentum.

Die Covid-19-Pandemie hat zu einer Diskussion darüber geführt, ob Patentrechte auf Covid-19-Vakzine ausgesetzt werden sollten, um der Menschheit insgesamt Zugang dazu zu gewähren. Obgleich eine derartige Aussetzung rechtlich möglich wäre, stellt sich die Frage, ob damit eine bessere Vakzinversorgung erreichbar ist. Biontech hat eine einzige veröffentlichte europäische Patentanmeldung (EP 3901261 A1), die sich mit Covid-19-Vakzinen beschäftigt (Stand 31.01.2022). Weitere sind vermutlich anhängig, aber noch nicht veröffentlicht. Die genannte Anmeldung ist noch weit davon entfernt, erteilt zu werden. Wie der Recherchebericht des Patentamts zeigt, gibt es Zweifel an der Patentfähigkeit. Das Patent wurde in weiteren Ländern angemeldet, aber bisher nirgends erteilt. Eine noch nicht erteilte Patentanmeldung bietet nur sehr eingeschränkten Schutz. Außerhalb der Länder, in denen das Patent angemeldet ist, besteht überhaupt kein Schutz, sodass derzeit in vielen Ländern eine Herstellung des Impfstoffs ohne patentrechtliche Einschränkung möglich wäre. Biontech hält allerdings als Resultat langjähriger Forschungen eine ganze Reihe älterer Patente, die durch die Herstellung des Impfstoffs möglicherweise verletzt würden. Auch in diesen Fällen gibt es sicher Länder, in denen keine Schutzrechte existieren. Es wäre daher ohne weiteres möglich, dort Vakzine herzustellen und in die zahlreichen Länder zu verkaufen, in denen keine Schutzrechte bestehen, ohne Biontech-Patente zu verletzen. Gleichwohl wird von dieser Möglichkeit bislang kein Gebrauch gemacht.

Der Grund dürfte sein, dass Biontech über Jahre Wissen und Erfahrung entwickelt hat, was nicht ohne weiteres nachgeahmt werden kann. Viele Aspekte sind nicht schriftlich dokumentiert oder über viele Einzeldokumente verstreut, sodass sie nicht einfach zugänglich sind. Ein Versuch, Biontech gerichtlich zu zwingen, auf seine Rechte zu verzichten und sein Knowhow für Dritte zur Verfügung zu stellen, dürfte nicht erfolgversprechend sein. Es gibt sicherlich Unternehmen, die das entsprechende Know-how entwickeln können. Ihre Bemühungen würden aber Jahre dauern und erhebliches Geld verschlingen. Eine kurzfristige Lösung für das Ende der derzeitigen Pandemie ist auf diese Weise nicht zu erwarten.

Eine Aussetzung von Patentrechten hätte voraussichtlich Auswirkungen auf die Geschäftsentwicklung Biontechs. Schutzrechte und Wissen aus jahrelanger Forschungsarbeit wären zugänglich für Dritte, die ihrerseits konkurrierende Entwicklungen beginnen könnten, die ohne Zugang zu Schutzrechten und Knowhow nicht möglich wären. Einfacher und vielversprechender erscheinen in diesem Fall andere Maßnahmen, etwa Kooperation mit dem Knowhow-Träger, beispielsweise durch Unterstützung der Ausweitung der Produktion im In- und Ausland.

Es bleibt richtig und wichtig, auch Eigentumsrechte zu beschränken. Aber im vorliegenden Fall löst die Beschränkung nicht das Problem.

Der Autor

Der Chemiker Thomas Seuß ist Praktiker des Patentrechts. Bevor er sich als Patentanwalt selbstständig machte, hatte er jahrelang in der Industrie Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt.

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