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Aus 30 000 Buchstaben besteht das Genom des Covid-19-Erregers Sars-Coronavirus-2 (Sars-Cov-2). Virusgenome zehntausender Infizierter sind bereits sequenziert und untersucht worden. Daraus lassen sich Einzelheiten der globalen Ausbreitung ablesen und vielleicht auch Aufschlüsse darüber, wie sich die Pandemie entwickeln wird.
Das Jahr 2020 ist von der weltweiten Ausbreitung der Covid-19-Pandemie geprägt. In nur zwölf Monaten haben Wissenschaftler enorme Datenmengen über das neue Coronavirus ermittelt. Diese können helfen, den Verlauf der globalen Katastrophe besser zu verstehen, die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten zu erleichtern und den weiteren Verlauf der Pandemie einzuschätzen.Das erste Genom des neuen Erregers wurde im Dezember 2019 in Wuhan sequenziert. Auf Basis dieser Information ließen sich die neue Atemwegsinfektion und ihr Erreger identifizieren: Es handelt sich um ein Coronavirus, das mit dem der Sars-Epidemie der Jahre 2002 und 2003 verwandt ist. Es erhielt deshalb den Namen Sars-Coronavirus-2 oder kurz Sars-Cov-2. Wie der Vorgänger war dieses Virus von Tieren auf den Menschen übergesprungen. Als Reservoir in der Natur gelten Fledermäuse aus der Familie der Hufeisennasen. Schuppentiere können als Überträger fungiert haben.1)<h2>Ausbreitung des Erregers</h2>In dem letztlich gescheiterten Versuch, die weltweite Ausbreitung der Krankheit einzudämmen, wurden mutmaßliche Übertragungswege detailliert analysiert, etwa die Ausbreitung aus Norditalien in andere europäische Länder und dann aus Hotspots wie dem Wintersportort Ischgl. Diese Detektivarbeit beruhte zunächst auf Kontaktverfolgung und Reisedaten, gelegentlich unterstützt durch die genetische Identifizierung bestimmter Virenstämme.Zwei groß angelegte Studien haben nun die Ausbreitung in Europa und in Nordamerika mit genetischen und anderen Methoden so detailliert wie möglich analysiert. Die Arbeitsgruppe von Michael Worobey an der University of Arizona in Tucson hat Computermodelle benutzt, die sowohl auf sequenzierten Genomen als auch den bekannten epidemiologischen Ausbreitungswegen und Reisedaten beruhen.2)Genetische Daten allein wären nicht hinreichend, da das Virus verglichen mit anderen RNA-Viren, etwa den Erregern von Grippe und Aids, relativ selten mutiert. In einer gegebenen Abstammungslinie kommt es im Mittel vielleicht einmal im Monat zu einer Mutation. In diesem Zeitraum können die Nachfahren eines Infektionsfalls viele Tausende andere infiziert und sich in andere Länder ausgebreitet haben.Dennoch konnte Worobeys Team aufgrund der Genome bestimmte Hypothesen über die Ausbreitung der Viren ausschließen, andere hingegen in Modellen reproduzieren und damit plausibler machen. So widerlegten die Forscher zum Beispiel den Verdacht, dass der Ende Januar in Bayern diagnostizierte Covid-Fall zu der Epidemie in Norditalien im Februar führte. Stattdessen ist wahrscheinlich, dass der bayerische und der italienische Stamm des Virus unabhängig voneinander aus China eintrafen. Der Virenstamm, der vermutlich um den 28. Januar in Italien ankam, breitete sich dann über ganz Europa aus und von dort auch nach New York und Arizona.Bei der Ausbreitung in Nordamerika stehen die frühzeitig identifizierten Fälle im US-Bundesstaat Washington im Brennpunkt des Forschungsinteresses. Mit diesen befassten sich sowohl Worobey und sein Team als auch unabhängig davon Trevor Bedford am Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle und andere.3) Der erste Covid-Fall im Staat Washington wurde am 19. Januar diagnostiziert. Aufgrund dieser frühzeitigen