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Neue Materialien einfach und schnell finden, Prozesse verbessern und Potenziale erschließen – dafür hat das Start-up Quantistry eine Software entwickelt. Das Unternehmen bereitet sie schon jetzt darauf vor, auch auf Quantencomputern zu laufen.Auch wenn die Gründung von Quantistry im Jahr 2019 war, kommerziell Fahrt aufgenommen hat das Unternehmen mitten in der Pandemie. Die Simulationssoftware ermöglicht Unternehmen, deren Materialien, Moleküle oder Synthesen mit chemischen Simulationen zu designen, zu optimieren oder neu zu entwickeln.Die Software greift unter anderem auf quantenchemische Methoden, Cloudcomputing und Machine Learning zurück. Schon jetzt bereitet das Unternehmen die Software auf ihre Anwendung auf Quantencomputern vor.Chemische Verbindungen und Materialien lassen sich damit untersuchen, etwa die Reaktion zweier Moleküle, Spektralanalysen oder auch Defektmigrationen in Halbleitermaterialien. Darüber hinaus ist es möglich, die Acidität von Molekülen, Viskositäten oder die Leerlaufspannung von Elektroden und vieles mehr zu simulieren, um zuverlässige Aussagen über die zu erwartenden Molekül- oder Materialeigenschaften zu treffen.<h2 type="main">So einfach wie möglich</h2>Wer schon einmal mit chemischen Simulationen gearbeitet hat, weiß, dass die Bedienung alles andere als unproblematisch ist: Nutzeroberflächen sind unkomfortabel, und tiefgreifende theoretische Fachkenntnisse sind ebenso notwendig wie der Einsatz von Terminals. Das ist nur ein Teil der Schwierigkeiten, die dazu führen, dass sich die Anwendung von Simulationen komplex gestaltet und einer überschaubaren Gruppe von Experten vorbehalten bleibt.Darum war es uns bei <link href="#nadc20224132219-fig-0001">Quantistry wichtig, eine nutzerfreundliche Simulationsplattform zu entwickeln, die sich von Forscher:innen mit unterschiedlichen Kenntnisständen nutzen lässt. Das Herzstück dieses Vorhabens ist der Workflow-Designer. Hier fügen Anwender:innen mit wenigen Klicks chemische Strukturen hinzu, digitalisieren Versuchsreihen und starten Analysen.<figure xml:id="nadc20224132219-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/HItmXsqQAKtdjpjGinmg"><figcaption><label>Abb.1: </label>Die Quantistry-Gründer Vincent Pohl (links) und Marcel Quennet haben als promovierte Chemiker eine Simulationsplattform entwickelt. Foto: Quantistry</figcaption></figure></figure>Ergänzend steht ein Expertenmodus zur Verfügung, mit dem sich jeder Teilschritt individuell konfigurieren lässt.Zugleich soll ein besserer Austausch innerhalb von Arbeitsgruppen möglich werden, denn häufig ist dort das Datenmanagement problematisch: So werden etwa Dateien nicht systematisch abgelegt, oder die Details durchgeführter Simulationen sind nur schwer nachvollziehbar, weil es keine standardisierten Prozesse gibt. Genauso ärgerlich ist die Entstehung von Datensilos in einzelnen Geschäftseinheiten, wenn übergreifendes Wissen nicht zusammengeführt wird.<h2 type="main">Cloud statt lokaler Ressourcen</h2>Die Erfahrungswerte begründen die Entscheidung für eine Cloudlösung, die das Datenmanagement verschlankt. Zudem löst die Cloud ein noch größeres Problem: Komplexe Simulationen erfordern erhebliche Rechenleistungen, weshalb Unternehmen auf eigene Supercomputer angewiesen sind. Mit der Cloud wird dieses Problem umgangen: Je nach Rechenbedarf werden die Computingressourcen automatisiert hoch- und wieder runtergefahren. Dies macht nicht nur teure Hardware obsolet, sondern beschleunigt auch die Simulationen. Das ist besonders in kleineren Laboren nützlich.Die dynamische Cloudnutzung ermöglicht es, Bedarfsspitzen abzudecken. Das ist gerade zu Beginn eines Prozesses in Forschung und Entwicklung (F+E) wichtig.