Leitartikel

Die Gründung von Akademien im 17. und 18. Jahrhundert war zugleich der Beginn einer verstärkten und gezielten Institutionalisierung von Wissenschaft und Forschung, denn die Universitäten jener Tage waren ja primär Lehranstalten. Diese frühen Organisationsformen der Wissenschaft waren — und dies trifft vor allem auf die Londoner Royal Society, die Pariser Académie des sciences sowie auf die Leopoldina zu — Zentren der naturwissenschaftlichen und medizinischen Forschung. Mit der Gründung der Kurfürstlich Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften unternahm Gottfried Wilhelm Leibniz im Jahr 1700 erstmals den Versuch, alle Wissenschaften der Zeit unter einem institutionellen Dach zu vereinen. So konnte die spätere Preußische Akademie der Wissenschaften zum Vorbild für weitere Akademiegründungen werden. Leibniz gab seiner neuen Institution eine Vision mit auf den Weg, die darin bestand, Theorie und Praxis zu vereinen und so die Wissenschaft für die Menschen nützlich zu machen.
Neben der Leopoldina bestehen heute in unserem föderal verfassten Land regionale Akademien, von denen acht in der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften zusammengeschlossen sind. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben ist die Betreuung des “Akademienprogramms”, ein von Bund und Ländern gemeinsam finanziertes Programm zur Förderung langfristig angelegter Forschungsvorhaben in den Geistes- und Naturwissenschaften. Seine Aufgabe besteht darin, das kulturelle Erbe zu bewahren, zu interpretieren und für die heutige Zeit — vor allem aber für die heutige Wissenschaft — nutzbar zu machen. Mit seinen Langzeitvorhaben, das sind Projekte mit einer Laufzeit zwischen 12 und 25 Jahren, dient es der Erschließung, Sicherung und Vergegenwärtigung unseres kulturellen Erbes und ist für die geisteswissenschaftliche Forschung von unschätzbarem Wert.
Mit der Ernennung der Leopoldina zur Nationalen Akademie der Wissenschaften wurde eine neue Aufgabe definiert. Diese nimmt die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften unter Leitung der Leopoldina gemeinsam mit der Acatech — Deutsche Akademie der Technikwissenschaften — und der in der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften zusammengeschlossenen Akademien wahr. Analog zur Royal Society und den US-National Academies bildet die wissenschaftsbasierte Politikberatung — besser: Gesellschaftsberatung — einen Kernbereich der Tätigkeit; jüngste Beispiele hierfür sind die Stellungnahmen zu einem künftigen Energieforschungsprogramm, zur prädiktiven Diagnostik oder zur Präimplantationsdiagnostik.
Die Mission moderner Akademien ist somit außerordentlich gut mit den Ideen von Leibniz vereinbar: allumfassende Interdisziplinarität, die aus der Erkenntnis resultiert, dass die zunehmende Komplexität der Wissenschaft mit ihrer hochgradigen Spezialisierung und problemorientierten Herangehensweise an Herausforderungen immer des Zusammenwirkens unterschiedlichster Kenntnisse und Disziplinen bedarf. So werden Entscheidungen, die Bürger und Politik zu treffen haben, nicht vorweggenommen oder gar ersetzt, sondern sie werden idealerweise einer grundlegenden Debatte zugeführt, die schließlich in eine von der Gesellschaft getragene Entscheidung mündet. Wenn die Gesellschaft als Ganze wissenschaftlich beraten werden soll, hilft es ihr wenig, wenn die einzelnen Disziplinen ihre hochspezialisierte Expertise zur Verfügung stellen: Die Synthese, das Zusammenführen der verschiedenen Expertisen, kann glaub- und vertrauenswürdig nur die Wissenschaft selbst leisten. Erst dann können aufgeklärte Bürger und Politiker auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und Positionen Entscheidungen fällen, die gerade im lebenswissenschaftlichen Bereich oftmals auch Wertentscheidungen sind. Die vornehmste Aufgabe von Akademien besteht also darin, unsere Gesellschaft in einer immer komplexer werdenden Welt diskurs- und entscheidungsfähig zu halten.
Die Gesellschaft entscheidungsfähig halten

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Der Auftrag der Akademien

Die Gründung von Akademien im 17. und 18. Jahrhundert war zugleich der Beginn einer verstärkten und gezielten Institutionalisierung von Wissenschaft und Forschung, denn die Universitäten jener Tage waren ja primär Lehranstalten. Diese frühen Organisationsformen der Wissenschaft waren — und dies t...