Warnung ergriff dieser Bundesstaat Maßnahmen, die zunächst zu wirken schienen. Erst am 28. Februar wurden Fälle durch Ansteckung vor Ort festgestellt.Bedford und Kollegen griffen für ihre Analysen auf 10 000 Proben zurück, die im Rahmen der Grippestudie Seattle Flu Study zwischen Jahresbeginn und 15. März gesammelt worden waren. Die Forscher fanden Fälle von Infektionen, die sich vor dem 28. Februar ausgebreitet hatten. Die Mehrheit der Fälle in Washington State gehört zu demselben Virenstamm wie der vom 29. Januar. Dennoch reichen die Daten nicht, um schlüssig zu beweisen, dass dieser Fall die Quelle des Ausbruchs war.Zusammengenommen fügen die Genomstudien und die daraus erstellten Stammbäume den epidemiologischen und statistischen Daten eine zusätzliche Dimension hinzu, die es erleichtert, den Verlauf der Pandemie auch dort zu verfolgen, wo sich symptomlose Fälle unbemerkt ausbreiteten. Damit lässt sich besser analysieren, welche Maßnahmen gegen die Ausbreitung am wirkungsvollsten waren und welche Fehler die fatalsten Folgen hatten.<h2>Virenvarianten</h2>Die meisten der bisher erfassten Mutationen, die der Einordnung in Viren-Stammbäume dienen, sind bedeutungslos und ohne Folgen für die Virulenz des Erregers und die Ausbreitung der Epidemie. Langfristig werden voraussichtlich vorteilhafte Mutationen entstehen und sich ausbreiten, insbesondere wenn die menschlichen Wirte beginnen, einen stärkeren Selektionsdruck auszuüben, etwa durch Impfungen oder neue Medikamente. Ein weiterer Grund sind die sich ausbreitenden Abwehrkräfte derer, die die Infektion überstanden haben. Denkbar wäre, dass das Virus im Laufe der Zeit harmloser wird wie viele andere Zoonosen, die in prähistorischen Zeiten auf den Menschen übersprangen und zu einem friedlichen Gleichgewicht mit dem neuen Wirt fanden. Es könnte sich aber auch eine erfolgreiche Mutante entwickeln, die gefährlicher für uns ist als die ursprünglich übertragene Version.<h2>Nur eine Aminosäure</h2>Eine Mutation erregte große Aufmerkamkeit, da sie sich rasch ausbreitete und inzwischen die weltweit vorherrschende Variante ist: der Austausch einer Asparaginsäure (D) gegen Glycin (G) in Position 614 des Spike-Proteins, das die charakteristischen Antennen auf der Außenseite der Virushülle bildet. Die D614G-Variante wurde im April aufgrund ihrer raschen Ausbreitung identifiziert. Ermöglicht hat dies die Gisaid-Datenbank, in der die inzwischen zu Zehntausenden ermittelten Sequenzen des Coronavirus gesammelt und für Forscher verfügbar sind.Nach einer Preprint-Publikation im Mai, die vor der neuen Variante warnte, führten Bette Korber vom Los Alamos National Laboratory, USA, und Kollegen ergänzende Laborexperimente durch. Ihre umfassenderen Ergebnisse publizierten sie im Juli.4) Demzufolge vermehrt sich das mutierte Virus in menschlichen Zellen schneller als die ursprüngliche Version aus Wuhan. Dementsprechend treten die Viren auch in größerer Zahl auf, was die raschere Ausbreitung erklären könnte. Bisher gibt es allerdings keinen Beweis, dass die Veränderung den Krankheitsverlauf beeinflusst oder dass eine gegebene Menge an Viruspartikeln dadurch stärker ansteckend wirken könnte.Korber begründete die intensive Untersuchung dieser Variante mit der Sorge, dass Veränderungen des Virus den Erfolg der Impfstoffe und Medikamente gefährden könnten, die Forscher gerade entwickeln. Beruhigend war immerhin, dass die Antikörper von Menschen mit überstandener Covid-19-Erkrankung die G-Variante ebenso gut erkannten wie die D-Version.Die Arbeitsgruppen von Morgane Rolland und Kayvon Modjarrad am Walter Reed Army Institute of Research in Silver Spring