<h2 type="main">Kreativ forschen</h2>Bei Quantistry haben wir uns viele Gedanken zu den Anfängen eines F+E-Prozesses gemacht. Das ist kein Zufall, denn unser Fachwissen liegt vor allem in der Quantenchemie, was bedeutet, dass wir Forschungsprozesse ab initio denken. Unsere Simulationen sind also ganz am Anfang der Forschungskette zu verorten.Mit diesem Fokus können wir insbesondere Forscher:innen helfen, die noch tiefere Einblicke in ihre Materialien benötigen. Zum Beispiel, um die Belastbarkeit von Schmierstoffen zu verbessern oder Elektrodenmaterialien leistungsfähiger zu machen. Die Möglichkeit, Materialien auf quantenchemischer Ebene zu analysieren, eröffnet einen neuen Zugang und erlaubt Einblicke, die experimentell häufig nicht zugänglich sind.Bei simulierten Schmierstoffversuchen zeigte sich etwa, wie ein Fragment des Additivs Zinkdialkyldithiophosphat über Schwefelatome auf einer Eisenoxidoberfläche bindet (<link href="#nadc20224132219-fig-0002">Grafik). Eine starke Wechselwirkung zwischen dem Additiv und der Oberfläche, also eine hohe Bindungsenergie, ist ein wesentlicher Faktor für das Entstehen des Schutzfilms und letztlich für einen guten Verschleißschutz.<figure xml:id="nadc20224132219-fig-0002"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/mZU9eFt4SRihuegBCinm"><figcaption><label>Abb.2: </label>Untersuchung von Oberflächenbenetzungen. Simuliert wurde die Adsorption eines Dithiophosphatfragments auf einer Eisenoxidoberfläche. Bild: Quantistry</figcaption></figure></figure>Ferner lassen sich mit chemischen Simulationen mehrere Experimente parallel durchführen. Ein derartiger Versuchsaufbau würde in der Realität nicht nur lange dauern, sondern auch ein immenses Budget voraussetzen. Anders gesagt: Die notwendigen Experimente wären undenkbar.<h2 type="main">Mit Quantencomputern simulieren</h2>Auch wenn leidenschaftlich über die Vorteile von Quantencomputern diskutiert wird, ist zurzeit nicht absehbar, wann deren kommerzieller Durchbruch gelingen wird. Glaubt man Expert:innen, wird sich die Welt noch mindestens fünf bis zehn Jahre gedulden müssen.Sicher ist allerdings, dass Quantencomputer, sobald sie verfügbar sind, eine neue Ära der Materialentwicklung einleiten werden. Auch wir sehen die Vorteile und arbeiten daher schon jetzt daran, unsere Simulationen für Quantencomputer nutzbar zu machen.Es ist möglich, Quantencomputer auf klassischer Hardware zu simulieren. Auf diesem Weg lässt sich die Arbeitsweise von Quantencomputern vorwegnehmen. Dies erlaubt, Quantenalgorithmen zu entwickeln, die später einen nahtlosen Wechsel ermöglichen.Sobald Quantencomputer kommerziell einsetzbar sind, wollen wir unseren Nutzer:innen einen frühzeitigen Zugriff ermöglichen, damit sie alle Vorteile ohne Migrationsaufwand genießen können.<h2 type="main">Nachhaltigkeit in F+E</h2>Simulationen können F+E-Abteilungen darin unterstützen, nachhaltiger zu arbeiten. Es entstehen weniger umweltbelastende Abfälle. Außerdem ist ihr Einsatz energieeffizienter als Forschung im Labor.Dreh- und Angelpunkt unserer Software sind die Kund:innen. Unsere Expert:innen beantworten Fragen zu den Simulationen, den chemischen Prozessen oder unterstützen beim Prozessmanagement. Wir wollen den Zugang zu Simulationen noch einfacher gestalten, daher sind weitere Funktionen und vieles mehr geplant.<h2 type="main">Die Autoren</h2>Marcel Quennet ist Geschäftsführer und Co-Gründer von Quantistry. Der promovierte Chemiker war zuvor als IT-Consultant tätig. Weiterer Co-Gründer ist der promovierte Chemiker Vincent Pohl. Er ist Technikvorstand und analysiert über quantendynamische Methoden die Elektronendynamik in molekularen Systemen bis hin zu Nanostrukturen. Oskar Krause ist Marketing Manager bei Quantistry. Der gelernte Medienkaufmann arbeitete zuvor nach einem Medienwissenschaftsstudium im Online-Marketing. <a href="https://quantistry.com" target="_blank">quantistry.com</a>

Simulationen

Die Realität nachbilden und sparen

Neue Materialien einfach und schnell finden, Prozesse verbessern und Potenziale erschließen – dafür hat das Start-up Quantistry eine Software entwickelt. Das Unternehmen bereitet sie schon jetzt darauf vor, auch auf Quantencomputern zu laufen.Auch wenn die Gründung von Quantistry im Jahr 2019 war...

