Industrie + Technik

<p>Die Polymerwirtschaft arbeitet stärker kreislauforientiert und ressourceneffizienter denn je. Währenddessen steigen die Anforderungen an Marktstudien und Datenerhebungstechniken. Ein Studienergebnis: Die meisten Kunststoffprodukte gelangen in Europa in Verpackungen.</p>
<p>Im Jahr 2018 erreichte die weltweite Kunststoffproduktion an Thermo- und Duroplasten, Elastomeren und Polyurethanen sowie Additiven, Beschichtungen, Dichtmitteln und Fasern aus Polypropylen eine Menge von 359 Mio. Tonnen – im Jahr 2017 waren es 348 Mio. Tonnen; das entspricht einem Wachstum von 3 Prozent. In Europa sank die Kunststofferzeugung um 4 Prozent auf 61,8 Mio. Tonnen [<i>Nachr. Chem.</i> 2019, <i>67(11)</i>, 34 und <i>(12)</i>, 33]. Das sind etwa 17 Prozent der Kunststoffweltproduktion; China produziert 30 Prozent (Abbildung 1).</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/kLLYzdZQ7edxEHALBf6g"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Kunststoffweltproduktion. Nafta: Freihandelszone zwischen Kanada, USA und Mexiko; CIS: Freihandelszone zwischen Russland, Ukraine, Kasachstan, Usbekistan, Weißrussland, Moldawien, Armenien, Kirgistan und Tadschikistan. Quelle: Plasticseurope, Conversio</figcaption></figure>
<p>Deutschland dominiert den europäischen Verarbeitungsmarkt; gegenüber dem Vorjahr hat sich zudem an der Verteilung kaum etwas verändert. In Europa verarbeiteten Unternehmen 51,2 Mio. Tonnen Kunststoff, 24,6 Prozent davon in Deutschland. Auf Platz 2 folgt Italien mit 13,9 Prozent. Die Plätze 3 bis 6 belegen Frankreich, Spanien, Großbritannien und Polen, jeweils mit einstelligen Anteilen. Damit stehen diese sechs Länder für knapp 70 Prozent des europäischen Kunststoffverbrauchs. Unter diesen legte nur Polen im Verbrauch etwas zu.</p><h2>Anwendungen und Sorten</h2><p>Die Anteile der Anwendungsgebiete von polymeren Werkstoffen in Europa blieben fast stabil. Es führen Verpackungen mit 39,9 Prozent vor dem Bau, der 19,8 Prozent der verarbeiteten Kunststoffmengen nutzt. Es folgt der Automobilbau (Abbildung 2). Unter den übrigen Anwenderindustrien wächst die Medizintechnik am stärksten, liegt aber mengenmäßig unter 3 Prozent.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/3JrabCkTRpeC2j53uDME"><figcaption><label>Abb. 2: </label>So viel der 51,2 Mio. t Kunststoff nutzen die Segmente in Europa. Quelle: Plasticseurope, Conversio</figcaption></figure>
<p>Nach Tonnen gerechnet ist Polyethylen (PE) unter den Kunststoffarten die größte Werkstoffgruppe: Auf 29,7 Prozent summieren sich die PE-Ausprägungen stark oder schwach verzweigt bis linear. Zusammen mit Polypropylen (PP) stellen die Polyolefine knapp die Hälfte des Gesamtverbrauchs (Abbildung 3). Es folgen Polyvinylchlorid (PVC), die Polyurethane (PUR) und der in den beiden vergangenen Jahrzehnten im Verbrauch gestiegene Verpackungswerkstoff Polyethylenterephthalat (PET). Die Styrolkunststoffe (PS und EPS) stagnieren. Technische Kunststoffe wie Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymer (ABS), Polyamid (PA) und Polycarbonat (PC) – ohne PP-Compounds – haben in Europa weiterhin einen gegenüber anderen Weltregionen überproportionalen Anteil an der Verarbeitung. Die Herstellung technischer Teile bleibt ein Schwerpunkt, was für die Wahrnehmung Europas als technisch führende Verarbeitungsregion der Welt wichtig ist.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/ewAgSdOQk6ncqxVMWiew"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Diese Anteile an einzelnen Polymertypen werden in Europa verbraucht. Quelle: Plasticseurope, Conversio</figcaption></figure>