im US-Bundesstaat Maryland haben die genetische Vielfalt der Covid-Erreger anhand von Proben von mehr als 27 000 Betroffenen analysiert.5) Demnach sei die Population noch immer erstaunlich homogen und zeige bisher keine Anzeichen von Evolution. Auch für die inzwischen vorherrschende D614G-Variante ließen sich keine Spuren eines spezifischen Selektionsdrucks nachweisen.Modjarrads Arbeitsgruppe ist an der Entwicklung eines Impfstoffs beteiligt, der das Spike-Protein nachahmt und noch in diesem Jahr klinische Tests erreichen soll. Modjarrad sieht die genetische Einheitlichkeit der Virenpopulation als gute Nachricht für die Impfstoffentwicklung: Im Moment ist es wahrscheinlich, dass ein Impfstoff, sobald vorhanden, uns vor allen existierenden Varianten gleichermaßen schützen wird.Der promovierte Chemiker Michael Groß arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist in Oxford, England. <a href="https://www.michaelgross.co.uk" target="_blank">www.michaelgross.co.uk</a><figure><img src="https://media.graphcms.com/BaPBYXvQMeCURjmD5Z9G"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Abbildung: AdobeStock/metamorworks</figcaption></figure>
<h2>AUF EINEN BLICK</h2>Das Sars-Cov-2-Virus mutiert durchschnittlich etwa einmal im Monat.Die meisten der bisherigen Mutationen sind bedeutungslos. Lediglich eine Variante, in der eine Asparaginsäure auf dem Spikeprotein gegen ein Glycin ausgetauscht ist, vermehrt sich in menschlichen Zellen schneller.Wie Proben von 27 000 Betroffenen zeigen, ist die Viruspopulation noch immer erstaunlich homogen. Deshalb wird ein Impfstoff vermutlich vor allen Varianten schützen.
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1 M. Groß, Nachr. Chem. 2020, 68(5), 63</li><li>
2 M. Worobey et al., Science 2020, doi: <ext-link ext-link-type="doi">10.1126/science.abc8169</ext-link></li><li>
3 T. Bedford et al., Science 2020, doi: <ext-link ext-link-type="doi">10.1126/science.abc0523</ext-link></li><li>
4 B. Korber et al., Cell 2020, doi: 10.1016/j.cell.2020.06.043</li><li>
5 B. Dearlove et al., Proc. Natl. Acad. Sci. USA 2020, 117, 23652</li></ul>

Artikel

Der Stammbaum der Pandemie

Aus 30 000 Buchstaben besteht das Genom des Covid-19-Erregers Sars-Coronavirus-2 (Sars-Cov-2). Virusgenome zehntausender Infizierter sind bereits sequenziert und untersucht worden. Daraus lassen sich Einzelheiten der globalen Ausbreitung ablesen und vielleicht auch Aufschlüsse darüber, wie sich d...

Bevor Materialien hergestellt werden, ist klar, welche Eigenschaften sie haben sollen, aber unklar, welche Elemente dazu geeignet sind. Die kombinatorische Materialforschung durchsucht den chemischen Raum nach geeigneten Kombinationen und spart durch automatisierte Synthese Arbeit, Material und Zeit.
Thomas Alpha Edison stand bei der Kommerzialisierung der Glühbirne vor einem Problem: Mit den Methoden seiner Zeit hätte es Jahrzehnte gedauert, langlebige binäre Legierungen für Glühdrähte in Lampen zu entwickeln.Damals wie heute verknüpft die kombinatorische Materialforschung Methoden der Parallelisierung und Automatisierung.1,2) Vor kurzem sind Datenmanagement und maschinelles Lernen dazugekommen.Edison hatte einige Dutzend Assistenten zur Parallelisierung der Experimente eingestellt, die ihre Ergebnisse standardisiert zusammentrugen.3) Die nächste große Innovation der Automatisierung der Materialsynthese ließ fast 70 Jahre auf sich warten. Rudolf Thun und Alfred Boettcher wollten im Jahr 1950 in der Deutschen Gold- und Silberscheide in Hanau neue Legierungen aus Edelmetallen kostengünstig herstellen, denn ein Ingot – die standardisierte Form eines Metallgusses zur