Um Tiergifte zu charakterisieren, nutzt die Forschung Multi-Omics-Verfahren, Next-Generation-Sequencing, Bioinformatik und mehr. Dabei entstehen immer wieder Ideen, die Verfahren zu optimieren, sodass sie der gesamten chemisch-pharmazeutischen Analytik zugute kommen.Das Gift der Wüstenspinne Diguetia canities aus dem Südwesten der USA und Mexiko tötet Beutetiere, indem es die Natriumkanäle in deren Nervenzellen öffnet. Die amerikanische Schabe (Periplaneta americana) ist dagegen unempfindlich. Wie Laboruntersuchungen ergeben haben, wirkt das Gift aber bei deutschen Schaben (Blattella germanica). Das zeigt, wie spezifisch Toxine im Tierreich wirken können.1) Venomik versucht zu klären, woraus der Giftcocktail des Tiers besteht, welcher Stoff oder welche Stoffe wirken und nach welchem Mechanismus. Dazu kommt die Frage: Wirkt das Gift auch bei Menschen?Dafür ist im Labor zu entscheiden, mit welchen Verfahren im Cocktail nach bekannten Giften gefahndet wird und wie sich unbekannte Gifte in einem Vielstoffgemisch identifizieren lassen. Entscheidend ist dabei die Probennahme am Tier und der Zusammenhang zwischen biomolekularer Chemie und Taxonomie, also der biologischen Einordnung des Tiers.Die amerikanische Schabe hat eine erfolgreiche Strategie gegen das Gift ihres Feinds. Die Forschung interessiert nun: Welche Variationen im Erbgut und im Proteom des Insekts sind für diesen Erfolg verantwortlich? Wie sind diese Variationen während der Koevolution von Räuber und Beute entstanden?Weitergedacht könnte ein derart spezifisches Gift wie das von Diguetia canities einen Bauplan für Pflanzenschutzmittel liefern, die die Biodiversität weniger gefährden als die marktgängigen Pflanzenschutzmittel. Das Ziel dieses Ansatzes aus der Grundlagenforschung könnte lauten: Das Pflanzenschutzmittel soll sich gezielt gegen einen Schädling richten und andere Tiere, etwa Bienen, schonen.<h2 type="main">Tieren Gift entnehmen</h2>Die Herausforderungen der Tiergiftanalytik beginnen bei der Probennahme. Schlangengift zum Beispiel muss aus lebenden Schlangen herausgemolken werden. Dazu lässt man die Schlange auf eine Membran beißen und fängt das Gift in einem Glasgefäß auf.Große Gliederfüßler, zum Beispiel Skorpione, geben ihr Gift durch elektrische, mechanische oder chemische Stimulation ab. Spinnen werden dazu mit einer unter Strom stehenden Pinzette an den Drüsen im Kiefer massiert (<link href="#nadc20224132590-fig-0001">Fotos rechts oben) und elektrostimuliert. Bei kleineren Insekten oder Spinnentieren ist oft die gesamte Giftdrüse heraus zu präparieren. Das erfordert chirurgisches Geschick und erschwert das spätere analytische Vorgehen, denn in der Probe finden sich neben dem Gift-Cocktail <link href="#nadc20224132590-fig-0002">Gewebeanteile.<figure xml:id="nadc20224132590-fig-0001"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/UhztpAqSAqFLLA8ZoZTN"><figcaption><label>Abb.1: </label>Probennahme; die Giftdrüse eines Hundertfüßers (Scolopendra) wird mit einer unter elektrischer Spannung stehenden Pinzette massiert und so stimuliert. Fotos: Bjoern M. von Reumont</figcaption></figure></figure><figure xml:id="nadc20224132590-fig-0002"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/CysxAOYOSvSzwTMi3UmA"><figcaption><label>Abb.2: </label>Königskobra; sie injiziert bei einem Biss um die 400 mg Gift. In der Regel geben Giftschlangen 50 bis 100 mg ab.