<h2>Wiederverwerten</h2><p>Die Sammlung von Altkunststoffen aus dem Post-Consumer-Bereich stieg in Europa von 27,1 Mio. Tonnen im Jahr 2016 auf 29,1 Mio. Tonnen im Jahr 2018. Davon wurden über 75 Prozent einer Verwertung zugeführt. Die Menge an Kunststoffen, die recycelt wurde, also über werkstoffliche Verwertung zurück in den Kreislauf geführt wurde, erhöhte sich im gleichen Zeitraum von 8,4 Mio. Tonnen auf mehr als 9,4 Mio. Tonnen. Seit dem ersten Jahr der Datenerhebung 2006 hat sich die Recyclingmenge damit verdoppelt.</p><p>Die Menge an recyceltem Kunststoffverpackungsmüll aus Haushalten, Industrie und Handel betrug im Jahr 2018 17,8 Mio. Tonnen. Davon wurden 42 Prozent recycelt (Abbildung 4, S. 26).</p><h2>Schwache Konjunktur, schwieriges Umfeld</h2><p>Im Jahr 2019 setzen sich die Trends der vergangenen Jahre größtenteils fort. Das Wirtschaftswachstum hat nachgelassen, Abnehmerbranchen wie der Automobilbau oder die Elektro-/Elektronikindustrie zeigen zum Teil deutliche Wachstumsschwächen. Außenpolitische Themen wie Handelskonflikte, der Brexit oder die unsichere Lage im Nahen Osten dämpfen zusätzlich die wirtschaftliche Entwicklung der Branche.</p><p>Darüber hinaus setzt der Ruf nach „weniger Plastik“ und mehr Nachhaltigkeit von Seiten der Öffentlichkeit, Medien und Politik die Kunststoffindustrie weltweit unter Druck, zunehmend auch in Deutschland seit etwa zwei Jahren. Dieses „plastic bashing“ speist sich aus dem globalen Umweltproblem einer vielerorts völlig unzureichenden Abfallwirtschaft mit der Meeresvermüllung als Folge. Dabei sind die sichtbarsten Abfälle in den Ozeanen Kunststoffe. Sie landen in den Gewässern, weil Kunststoffabfälle unkontrolliert in die Umwelt gelangen.</p><p>Dabei sind Kunststoffe Wertstoffe und somit zu wertvoll, um am Ende ihrer Nutzungsphase als Abfall in den Meeren zu schwimmen. Ob und wie der in den Meeren bereits vorhandene Abfall entsorgt werden kann, ist allerdings ein Problem; wie sich weitere Einträge vermeiden lassen, ein weiteres. Eine Lösung hierfür braucht Zeit und sollte vor allem in Regionen mit großem Nachholbedarf bei der Entsorgungsinfrastruktur ansetzen. Mit der Alliance to End Plastics Waste haben internationale Unternehmen der Chemie-, Kunststoff-, Konsumgüter- und Recyclingindustrie Weichen gestellt, um mit finanziellen Mitteln eine geordnete Abfallwirtschaft und ökologisches Verbraucherverhalten in diesen Regionen zu unterstützen.</p><h2>Für Quoten einsetzen</h2><p>Im Januar 2018 hatte Plasticseurope angekündigt, mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung die Ziele der Europäischen Strategie für Kunststoffe in der Kreislaufwirtschaft zu unterstützen.<sup>1)</sup> Die europäischen Kunststoffhersteller setzen sich dafür ein, bis zum Jahr 2030 Wiederverwendungs- und Recyclingquoten von 60 Prozent bei Kunststoffverpackungen zu erreichen; europaweit sollen bis zum Jahr 2040 alle Kunststoffverpackungen recycelt und verwertet werden [<i>Nachr. Chem.