weiteren Charakterisierung – benötigte einige Kilogramm Material.4)In Hanau war man besonders an den Kristallstrukturen interessiert, die sich außer an großen Ingots auch an dünnen aufgedampften Schichten untersuchen lassen. Die Lösung war, Materialgradienten auf eine dünne Folie aufzudampfen, die für Röntgenlicht halbdurchlässig ist. Gradienten entstehen, indem zwei Metallverdampfungsquellen an den Seiten des Folienstreifens angebracht werden, und zwar inhomogen. Ein Beispiel: Angenommen, man möchte alle Farbtöne aus Gelb und Grün herstellen. Hierzu könnte man eine gelbe und eine grüne Sprühdose auf die Mitte eines Blattes Papier richten und bekommt somit alle Farbkombinationen. Ähnlich funktionieren die kombinatorische Verdampfung, Magnetron- oder gepulste Laser-Abscheidung – nur dass hier keine Sprühdosen, sondern Metallverdampfer zum Einsatz kommen.<h2>Keile herstellen</h2>Eine feinere Kontrolle der Materialsynthese erlaubte dann ab 1950 ein kompliziertes System zur Aufdampfung versetzter Keile (Abbildung). Damit lassen sich ganze ternäre Zusammensetzungen auf einem Substrat auftragen.4)<figure><img src="https://media.graphcms.com/Nu4TrD9gTaagXQvEawD1"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Prinzip der Keilabscheidung durch Kathodenzerstäubung und Blende. Die Blende wird mit konstanter Geschwindigkeit aus dem Materialfluss gezogen, woraus sich eine laterale Schichtdicke ergibt. Wird das Substrat um 120° gedreht, lässt sich mit drei Quellen der komplette ternäre Zusammensetzungsraum abdecken. Um Interdiffusion der Materialien zu gewährleisten, werden mehrere dünne Keile gestapelt und anschließend thermisch behandelt. Bild: Helge Stein</figcaption></figure>
Beim keilförmigen Abscheiden ist jeder Materialkeil um 120° zu den anderen beiden versetzt. Werden nun dünne Keile (an der dicksten Stelle zirka 2 bis 10 nm) etwa aus Cu, Si und Ti abgeschieden, verteilen sich 0 bis 100 Prozent eines jeden Materials sowie alle binären und ternären Mischungen über das Substrat. Zur Kristallisation von Kristallen oder Interdiffusion der Keile muss das Substrat erhitzt werden.Komplizierter wird es, wenn quaternäre Systeme entstehen sollen.5) Die Hochdurchsatzanalyse erfolgt dann durch bewegliche Messapparaturen, die nur einen kleinen Bereich des Substrats untersuchen.Da jeder Messfleck soviel Information in sich trägt wie ein ganzes Buch, spricht man in der kombinatorischen Materialforschung von Materialbibliotheken, die in der Regel auf einem gemeinsamen Substrat hergestellt werden. Das spart nicht nur Material, sondern die Proben lassen sich auch schneller herstellen und analysieren. Denn bestimmte Ingots müssen mitunter monatelang in Öfen bleiben, um Diffusion bei Temperaturen um 500 °C zu untersuchen.Der entscheidende Aspekt beim Erstellen von Materialbibliotheken ist stets, entweder die Zusammensetzung oder den Herstellungsprozess zu ändern. Eine Möglichkeit ist beispielsweise die Variation der Substrattemperatur beim Aufdampfen, indem das Substrat nur an einer Seite aufheizt. Dies ergibt eine laterale Temperaturverteilung. Indem ein Messkopf an einer kleinen Messfläche der so hergestellten Materialbibliothek angebracht wird, lassen sich so effizient alle Zusammensetzungen dieser Bibliothek untersuchen. Wird dann noch ein in alle drei Raumrichtungen beweglicher Tisch entsprechend programmiert und automatisiert, sodass er verschiedene Messflächen ansteuert, erhält man schließlich einen Materialcharakterisierungsroboter.