Meinungsbeitrag
Die Arbeitswelt neu denken
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Auch nach über 30 Jahren in der chemisch-pharmazeutischen Industrie hat der Reiz unserer Branche für mich kein bisschen nachgelassen. Das liegt zum einen an den Produkten und Lösungen, die das Fundament unserer modernen Gesellschaft bilden, und zum anderen an den klugen und engagierten Kolleginnen und Kollegen, die all dies erst ermöglichen. In meiner beruflichen Laufbahn habe ich unsere Industrie aus den verschiedensten Perspektiven kennengelernt, unter anderem als Geschäftsführer der Merck-Gesellschaften in Singapur und Malaysia, Chief Information Officer, Verantwortlicher für das Personalwesen, CEO von Electronics und Vorsitzender des Arbeitgeberverbands Chemie. Eine Erkenntnis habe ich aus all diesen Positionen mitgenommen: Wenn wir attraktiv und wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir Arbeit in der chemischen Industrie neu denken.
Das beginnt bei den Fachkräften: Den demografischen Wandel spüren wir immer deutlicher, und qualifiziertes Personal wird händeringend gesucht. Die Politik muss die nötigen Leitplanken setzen, auch beim Thema Zuwanderung. Und die Industrie muss ihre Attraktivität steigern und die Lebensrealität der Arbeitnehmer besser berücksichtigen. Dafür müssen wir umdenken und flexiblere Arbeitsmodelle schaffen, die mehr Raum für Selbstbestimmung und Familie lassen. Was in der älteren Generation noch undenkbar war, ist heute unverzichtbar. Bei Merck haben wir flexibles Arbeiten bereits im Jahr 2011 mit mywork@merck eingeführt. Ich bin mir sicher: Flexible Arbeitsmodelle sind die Zukunft und die Voraussetzung dafür, dass Talente sich für eine Karriere in der Industrie entscheiden und ihr treu bleiben.
Umdenken müssen wir auch bei der digitalen Kompetenz. Sie ist eine Voraussetzung, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und spielt auch in der Arbeitswelt eine immer größere Rolle. 94 Prozent der Arbeitgeber geben laut Future-of-Jobs-Report des Weltwirtschaftsforums an, dass sie von ihrer Belegschaft erwarten, sich neue digitale Fähigkeiten anzueignen. Wir dürfen uns jedoch nicht darauf verlassen, dass sich die Menschen in der Industrie all das, was der Arbeitsmarkt in Zukunft von ihnen erwartet, selbst beibringen. Daher müssen wir an zwei Stellschrauben gleichzeitig drehen: zum einen die bestehenden Teams weiter qualifizieren, zum anderen dem Nachwuchs die notwendigen Fähigkeiten mitgeben. Dafür benötigen wir eine digitale Grundbildung bereits als Teil des Lehrplans an Schulen: Unter anderem Programmieren oder Datenanalyse sollten ein fester Bestandteil der schulischen Laufbahn sein – auch die Hochschulen müssen hier viel nachholen.
Zahlreiche Gespräche mit jungen Talenten haben mir eines gezeigt: Unser wissenschaftlicher Nachwuchs ist auch heute nicht nur durch Geld und die klassische Karriere motiviert, sondern will etwas bewirken und die Zukunft nachhaltiger gestalten. Es sind daher nicht nur die Regierung und politische Initiativen, die den Weg in eine gerechtere, nachhaltige Zukunft gestalten müssen, sondern vor allem die Unternehmen. Die chemische Industrie muss eine Schlüsselrolle spielen, sowohl bei der Entwicklung nachhaltiger Lösungen für Kunden als auch beim Erreichen von Nachhaltigkeitszielen in den Produktionsprozessen – und das weit über die derzeitige Energiekrise hinaus. Insgesamt beschäftigen die Chemie- und Pharmaunternehmen in Deutschland derzeit 580 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Pandemie, Krieg und Energiekrise haben uns in den vergangenen Jahren gezeigt, wo wir handeln müssen. Wie uns dies gelingen kann und wie wir unsere Branche erfolgreich transformieren können, untersuchen wir derzeit seitens des BAVC in einer großen Studie. Auch wenn viel Arbeit vor uns liegt: Wir sind viele, und gemeinsam können wir viel bewegen.
Kai Beckmann ist Mitglied der Merck-Geschäftsleitung, CEO von Electronics und Präsident des Bundesarbeitgeberverbands Chemie (BAVC)
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