</figcaption></figure></figure>Als kooperativ erweisen sich Kegelschnecken: Sie werden mit Beute gelockt und schießen dann ihre Giftharpunen direkt in ein Zentrifugenröhrchen2) – ideal für den ersten Schritt der Probenvorbereitung.<h2 type="main">Die Analytik</h2>Das Vorgehen vieler aktueller Tiergift-Forschungen, wie es vor allem für Giftschlangen bekannt ist, orientiert sich am folgenden Ablauf:3) Die Komponenten des Vielstoffgemischs Tiergift werden mit Umkehrphasenflüssigkeitschromatographie getrennt, mit einem UV-Detektor bei 215 nm erfasst (RPLC-UV) und nach Möglichkeit quantifiziert. Alternativ zum UV-Detektor gibt ein Quadrupol-Flugzeitmassenspektrometer (RPLC-q-TOF) den Quotienten aus Ionenmasse und -ladung an (m/z-Werte).Zusätzlich wird nach der RPLC eine Gelelektrophorese mit <link href="#nadc20224132590-fig-0003">einem Polyacrylamidgel (Page) durchgeführt, und zwar bevorzugt in der Variante SDS-Page (Natriumdodecylsulfat-Polyacrylamidgelelektrophorese), was sich besonders für Proteine und Nukleinsäuren mit Molekülmassen zwischen 5 und 250 Kilodalton eignet. Bei Verdacht auf mehrere unter einem RPLC-Peak verborgene Einzelpeaks wird nach SDS-Page mit Densitometrie quantifiziert.4)<figure xml:id="nadc20224132590-fig-0003"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/P1Uhy6qzQv2CiUa8fSI3"><figcaption><label>Abb.3: </label>Wespenspinne (Argiope bruennichi). Ihr Gift ist für Menschen ungefährlich.</figcaption></figure></figure>Die Komponenten des Tiergifts zeigen sich auf der zweidimensionalen Gelelektrophoreseplatte als Substanzflecke. Sie lassen sich herausschneiden oder herauskratzen, das geschieht meistens manuell.Anschließend werden die Flecken enzymatisch gespalten, <link href="#nadc20224132590-fig-0004">typischerweise über einen tryptischen Verdau (in-gel digestion, IGD). Die dabei entstandenen Substanzen werden mit UPLC-ToF-MS (Ultra Performance Liquid Chromatography) getrennt. Die Retentionszeiten und MS-Daten werden über eine Datenbank ausgewertet (zum Beispiel Mascot, Matrix Sciences, Boston, MA, USA).<figure xml:id="nadc20224132590-fig-0004"><figure><img alt="image" src="https://media.graphassets.com/R8R9tRI8RDuM6wrTcQxi"><figcaption><label>Abb.4: </label>Giftiges Insekt: Gelbbindige Furchenbiene (Halictus scabiosae).</figcaption></figure></figure>Statt mit IGD kann der Verdau in Lösung (in-solution digestion) erfolgen, mit anschließender Direkteinspritzung ins Massenspektrometer (Shotgun-Proteomics). Das geht schnell, nur verliert man Information über die dreidimensionale Struktur der Proteine.<h2 type="main">Proteinsequenzen bestimmen</h2>Alternativ zum ToF-Massenspektrometer werden mit einem Tandem-Massenspektrometer (MS/MS) die Aminosäuresequenzen der Proteine und Peptide bestimmt (De-novo-Sequenzierung). Dieses Verfahren benötigt keine weiteren Informationen über die Analyten; die gesamte Sequenz wird aus den MS/MS-Daten hergeleitet.Um die Sequenzen zu identifizieren, können die Daten mit der Ref-Seq-Datenbank der NCBI abgeglichen werden. Diese Datenbank ist eine Sammlung von Genomen, Transkripten und Proteinen des National