<h2>Lange unterschätzt</h2>Die kombinatorische Materialforschung wurde als eigenständige wissenschaftliche Disziplin lange unterschätzt. Einer der Hauptkritikpunkte war, man müsse zwischen Geschwindigkeit und Genauigkeit abwägen. Tatsächlich ist ein systematischer Fehler mit der kombinatorischen Materialforschung unvermeidlich – die statistische Varianz der automatisierten Synthese und Analyse ist allerdings aufgrund der Vielzahl an gleichzeitig durchführbaren Synthesen und Analysen unschlagbar gering.Bis in die 2000er Jahre haben vor allem Forscher aus den USA und Japan diese Forschung dominiert, etwa Xiao-Dong Xiang und Ichiro Takeuchi,6,7) die an Supraleitung und Metallurgie gearbeitet haben. Mit der Neubesetzung von Professuren in Chemie, Materialwissenschaften und Maschinenbau erhielt die Automatisierung, die ursprünglich eher in Biologie und Pharmaindustrie angesiedelt war, mehr Zulauf aus Metallurgie und Festkörperchemie.In allen Bereichen, in denen die kombinatorische Materialentwicklung heute vorkommt, wird an Materialbibliotheken geforscht. Diese werden mit kombinatorischen Methoden synthetisiert und durch Hochdurchsatzgeräte analysiert.Eine der ersten Gruppen in Deutschland, die diese Methode nutzte, war die von Wilhelm Maier an der Universität des Saarlandes in der technischen Chemie.1) Heute forschen Alfred Ludwig8) und Wolfgang Schuhmann an der Universität Bochum, Kerstin Thurow an der Universität Rostock und verschiedene Helmholtz-Institute an Elektrokatalyse, Legierungen, antibakteriellen Beschichtungen und Batterien. Die einige tausend Proben Durchsatz pro Tag bei höchster Messqualität erfordern in der Regel Großforschungsanlagen.9) So betreiben Karl Mayrhofer am Helmholtz-Institut für erneuerbare Energien und Peter Strasser an der Technischen Universität Berlin mit kombinatorischen Methoden Elektrokatalyse. Am Helmholtz-Institut Ulm in der Nachwuchsgruppe von Helge Stein werden neue Post-Lithium-Batterien vollautomatisiert von der Synthese bis zur kompletten Batterie beschleunigt verbessert. Dieses Ziel verfolgt auch die Gruppe um Jeff Dahn, die mit kombinatorischer Synthese kobaltfreie Kathodenmaterialien für den Automobilhersteller Tesla optimiert.5,10)Außer der Zusammensetzung lassen sich Schichtdicke, Substrattemperatur, Morphologie und Schichtspannung ändern. Die letztgenannte ist zum Beispiel wichtig für ultraharte Schneidwerkzeuge.<h2>Material und Geld sparen</h2>Gerade in der Chemie ist oft interessant, wie Zusammensetzung und Struktur Funktionseigenschaften beeinflussen. Ein Beispiel ist der Effekt der Formgedächtnislegierungen, der in NiTi-Legierungen auftritt. Hier erinnert sich ein Material durch eine martensitische Phasenumwandlung – diese verläuft diffusionslos und athermisch und entspricht einer Art Umkippen der Kristallstruktur – an eine Form bei hohen Temperaturen. Dies ist insbesondere deshalb bemerkenswert, da dieser Effekt in NiTi nur bei einem Ni-Ti-Verhältnis von genau 1:1 auftritt. Diese exakte Zusammensetzung lässt sich jedoch industriell oft nur schwierig einstellen. Effektstärke und Wiederholbarkeit zu steigern würde eine Kommerzialisierung mikrometergroßer Motoren erleichtern. Wie etwa Robert Zarnetta und Coautoren zeigen, lässt sich der Zusammensetzungsbereich, in dem der Formgedächtniseffekt auftritt, durch Legieren mit Cu erweitern.11) Statt einer herkömmlichen Studie mit einigen Dutzend Kilogramm Material und vieler Jahre Forschung haben sie mit automatisierten Studien auf Basis kombinatorischer Synthese lediglich wenige Gramm Material und Tage Zeit benötigt.