</i> 2019, <i>67(9)</i>, 28].</p><p>Im Rahmen der Selbstverpflichtung sagte die Industrie zu, ab dem Jahr 2019 jährlich einen Fortschrittsbericht zu veröffentlichen. Unabhängige Vertreter der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments, der nationalen und lokalen Behörden, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft bewerten die Fortschritte.</p><p>Zur Kunststoffmesse K 2019 lieferte Plasticseurope die erste Bestandsaufnahme zur Selbstverpflichtung: Plastics 2030 – Voluntary Commitment. Sie zeigt, dass die Branche über ihr selbstgestecktes Ziel zur Umsetzung der europäischen Kunststoffstrategie hinausgeht. So haben die Kunststofferzeuger dazu beigetragen, wertschöpfungskettenorientierte Plattformen für Kunststoffe aufzubauen, um die Recyclingquoten zu erhöhen und die Ressourceneffizienz zu verbessern.</p><p>Darüber hinaus haben sich alle Mitgliedsunternehmen des Kunststofferzeugerverbands dazu verpflichtet, das Programm Operation Clean Sweep (OCS) bis Ende 2019 zu unterzeichnen; es beugt dem Verlust von Kunststoffgranulaten in die Umwelt vor. Somit ist Plasticseurope weltweit der erste Branchenverband, der OCS als eines der Kernwerte in seine Arbeit integriert hat. Die Branche ist entschlossen, Lösungen für den Meeresmüll schneller voranzubringen, die Geschäftsmodelle anzupassen und über die bisherigen Ziele der Wiederverwertung hinauszugehen.</p><p>Da die statistischen Informationen zum Kunststoffmarkt und zu Selbstverpflichtungen reproduzierbar dargestellt werden müssen, arbeitet die Branche seit Jahren an genaueren Daten und Fakten, die eine kreislauforientierte und ressourceneffiziente Kunststoffwirtschaft dokumentieren. Im Rahmen dieses Prozesses werden Marktstudien erhoben und detailliert sowie regelmäßig erweitert. So gibt es etwa drei Reports zum Stoffstrombild in der Kunststoffindustrie: für Deutschland, Europa und die Welt.</p><h2>Deutschland, Wiege des Stoffstrombilds</h2><p>Für Deutschland erhebt die Kunststoffindustrie seit mehr als 20 Jahren Daten zu Produktion, Herstellung und Verwertung für ein Stoffstrombild, das alle zwei Jahre neu entsteht.<sup>2)</sup> Das Stoffstrombild zum Jahr 2017 hatte zudem erstmals Daten zur Produktion von Rezyklaten und deren Einsatz in der Kunststoffverarbeitung geliefert [<i>Nachr. Chem.</i> 2018, <i>66</i>, 1167].</p><p>Solche Informationen sind für die Diskussion um die Kreislaufführung von Kunststoffen wichtig. Entscheidend für die Anerkennung der Studienergebnisse in Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit ist die Validität der erhobenen Daten und die breite Einbindung aller betroffenen Kreise. Aktuell entsteht dieser Report zu Produktion, Verbrauch, Abfallaufkommen und Rezyklateinsatz zusammen mit nahezu allen Verbänden der Wertschöpfungskette Kunststoff, der Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft sowie der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie Energie IG BCE.