Center of Biotechnology Information, Bethesda, MD, USA (<a href="https://www.ncbi.nlm.nih.gov/RefSeq" target="_blank">www.ncbi.nlm.nih.gov/RefSeq</a>) Mit dem Suchprogramm Blast (Basic Local Alignment Search Tool) lassen sich in unterschiedlichen biologischen Protein- und Peptidspezies ähnliche Regionen aufspüren. Ergebnis der De-novo-Sequenzierung ist eine Aussage wie: „Die analysierten Fragmente des enzymatischen Verdaus weisen mit einer Wahrscheinlichkeit x auf Protein y als ursprünglich vorhandenes Protein.”Der zweite Weg führt über Ionenfallen-Massenspektrometer, besonders hochauflösende und massenakkurate Geräte mit gleichzeitig hoher quantitativer Genauigkeit (zum Beispiel Orbitrap von Thermo Fisher).5)Neue Möglichkeiten könnte die nächste Generation von Ionenfallen-Spektrometern eröffnen (zum Beispiel Orbitrap Exploris). Die Identifizierung erfolgt anschließend über Uniprot,6) eine Datenbank des European Bioinformatics Institute (EMBL-EBI), des Swiss Institute of Bioinformatics (SIB) und der Protein Information Resource (PIR) (University of Delaware). Auch hier lassen sich MS/MS-Spektren mit denen bekannter Proteinsequenzen abgleichen.7)<h2 type="main">Trends</h2>Die Quantifizierung der bei der Gelelektrophorese gefundenen Proteine ist angesichts begrenzter Probenmengen ein Problem. Mindestens 50 Mikroliter Rohgift sind erforderlich. Die Spinne Latrodectus (Echte Witwe) liefert 1 bis 2 Mikroliter Gift, Schlangen 50 bis 100 Milligramm. Danach braucht eine Schlange einige Tage, um neues Gift zu produzieren.Zuweilen poolen Forscher die Giftmolke mehrerer Tiere. Allerdings vermindert dies die Aussagekraft der Analysen, weil individuelle Unterschiede zum Beispiel zwischen zwei Schlangen nicht erfasst werden. Empfindlichere Massenspektrometer könnten diese Einschränkung überwinden.Ein weiterer Trend ist das Zusammenführen von Top-down-Proteomics (TDP), also der massenspektrometrischen Bestimmung des intakten Proteins ohne vorherige enzymatische Spaltung, und Bottom-up-Proteomics (BUP), also MS-Bestimmung nach enzymatischer Spaltung. TDP hat den Charme, die Proteine ohne den Umweg über ihre Spaltprodukte und Rückrechnung auf das ursprüngliche Protein zu identifizieren.Selbst über interne Faltungen des Proteins lassen sich anhand von NMR-Daten Aussagen treffen. Ergänzend liefert die Massenspektrometrie Informationen über die Lage von Sulfidbrücken und des Cysteins im Protein. All diese Informationen können das Verständnis der Giftwirkung verbessern. Allerdings sind die meisten Massenspektrometer bei Substanzen über 30 Kilodalton nicht selektiv genug.7) Erforderlich sind dafür Ionenfallen-Massenspektrometer, gegebenenfalls ausgelegt als Fourier-Transform-Massenspektrometer (FTMS).Sofern BUP von den kleinsten Fragmenten und TDP vom intakten Protein ausgeht, liefern beide Verfahren komplementäre Informationen. Synergistische Vorgehensweisen versprechen auch bei Proteomik, Transkriptomik und Genomik die meisten Information. Nicht zuletzt liefern dabei die Hochdurchsatz-Sequenzierer der vierten Generation Genome und Transkriptome, die eine Vorhersage erlauben, welche (Gift-)Proteine ein Organismus produziert, und die Entstehung und Anpassung von Giftgenen zeigen.Als vorteilhaft erweisen sich dabei die geringen Mindestmengen an RNA von 100 ng bis 1 µg.