<h2>Batteriekathoden</h2>Ein aktuelles Thema in der Li-Ionen-Batterieforschung ist, Kobalt in den Kathoden zu reduzieren oder zu ersetzen. Denn Kobalt wird im Kongo unter unmenschlichen Bedingungen abgebaut (obwohl Kobalt und Lithium auch in Erzgebirge und Harz vorkommen). Den Kobaltanteil auf bis zu 0 % zu senken ist daher wichtig. Dies destabilisiert allerdings die Lade-Entladezyklen einer Li-Ionen-Batterie.Möglicherweise gibt es eine Legierung mit anderen Elementen, die Kobalt ersetzen könnten. Ähnlich wie Thun und Coautoren hat daher die Gruppe um Dahn eine Anlage gebaut, die mit der Keilmethode Zusammensetzungen von Batteriekathoden variiert.4,12) Mit dieser Methode lassen sich 64 Batteriekathodenmaterialien gleichzeitig herstellen und analysieren.<h2>Lichtabsorber- und Katalysatorforschung</h2>Eine alternative Herstellungsmethode in der kombinatorischen Materialforschung ist der Metall-Nitratdruck. Hierbei werden wässrige Lösungen von Metallnitraten angesetzt, gemischt und gedruckt. Nach Trocknen und anschließender Kalzinierung bleiben Metalloxide auf dem Substrat zurück. Der Vorteil dieser Methode ist die hohe Geschwindigkeit des Tintenstrahldrucks. Der größte Nachteil dieser Methode: Aufgrund unterschiedlicher Zersetzungstemperaturen und Entmischung der Metallnitrate bilden sich oft unerwünschte Nebenphasen.Mit dieser Methode entstand die größte experimentelle Materialdatenbank aus UV-Vis-Spektren, Fotos und Zusammensetzung mit mehr als 140 000 Einträgen. Dieser Datensatz war groß genug, um ein neuronales Netzwerk in die Lage zu versetzen, Bilder aufgrund von Absorptionsspektren korrekt einzufärben und umgekehrt Spektren aus Bildern vorherzusagen. So ist es etwa möglich, Farbpaletten nach gewünschten Absorptionsspektren zu entwerfen.13)<h2>Der unendliche chemische Raum</h2>Da der chemische Raum aus Zusammensetzung-Strukturprozessierung und Morphologie nahezu unendlich groß ist, reichen schnelle Synthese und Charakterisierung von Materialien nicht – gute Planung ist nötig. Die Innovationskraft der kombinatorischen Materialforschung wandelt allerdings die oft angedeutete Schwäche einer richtungslosen Trendidentifizierung oder einer auf Schnelligkeit zielenden Massensynthese in eine Stärke um. Da die wissenschaftliche Community seit Jahren neben Hochdurchsatzstudien auch Datenmanagement betreibt, lässt sich die kombinatorische Materialforschung mit maschinellem Lernen beschleunigen.Hauptkritik am maschinellen Lernen ist häufig, dass Algorithmen lediglich dazu taugen, nichtlineare Zusammenhänge zwischen den Variablen zu finden. Es ist aber genau diese unvoreingenommene Regression mit quantifizierbarer Unsicherheit, die für Optimierungsprobleme entscheidend ist. Sei es, einen optimalen Spielzug bei Schach und Go zu planen14) oder das nächste Experiment zur Synthese eines Katalysators:15) Bei mehr als vier bis sechs Parametern, die variiert werden, sind Computer-Algorithmen fast unschlagbar schnell.15) Der entscheidende Schritt ist hierbei, die einzelnen, durch Automatisierung, Parallelisierung oder durch maschinelles Lernen beschleunigten Arbeitsabläufe zu verknüpfen. Denn in der Innovationskette eines neuen Materials ist die Maximalgeschwindigkeit stets durch den langsamsten Ablauf oder den langsamsten Transfer bestimmt – ganz, wie wir es aus der Reaktionskinetik kennen.16)<h2>Materialforschung 3.0</h2>Wenn die kombinatorische Synthese die Materialforschung 2.0 ist, ist die Beschleunigung durch Datenmanagement und maschinelles Lernen die Stufe 3.0 und kommt direkt vor der Wünsch-dir-was-Materialsynthese.17) Die Automatisierung durch Integration aller Schritte in einer Plattform zu steigern, würde Innovationszyklen um Jahrzehnte verkürzen und somit Kosten senken. Genau diese Vision einer Materialbeschleunigungsplattform (materials acceleration platform)9) verfolgen Projekte wie Battery Interface Genome – Materials Acceleration Platform (<a href="https://big-map.eu" target="_blank">big-map.eu</a>). Es will möglichst viele beschleunigte Arbeitsschritte, vom Screening durch Ab-initio-Methoden über kombinatorische Synthese, automatisierte Charakterisierung und autonome Auswertung bis zur Anwendung in Batterien integrieren. Damit sollen bessere Batterien möglichst autonom in kürzester Zeit auf den Markt kommen.