</p><h2>In Europa landet zu viel auf Deponien</h2><p>Der Schwerpunkt der Studie für Europa liegt auf der Erfassung und Behandlung von Kunststoffabfällen aus dem Post-Consumer-Bereich und spiegelt den Stand der Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe in Europa wider. Auftraggeber ist Plasticseurope zusammen mit der Vereinigung europäischer Recyclingorganisationen (European Plastics Recycling and Recovery Organisations, Epro), unterstützt vom Maschinenbauverband VDMA und der Gesellschaft BKV, die etwa 50 Gesellschafter aus der kunststofferzeugenden und -verarbeitenden Industrie sowie dem Kunststoffmaschinenbau tragen.</p><p>Um die Kreislaufwirtschaft bei Kunststoffen besser zu verstehen, bildet die Studie ähnlich wie die deutsche die Produktion und Verarbeitung bis zur Abfallsammlung und -behandlung inklusive Recycling ab. Sie betrachtet mittlerweile zudem die Herstellung und den Einsatz von Rezyklaten.</p><p>Ein Vergleich zeigt: In Deutschland liegt der Rezyklateinsatz in der Kunststoffverarbeitung bei zirka 12 Prozent. Dazu gehören Rezyklate, die aus Postconsumer-Abfällen sowie Herstellungs- und Verarbeitungsabfällen entstanden sind. In Europa wurden insgesamt 14 Prozent der verarbeiteten Menge als Rezyklat bereitgestellt. Betrachtet man ausschließlich Rezyklate aus Postconsumer-Abfällen, sinkt dieser Anteil auf knapp über 7 Prozent. Hauptsächliche Anwendungsgebiete für Rezyklate sind in Europa Agrar, Bau und Verpackungen.</p><p>Knapp 25 Prozent aller Abfälle in Europa landen auf Deponien. In ein Recycling gehen zirka 33 Prozent, und 43 Prozent der Abfälle werden verbrannt (Abbildung 5).</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/QVWBejv5QeeqmWqBWl2o"><figcaption><label>Abb. 4: </label>Stoffstrombild Europa. Quelle: BKV</figcaption></figure>
<p>Die Zeitleiste zeigt die positive Entwicklung: So hat das Recycling in Europa in den Jahren zwischen 2006 und 2018 um 6 Prozent pro Jahr zugelegt. Gleichzeitig nahm die Menge, die auf Deponien landet, um jährlich 4,7 Prozent ab.</p><h2>Weltweite Daten – zielgerichtet investieren</h2><p>Neu ist eine Betrachtung der weltweiten Stoffströme, deren erste Ausgabe aufgrund unterschiedlicher Quellen und zahlreicher Hochrechnungen als Pilotstudie ausgewiesen ist. Sie liefert erstmals Daten und Fakten zur Kreislaufwirtschaft in 44 Ländern der Welt, die für etwa 60 Prozent der Weltbevölkerung und 80 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts stehen. Sechs Verbände und Organisationen, darunter die BKV, unterstützten dieses Projekt.</p><p>Demnach wurden im Jahr 2018 weltweit etwa 390 Mio. Tonnen Kunststoffe hergestellt (Abbildung 6). An Postconsumer-Abfällen fielen etwa 250 Mio. Tonnen an, wovon 173 Mio. Tonnen eingesammelt wurden. Das bedeutet: 63 Mio. Tonnen landeten auf wilden Deponien, während 14 Mio. Tonnen achtlos weggeworfen wurden.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/8zIXq3HT46HFQ7tTTkLQ"><figcaption><label>Abb. 5: </label>Bild der weltweiten Stoffströme. Quelle: Conversio</figcaption></figure>
