Lange haben Bor- und Aluminiumverbindungen die Chemie der Lewis-Supersäuren dominiert. Inzwischen bearbeiten Forschungsgruppen auch Lewis-Supersäuren aus den Elementen der Gruppen 13 bis 15. Eine Übersicht über deren Reaktivität und Anwendungsgebi...
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Die neue mRNA‐Medizin
Von Wiley-VCH zur Verfügung gestellt
Der Erfolg der mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 dürfte auch die Einführung anderer Therapien beschleunigen, die auf Boten-RNA basieren. Unternehmen wie Curevac, Biontech und Moderna arbeiteten bereits Jahre vor der Pandemie an solchen Therapien. Diese eignen sich prinzipiell für zahllose medizinische Anwendungen, doch Krebs, Lebererkrankungen und multiple Sklerose zählen zu den vorrangigen Zielen.
Die Entwicklung von mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19, die in weniger als einem Jahr bis zur Zulassung kamen,1) basierte auf den Erfahrungen mehrerer Start-ups. Diese hatten mit der zunächst riskant erscheinenden Methode bereits Erfahrung. Zu den Pionieren gehören Biontech aus Mainz, Moderna aus den USA, Curevac aus Tübingen und Ethris in Planegg bei München.
Das grundlegende Konzept der mRNA-Therapie erhielt Auftrieb, nachdem frühe Versuche in der Gentherapie Rückschläge erlitten hatten, unter anderem nach dem Tod des Patienten Jesse Gelsinger im Jahr 1999. Er litt an Ornithin-Transcarbamylase-Defizienz, sein Körper konnte aufgrund eines angeborenen Gendefekts das bei der Proteinverdauung anfallende Ammoniak nicht abbauen.
Im Gegensatz zur Gentherapie, die mit dem langfristig stabilen Erbgut DNA arbeitet, ist die mRNA ein kurzlebiges Molekül, das wahrscheinlich keinen langfristigen Schaden anrichten kann. Hier besteht die größte Herausforderung darin, die mRNA unbeschadet an ihren Wirkort zu transportieren, ohne dass sie vorher von Ribonucleasen verdaut wird. Vor der Identifizierung als möglicherweise virale RNA durch das Immunsystem lässt sie sich schützen, indem man den Baustein Uridin durch Pseudouridin ersetzt. Dieser ist auch in stabilen RNAs wie tRNAs enthalten. Der Firmenname Moderna leitet sich übrigens von „modifizierte RNA“ ab und deutet auf diese Art von Veränderung hin.
mRNA-Therapie lässt sich andererseits als Alternative zu Proteinmedikamenten verstehen. Wenn es schwierig ist, ein bestimmtes zur Therapie benötigtes Protein in den erforderlichen Mengen, im korrekt gefalteten Zustand und zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu bringen – warum lässt man die betroffenen Zellen das Protein nicht selbst herstellen? Die Anweisung, die sie dazu benötigen, ist leicht in mRNA zu verschlüsseln. Das Problem ist auch hier, die Botschaft zuzustellen.
Neue Hoffnung gegen Krebs
Abgesehen von Impfungen gegen Infektionskrankheiten wie Grippe oder Covid-19 ist Krebs wohl das aussichtsreichste Ziel für mRNA-Therapeutika. Insbesondere, wenn sich ein Ansatz findet, der gegen verschiedene Arten von Krebszellen wirkt, aber gesunde Zellen verschont. Ruchi Jain und Kollegen in den Forschungslabors von Moderna haben einen mRNA-Wirkstoff entwickelt, der die Zellen eines Leberkarzinoms zum programmierten Zelltod (Apoptose) anregt, bei normalen Leberzellen aber wirkungslos bleibt.2)
Dass sie sich auf die Leber konzentrierten, hatte einen guten Grund: Die Lipidnanopartikel, die derzeit (und auch bei den Impfstoffen von Moderna und Biontech) als Transportgefäß für mRNA dienen, reichern sich in der Leber an. Egal welches Organ und welche Art von Krebs man anvisiert: Die Forschung muss sicherstellen, dass die eingesetzte mRNA Leberzellen nicht schädigt.
Die Moderna-Arbeitsgruppe verwendet körpereigene Mikro-RNAs (miRNA) – also kurze RNA-Abschnitte, die Gene stummschalten –, um die als trojanisches Pferd gegen Krebszellen eingesetzte mRNA in gesunden Zellen auszuschalten. Zu diesem Zweck bauten sie eine miRNA-Zielsequenz in ihre therapeutische RNA ein, welche die in gesunden Leberzellen, aber nicht in Leberkarzinomen gefundene miRNA miR122 aktiviert. Die Mechanismen der miRNA-gesteuerten Ausschaltung von mRNA sind bei Säugetieren identisch, sodass sich die Ergebnisse mit Mäusen und Primaten wohl auf Menschen übertragen lassen.
Mehrere der in dem Gebiet tätigen Firmen verfolgen die Strategie, gegen eine bestimmte Krebserkrankung zu impfen, oft auf Grundlage individueller Information über molekulare Erkennungsmerkmale des zu behandelnden Tumors. Biontech veröffentlichte vielversprechende Ergebnisse nach einer klinischen Studie mit 13 Patienten mit Hautkrebs (Melanomen).3) Biontech-Mitgründer Ugur Sahin erhielt in diesem Zusammenhang bereits Anfang des Jahrs 2019 den Deutschen Krebspreis.