<figure><img src="https://media.graphcms.com/e4KLI51RRAijojlREscc"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Bild: AdobeStock/Kapley</figcaption></figure>
<h2>Die Autoren</h2>Bei diesem Beitrag holte sich das diesjährige Blickpunkt-Anorganik-Team aus Janine George und Markus Suta Unterstützung in Form von Helge Stein als Hauptautor. Stein, Jahrgang 1988, ist Juniorprofessor am Karlsruher Institut für Technologie und forscht am Helmholtz-Institut Ulm. Er will die Materialwissenschaften durch Verbindung aus kombinatorischer Synthese, Hochdurchsatzcharakterisierung, maschinellem Lernen und Datenmanagement beschleunigen. George, Jahrgang 1989, ist Postdoktorandin bei Geoffroy Hautier an der Université catholique de Louvain, Belgien, und seit 2019 Marie-Curie-Fellow. Suta, Jahrgang 1990, ist Postdoc bei Andries Meijerink an der Universität Utrecht, Niederlande.<h2>AUF EINEN BLICK</h2>Ziel der kombinatorischen Synthese ist es, mit möglichst wenig Material und Aufwand möglichst große Substanzbibliotheken zu erstellen. Diese geben Aufschluss über Materialeigenschaften.Herstellung der Proben und deren Analyse laufen idealerweise automatisiert und ermöglichen daher Hochdurchsatzstudien.Datenmanagement und maschinelles Lernen beschleunigen die kombinatorische Synthese. Damit lassen sich bald Materialien maßschneidern.Blickpunkt Anorganik berichtet über neue präparative Techniken, den richtigen Umgang mit gefährlichen Stoffen, neue Analysetechniken, Reinigungsverfahren und mehr.
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1 W. F. Maier, K. Stöwe, S. Sieg, Angew. Chem. Int. Ed. 2007, 46(32), 6016</li><li>
2 K. Alberi, M. B. Nardelli, A. Zakutayev et al., J. Phys. Appl. Phys. 2019, 52(1), 013001</li><li>
3 M. A. R. Meier, R. Hoogenboom, U. S. Schubert, Macromol. Rapid Commun. 2004, 25(1), 21</li><li>
4 A. Boettcher, G. Haase, R. Thun, Z. Met. 1955, 46(5), 386</li><li>
5 J. R. Dahn, S. Trussler, T. D. Hatchard et al., Chem. Mater. 2002, 14(8), 3519</li><li>
6 X. D. Xiang, I. Takeuchi, Combinatorial Materials Synthesis; CRC Press, Boca Raton 2003</li><li>
7 E. J. Amis, X. D. Xiang, J. C. Zhao, Combinatorial Materials Science: What’s New since Edison? MRS Bull. 2002, 27(4), 295</li><li>
8 A. Ludwig, Npj Comput. Mater. 2019, 5(1)</li><li>
9 Report of the Clean Energy Materials Innovation Challenge Expert Workshop January 2018, Mission Innovation</li><li>
10 M. D. Fleischauer, J. M. Topple, J. R. Dahn, Electrochem. Solid-State Lett. 2005, 8(2), A137</li><li>
11 R. Zarnetta, P. J. S. Buenconsejo, A. Savan, S. Thienhaus, A. Ludwig, Intermetallics 2012, 26(C), 98</li><li>
12 M. D. Fleischauer, T. D. Hatchard, A. Bonakdarpour, J. R. Dahn, Meas. Sci. Technol. 2005, 16(1), 212</li><li>
13 H. S. Stein, D. Guevarra, P. F. Newhouse, E. Soedarmadji, J. M. Gregoire, Chem. Sci. 2019, 10(1), 47</li><li>
14 D. Silver, A. Huang, C. J. Maddison et al., Nature 2016, 529(7587), 484</li><li>
15 B. Rohr, H. S. Stein, D. Guevarra et al., Chem. Sci. 2020, 11(10), 2696</li><li>
16 H. S. Stein, J. M. Gregoire, Chem. Sci. 2019, 10(42), 9640</li><li>
17 A. Agrawal, A. Choudhary, APL Materials 2016, 4, 053208</li></ul>

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