<p>Über die Zahlen hinaus liefert die Studie Hinweise, wo es Nachholbedarf bei der Etablierung einer geordneten Abfallbehandlung gibt. Die Studie erstellten das Beratungsunternehmen Conversio Market &amp; Strategy, Verbände der Global Plastics Alliance (GPA) und weitere Institutionen. Auftraggeber und Partner sind die BKV, der europäische Kunststoff- und Gummimaschinenbauerverband, der Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie, die GPA, die Industrievereinigung Kunststoffverpackungen, die K-Messe und der VDMA.</p><p>Die Erhebung trägt zum Global Information Project der „Alliance to End Plastic Waste“, einer Open-Source-Datenbank bei, um Investitionen im Abfallmanagement zu priorisieren. Gleichzeitig ist sie Ausgangsbasis für weitere Studien.</p><p>Vorbereitungen für Folgestudien laufen. So soll die Global Plastics Flow Study in erweiterter Form im Jahr 2020 fortgeführt werden. Für die nächste nationale Studie mit dem Titel „Stoffstrombild Kunststoffe in Deutschland 2019“ startete das Datensammeln zu Beginn des Jahres 2020. Im Herbst liegen dann die neuen Daten für Kunststoffe vor.</p><p>Im Text erwähnte Studien zum PDF-Download:</p><p>Plastics – the Facts 2019: <a href="https://t1p.de/Plastics2019" target="_blank">https://t1p.de/Plastics2019</a></p><p>Plastics 2030 – Voluntary Commitment: <a href="https://t1p.de/Plastics2030" target="_blank">https://t1p.de/Plastics2030</a></p><p>The Circular Economy for Plastics: <a href="https://t1p.de/CircularEconomy" target="_blank">https://t1p.de/CircularEconomy</a></p><p>Global Plastics Flow Study 2018 und</p><p>Stoffstrombild Kunststoffe in Deutschland 2017: <a href="https://t1p.de/BKV-Studien" target="_blank">https://t1p.de/BKV-Studien</a></p><h2>AUF EINEN BLICK</h2><p>Gegenüber dem Jahr 2017 wurden im Jahr 2018 weltweit 3 % mehr Kunststoffe erzeugt, in Europa dagegen 4 % weniger.</p><p>Die Branche hat sich verpflichtet, die Kunststoffstrategie der Europäischen Kommission für mehr Recycling und Ressourceneffizienz umzusetzen.</p><p>Die Daten und Fakten in Stoffstrombildern liefern das Basiswissen dafür.</p><h2>Die Autoren</h2><p>Rainer Mantel hat ein Studium des Chemieingenieurwesens an der Universität Erlangen-Nürnberg mit Schwerpunkt Verfahrenstechnik als Diplom-Ingenieur abgeschlossen. Seit 1988 ist er im Management der chemischen Industrie tätig (BASF, Elenac, Basell, LyondellBasell) und seit Oktober 2013 Geschäftsführer der BKV. <a href="mailto:rainer.mantel@bkv-gmbh.de">rainer.mantel@bkv-gmbh.de</a></p><div><img src="https://media.graphcms.com/eQLK1ISTCWlpmBaPCT7A">

</div><p></p><p>Frank Schnieders ist Senior Manager bei Covestro Deutschland in Leverkusen. Er ist seit mehr als 30 Jahren in der chemischen Industrie und Fachmann für Polymermarktforschung und -statistik. <a href="mailto:frank.schnieders@covestro.com">frank.schnieders@covestro.com</a></p><div><img src="https://media.graphcms.com/56AdbGRJqRABRx06HA8Q">

</div><p></p><figure><img src="https://media.graphcms.com/Z2VJhxYT4TtswZTzgigg"><figcaption><label>Abb. 6: </label>Mehr als 40 % der gesammelten Verpackungsaltkunststoffe wurden im Jahr 2018 recycelt, etwas weniger wurde verbrannt. Quelle: Conversio</figcaption></figure>


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Die Ströme verfolgen

Die Polymerwirtschaft arbeitet stärker kreislauforientiert und ressourceneffizienter denn je. Währenddessen steigen die Anforderungen an Marktstudien und Datenerhebungstechniken. Ein Studienergebnis: Die meisten Kunststoffprodukte gelangen in Europa in Verpackungen. Im Jahr 2018 erreichte die wel...