<h2 type="main">Präzise auswerten</h2>Ein Plus an Präzision bringt die De-novo-Transkriptomik mit ihrer giftdrüsengewebespezifischen Vorhersage von Aminosäuresequenzen aus MS/MS-Daten. Einzige Einschränkung: Die Analyse erfasst das Giftdrüsengewebe mit. Daher muss man die aus dem Transkriptom/Genom ermittelte Proteom-Voraussage mit Proteomdaten matchen, die direkt aus gemolkenem oder durch Elektrostimulation gewonnenem Giftcocktail stammen.Wenn allerdings nicht gemolken oder elektrostimuliert, sondern die Giftdrüse entnommen wurde, müssen gewebespezifische Transkriptome der untersuchten Tiere bestimmt werden, wenn möglich in Verbindung mit Genomen. Also sind dafür die Transkriptome aus anderen Organen als der Giftdrüse zu bestimmen. Mit diesen Zusatzinformationen lassen sich Artefakte der De-novo-Transkriptomik vermeiden oder herausrechnen. Die Transkriptome werden dazu annotiert, es wird also ein ganzer Katalog der Gene und Proteine erstellt und bei Genomen auf diese gemappt, um die zugehörigen Gene zu identifizieren.Ein neuer Ansatz besteht darin, Toxine auf ihre genetische Codierung zurückzuverfolgen. Allerdings handelt es sich bei den meisten Proteinfamilien, zum Beispiel Metalloproteinasen oder Phospholipasen in Schlangengift, um Multi-Gen-Familien. Diese kodieren für mehrere sehr ähnliche Proteine, von denen einige in der Giftdrüse vorliegen, andere aber im Körpergewebe aktiv sind. Wünschenswert sind über chemisch-analytische Daten und Software zu ihrer Interpretation hinaus Kenntnisse der Evolution: Welche Genvarianten sind wann entstanden und wie wurden sie im Laufe von Jahrmillionen in die Giftdrüse eingebracht?<h2 type="main">Gene und Gifte</h2>Ein Hindernis auf dem Weg zu einem umfassenden Verständnis von Tiergiften und ihren Wirkungen ist die unklare Nomenklatur. So werden in der Pharmazie Venom-Allergene (also Venom-Antigene) durchnummeriert, so wie die Immunglobuline, die die überschießende Immunantwort auf die Allergene vermitteln. Dabei fehlt eine funktionale, aber auch evolutionäre Beziehung: Welches Gift löst welche allergische Reaktion aus? Beispielsweise wirken Venom-Allergen 5 (VA5, ein Wespengift) und Venom-Allergen 3 (VA3, ein Gift bestimmter roter Ameisen) ähnlich. Allerdings sind bei evolutionärer Betrachtung nach Stammbaumrekonstruktion der verschiedenen Proteine in dieser Genfamilie einige VA3 eindeutig VA5 und umgekehrt. Dies bedeutet: Die funktionale Zuordnung spiegelt nicht die Evolution dieser Gene und Proteine.Auch hier bietet der neue Ansatz eine Alternative. Toxine werden über Genanordungen im Genom des Tiers klassifiziert. Ziel ist es, eine solche Aussage treffen zu können: Aus einem bestimmten Genom einer bestimmten Art lässt sich vorhersagen, welche Toxine kodiert sind und im Giftcocktail exprimiert werden könnten.Aus evolutionärer Perspektive hat man es häufig mit Rearrangements zu tun, etwa mit Vervielfältigungen von Genen, die für Gift-Proteine codieren. Von diesen wird dann einfach mehr produziert als in vorhergehenden Generationen.