Inhalt

<h2>Leitartikel</h2>
597 Der Auftrag der Akademien
G. Stock


<h2>Magazin</h2>
Makromolekulare Chemie
606 Gestaltete Größe
A. D. Schlüter
Allein mit Synthesechemie sind kovalente molekulare Objekte zugänglich, deren Dimensionen diejenigen biologischer Einheiten — etwa die des Tabakmosaikvirus — erreichen und deren Gestalt bis in den Mikrometerbereich kontrollierbar ist.
Ökotoxikologie
613 Spurenstoffe beeinflussen das Zusammenleben
U. Klaschka
Stören Duftstoffe aus Parfüm, Kosmetika, Wasch- und Reinigungsmitteln die Kommunikation und das Leben von Umweltorganismen? Die Erforschung dieses Infochemikalieneffekts ist ein neuer Zweig der Ökotoxikologie.
Biotechnik
619 Mit Bakterien gegen Bakterien
R. Eckermann
In einem biotechnischen Prozess wandeln Bakterien Limonen in Perillasäure um, die ein natürliches Konservierungsmittel für kosmetische Produkte ist.
Chemie und Öffentlichkeit
621 Chemie á la Hollywood
A. Fischer
Sind Science-Fiction-Serien Werbung für die Wissenschaft oder nur Spektakel? Mit der Bedeutung von Chemikern als Berater für wissenschaftsbasierte Fernsehserien und Kinofilme setzte sich auch die American Chemical Society auseinander.
Chemiegeschichte
624 Ein Ort für Polymere
A. Lendlein, B. Philipp
Für die Polymerforschung waren Berlin und Brandenburg stets ein gutes Pflaster: Insbesondere der Forschungsstandort Teltow-Seehof kann auf eine ereignisreiche Geschichte zurückblicken.


<h2>Blickpunkt</h2>


<h2>Biowissenschaften</h2>
629 Keine Ernte ohne Bestäuber
M. Groß
Das Sterben ganzer Bienenvölker und der Artenschwund bei Hummeln bedrohen die Landwirtschaft in Europa und Nordamerika. Daran sind vermutlich mehrere Faktoren beteiligt, auch Pflanzenschutzmittel stehen unter Verdacht.
Chemiewirtschaft
632 Spezialitäten und Patentklippen
M. Bulmahn
Nach den Daten der großen deutschen Chemieunternehmen folgen hier Jahresberichte weiterer Unternehmen und Branchen.


<h2>637 Thomas Seuß: Anmeldung im Blindflug?</h2>


<h2>638 Reifende Biotechindustrie</h2>
H. Bengs
Die Biotechbranche wuchs im Jahr 2010 und hat dennoch ein Problem.


<h2>640 Die Risiken beim Einkauf</h2>
M. Hermann
Wie lässt sich instabilen Lieferketten entgegensteuern?
Analytik
642 Mikrospektroskopie an lebenden Pilzen und Pflanzen
B. Dietzek et al.
Ramanspektroskopie und -mikroskopie machen in lebenden Organismen die Morphochemie sichtbar, durch die sich molekulare Ursachen von Funktions- und Strukturänderungen erschließen.


<h2>646 Abmahnen oder kündigen?</h2>
S. Brombach, N. Maas
Wie reagiert ein Laborleiter auf Fehlverhalten eines Mitarbeiters? 


<h2>649 Fürs Laboratorium</h2>


<h2>Notizen</h2>
600 Chemie
603 Wirtschaft
604 Forschung und Bildung
605 Ausgeforscht


<h2>Journal</h2>
650 Impressum, Interskriptum
651 Personalnachrichten
655 Nachruf Emanuel Vogel
656 Korrespondenz
658 Rezensionen
661 Tagungskalender
661 Koordinationschemie
662 Phosphorus Chemistry
663 Molecular Modelling
664 Irseer Naturstofftage
665 Activation Analysis
666 Supramolecular Chemistry
667 Fortbildungskalender 2011 
670 JCF-Frühjahressymposium
672 Studienaustausch Nesacs
673 Fachgruppen und Arbeitskreise
674 Jungchemikerforum
676 Ortsverbände
679 Neuaufnahmen
680 Die GDCh vor Ort


<h2>Karriere</h2>
684 Nicht nur Schulwissen auf- frischen: Vorkurse in Chemie
690 Stellenmarkt
Dieser Ausgabe der Nachrichten aus der Chemie ist das Programm des GDCh-Wissenschaftsforums Chemie in Bremen beigefügt, das auch zum Download (<ext-link ext-link-type="uri"><a href="https://www.gdch.de/Wissenschaftsforum2011" target="_blank">www.gdch.de/Wissenschaftsforum2011</a></ext-link>) bereitsteht.

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