<p>Wissenschaftler arbeiten an bioabbaubaren Polymermaterialien oder Recyclingtechniken für Plastikmüll. Aus dem Blick geraten dabei die Kunststoffabfälle, die Forscher in ihren Laboren selber produzieren. Manche sind vermeidbar.</p>
<p>Für Kunststoffe im Labor gibt es gute Gründe, etwa Arbeitssicherheit, Messgenauigkeit oder Sauberkeit: Handschuhe sind oft kaum zu dekontaminieren, Einmal-Pipettenspitzen verhindern Kreuzkontamination, und komplex aufgebaute Bioreaktoren lassen sich oft nur schwer und mit aggressiven Chemikalien reinigen, sodass sich Single-use-Reaktoren an vielen Stellen durchgesetzt haben.</p><p>Allerdings verursachten nach einer Überschlagsrechnung der Universität Exeter für das Jahr 2014 allein die weltweit 20 500 biologischen, medizinischen und agrochemischen Forschungsinstitute 5,5 Millionen Tonnen Plastikabfälle.<sup>1)</sup> Möglicherweise ist hier Spielraum, Müll zu vermeiden. Schließlich gibt es für andere Bereiche umweltfreundliche Strategien, um etwa bei Lösungsmitteln oder Puffern<sup>2)</sup> den Verbrauch zu verringern, sie wiederzuverwenden, zu recyceln – und dadurch gleichzeitig Kosten zu senken. Gaia Bistulfi vom D‘Youville College in Buffalo, USA, schreibt zu Single-use-Kunststoffprodukten:<sup>3)</sup> „Direkt am Labortisch Aufmerksamkeit aus ökologischer Sicht zu schaffen, hat in einem Jahr zu Einsparungen in Höhe von bis zu 40 Prozent meiner Forschungsgelder geführt.“</p><h2>Hygienisch und praktisch</h2><p>In chemischen Betrieben gibt es grundsätzlich drei Wege, wie mit Kunststoffen aus Verpackungen oder Einmalprodukten zu verfahren ist: Was sich leicht reinigen lässt, wird wiederverwendet, etwa bei Transportverpackungen. Kontaminierter oder stärker verschmutzter Kunststoff kann nach einem definierten Dekontaminationsprozess in den abfallwirtschaftlichen Kreislauf gegeben werden. Nach einer Risikoabschätzung wird der dann entweder rezykliert oder verbrannt, etwa um Dampf oder Strom zu erzeugen (thermische Verwertung).</p><p>Hier steht der Anwender in der Verantwortung. Er muss die Trennung seiner Kunststoffe regeln und den Dekontaminationsprozess durchführen oder veranlassen.</p><p>Michael Hagel, Leiter der Abteilung Arbeitssicherheit und Umweltschutz beim Chemie- und Großhandelsunternehmen Carl Roth, Karlsruhe, meint dazu: „In der Regel wird man Kleinstgefäße bis zu einem Liter Fassungsvermögen nicht reinigen.“ Es würde viel Arbeitszeit kosten und wäre damit betriebswirtschaftlich unsinnig.</p><p>Kunststoffgefäße sind einfacher zu transportieren, denn sie sind nicht zerbrechlich und leichter als Glasgefäße. Da im Transportgeschäft nach Gewicht bezahlt wird, ist die Kunststoffverpackung nicht wegzudenken. Gefährlichere Güter, die Kunststoffe angreifen, werden in Edelstahl- oder Weißblech-Containern befördert.</p><h2>Zellkulturen, DNA, Flusssäure</h2><p>Artikel aus Kunststoff erfüllen oft einen wichtigen Zweck. Produkte zum einmaligen Gebrauch werden aus hygienischen Gründen eingesetzt, etwa Kunststoffschläuche im Krankenhaus. In der Mikrobiologie ist Single-use-Kunststoff noch nicht ersetzbar. Dies betrifft das Arbeiten mit Zellkulturen ebenso wie mit Polymerasekettenreaktion (PCR) oder infektiösem Material. Hier würde die Wiederverwendung im Sinne der Kreislaufwirtschaft energieaufwendige Vorbereitungsschritte erfordern, zum Beispiel Wasch-, Dekontaminations- und Sterilisationsschritte.