Curevac führt derzeit klinische Tests der Phase I für ein neues Krebsmittel auf RNA-Basis durch, das nicht als mRNA dient, sondern als Immunregulator. Es soll die Krebszellen dazu anregen, Antigene zu präsentieren, die dem Immunsystem beim Bekämpfen der Krankheit helfen. Dieses Mittel, CV8102, wird gegen Melanome und drei weitere Krebsarten getestet, sowohl allein als auch kombiniert mit einer Antikörperbehandlung. Ein weiteres RNA-Produkt, ebenfalls in Phase I, richtet sich gegen Lungenkrebs.
Immunbremse und Hirnschutz
Die RNA-basierten Impfstoffe und Krebsmedikamente aktivieren meist das Immunsystem. Doch die entgegengesetzte Funktion ist nötig, wenn das Immunsystem selbst die Krankheit verursacht, also bei Autoimmunkrankheiten wie der multiplen Sklerose.
Die Arbeitsgruppe von Biontech-Gründer Ugur Sahin an der Universität Mainz hat vor kurzem über erfolgreiche Tierversuche berichtet, in denen sie einen mRNA-Impfstoff gegen multiple Sklerose einsetzten.4) Die Forscher:innen brachten die mRNA des körpereigenen Proteins ein, gegen das sich die krankhafte Autoimmunreaktion richtet. Sie adressierten diese mRNA aber an die dendritischen Zellen, die im Immunsystem dafür zuständig sind, den Unterschied zwischen selbst und nicht selbst zu klären. Präsentieren diese Immunzellen das Protein, dann lernen die T-Zellen, dass es sich um ein körpereigenes Protein handelt, und fahren ihren Angriff herunter. Genau diese reduzierte Aktivität der T-Zellen zeigte sich in Tiermodellen der multiplen Sklerose.
Die Arbeitsgruppe von Keiji Itaka an der medizinischen und zahnmedizinischen Universität von Tokio hat im Tierversuch mRNA für ein Protein ins Gehirn eingeschleust, nämlich für den Wachstumsfaktor BDNF (brain-derived neurotrophic factor).5) Geschah dies zwei Tage nach einer experimentell ausgelösten Ischämie – also einer Minderdurchblutung, wie sie etwa nach einem Schlaganfall auftritt –, so schützte das nach Anweisung der RNA hergestellte Protein die Nervenzellen vor den Folgen des Sauerstoffmangels. Dieses Ergebnis stimmt die Forscher zuversichtlich, dass dieselbe Vorgehensweise bei Menschen helfen kann, die Hirnschädigung nach einem Schlaganfall zu verringern. Die Forscher hatten die RNA mit Polymeren gekoppelt, die eine schützende Mizelle bilden.
Die Arbeitsgruppe von Hai Wang an der Universität der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking injizierte eine RNA-Immuntherapie gegen Hautkrebs in Form eines Hydrogels auf der Grundlage des Eiproteins Ovalbumin.6) Da der Körper die üblichen Nanovesikel innerhalb von ein bis zwei Tagen abbaut, wollten die Forscher:innen eine länger haltbare Form entwickeln, die ihren RNA-Gehalt nach und nach freisetzt. Dies gelang mit dem Hydrogel, das die Versorgung mit dem Wirkstoff 30 Tage lang gewährleistet.
Zuversichtlich
Noch vor fünf Jahren gab es zu mRNA-Therapeutika hunderte phantastische Ideen, eine Hand voll Start-ups und nur wenige Erfolge. Knapp ein Dutzend Projekte, so stellten Bruce Sullenger und Smita Nair fest, war im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium.7)
Seit der Covid-Pandemie wurden hunderte Millionen Dosen von mRNA in Nanolipidpartikeln innerhalb weniger Monate verabreicht und haben jeden Zweifel an Sicherheit und Praktikabilität des Verfahrens weggewischt. Wenn diese Krise vorbei ist, können Unternehmen auf diesem Erfahrungsschatz aufbauen und RNA-Medikamente gegen nahezu alle erdenklichen Krankheiten in klinische Studien bringen. An Aufmerksamkeit und Kapital wird es nicht fehlen.
Der promovierte Chemiker Michael Groß ist freier Wissenschaftsjournalist in Oxford, England. www.michaelgross.co.uk
AUF EINEN BLICK
mRNA-Medikamente bringen die Anweisung in Zellen, wie diese ein zur Therapie nötiges Protein in den erforderlichen Mengen und im korrekt gefalteten Zustand selbst herstellen.
Als besonders aussichtsreich gilt derzeit die Behandlung von Krebs mit mRNA.
Die Applikationsformen sind variabel, möglich ist beispielsweise ein Verknüpfen der RNA mit Polymeren oder als Hydrogel auf Basis von Eiprotein.
- 1 M. Groß, Nachr. Chem. 2021, 69(1), 50–53
- 2 R. Jain, J. P. Frederick, E. Y. Huang et al., Nucleic Acid Ther. 2018, 28, 285–296
- 3 U. Sahin, E. Derhovanessian, M. Miller et al., Nature 2017, 547, 222–226
- 4 C. Krienke, L. Kolb, E. Diken et al. Science 2021, 371, 145–153
- 5 Y. Fukushima, S. Uchida, H. Imai et al., Biomaterials 2021, 270, 120681
- 6 Y. Yin, X. Li, J. Zhang et al., Nano Lett. 2021, 21, 2224–2231
- 7 B. Sullenger, S. Nair, Science 2016, 352, 1417–1420
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