<h2 type="main">Translationale Ansätze</h2>Die Venomik hat Tiergifte allerdings noch nicht in die Anwendung gebracht. Die Verwendung als Schädlingsbekämpfungsmittel in der Landwirtschaft ist denkbar, ebenso die pharmazeutische Nutzung. Nach 50 Jahren Tiergift-Forschung hat es nur etwa ein Dutzend der Toxine in Medikamente geschafft, einige sind wegen Nebenwirkungen schon wieder verschwunden.Eine Hürde bildet die Verfügbarkeit der Toxine in großen Mengen, die möglichst realistisch wie im natürlichen System gefaltet sind und entsprechende Aktivitäten zeigen. Studien erfordern in der Regel mindestens zehn Milligramm, hergestellt entweder mit einer Feststoffsynthese oder biotechnisch durch Expression in Escherichia coli.Nach Ansicht von Björn von Reumont, Arbeitskreis angewandte Bioinformatik an der Universität Frankfurt, liegt die Zukunft der Tiergiftforschung und Venomik in der Kombination von Transkriptomik, Proteomik und Genomik mit Methoden der künstlichen Intelligenz sowie des maschinellen Lernens. Damit ließen sich Toxine, die Kandidaten für die Anwendung sind, präzise identifizieren. „Das Nadelöhr ist dann der Weg der Produktion, die Nagelprobe der Bioaktivitätstest.“Mit der Weiterentwicklung der dafür benötigten instrumentellen Analytik steigen die Chancen auf agrochemische und pharmazeutische Anwendungen. Von den ermittelten Genom-Toxin-Wirkungsbeziehungen könnten über Venomics hinaus andere Omik-Forschungen profitieren.Der promovierte Chemiker Christian Ehrensberger ist freier Mitarbeiter der Nachrichten aus der Chemie.<h2 type="main">AUF EINEN BLICK</h2>Tiergifte könnten Vorbild für Pflanzenschutzmittel sein, die sehr spezifisch wirken.Um die Wirkmechanismen von Tiergiften zu verstehen, sind die Substanzen zu trennen, zu identifizieren sowie die Proteine zu sequenzieren und mit dem Genom zu korrelieren.Schwierig bleibt die Probennahme, besonders bei Insekten und Spinnen. Daher sind Methoden gefragt, die mit wenig Probenmengen auskommen und Substanzen aus dem Gewebe des Tiers vom Gift unterscheiden.<ul class="references" xml:id="nadc20224132590-bibl-0001" cited="no" style="numbered"><li xml:id="nadc20224132590-bib-0001">1 <a href="https://www.hopkinsmedicine.org/news/media/releases/potent_spider_toxin_electrocutes_german_not_american_cockroaches" target="_blank">www.hopkinsmedicine.org/news/media/releases/potent_spider_toxin_electrocutes_german_not_american_cockroaches</a></li><li xml:id="nadc20224132590-bib-0002">2 B. M. von Reumont, G. Anderluh, A. Antunes, et al., GigaScience 2022 doi: 10.1093/gigascience/giac048</li><li xml:id="nadc20224132590-bib-0003">3 J. J. Calvete, F. Bonilla, S. Granados-Martínez et al., J. Proteomics, 2020, 225, 103882</li><li xml:id="nadc20224132590-bib-0004">4 S. P. Mackessy, W. Bryan, C. F. Smith et al., J. Proteomics 2020, 220 doi: 10.1016/j.jprot.2020.103778</li><li xml:id="nadc20224132590-bib-0005">5 L. J. Tasima, D. M. Hatakeyama, C. Serino-Silva et al., Toxicon 2020, doi: 10.1016/j.toxicon.2020.07.001; E. Lima, L. Tasima, D. Hatakeyama et al., Toxicon 2021, doi: 10.1016/j.toxicon.2021.01.006</li><li xml:id="nadc20224132590-bib-0006">6 I. S. de Oliveira, I. A. Cardoso, K. d. C. F. Bordon, J. Proteomics 2019, 191, 153</li><li xml:id="nadc20224132590-bib-0007">7 J. Slagboom, C. Kaal, A. Arrahman et al., Microchem. J. 2022, doi: 10.1016/j.microc.2022.107187</li></ul>

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