</p><p>Verschiedene Chemikalien, darunter Flusssäure, lassen sich nicht in Glasgefäßen aufbewahren, da diese dagegen nicht beständig sind. Auch die Arbeitssicherheit hat durch Kunststoffartikel gewonnen: Das Verletzungsrisiko durch zerbrochenes Glas ist deutlich gesunken.</p><p>Im Laboralltag gibt es zudem bestimmte Kombinationen aus Gerät und Verbrauchsmaterial: „Viele DNA-Sequenzierer harmonieren gut mit bestimmten konischen Zentrifugenröhrchen, etwa mit Eppis oder Falcon tubes“, erläutert Hagel. „Diese Röhrchen durch Glasprodukte zu substituieren, halte ich für schwierig. Und was wäre mit den Schraubverschlüssen? Die bestünden nach wie vor aus Kunststoff, und man müsste aufwendig trennen: Glas in die Spülmaschine, Kunststoff zur Entsorgung.“</p><h2>Geringe Nachfrage</h2><p>So fragen Kunden bei Carl Roth aus vielerlei Gründen nicht nach Glasalternativen zu Kunststofflaborgeräten. Dies betrifft sowohl die Mikrobiologie und Kleinstgefäße unter einem Liter als auch generell das gesamte Produktportfolio.</p><p>Ähnlich sind die Erfahrungen bei Eppendorf. „Kunststoffprodukte kommen in Laboren auf der ganzen Welt zum Einsatz, weil sie eine hohe Flexibilität sowohl bei der Formgebung wie bei den Materialeigenschaften mit der Fähigkeit vereinen, Produkte auf die unterschiedlichsten Labor-Applikationen auszurichten“, sagt Wilhelm Plüster, Vorstand Entwicklung und Produktion des Unternehmens in Hamburg. „Häufig ist ein Ausweichen auf andere Materialien gar nicht möglich.“</p><p>Eigenschaften wie Stabilität beim Zentrifugieren, die Sicherheit beim Erhitzen von Proben in Gefäßen mit Verschluss oder das geringe Eigengewicht eines Produkts können Materialien wie Glas oder Metall nicht in gleichem Maß abdecken wie Kunststoff. Nicht zuletzt lässt sich mit diesem ein steriles Arbeiten wesentlich erleichtern. Man denke nur an Pipettenspitzen und Tubes in unterschiedlichen Größen oder an Platten verschiedener Ausprägung aus Polypropylen. Hinzu kommt die Verpackung. Bei Pipettenspitzen sind das zum Beispiel Boxen, Reloads oder Rack-Varianten.</p><h2>Aussichtsreicher: weniger Material in der Herstellung</h2><p>Eppendorf hat einen Weg gefunden, mit weniger Polymergranulat sterile Racks herzustellen, ohne dass die Stabilität leidet. Damit ist zudem die zur Herstellung benötigte Energie um bis zu 36 Prozent gesunken. Das Unternehmen hat angekündigt, in diesem Jahr eine neue Variante für sterile Pipettenspitzen anzubieten, deren Produktion 40 Prozent weniger Rohstoff erfordert.</p><p>Plüster betont: „Die Reduzierung von Rohstoff- und Energieeinsatz durch Optimierung des Produktdesigns und des Herstellungsprozesses halten wir für einen der wirkungsvollsten Beiträge zur Nachhaltigkeit.“ Dies helfe, den Ressourceneinsatz über den gesamten Lebenszyklus von Produkten zu minimieren, von der Produktion über den Transport bis zur Entsorgung.</p><p>Die Boxen für die Pipettenspitzen bestehen aus Polycarbonat und lassen sich meist wiederverwenden.</p><p>Die Gesetzeslage ist eindeutig: Die Europäische Union unterscheidet zwischen Recycling, energetischer Nutzung und sonstiger Beseitigung von Abfällen. In Deutschland regelt dies das Kreislaufwirtschaftsgesetz. Darin steht die Verwertung von Abfällen stets an erster Stelle. Dieser Vorrang entfällt, wenn die Beseitigung der Abfälle den Schutz von Mensch und Umwelt besser gewährleistet.</p><p>Laborverbrauchsprodukte sind im Rahmen dieser Gesetzgebung eine besondere Gruppe. Kommen sie zum Beispiel in Kontakt mit biologischen Arbeitsstoffen mit potenziell infektiösen Eigenschaften, unterliegen sie der Biostoffverordnung. Diese stuft solche Stoffe in Risikogruppen ein.</p><p>Für jede Risikogruppe ist genau definiert, wie sie nach Verwendung zu behandeln und zu entsorgen ist. In Europa müssen Laboratorien diese Maßgaben berücksichtigen, und auch in den USA gibt es entsprechende Gesetze zur Abfallentsorgung.</p><h2>Spielraum im Labor und Werkstoffalternativen</h2><p>Allemal lohnt es sich, wie Gaia Bistulfi beschreibt,<sup>3)</sup> sich das eigene Labor genauer anzusehen. Denn nach ihrer Analyse lassen sich Pipettenspitzen-Racks nach Waschen und Sterilisieren oft mehrfach wiederverwenden.</p><p>Ein Umstieg von Kunststoff auf autoklavierbares Glas ist zumindest erwägenswert. Dies betrifft unter anderem Bakterien- und Gewebekulturen, die Probenahme und die Herstellung von Aliquots oder Lösungen. Von Glasoberflächen lassen sich sogar Spuren von wärmeresistenten Nukleasen entfernen, die ansonsten Experimente mit Nukleinsäuren beeinträchtigen könnten.</p><p>Solche Überlegungen liegen in der Verantwortung des Anwenders. Indessen sind bestimmte Hersteller schon mit dem Re-Design von Laborequipment mit alternativen Werkstoffen beschäftigt. „Bisher ist es zwar noch nicht möglich, Labor-Consumables aus solchen Werkstoffen zu fertigen“, sagt Wilhelm Plüster, „die den Ansprüchen unserer Kunden entsprechen.“ Eppendorf arbeite aber eng mit den Rohstofflieferanten zusammen, „um nichtfossile, nachwachsende oder wiederverwendete Materialien zu finden, die eine gleichermaßen gute Produktqualität wie klassischer Kunststoff garantieren.“</p><p>Christian Ehrensberger ist freier Mitarbeiter der Nachrichten aus der Chemie.</p><figure><img src="https://media.graphcms.com/BhswQOMHRyCgl1LsXVV2"><figcaption><label>Abb. 1: </label>Geringes Gewicht, einfach zu transportieren: Kunststoffbehälter für Chemikalien. Foto: Carl Roth</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/RN4E6kzSTD5QtTPgVCQD"><figcaption><label>Abb. 2: </label>Chemikalien, die Kunststoff angreifen, werden in Edelstahl- oder Weißblechbehältern transportiert. Foto: Carl Roth</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/DGiStm8oREOLeOfMfhFp"><figcaption><label>Abb. 3: </label>Nach dem Stand der Technik gibt es hierfür noch keine Alternative: Verbrauchsartikel für das Labor. Foto: Eppendorf</figcaption></figure>
<figure><img src="https://media.graphcms.com/m1UtzSqoRPKJpS1KHb2T"><figcaption><label>Abb. 4: </label>In der Biotechnologie haben sich in den letzten zehn Jahren Wegwerfprodukte aus Kunststoff durchgesetzt: Einmal-Bioreaktorsystem für die Proteinsynthese. Foto: Ehrensberger</figcaption></figure>
<h2>AUF EINEN BLICK</h2><p>Verbrauchsmaterialien aus Kunststoff wie Bioreaktoren oder Pipettenspitzen sind aufgrund von Hygieneanforderungen oder Arbeitsschutz zurzeit kaum zu ersetzen.</p><p>Rohstoffeinsatz für Laborartikel lässt sich an manchen Stellen bereits bei der Herstellung minimieren.</p><p>Wiederverwendbar sind in der Regel Produkte wie die Boxen für Pipettenspitzen oder Transportgefäße mit über einem Liter Inhalt.</p>
<ul><li>
<sup>1 </sup>M. Urbina, A. Watts, E. Reardon, Nature 2015, 528, 479, doi:10.1038/528479c</li><li>
<sup>2 </sup>Broschüre The Typical 8 Wastes in the Lab, Hrsg. von Mettler Toledo, 2017</li><li>
<sup>3 </sup>G. Bistulfi, Nature 2013, 502, 170 doi:10.1038/502170a</li></ul>


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